Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Privatpatienten

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

Re: [AG-Gesundheit] Privatpatienten


Chronologisch Thread 
  • From: Wolfgang Gerstenhöfer <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
  • To: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Privatpatienten
  • Date: Mon, 25 Nov 2013 19:46:15 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Sehr geehrte Frau Syna,

Sie haben übrigens ein interessantes Profil:

http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Syna

Nun aber zu Ihren diversen Beiträgen vom 23. und 24.11. zum Thema Privatpatienten:

Sie stellen mal wieder eine bunte Mischung aus Vorurteilen und Halbwissen dar.

Nur zur Sicherheit: Ich bin auch dagegen, daß es Privat- und Kassenpatienten gibt. Im Unterschied zu Ihnen möchte ich nur, daß es künftig nur noch Privatpatienten gibt, während sie nur noch Kasssenpatienten haben wollen.

Nun aber zum Inhalt Ihrer Beiträge:

Was können Privatversicherte dafür, daß heute nicht allen Menschen die Möglichkeit eröffnet wird, sich privat gegen das finanzielle Risiko einer Krankheit oder eines Unfalls abzusichern? Gar nichts.

Wenn Sie hier schon vermeintlich Aufklärung betreiben wollen, dann sollten Sie sich auch mal damit beschäftigen, warum das System heute so ist, wie es ist.

Bis in die 1940er Jahre gab es neben der Versicherungspflicht- auch noch eine Versicherungsberechtigungsgrenze. Es war also Arbeitnehmern, deren Einkommen über einem bestimmten Betrag lag, sogar verboten, in der gesetzlichen Krankenversicherung zu bleiben. Es waren die Nationalsozialisten, die das geändert haben.

Warum gab es diese Grenze? Es gab sie, weil man nicht wollte, daß Menschen, die selbst für ihre finanzielle Absicherung im Krankheitsfall sorgen können, von der gesetzlichen Krankenversicherung profitieren.

Und warum sind die Beiträge in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung einkommensabhängig? Viele denken wahrscheinlich, daß dies so ist, weil es in den anderen Sozialversicherungen (Renten- und Arbeitslosneversicherung) auch so ist und wegen der Belastung abhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

Dies ist nicht so. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit spielt einzig und allein im Steuer- und Transfersystem eine Rolle. Dort gehört sie hin. Dort geht es um Umverteilung im Sinne einer staatlichen Solidargemeinschaft.

Einkommensabhängig sind bzw. waren die Beiträge, weil auch die Leistungen einkommensabhängig sind bzw. waren. In der Renten- und in der Arbeitslosenversicherung ist das klar. Sowohl die Rente als auch das Arbeitslosengeld richten sich nach dem bisherigen Einkommen.

In der gesetzlichen Krankenversicherung war das ursprünglich auch so. Sie hat nämlich als reine Krankengeld-, also als Verdienstausfallversicherung für Arbeiter mit einem sehr geringen Lohn begonnen.

Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb auch die Einkommensabhängigkeit des Beitrags in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Vergangenheit bereits kritisch gesehen und daher auch der Höhe der Beitragsbemessungsgrenze gewisse Grenzen gesetzt.

Ebenso wäre auch eine vollständige direkte oder auch - durch weitere Erschernisse des Wechsels - indirekte Abschaffung der privaten Krankenversicherung verfassungswidrig

Auch daran orientiert sich deshalb mein Reformvorschlag.

Und noch einmal ganz deutlich:

Nicht die 90 Prozent Kassenpatienten subventionieren die 10 Prozent Privatpatienten, sondern es ist genau umgekehrt.

Die 10 Prozent Privatpatienten finanzieren eben mehr als nur 10 Prozent unseres Gesundheitswesens.

Viele Arztpraxen und Krankenhäuser würden ohne Privatpatienten nicht (mehr) existieren und/oder würden nicht über die entsprechende Ausstattung verfügen.

