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schiedsgericht-koordination - Re: [Schiedsgericht-Koordination] Antragsdiskussion BPT (hier: SAÄ zu Schiedsgerichten)

schiedsgericht-koordination@lists.piratenpartei.de

Betreff: Schiedsgericht-Koordination

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Re: [Schiedsgericht-Koordination] Antragsdiskussion BPT (hier: SAÄ zu Schiedsgerichten)


Chronologisch Thread 
  • From: Florian Zumkeller-Quast <branleb@googlemail.com>
  • To: schiedsgericht-koordination@lists.piratenpartei.de, Landesverband Brandenburg <brandenburg@lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Schiedsgericht-Koordination] Antragsdiskussion BPT (hier: SAÄ zu Schiedsgerichten)
  • Date: Mon, 29 Jun 2015 12:35:03 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/schiedsgericht-koordination>
  • List-id: Schiedsgericht-Koordination <schiedsgericht-koordination.lists.piratenpartei.de>

Hallo zusammen,

tl;dr: (Fern-)mündliche Verhandlungen als Default ist eine schlechte Idee.
Ein
paar Erfahrungen und Zahlen, warum das so ist, stehen unten.

Am Montag, 29. Juni 2015, 07:11:24 schrieb Markus Gerstel:
> Am 29. Juni 2015 um 00:05 schrieb Simon Gauseweg
>
> <simon.gauseweg@junge-piraten.de>:
> > Hallo!
> >
> > 3.) SÄA 20: "Verfahrensstraffung: mündliche Verhandlung als Regelfall"
> > Dieser Antrag wird nicht zu einer Verfahrensstraffung führen. Im
> > Gegenteil.
> > Er nimmt eine vorherige Änderung, die zu einer Straffung der Verfahren
> > führte (nämlich den Grundsatz des schriftlichen Verfahrens) zurück.
>
> Haha, wie genial. Das ist effektiv eine Auflösung der Parteigerichtsbarkeit.
>
> Das BSG hat in diesem Jahr bisher 31 Fälle entschieden.
> http://piraten-bsg.de/#1317298312
> Eben endete die Kalenderwoche 26.

Über die gesamte Amtszeit seit Dezember '13: 105 Verfahren.
Sind ~1,3 Verhandlungen pro Woche. Ändert das Bild nicht wirklich.
http://piraten-bsg.de/#55
Ach und 4 weitere sind offen. 1 pro Woche noch bis zum BPT, dabei haben wir
noch nichtmal die eigentlich traditionellen Vorab- und Einladungsanfechtungen
erhalten.

> Wer von euch würde sich *jede* Woche in 2,2 mitunter stundenlange
> Telefonkonferenzen setzen?
> (2,2 - nicht 1,2 - denn ihr wollt euch ja auch noch untereinander über
> die Fälle unterhalten um die mündlichen Verhandlungen vorzubereiten,
> das Urteil abzustimmen, etc.)

FULL ACK.
Ich ergänze: Im vollbesetzten Kammer-BSG dann sogar 3,2 Sitzungen pro Woche
(Senat, Kammer, Verhandlung; ggf. noch mehr wegen Nachrücken in andere Kammer
oder mehreren Verhandlungen in einem Verfahren). Und bei der Menge an
Verfahren/Verhandlungen dürfte etwa die Praxis des bisherigen BSG, die
Termine
möglichst nacheinander abzuhalten, nicht funktionieren. Wegen der
Nachrückreihenfolge können die jeweiligen SItzungen der Kammer und teilweise
dann die Verhandlungen auch nicht parallel stattfinden.
Das ist schon so gesehen absoluter Wahnsinn, eine (fern-)mündliche
Verhandlung
zum Standard zu machen.

Zudem ist meine Erfahrung, dass Streitparteien gerne in ihren Statements über
alles reden, nur nicht über die relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen.
Selbst
wenn ein (erfahrener) Rechtsbeistand das für sie tut, ist die Situation so,
da
Diese in meiner Erfahrung teilweise die Strategie jeden Punkt des Verfahrens
möglichst gleich breit zu treteten und konkrete Fragen des Gerichts eher zu
ignorieren. Da hilft auch keine Erlaubnis zur Rechtsdienstleistung nach RDG
(Die im Parteischiedgerichtsverfahren auch schlicht nicht nötig ist).

Und als sitzungsleitender Richter Streitparteien in ihren Statements zu
unterbrechen weil sie abschweifen und sie zu bitten, zum
Gefragten/Offenen/Thema/überhaupt zur Streitsache vorzutragen mündet eher in
Befangenheitsanträgen denn in Parteien, die tatsächlich die offenen Fragen
erörtern.

