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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Versuch: Ziele für ein freies, demokratisches und soziales Europa

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ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Versuch: Ziele für ein freies, demokratisches und soziales Europa


Chronologisch Thread 
  • From: Ex-SystemPirat <systempirat AT live.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Versuch: Ziele für ein freies, demokratisches und soziales Europa
  • Date: Fri, 20 Jun 2014 11:58:25 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>



Am 20.06.2014 11:15, schrieb moneymind:
Hallo Frauke,

ja, sehe ich prinzipiell ähnlich. Ein solcher "freier, demokratischer
und sozialer Bundesstaat Europa" könnte ja auch nur demokratisch
entstehen, indem in jedem Land die Bürger darüber abstimmen. Sonst wäre
er von vorneherein nicht mehr demokratisch. So schlägt das auch der Otto
Roloff vor.

Das Problem der "Landkarten" sehe ich dem aber sozusagen noch
vorgelagert. Momentan wird ja die Entwicklung sozusagen von der
neoliberalen Navigationskarte in den Köpfen der Eliten gesteuert, mit
der Fehlannahme, daß das, was für ein einzelnes Unternehmen oder einen
einzelnen Haushalt gilt, auch für alle Wirtschaftsteilnehmer gilt - auch
für Staaten und für die Gesamtwirtschaft.

Das Dumme ist, daß der große Teil des Volks mittlerweile dieselbe
"Navigationskarte" im Kopf hat, weil diese von der täglichen praktischen
Erfahrung her direkt einleuchtet, die Fehlverallgemeinerung aber nicht
so ohne weiteres per Augenschein zu erkennen ist (und kaum einer auf die
einfache Logik verweist, mithilfe der das erkennbar wird).


Die Schlussfolgerung, die man bei konsequentem "Navigationskarten"-Denken ziehen könnte, wäre ja gerade die, dass die meisten Karten eben der "täglichen praktischen Erfahrung" entsprechen müssen und gerade nicht dem Kenntnisstand wissenschaftlicher Eliten.

Es könnte geradezu eine Erkenntnis ein (ich will jetzt hier nicht behaupten, dass das zutrifft), dass man sich damit abfinden muss, dass ein Großteil der Menschen immer mit veralteten Karten hantiert. Es hilft nichts, von immer aktuellen Karten auszugehen, wenn das in der Realität gar nicht möglich ist. Das wäre dann der Homo Ökonomicus in neuem Gewande, sozusagen mit der einzig richtigen Navigationskarte in der Hand.

Weshalb die Leute womöglich Entscheidungen treffen würde, die gar nicht
so anders ausfallen würden als die der Eliten, und auch nicht wirklich
zu anderen Ergebnissen führen würden.

Ich meine: wer Entscheidungen über gesamtwirtschaftliche
Entwicklungsstrategien treffen will, für die betriebswirtschaftliche
Logik eben gerade NICHT taugt, sondern für die man makroökonomische
Einsichten braucht, müssen diejenigen - seien es nun Repräsentanten des
"Volks" oder "das Volk" selber - makroökonomische Zusammenhänge
verstehen. Sonst können sie keine kompetenten Entscheidungen treffen -
und es kommt wahrscheinlich was ähnliches dabei raus, wie wenn man einen
Friseur den Motor eines Autos reparieren läßt ("frisier mir den mal").


Das ist aber immer noch Argumentation im alten Paradigma, in dem die Unterscheidung von Mikro und Makro bzw. BWL und VWL bestimmend ist.

Ein möglicher Paradigmenwechsel wäre es, wenn man die Wirtschaft als gesellschaftliches Funktionssystem sieht und sie im Kontext von Organisationen bzw. der Gesellschaft oder in Wechselwirkung mit anderen Funktionssystemen beobachtet. Das wäre zumindest der Versuch einer paradigmatisch anderen Sichtweise.

Deswegen fand ich die Punkte "Wissenschaft" und "Bildung" so wichtig.
Wenn Demokratie funktionieren soll, brauchen wir ein brauchbares Modell
der Gesamtwirtschaft, und das muß auch jeder kennen.

Damit er zwischen seinem Standpunkt als "Bourgeois" (freies und gleiches
Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft/"Zivilgesellschaft" = Sphäre des
Privatrechts = Sphäre des Marktes), also quasi seinen
"betriebswirtschaftlichen" Interessen und seinem Standpunkt als
"Citoyen" (Staatsbürger und als solcher Mitbestimmer über GEMEINSAME,
ALLE - d.h. die GESAMTE Wirtschaft und den GESAMTEN Staat - Sphäre des
öffentlichen Rechts) unterscheiden und sich in der einen Sphäre so, in
der anderen so verhalten kann.