Aber noch einmal: Ich kämpfe hier nicht für das bestehende Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, nicht für Kassenpatienten einerseits und Privatpatienten andererseits, denn ich weiß auch um die vielen Schwächen und Nachteile der privaten Krankenversicherung, sondern für eine Reform, die diesen Namen wirklich verdient und die zu einem freiheitlichen und nachhaltigen (generationengerechten) und gleichzeitig sozialen und solidarischen Krankenversicherungssysterm führt und nicht zu einer Zwangs-Einheits-Staats-Krankenkasse ("Bürgerversicherung").

Zum Abschluß noch der Blick ins Ausland:

Es ist richtig, daß es eine private Krankenversicherung wie in Deutschland in anderen Ländern nicht gibt. Es gibt aber auch eine gesetzliche Krankenversicherung wie in Deutschland nur in Deutschland.

Ich weiß, daß Äpfel immer gern mit Birnen verglichen werden - das ist auch meistens viel einfacher, als sich mit den Details zu beschäftigen.

Sicher gibt es auch in vielen anderen Ländern - sowohl in als auch außerhalb von Europa - verschiedene Formen staatlicher Sicherungssysteme für den Krankheitsfall.

Fakt ist aber, daß es in fast allen diesen Ländern tatsächlich eine Zwei-Klassen-Medizin gibt. Da gibt es die Medizin für die im staatlichen Sicherungssystem befindlichen Patienten - oft verbunden mit hohen Eigenanteilen - und eine Medizin für die, die sie sich leisten können (und wollen) und zwar in der Regel aus der eigenen Tasche.

Wollen wir das wirklich haben? Ich möchte das nicht.

Werfen wir doch nur mal einen Blick auf den Nationalen Gesundheitsdienst in Großbritannien mit seinen Wartelisten für nicht lebensbedrohliche Operationen.

Mit freundlich-liberalen Grüßen
Wolfgang Gerstenhöfer

http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Wolfgang_Gerstenh%C3%B6fer

http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Wolfgang_Gerstenh%C3%B6fer#Vorschlag_f.C3.BCr_eine_Positionierung_der_Piraten_zum_Thema_Krankenversicherung




----- Original Message ----- From: "syna" <syna AT news.piratenpartei.de>
To: <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Saturday, November 23, 2013 10:28 PM
Subject: Re: [AG-Gesundheit] Privatpatienten



*Schöne Frage!* Ich will sie mal beantworten:

Ein Arbeitnehmer mit 3800 Euro Einkommen zahlt 550 Euro Beitrag (einschließlich
Arbeitgeberanteil). Von diesen 550 Euro werden etwa 250 Euro verwendet, um damit die
medizinische Versorgung von Einkommensschwachen zu finanzieren, während ein privat
Versicherter mit genau dem gleichen Einkommen *nicht einen einzigen Euro für die
Solidargemeinschaft aufbringt*. Und kommen Sie bitte nicht mit "Die privat
Versicherten zahlen doch auch Steuern ... ".

Der gesetzlich Versicherte, der freiwillig bei hohem Einkommen Monat für Monat mehr als
250 Euro in die Solidarität zahlt, muss im Falle einer Erkrankung im Wartezimmer
ausharren, bis der Privatpatient, der sich um diese Zahlung drückt, fertig behandelt
wurde. Danach muss er sich vom Arzt oft behandeln lassen, als ob er der Ausnutzer des
Systems wäre, nur weil er für den Arzt nicht so lukrativ ist.

Die Private Krankenversicherung subventioniert nicht das System, sondern bezahlt nur
die Luxusversorgung ihrer Versicherten und profitiert von der Subvention durch die ihren
eigenen Mitgliedern erlassenen Solidarbeiträge. Sie nutzt dabei priviligiert die von allen
Steuerzahlern bezahlten teuren Klinikeinrichtungen, zu denen GKV-Versicherte i.d.R.
kaum Zugang haben.

Wenn jeder Arzt oder jede Klinik entweder nur gesetzlich Versicherte oder nur privat
Versicherte behandeln dürfte, wäre das private System in kürzester Zeit am Ende. In
einem solchen System wäre jede Quersubvention ausgeschlossen, und schnell würde klar,
in wie vielen Bereichen das private System parasitär vom gesetzlichen lebt.
--
AG-Gesundheitswesen mailing list
AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen





Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang