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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Kredit-/Zahlungsmittelbedarf = reines Vorsprungphänomen

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Kredit-/Zahlungsmittelbedarf = reines Vorsprungphänomen


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Kredit-/Zahlungsmittelbedarf = reines Vorsprungphänomen
  • Date: Sat, 14 Feb 2015 12:31:35 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hi David,

beschreiben kann man soziale Systeme ohne Kenntnis seiner Mikrozustände schon. Aber nicht "verstehen":

auch in Deiner Menschenmasse handelt jeder einzelne für sich aus guten (und prinzipiell nachvollziehbaren) Gründen so, wie er handelt - also von seinem einzelnen Standpunkt aus in diesem Sinne "rational".

Daß also jeder einzelne aus seiner Sicht gut begründet handelt, dabei aber im Ganzen ein Ergebnis entsteht, das so keiner gewollt hat, kann man als ein den Stützel-Paradoxa ganz ähnliches Paradoxon betrachten.

Entscheidend finde ich:

Um das Paradoxon zu verstehen, braucht man SOWOHL die Einzel- als auch die Gesamtperspektive. Wenn Du sagst, die einzelnen würden "irrational" handeln, stimmt das nur in Bezug aufs Gesamtergebnis (analog: Globalsatz bei Stützel), nicht in Bezug auf ihre je einzelne Perspektive, aus deren Sicht sie eben vollkommen rational handeln.

David Finsterwalder schrieb:

Hey Marco,

Ich muss dir ganz entschieden widersprechen. Stochastik setzt keineswegs rational handelnde Subjekte voraus. Du schmeißt hier Sachen zusammen die nichts miteinander zu tun. Nimm als Beispiel eine panische Menschenmasse. Die verhalten sich vollkommen irrational und trampeln sich an Engpässen gegenseitig nieder etc. In der Summe lässt sich aber so eine Masse ähnlich einer Wasserströmung simulieren (wobei Menschen eine höhere Viskosität haben). Das große Wunder der Stochastik (vorallem der Thermodynamik) ist ja, dass man ein System ohne Kenntnis seiner Mikrozustände beschreiben kann.

Grüße
David

Marco Schmidt schrieb:
Die Publikation ist ziemlich genial. Endlich hat man es geschafft, von
den 2-dimensionalen mechanistischen Modellen hin zu konkreten
3-dimensionalen dynamischen Modellen vorzudringen.
Basiert u.a. auf der Vorarbeit von Keen und Minsky. Keen liest hier
Krugman die Leviten, da er nach wie vor die Banken in seinen Modellen
vollkommen ignoriert
http://www.forbes.com/sites/stevekeen/2015/02/10/nobody-understands-debt-including-paul-krugman/

Zum Thema Ergodizität: dabei gehts um die Unsicherheit bzw.
Vorhersagbarkeit von Systemen. Hat etwas mit der Anwendbarkeit von
stochastischen Wahrscheinlichkeiten zu tun. Wenn ein System ergodisch
ist, lässt es sich in Wahrscheinlichkeiten ausdrücken und vorhersagen.
Das trifft aber auf die reale Welt nicht zu, da die Menschen eben keine
rationalen Agenten sind. Das will aber in die Köpfe der "Experten" nicht
rein...
Beispiel für ein ergodisches System wäre ein Würfel-Wurf mit 10 Würfeln.
Es ist egal, ob ich einen Würfel 10x hintereinander werfe oder mit 10en
gleichzeitig, die Wahrscheinlichkeitsverteilung wird identisch sein.
Damit ließen sich weitere Würfe vorhersagen.
Das tun die lieben Mainstream-Ökonomen mit der Weltwirtschaft. Die
Vorhersagen beruhen auf der Annahme, dass alles streng nach Schema F
abläuft. So etwas wie Unsicherheit/(Irrationalität/Herdenverhalten/etc.)
kennen sie nicht. Deswegen sind sie von unvorhergesehenen Ereignissen
auch immer so überrumpelt...
Habe auf die Schnelle noch eine Präsentation zum Thema gefunden:
http://www.slideshare.net/pkconference/ehnts-alvarez

David Finsterwalder schrieb:
Hey Gerhard,

Wow, Vielen dank für den Hinweiß auf Grasselli/Lima! Ich bin erst seit
gestern in der Mailingliste und hatte zuvor nichts davon gehört. Meine
mehr oder weniger heuristische Herleitung auf konkrete Modelle zu
übertragen würde ich mir nie zutrauen. Ich bin mir nicht mal sicher -
nach einem ersten kurzen Blick - ob ich die Publikation verstehen
werde. Dennoch viele Dank für den Hinweiß.