Denn witzigerweise sind für beide Sphären oft entgegengesetzte
Strategien sinnvoll. Das erkennt man aber nur mit so einer
Makro-Ökonomie, und die existiert bisher (leider) nur in kleinen
Ansätzen bzw. muß wieder ausgegraben und verbessert werden.

Außerdem gibt es noch den Standpunkt als Familienmitglied und Nachbar,
der folgt m.E. sinnvollerweise nochmals anderen "Mustern", den
eigentlich historisch ursprünglichsten sozialen Handlungsmustern
(Ethnologen nennen das "Reziprozität"), denen die Muster von
"Herrschaft", "Vertrag" und "Politik" erst viel später überlagert wurden
("Demokratie" ist ja eine Form von Herrschaft (und braucht deswegen ein
staatliches Gewaltmonopol) - "Volksherrschaft", in der sich das Volk -
der Theorie nach - nach "selbstgegebenen Regeln" "selbst beherrscht").

Das Schwierige oder jedenfalls eine große Schwierigkeit scheint mir, zu
verstehen, daß diese 3 bzw. 4 Arten sozialer Beziehungs"netze" (1.
verwandschaftlich/freundschaftlich/nachbarschaftlich - Reziprozität, 2.
vertraglich/marktförmig - BWL, 3. Herrschaft (religiös legitimierte
Monarchie oder philosophisch legitimierte Demokratie) - Religiöse Moral
oder öffentliches Recht) eben jeweils unterschiedlichen Mustern folgen
und man in jeder Sphäre nach den dieser Sphäre angemessenen Mustern
handeln muß, wenn man seine Ziele erreichen will.

Jedenfalls hab ICH ewig gebraucht, um das halbwegs zu blicken.


Und kannst du deine Erkenntnisse jetzt so formulieren, dass andere daran teilhaben, dass sie zustimmen oder ablehnen können?

Auch wenn du ja bekennderma0en die Luhmannsche Systemtheorie für unmenschlich hältst, ich meine alle deine Punkte in dieser Theorie, diskussionsfähig repräsentiert.

Die 3 bis 4 Arten sozialer Beziehungsnetze finde ich in den Grundformen sozialer Systeme wieder: Interaktionen, Organisationen, Gesellschaft, (Protestbewegungen?). Die "Reziprozität" ist meiner Ansicht nach in dem Konzept der doppelten Kontingenz sehr ausführlich berücksichtigt und die theoretisch ausgearbeitete zentrale Grundlage aller sozialen Systeme.

Moral, Macht, Religion, Recht (und vieles mehr) sind alle explizit und sehr ausführlich in die Systematik der Systemtheorie integriert.

Also eine größere Spielwiese für einen wirklichen Paradigmenwechsel (z.B. im Sinne von Thomas S. Kuhn, auf den Luhmann soweit ich mich erinnere zur Einordnung seiner Theorie auch explizit Bezug nimmt) könnte ich mir für dich gar nicht vorstellen.

Naja, meine Meinung - vielleicht nicht leicht nachvollziehbar, aber
falls nicht, würde ich mich freuen, wenn Du nachfragst/nachhakst mit
Fragen.

Beste Grüße!

Frauke schrieb:

