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berlin-squad-integration - Re: [Squad-IIP] Rassismus durch Sarah Kuttner!?

berlin-squad-integration AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Squad Integration, Inklusion, Partizipation (IIP)

Listenarchiv

Re: [Squad-IIP] Rassismus durch Sarah Kuttner!?


Chronologisch Thread 
  • From: Fabio Reinhardt <fabio.reinhardt AT googlemail.com>
  • To: "Squad Integration, Inklusion, Partizipation (IIP)" <berlin-squad-integration AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Squad-IIP] Rassismus durch Sarah Kuttner!?
  • Date: Sun, 27 May 2012 16:58:53 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/berlin-squad-integration>
  • List-id: "Squad Integration, Inklusion, Partizipation \(IIP\)" <berlin-squad-integration.lists.piratenpartei.de>

Hi Yonas,

vielen Dank für deine Auführungen, auch an Bastian und Doro. Ich kann
mich dem nur mit +1 anschließen. Ich finde es aber weder schlimm, dass
wir die Diskussion führen, noch war das nun sinnlos. Vielmehr hat die
Tatsache, dass diese Diskussion unter Menschen geführt werden muss,
die sehr aktiv am Thema interessiert sind und die auch - wie Guido und
Erik - selbst sehr interkulturell leben, gezeigt, wie viel
gesellschaftlicher Diskussions- und Nachholbedarf noch besteht. Ich
denke, dass wir - mit Blick auf die anstehende Konferenz - aus dieser
Diskussion einiges mitnehmen können für anstehende (vielleicht auch
unausgesprochene) Fragen von Seiten der Piraten.

Nun zurück zum Ausgangsfall: Mir ist jedenfalls klar geworden, dass
Autoren und Künstler vor allem die Verpflichtung haben, auf Rassismus
hinzuweisen und zu erklären. Aus einer rassistischen Perspektive
geschilderte Situationen, egal ob sie in der Vergangenheit liegen oder
nur hypotetisch oder ausgedacht sind, bedürfen eine Erläuterung.
Erfolgt die aus irgendwelchen Gründen nicht im Buch/Text, sollte sie
zumindest als Fußnote oder spätestens (!) auf der Lesung geschehen.
Die Darstellung des eigenen "unschuldigen" (also unverschuldeten bzw.
nicht böse gemeinten) Kindheits-/Vergangenheitsrassismus bedarf der
Erläuterung für diejenigen, die das vielleicht selbst (immer noch) als
normal ansehen. Ich werde mir das jedenfalls für die eigene
schriftliche Zukunft gut merken.

Kuttner hätte auch leicht in der Situation vernünftig reagieren können
und zugeben, dass die Erläuterung sinnvoll und wichtig ist und sie
vielleicht das Gefühl hatte, diese ausreichend dargestellt zu haben
aber nun dankbar ist für die Anregungen es in Zukunft besser zu
machen. Das wäre wohl die richtige Reaktion gewesen. Was ich an der
Sache immer noch schwierig finde ist die Tatsache, dass es natürlich
schwer ist, sich ein Bild zu machen, da nicht ganz klar ist, ob sie
auf der Lesung eine vielleicht unsachliche Erklärung vorgenommen hat
(wenn ja welche) oder einfach nur vorgelesen hat. Dann würde mich
nämlich noch interessieren, ob der Gast das Buch kannte und bereits
vorher versucht hat, auf das Problem hinzuweisen oder er das spontan
wahrgenommen hat. Also: Es ist mir immer noch nicht ganz klar, ob das
Problem nun im Buch oder auf der Lesung gesehen wurde.