Zudem akzeptieren viele Parteien in Vertreter es nur schwer (sprich:
eigentlich gar nicht) wenn das Gericht nicht direkt ihrer Meinung folgt,
sondern auch Folgen anderer Meinungen erforscht (spricht: Fragen dazu stellt;
Amtsermittlungsgrundsatz und so).

Zudem kommt nach einem anderen SÄA diese neue
Befangenheitsablehnungsbeschwerde beim BSG an. Die hat keine Eingrenzung auf
Verhandlung nach Aktenlage soweit ich das gesehen habe. Also mündliche
Verhandlung. Na Prost Mahlzeit!

> Und viel Spaß beim Protokolle schreiben.
>

Das die Parteivorstände (bzw. zumindest der Bundesvorstand) schon bei der
bisher nur vereinzelt auftretetenden Notwendigkeit, ein Protokoll aus einer
Aufnahme anzufertigen, finanzielle Mittel für (durchaus günstige
Dienstleister)
verweigerten, möchte ich diesen Punkt betonen: Das kostet verdammt viel Zeit.
Und freiwillige Ehrenamtliche sind eh schon kaum vorhanden, bei
nichtöffentlichen Verfahren zudem noch ein echtes Problem.

> Also stapeln sich die Verfahren auf.

Das war essentiell ja auch der Vorwurf der Antragsteller laut
Antragsgebgründung. Ich kann darauf inhaltlich nur eins antworten: m(

Die längsten Verfahren, die das BSG bisher hatte, waren allesamt Verfahren
mit
ferndmündlicher Verhandlung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das bei
Landesschiedsgerichten anders aussieht, vor allem, weil den Berufungsakten
die
wir vorgelegt bekommen, einige schlicht per Default doch eine (fern)
mündliche
Verhandlung machen.

Ich hab mal die meiner Erinnerung längsten Verfahren angesehen:
BSG 2013-10-05: Dauer 4,5 Monate. Schriftlich iirc.
BSG 2013-10-28: Dauer: 7,25 Monate. Fernmündlich.
BSG 2013-11-15: Dauer 4,5 Monate. Nichteröffnung.
BSG 2013-11-21: Dauer 7 Monate. Fernmündlich.
BSG 44/14-H S: Dauer 7 Monate. Nach Aktenlage.
BSG 1/15-H S: Dauer 5 Monate. Mündlich.

(Nach dem Maulkorbantragsentwurf dürfte ich das hier übrigens nicht
schreiben.
Ganz toll.)

Wären die ersten vier zudem von einem Gerichtsbesetzungswechsel nach 1,5 bzw
0,5 Monaten nach Anrufung »verzögert« wurden, trifft das für die letzten
beiden
nicht zu. Auffällig ist doch die starke Überlänge von nicht schriftlichen
Verfahren mit Ausnahme von 44/14-H S (Das Verfahren hat u.a. eine so lange
ausgewiesene Verfahrensdauer, weil das LSG Hessen sich zwischendrin weigerte
die Rückverweisung aus 30/14-H S anzunehmen. Das "eigentliche" 44/14-H S
Verfahren selbst überschritt selbst nicht die Verfahrenssolldauergrenze.)

Zudem ist iirc bei keinem Verfahren mit mündlicher oder fernmündlicher
Verhandlung vor dem BSG in der letzten Amtszeit (Es fehlt in obiger Liste
afaik nur 1 nicht-schriftliches Verfahren) die maximale Verfahrenssolldauer
von 3 Monaten eingehalten worden, bei den schriftlichen Verfahren aber
dahingegen in fast allen Fällen. Ob Korrelation oder Kausalität mag ich hier
nicht tiefer bewerten, mein Gefühl würde zu letzterem tendieren
(Terminkoordination, Terminverschiebung, Arbeitsmehraufwand, Ermittlungs-
Ineffizienz, …).

Jedenfalls zeigt die Realität, dass die Antragsbegründung nicht zu halten
vermag, was sie verspricht. Die Realität indiziert eher das komplette
Gegenteil und war ja auch der Grund, warum schriftliche Verfahren zum Default
gemacht wurden. Ich sehe auch bisher keinen Regelungsbedarf, fernmündliche
und
mündliche Verfahren gibts es ja nachwie vor und sie kommen auf Parteiantrag
auch immer mal wieder zum Einsatz.

(Zudem: Natürlich liegt die Verfahrensdauer auch daran, dass nicht alle
Verfahren so einfach, klar und offensichtlich sind, wie manche Streitparteien
es gern hätten. Aber das ist ein anderer Punkt…)

Soweit meine paar Cents zum Thema nicht-schriftlicher Verfahrensdefault.
Wenn ihr eure gewählten und zu wählenden Richter also nicht hasst oder selbst
mal irgendwann einen effektiven Rechtsschutz beanspruchen wollt, lehnt diese
Anträge ab.

-Florian

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