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Betreff: Schiedsgericht-Koordination
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Re: [Schiedsgericht-Koordination] Antragsdiskussion BPT (hier: SAÄ zu Schiedsgerichten)
Chronologisch Thread
- From: Malte Sommerfeld <justiziar@piratenpartei-sh.de>
- To: Schiedsgericht-Koordination <schiedsgericht-koordination@lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [Schiedsgericht-Koordination] Antragsdiskussion BPT (hier: SAÄ zu Schiedsgerichten)
- Date: Mon, 29 Jun 2015 08:55:26 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/schiedsgericht-koordination>
- List-id: Schiedsgericht-Koordination <schiedsgericht-koordination.lists.piratenpartei.de>
- Organization: Piratenpartei Deutschland, Landesverband Schleswig-Holstein
Moin Simon,
wie Dir sicherlich auch aufgefallen ist, wurden bei weitem nicht alle Anträge in das Portal gegeben - gerade weil wir hier den Diskussionsbedarf als höher angesehen haben. Leider unterschlägst Du dies bei Deinen Vorwürfen. Und selbstverständlich haben wir dabei auch die Positionen aus dieser ML berücksichtigt. Einige Änderungen wurden auch an den eingereichten Anträgen noch vorgenommen, obwohl dies offenbar nicht in der von der präferierten Art und Weise erfolgte.
Am 2015-06-29 01:05, schrieb Simon Gauseweg:
1.) SÄA 15, "Befangenheit in der SGO neu regeln"
<http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2015.1/Antragsportal/S%C3%84A015>
Der Antrag schreibt im Großen und Ganzen die ZPO
(Zivilprozessordnung) zu Befangenheit ab. Das ist prinzipiell nicht
schlecht, allerdings sind diese Fälle, soweit Ich das wahrgenommen
habe, nach einhelliger Meinung der Schiedsgerichte ohnehin allgemeine
Grundsätze sind. In diesen Fällen wurden die Richter bislang
grundsätzlich ausgeschlossen oder haben sich selbst abgelehnt.
Das Mittel der Selbstablehnung (über die bislang auch das Gericht
entschieden hat, das war kein Automatismus!) soll nun entfallen, warum
den Richtern dieses das Ehrenamt besonders schützende Recht aberkannt
werden soll, wird nicht begründet.
Eine Schutzwirkung für die Richter kann ich in der Selbstablehnung nicht sehen, das wirst Du mir aber bestimmt erläutern. Aus unserer Sicht reicht die Pflicht zur Mitteilung, um den eigentlichen Herren des Verfahrens - den Parteien - die Möglichkeit zur Ablehnung zu geben. Machen sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, ist das ihre freie Entscheidung.
Die Möglichkeit der unmittelbaren Beschwerde gegen
Befangenheitsanträge wird zu einer weiteren Explosion der Verfahren
beim Bundesschiedsgericht führen. Wer sich die Fallzahlen ansieht (im
Schnitt pro Woche mehr als ein Urteil!), kann sich vorstellen, was das
für dessen (ehrenamtliche) Angehörige bedeutet.
Die durch die Entscheidung über die Ablehnung erforderliche Arbeit in der zweiten Instanz entsteht auch im Berufungsverfahren, weil spätestens dort die rechtswidrige Ablehnung des Ablehnungsgesuchs durch das Gericht zu bewerten sein wird. Tatsächlich kommt dort aber etwas zusätzliche Arbeitslast. In der Abwägung mit dem Interesse der Verfahrensbeschleunigung und dem Verfahrensschutz halten wir diese Interessen jedoch für gewichtiger.
2.) SÄA 16: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
<http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2015.1/Antragsportal/S%C3%84A016>
Zunächst formal: "an geeigneter Stelle einfügen" ist etwas, das
PIRATEN wohl nie lernen werden. Der Antrag ist bereits zu unbestimmt.
Dass die Antragsteller sich vorliegend nicht einmal die Mühe machten,
einen geeigneten Punkt zu suchen, an den sie den Paragraphen einfügen
wollten, spricht mE Bände.
Auch die Behauptung, dass es eine Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand in der Piratenpartei nicht gäbe, ist falsch; das LSG Brandenburg
hat das ein paar Mal (unwidersprochen) gemacht. Auch, weil die
Widereinsetzung in den vorigen Stand ein allgemeiner Prozessgrundsatz
ist.
Es gibt sie nicht kodifiziert. Tatsächlich - das habe ich schon mal geschrieben - ist es relativ unerheblich, ob einige Gerichte die Wiedereinsetzung anwenden, so lange sie nicht eindeutig in allen Gerichten zur ständigen Rechtsprechung gehört. Und selbst wenn dies der Fall ist, muss man berücksichtigen, dass vor den Parteischiedsgerichten oftmals Naturalparteien ohne juristische Ausbildung auftreten. Ob man diesen zumuten sollte, sich mit allgemeinen - aber in der Bevölkerung sicherlich nicht allgemein bekannten - Rechtsgrundsätzen und der Rechtsprechung von 17 Parteischiedsgerichten zu Verfahrensfragen zu befassen, kann man durchaus in Frage stellen. Natürlich kann man nun auf die Möglichkeit eines Rechtsbeistandes verweisen. Die Hürde, sich einen - idR gegen Entgelt arbeitenden (wie viele RD-Berechtigte arbeiten schon ohne Entgelt?) - Rechtsbeistand zu besorgen, dessen Kosten man im Verfahren nicht erstattet bekommt, ist aber auch nicht zu vernachlässigen.