Soviel von mir dazu.
Frohe und entspannte Pfingsten an alle,
Fabio


2012/5/26 Yonas Endrias <endriasy AT aol.com>:
> Hallo alle,
>
> eigentlich wollte ich mich an dieser Diskussion nicht beteiligen. Die Gründe
> erkläre
> ich später. Aber da einige Diskutanten auf Unwissenheit plädieren, hier erst
> mal die Fakten.
> Was oder wer ist eigentlich der "Mohr"? Oder der "Neger"? In der Regel
> bezeichnet
> man Menschen nach ihrem Kontinent, Gebiet, oder manchmal auch der Sprache.
> Der "Neger" genauso wie der "Mohr" ist Produkt und Projektionsfläche
> europäischer
> kolonialer Phantasie. Nach dieser ist der "Mohr" ein Diener, ein Sklave,
> dumm,
> kindisch, unzivilisiert, kulturlos, geschichtslos - ein Wesen, das nur dazu
> da ist,
> Weißen zu dienen, also à la "Sarotti-Mohr". Ein Bewohner des afrikanischen
> Kontinents heißt Afrikaner oder Afrikanerin oder je nach Land Senegalese,
> Nigerianer, oder Kenianer oder nach politischer Hautfarbe Schwarzer.
> Woher kommt das Wort "Mohr"? Ursprünglich kommt es in der deutschen
> Sprache von der Bezeichnung für die Bewohner Nordafrikas, den Mauren.
> Das Wort leitet sich wiederum aus dem Griechischen "moros"
> ab und bedeutet "einfältig", "töricht" "dumm".
> Laut "Wahrig Deutsche Rechtschreibung" kommt "mo|ros [lat.]: mürrisch,
> verdrießlich" hinzu. Daraus leiten sich noch viel mehr negative
> Bezeichnungen ab,
> die in Wissenschaft und Literatur einen festen Platz gefunden haben, z.B.
> aus der
> Psychologie die Bezeichnung "moron", ein retarierter Erwachsener mit dem
> mentalen Alter eines Kindes zwischen 7 und 12. Ihr kennt sicherlich das
> "Oxymoron"
> aus der Literatur usw.
>
> Noch weitere Beispiele. Das erste deutsche Lexikon von 1739 definiert den
> Mohr als
> verbranntes Gesicht, in Anlehnung an die griechische Bedeutung bzw.
> lateinische:
>
> "Mohr, Aethopier, Lat. _Aethiops_, von dem Griechischen [aethio] ich brenne
> und
>  [ops] das Gesicht“ hier heißt es also ‚verbranntes Gesicht’.
>
> Hundert Jahre später definiert der damalige „Duden“, angepasst an den
> Zeitgeist die
>  Menschen in „Rassen“ kategorisiert: „Mohr (Menschenrasse), der; _en, _en u.
> (Zeug) _e“.
> Wie soll es auch anders sein, wenn der große weiße europäische „Aufklärer“
> Emanual Kant meint:
> Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen.
> Die
>  gelben Inder haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind tiefer, und
> am
>  tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften.
> Für Kant ist der „Neger“ ein geborener Sklave. Hier eine Kostprobe:
> „Die Race der Neger […] nimmt Bildung an, aber nur eine Bildung der
>  Knechte, d.h. sie lassen sich abrichten“
>
> Noch eine zeitgenössische Kostprobe. Das deutsche Sprichwörterlexikon von
> 1876
>
>  "Wer von einem Mohr wohl bedient sein will, der muss ihn wohl speisen, viel
>  arbeiten lassen und tüchtig prügeln."
>
> So viel zur positiven Konnotation à la Erik.
> Wie ihr seht, waren zu keinem Zeitpunkt der deutschen Geschichte die
> Begriffe
> „Mohr“ und „Neger“ positiv gemeint, sondern abwertend und entwürdigend. Die
> Rede
>  von „positiver Konnotation“ ist einfach nur bullshit und eine
> Verniedlichung und
>  Verharmlosung von Rassismus.
>
>
>
>
> An Guido und Erik.
> Es geht um Würde, die angeblich laut Verfassung unantastbar ist. Was ihr
> gerade
>  praktiziert, ist sprachliche Gewalt. Mit dieser Gewalt und rassistischen
> Sprache fügt
>  ihr Menschen sehr viele Schmerzen zu. Auch zu der Zeit, in der ihr oder
> eure Oma
