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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Kredit-/Zahlungsmittelbedarf = reines Vorsprungphänomen

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Kredit-/Zahlungsmittelbedarf = reines Vorsprungphänomen


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Kredit-/Zahlungsmittelbedarf = reines Vorsprungphänomen
  • Date: Sat, 14 Feb 2015 21:55:43 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hallo Gerhard,

moneymind schrieb:
Habe heute nochmal in Stützels "Paradoxa" gelesen, bis ca. S. 26.
Mir leuchtet folgendes ein:
Wenn Käufe und Verkäufe im Gleichschritt stattfinden, entsteht kein nennenswerter Kreditbedarf. Der Kreditbedarf ist also ein reines Vorsprungphänomen.
Anders ausgedrückt: es besteht eine zeitliche Lücke zwischen zwei
Zahlungsvorgängen, wodurch sich ein Finanzierungsbedarf begründet.

Zeitliche Lücke ja, aber nicht zwischen Zahlungsvorgängen, sondern für ein Wirtschaftssubjekt (oder eine aggregierte Teilmenge von Wi-Subjekten ) zwischen einem Kaufüberschuß und einem Verkaufsüberschuß. Es geht um die Ebene des Güter-/Dienstleistungs-Austauschs.

Bedeutet das nicht im Umkehrschluß: wenn wir die gegenwärtige
Situation als "Schuldenkrise" oder wahlweise auch "Guthabenkrise"
wahrnehmen und die Ursachen im "Geldsystem" vermuten - übersehen wir
dann nicht die sozusagen darunter verborgenen
Kaufs-/Verkaufs-Ungleichgewichte, die sozusagen das Primärphänomen
wären?
Bitte streich den Begriff 'Gleichgewicht' aus deinem Wortschatz, wenn es
um makroökonomische Phänomene geht. Argumentativ ist man da ganz schnell im neoklassischen Narrativ.

Ja, Du hast recht, das wird schnell mißverständlich - wäre besser, andere Ausdrücke zu verwenden. Kaufüberschuss, Verkaufsüberschuss bzw. Einnahmenüberschuss und Ausgabenüberschuss - das verwendet Stützel.

Aber durch diese Betrachtungweise kommt eigentlich doch die neoklassische Aussage, daß die Geldvermögensebene nur ein "Schleier" sei und eigentlich die reale Güterebene das primäre sei, wieder in den Blick.

Hier bin ich sehr gespannt, wie Stützel durch die Brille der (ja rein logisch-empirischen) Saldenmechanik aufs neoklassische Modell blickt (ein späteres Kapitel der "Paradoxa" handelt von "Problemverschlingungen" im Walras-Modell). Keynes war ja der Ansicht, die Neoklassik erkläre einen Grenz- und Sonderfall zum Normalzustand (Say'sches Gesetz - bei Stützel beschreibt das nur den absoluten Sonder-/Ausnahmefall des völligen Gleichschritts von Einnahmen und Ausgaben, wo tatsächlich für alle einzelnen gilt, was für das Gesamtsystem immer gilt, nämlich daß Einnahmen = Ausgaben). Macht Sinn.

Das scheint mir eine ganz essentielle Einsicht zu sein, die aber ja gerade bei den Leistungsbilanzungleichgewichten zwischen den verschiedenen Ländern offensichtlich ist - aber natürlich nicht nur
dort gilt, sondern ganz generell.
Man sollte vielleicht besser von Leistungsbilanz*differenzen* sprechen.

Am besten, wir lernen alle die Stützel-Terminologie und, wenn wir sie für sinnvoll halten, benutzen wir diese (schon, um ihre Leistungsfähigkeit zu testen). Also: nationale Kaufüberschüsse (Leistungsbilanzdefizite) und komplementäre Verkaufsüberschüsse (Leistungsbilanzüberschüsse) der (aggregierten) Komplementärgruppe.

Umverteilung über Besteuerung wäre eine mögliche Form des Ausgleichs solcher Ungleichgewichte (und damit der Vermeidung von Spannungen
zw. Gläubigern und Schuldnern), allerdings eine Form, die eine
Das sind vor allem Maßnahmen, die nur innerhalb eines Währungsgebietes
im jetzigen setting möglich sind.