Schritt 1 muss meiner Ansicht nach die Erweiterung der Demokratie in
Hinblick auf Volksabstimmungen / mehr direkte Demokratie sein. Ohne
das geht gar nichts und kann man alles andere vergessen. Das ist die
Grundlage.
D.h. solange das Volk nix zu sagen hat außer alle 4 Jahre ein
Kreuzchen zu machen oder selbst Berufspolitiker zu werden und die
Politik bei der WM mal eben Fracking oder andere Gesetze durchwinkt,
die gegen das Volk und/oder gegen den Volkswillen gerichtet sind,
haben wir eh keine Chance, dass sich was ändert.
Eine Europäische Verfassung müsste z.B. auch vom Volk abgestimmt und
mitgestaltet werden können, fängt aber schon im Kleinen an, d.h. lokal
und dann von unten nach oben und nicht umgekehrt. Zwischen den Wahlen
müssen Abstimmungen über wichtige Einzelthemen stattfinden können,
sobald xxxxx Personen dafür eine Petition unterschreiben und
Abstimmungen fordern, so dass man auch Fehlentscheidungen wieder
kippen oder gute Ideen (demokratisch) durchsetzen kann.
Solange das nicht Fakt ist, können wir (das Volk) politisch gesehen eh
einpacken.
Das bedeutet, dass es auch annähernd sinnlos ist, für Frieden auf die
Straße zu gehen oder ein anderes Finanzsystem zu fordern. Auf der
falschen, d.h. auf der derzeitigen Grundlage gibt es keinerlei
Änderungschancen. Die Änderungen werden schon geplant. Aber von oben.
Das bedeutet, dass auch ein Zusammenbruch nicht zwangsläufig in eine
andere Richtung führen muss. Das genaue Gegenteil könnte theoretisch
auch eintreten.
Absolute Machtlosigkeit, wenn ihr mich fragt - jedenfalls außerhalb
von konkreten Einzelprojekten im persönlichen Rahmen und vielleicht
Einfluss auf das Bewusstmachen über Zusammenhänge.
Ohne die Macht des Volkes über grundlegende Entscheidungen wird das
Ganze maximal in Aufstände und Zerstörung führen.
Daher: Schritt eins muss dem Volk mehr Macht geben, sonst kann man
alle anderen Schritte eh vergessen, was natürlich nicht heißt, dass
man nicht jetzt schon die Schritte gehen kann, die möglich sind und
über was anderes nachdenken sollte.
Politische Forderungen sollten sich aber meiner Ansicht nach zunächst
in Richtung mehr Demokratie/Mitbestimmung bündeln.
Meine Meinung.

moneymind schrieb:
*1. Politik: Freien, demokratischen und sozialen Bundesstaat Europa
schaffen *

: a. Europäische Verfassung schaffen (->O. Roloff: Die Verfassung
Europas
http://www.metropolis-verlag.de/Die-Verfassung-Europas/1049/book.do,
ggf. K.A. Schachtschneider)
: b. Privatrecht harmonisieren (->Heinsohn/Steiger)
: c. Steuerhoheit fürs europäische Parlament (Eurobonds)

*2. Wirtschaft: Finanzkapitalismus beenden, realkapitalistische
Spielanordnung als Bedingung neuer Aufschwungphase wiederherstellen*

: a. Europa: New Deal (-> Schulmeister
http://de.scribd.com/doc/218788496/Stephan-Schulmeister-Ein-New-Deal-fur-Europa)

: b. International: Finanzmarktregulierung, Bretton Woods II
:: ii. Internationale Zentralbank mit Verrechnungswährung (Bancor-Plan)
:: ii. Währungs- und Rohstoffspekulation beenden
:: iii. intern. Finanztransaktionssteuer

*3. Wissenschaft: Entwicklung einer neuen Politischen Ökonomie
fördern (unabhängige Think Tanks f. Postkeynesianer + Heterodoxe Denker)
*
:a. Zielsetzung: solide Fundierung einer Neuen Politischen Ökonomie
:b. Think Tanks gründen (z.B. INET Germany)
:: i monetäre Ökonomik und Werttheorie
:: ii. Wirtschaftsgeschichte
:: iii. Wirtschaftsethnologie/-anthropologie
:: iii. Geschichte der WiWi
:: iv. Wissenschaftstheorie/Epistemologie
:: v. Ideengeschichte des Westens (Freiheit, Gleichheit, Staat)
:: vi. Rechtliche Grundlagen der Geldwirtschaft (Staat, ÖffRecht mit
Steuerrecht, Privatrecht mit Eigentums-/Vertragsrecht, etc.)
:c. Bestehende Institute mit heterodoxen Forschern besser vernetzen
: d. Kongresse zu:
:: i. Paradigma monetärer Ökonomik: Grundlegung monetärer politischer
Ökonomie
:: ii. New Deal für Europa: Wege aus der Krise zur Einleitung einer
neuen realkapitalistischen Wachstumsphase

*4. Bildung: betriebswirtschaftliche UND makroökonomische
Alphabetisierung
*
:a. BWL UND Makroökonomie in die Schul-Lehrbücher
:: i. Buchführung Mikro und Makro (Finanzierungssalden) und
Stützel’sche Kreislaufparadoxa
:: ii. Boom/Bust, Akteure mit antizyklischen Handl. Mögl: Zentralbank
und Staat
:: iii. Zielsetzungen Mikro (BWL - Kundenzufriedenheit und dadurch
Profit) und Makro (VWL - makro-Stabilität, Ausbalancieren von
Widersprüchen und Ungleichgewichten) und Stützel’sche klassische und
marx’sche Paradoxa

Freue mich über Fragen, (aufs wesentliche beschränkte) Ergänzungen,
Kommentare, Kritik, Verbesserungsvorschläge ...






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