Grüße
David

Am 13. Februar 2015 um 14:34 schrieb Gerhard
<listmember[at]rinnberger.de http://mailto:listmember%5Bat%5Drinnberger.de>:

David Finsterwalder schrieb:
Ganz genau das ist mir damals bei der Diskussion im Gelben
Forum zum
"fehlenden Zins" wie die Schuppen von den Augen gefallen
(Der Zins fehlt ja
nicht, er ist ja als Forderung im Buch des Gläubigers -
Gesamtwirtschaftlich also nur "woanders") . Und aus diesem
Grund würde auch
ein Kreditloses Geldsystem alleine nichts bringen. Das
Problem ist, dass
sich beim Vermögen immer eine Lognormalverteilung einstellt.

Hier die Herleitung in Kurzform:

1. Bei chancengleichem Handeln (50%/50% Gewinn/Verlust) sind
Gewinner und
Verlierer über eine Normalverteilung verteilt (Mathematisch
korrekt wäre
eigentlich Binomialverteilung da über diskreter Menge).

2. Gewinne und Verluste wären somit erstmal auch
Normalverteilt. (Gewinne
und Verluste seien proportional zum Vermögen)

3. Verluste können aber nicht unendlich sein (und das gilt
unabhängig vom
Geldsystem: Ob durch "Überschuldung" limitiert oder bei
Schuldfreiem
Geldsystem durch 0 spielt hierfür kein Rolle)

4. Die Normalverteilung verschiebt sich somit immer zur
Lognormalverteilung.
5. Ohne irgendeine Form der Umverteilung
(Steuern/Pleiten/Spenden/Heiraten/Raub/Geld
verbrennen/Whatever) hat im
Grenzwert einer alles und der Rest nix.
Das haben Grasselli und Lima bewiesen [1]. Habe das neulich in
einem
anderen Thread schon gepostet:

<cite>Das von Keen zugrunde gelegte Modell weist zwei
Fixpunkte
(Gleichgewichte) auf. Einer davon entspricht tatsächlich dem,
was die
Neoklassik vorhergesagt hat. Dieser ist jedoch instabil, d.h.
bei
geringsten Abweichungen vom Gleichgewichtszustand strebt das
System in
einem Grenzzyklus dem zweiten Fixpunkt zu. Dieser ist
gekennzeichnet
durch NULL Einkommen, Null Beschäftigung und unendlicher
Verschuldung.</cite>

Die Herleitung macht hierfür nur minimale Annahmen. Das mag
erstmal nach
einem Klein-Erna Modell aussehen, aber bei genauerem
Hinsehen sollte
schnell klar werden, das eine große Zahl möglicher Ökonomien
diese
Prämissen erfüllen. Ist Handeln nicht chancengleich sondern
asymetrisch
verschärft sich das Problem nur.
Das ist einer der Kritikpunkte der Postkeynesianer am
neoklassischen
Allokationsmodell, derzufolge der Markt die optimale
Allokation liefert
und unter dem Stichwort Nicht-Ergodizität diskutiert wird:

<http://de.wikipedia.org/wiki/Ergodizit%C3%A4t>

Kurz gesagt wird ein komplexes System ergodisch genannt, wenn
für fast
Messgrößen der Zeitmittelwert gleich dem Scharmittelwert ist.
Das ist
nun mathematisch /etwas/ anspruchsvoller als die gängigen
Modelle in der
Ökonomie und bin da selber auch noch nicht voll
durchgestiegen.

[1] Grasselli, M. R./Costa Lima, B. (2012): An analysis of the
Keen
model for credit expansion, asset price bubbles and financial
fragility.
In: Mathematics and Financial Economics 6, S. 191–210.
<http://link.springer.com/10.1007/s11579-012-0071-8> evtl.
Paywall oder
<<http://ms.mcmaster.ca/~grasselli/GrasselliCostaLima_MAFE_online.pdf>>

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AG-Geldordnung-und-Finanzpolitik[at]lists.piratenpartei.de http://mailto:AG-Geldordnung-und-Finanzpolitik%5Bat%5Dlists.piratenpartei.de
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