Innerhalb eines einheitlichen Rechtsraums mit zentraler fiskalischer Autorität. Also nicht in der Eurozone - ein Aspekt ihrer Fehlkonstruktion, ihr fehlt der "surplus recycling mechanism".

staatliche Autorität voraussetzt. Eine weitere Form wäre eben
Keynes' "international clearing union", oder - wie manche behaupten -
frei floatierende Wechselkurse (was aber Christoph ja als
Wo siehst du den Zusammenhang zwischen flexiblen Wechselkursen und einer internationalen Verrechnngsstelle?


Soweit ich sehe, würde eine internationale Verrechnungsstelle a la Keynes, die auf längerfristig ausgeglichene Leistungsbilanzen der Staaten hinwirken soll, fixe Wechselkursbandbreiten voraussetzen ... hab da aber noch enormen Klärungsbedarf. Damit muß ich mich erst noch beschäftigen.

Mechanismus beschrieben hat, das nicht wirklich zum Ausgleich von
Ungleichgewichten dient, sondern letztlich dem Starkwährungsland
nutzt und dem Schwachwährungsland schadet).
Ist es nicht auch so, daß ... wenn kein nennenswerter Kreditbedarf entsteht, den Banken ein Betätigungsfeld wegfällt, diese also eher
ein Interesse an Ungleichgewichten haben müßten?
Das ist auch so, solange Banken wie gewöhnliche profitorientierte
Unternehmen behandelt werden. Der Druck fällt weg, sobald Banken als
reine Treuhänder zusammen mit der Zentralbank als Verrechnungssystem
eines Währungsgebietes funktionieren.

Mh, interessanter Gedanke ... muß ich mal im Hinterkopf behalten und genauer drüber nachdenken.

Zwischen Christoph und Gerhard scheint da ja eine gewisse Übereinstimmung zu bestehen, wenn sich beide - soweit ich sehe -
dabei auch nicht direkt auf Stützel beziehen, sondern eher auf
Keynes, der dies nicht so explizit und systematisch wie Stützel
behandelt hat, dafür aber eine pragmatische Lösung auf der Basis
dieser Einsicht erarbeitet hat (clearing union).
Bei meinem Ansatz für eine Clearing Union berufe ich mich vorrangig auf
Cencini. Bei ihm ist die Clearing Union Bestandteil einer
umfangreicheren Bankenreform (Quantumökonomie). Dort ist eine gemeinsame
Zentralbank von Zentralbanken eine reine Abrchnungsstelle für nationale
Notenbanken, welche in diesem Verbund die selbe Rolle für die nationalen
Notenbanken einnimmt, wie es die nationalen Notenbanken für die
jeweiligen Geschäftsbanken sind.

Ok ... Cencini kenne ich nicht, auch bin ich überhaupt mit dem Gedanken einer internationalen clearingstelle bisher nur ganz oberflächlich vertraut und hab enormen Lern- und Klärungsbedarf.
Der Unterschied zu Varoufakis Umwälzmechanismus, der stärker am
Keynes-Plan orientiert ist, besteht darin, dass bei Cencini in einer
rein passiven Form Strafzinsen für Zahlungsbilanzüberschüsse/defizite
nicht unbedingt notwendig sind. Dies könnte in der politischen Debatte
um die Zukunft der Eurozone von Bedeutung sein, da insbesondere Weidmann und die Bundesbank immer Wert auf eine strikte Neutralität gelegt haben.

Ok ... klingt interessant. Werde den Namen Cencini mal im Hinterkopf behalten, vielleicht kannst Du ja auch mehr dazu sagen, wenn wir in der Diskussion später wieder drauf zurückkommen.

Any ideas? Rolf will ja im nächsten mumble zu Stützels Paradoxa auf dieses Thema eingehen.
Ich halte die Beschäftigung mit Stützel für didaktisch sehr sinnvoll, da
er, als Einziger neben den Quantumökonomen, mit der strengen Logik der
doppelten Buchführung argumentiert. Ich hoffe ich kann im Verlauf dieser
Diskussion verdeutlichen, wie diese Paradoxa in der Quantumökonomie
teilweise aufgelöst werden.


Das fände ich sehr interessant - auch, zu vergleichen, welcher Umgang mit den Paradoxa Stützel vorschwebte. Bzw. zu vergleichen, wie die verschiedenen Leute (Stützel, Keynes, Quantumökonomen, Cencini, Marx), die solche Paradoxa erkannt haben, jeweils damit umgehen wollten/wollen.

Gruß
Wolfgang




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