>  zu Schule ging, hieß es „ich bin nicht dein Neger“, ergo, ich bin nicht
> dein Sklave.
>  Könnt ihr euch vorstellen, immer auf die Hautfarbe reduziert zu werden?
> Es geht um Machtverhältnisse. Die Definitionsmacht, die die Weißen für sich
>  beanspruchen, wie andere genannt werden sollen, aus weißer, rassistischer,
>  kolonialistischer und Nachfahren der Sklavenhalter Perspektive.
>
> Die dumme Argumentation, dass Schwarze Hipp Hopper den Begriff benutzen,
> gibt
>  euch auch kein Recht, solche abwertenden Bemerkungen zu benutzen. Damit ich
>  nicht viel schreiben muss, hier ein youtube link.
> Tim Wise on the word nigger/nigga
> http://www.youtube.com/watch?v=zmLXZ6_PW9A&feature=related
> Das sind nur ein paar Minuten.
>
>
> Oder noch ein etwas längerer youtube-Beitrag zu weißen Privilegien.
> Tim Wise - The Pathology of White Privilege
> http://www.youtube.com/watch?v=Y2mjvFNOwmc&feature=related
>
>
>
> Ich möchte mich künftig bei solchen unterirdischen Diskussion nicht
> beteiligen.
> Fabio, wie wäre es, wenn du ausnahmsweise auch deine Meinung sagst?
>
> Etwas verärgert,
> Grüße
>
> Yonas
>
> -----Ursprüngliche Mitteilung-----
> Von: Guido Weyers <guidoweyers AT googlemail.com>
> An: Squad Integration, Inklusion, Partizipation (IIP)
> <berlin-squad-integration AT lists.piratenpartei.de>
> Verschickt: Sa, 26 Mai 2012 6:54 pm
>
> Betreff: Re: [Squad-IIP] Rassismus durch Sarah Kuttner!?
>
> Hallo Bastian,
>
> ich kann deine Argumentation prinzipiell nachvollziehen.
> Nichtsdestotrotz bin ich mir nicht sicher, ob es immer so war wie du
> schreibst und ob nicht auch positive Konnotationen in der damaligen
> Zeit existierten. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch erwähnen,
> dass es damals die berühmte Serie "Roots" gab, die einen sehr
> beeindruckenden Einblick in die Sklavengeschichte, den amrikanischen
> Rassismus ect. gab. Ich bin immer ein Mensch der sich gerne anschaut
> welche Fortschritte in diesem Bereich erzielt wurden. Insbesondere die
> Entwicklungen der afroamerikanischen Geschichte Martin Luther King,
> Barack Obama und des dortigen schwarzen Hip-Hops haben dem Rassismus
> dort starke Gegengewichte entgegensetzen können. Sicherlich gibt es
> Amerika immer noch zu viel Rassismus gegen Afroamerikaner, aber sie
> stehen dort sicher nicht mehr am Anfang.
>
> Nochmal Fragen an dich
>
> Findest du es auch rassstisch, wenn eigene "Rassen" oder Angehörige
> einer Religionsgemeischaft Witze über sich selbst machen? (Eddy
> Morphy, Kaya Yanar oder Oliver Polak)
>
> Stehen für dich tatsächloich die Begriffe "Neger", "Judens*" und
> "Kana* auf einer Stufe?
>
> LG
> Guido
>
>
> Am 26.05.12 schrieb Bastian Blankenburg <bastian AT blankenburg.net
>>:
>> Hallo, Erik, Guido, alle,
>>
>> es geht nicht darum, was ein Benutzer des N-Wortes empfindet oder meint,
>> es
>> geht darum, dass es Menschen herabsetzt und diese verletzt. Das Wort hat
>> nunmal eine Reihe negativer Bedeutungen, das wird durch die eventuelle und
>> heutzutage nicht akzeptable Unwissenheit des Benutzers nicht anders. Die
>> allermeisten Schwarzen wissen sehr gut um die herabsetzende Bedeutung des
>> N-Wortes, zumindest kenne ich keine Gegenbeispiele. Deshalb ist die
>> Verwendung rassistisch. Und ja, es macht einen Unterschied, ob es
>> ausgeschrieben wird.
>>
>> Nochmal zum historischen Kontext: ja, die Oma, die damals N*küsse gekauft
>> hat, hat damit Rassismus zumindest in Kauf genommen. Die Dinger wurden so
>> genannt, weil Rassismus damals eine gesellschaftlich akzeptierte Norm war.
>> Ob man der Oma vorwerfen kann, dass sie das hätte erkennen und was gegen
>> die
>> Norm unternehmen müssen, ist eine andere Frage. Zu Guidos
>> Kindheitserinnerung von Schwarzen als “fremd, faszinierend und exotisch”:
>> ich habe es als Kind ähnlich empfunden, aber auch das ist purer Rassismus.
>> Es ist egal, dass das für uns nichts negatives war oder wir es nicht böse
>> gemeint haben. Wir wurden so sozialisiert, auf Grund strukturellem
>> Rassismus. Heute haben wir die Verantwortung, Rassismus zu erkennen und
>> was
>> dagegen zu machen, auch bei uns selbst. Denn diese Zuschreibungen, selbst
>> wenn sie postitiv gemeint sind, führen zu ganz realen Problemen schwarzer
>> Menschen. Welche Firma stellt schon eine Buchhalterin, Projektleiterin,
>> etc.
>> ein, die vermeintlich “fremd, faszinierend und exotisch” ist?
>>
>> Fragt Euch doch mal, wie die Diskussion laufen würde, wenn Kuttner nicht
>> N*,
>> sondern Judens*, Kana* oder ähnliches geschrieben hätte. Auch diese
>> Begriffe
>> waren irgendwann mal von der Mehrheitsgesellschaft aktzeptiert. Trotzdem
>> würde man sie heute höchstens in Anführungsstrichen schreiben, und nicht
>> ohne ganz klar zu machen, dass man sich davon distanziert. Kuttner aber
>> hat
>> die Sache ins vermeintlich komische gezogen. Es geht bei der Puppe aber um
>> eine sehr traurige Angelegenheit, da ist es schon sehr schwierig, eine
>> humorvolle Schilderung des Sachverhalts zu finden, die für die Betroffenen
>> nicht verletzend ist. Ganz sicher nicht ok ist eine Reproduktion des
>> diskriminierenden “Humors” dieser Puppe, nichts anderes hat sie ja getan.
>> Vermutlich hat sie aber gar nicht darüber nachgedacht, sondern das aus
>> ihrer
>> weißen Perspektive lustig gefunden, so wie wohl auch ihr Lektorat. Damit
>> hat
>> sie ihr weißes Privileg ausgespielt und rassistisch gehandelt, bewusst
>> oder
>> unbewusst.
>>
>> Gruß,
>> Bastian
>>
>> Am 26.05.2012 um 26.05.12 10:01 schrieb Guido Weyers:
>>
>>> Tag zusammen,
>>>
>>> ich denke auch, das nach allem was ich von Sarah Kuttner bisher
>>> mitbekommen habe, es mich sehr wundern würde, wenn sie in der
>>> Rassismusecke landen würde.
>>>
>>> Für mich ist, genau wie Erik es schrieb, zum einen der Hinweis auf die
>>> Vergangenheit, als diese Bezeichnung noch gang und gebe war, entschiedend
>>> und die damalige Bedeutung des Wortes im entsprechenden historischen
>>> Kontext.
>>> Ich kann mich auch noch an diese Zeit erinnern und hatte damals als Kind
>>> niemals das Gefühl, das der Begriff "Neger" negativ konnotiert war. Als
>>> Kind war das damals für mich genauso faszinierend, fremd
>>> und exotisch wie für Kids heute vielleicht Robert Paton als Vampir. Ich
>>> habe damals im Geschichtsunterricht bereits gelernt, dass man
>>> geschichtliche Dinge aus der Vergangenheit nicht nach heutigen Maßstäben
>>> beurteilen sollte.
>>> Die Bedeutung von Worten ändert sich im Laufe der kulturellen Entwicklung
>>> in einmer Gesellschaft ständig.
>>>
>>> Interessent find ich auch das Phänomen, das Afroamerikaner in ihren
>>> Hip-Hop Texten sich selbst als "Nigger" bezeichnen und dies absolut stolz
>>> umkonnotieren. Ich finde das ein Beispiel für einen sehr klugen und
>>> selbstbewußten Umgang,
>>> mit einem ursprünglich von Weißen geprägten rassistischen Begriff.
>>> Ähnlich
>>> intelligent gehen auch beispielsweise Juden in ihrem sehr eigenen dunklen
>>> Humor mit sich selbst um, den schätze ich ebenfalls sehr.
>>>
>>> Liebe Grüße,
>>> Guido
>>
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