In der Sache hast du aber ja auch offensichtlich gar nichts dagegen einzuwenden, sondern betonst sogar, dass dieser Rechtsgrundsatz bereits praktiziert wird. Warum Du gegen eine satzungsmäßige Verankerung bist und statt dessen das für Rechtsanwender deutlich weniger verständliche Richterrecht präferierst, würde ich gerne mal erklärt haben. Normalerweise steckt z.B. der Bundestag eher erhebliche Kritik ein, wenn er mit Verweis auf das Richterrecht von einer Regelung absieht.
3.) SÄA 20: "Verfahrensstraffung: mündliche Verhandlung als Regelfall"
Dieser Antrag wird nicht zu einer Verfahrensstraffung führen. Im
Gegenteil. Er nimmt eine vorherige Änderung, die zu einer Straffung
der Verfahren führte (nämlich den Grundsatz des schriftlichen
Verfahrens) zurück.
Das schriftliche Verfahren ist eine Beschränkung der Verfahrensrechte und sollte daher zur Disposition der Parteien stehen, was sie im Übrigen auch in der ZPO und VwGO tun. Die StPO kommt hingegen mit wenigen Ausnahmen gar nicht ohne mündliche Verhandlung aus. Dir wird sicherlich aufgefallen sein, dass der Antrag anders als die ZPO oder andere Verfahrensordnungen nicht die bei uns sog. Präsenzverhandlung, sondern die fernmündliche Verhandlung zum Standard gemacht wird.
In einer alten Fassung der Schiedsgerichtsordnung (das Stichwort
"Netznotar" sagt hier vielleicht noch jemandem etwas) war der
Grundsatz der mündlichen Verhandlung noch gesetzt. Das führte dazu,
dass umfangreich Termine bestimmt und Ladungsfristen eingehalten
werden mussten, was ein Verfahren schon einmal grundsätzlich in die
Länge zieht.
Auch im schriftlichen Verfahren muss den Parteien mitgeteilt werden, bis wann Schriftsätze beibzubringen sind. Die Frist hierzu wird idR mindestens die Dauer der Ladungsfrist haben müssen, um nicht ungerechtfertigte Rechtsschutzdivergenzen zwischen schriftlichem und mündlichem Verfahren zu erzeugen. Sicherlich nimmt die mündliche Verhandlung Raum ein, den alle Ehrenamtlichen irgendwo frei schaufeln müssen, aber auch hier ist die Wertung der widerstreitenden Argumente bei uns beiden - ich bin ja nicht mal Antragsteller - schlicht anders.
In den mündlichen Verhandlungen ergab sich auch regelmäßig wenig neues, da PIRATEN dazu neigen, nicht über den
Sachverhalt, sondern über die Rechtsfolgen streiten.
Das ist eine Abwertung der Parteien, die ich von einem Richter in der Öffentlichkeit nicht erwartet hätte. Die Erörterung der rechtlichen Bewertung ist integraler Bestandteil der Verhandlung vor Gerichten. Ich kann durchaus Deinen Frust über das, was im Laufe von Verfahren so kommuniziert wird, verstehen, sehe darin aber absolut keinen Grund, die Verfahrensrechte zu beschneiden.
Mein persönlicher Eindruck ist hier, dass regelmäßig beide Seiten gleichermaßen im
Unrecht liegen, weswegen eine mündliche Verhandlung schon deswegen
wenig Neues bringen mag.
Strenger Verfechter von curia novit juria oder direkter "Die Parteien sind doof, das Gericht weiß es besser"?
Schließlich wird angeführt, dass, um "Überraschungsentscheidungen" zu
vermeiden, das Gericht in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit
bekäme, eine vorläufige Rechtsauffassung zu äußern. Das ist auch im
schriftlichen Verfahren möglich und wird auch so praktiziert.
Hier erneut: Wenn es bei Dir so gut läuft, dann freut mich das. Aber es kommt auf die Gerichte an. Und es macht schon einen erheblichen Unterschied, ob man einerseits eine verfahrensmäßige Absicherung schafft oder bloß das - letztlich nur sehr gering, beim BSG gar nicht kontrollierte - Ermessen der Gerichte hat. Ich halte hier eindeutig eine verfahrensmäßige Absicherung für vorzuswürdig.
4.) SÄA 21: "Verfahrensstraffung: keine Rechtsverweigerung bei Eilsachen"
Es mag sympathisch anmuten, die Verfahren schneller von einem
arbeitsunwilligen Gericht (man munkelt ja, in gewissen südlichen
Landesverbänden sei es in letzter Zeit üblich gewesen, unliebsame
Verfahren einfach liegen zu lassen…) wegzunehmen. Allerdings müssen
dann auch Untätigkeitsbeschwerden erhoben werden (ist meines Wissens
nach nicht immer passiert) und irgendein anderes LSG muss die Arbeit
machen.
Anstatt in der Schiedsgerichtsordnung vorzusehen, dass
arbeitsunwillige Schiedsgerichte ihre "Giftakten" schneller vom Tisch
bekommen, sollte man meiner Ansicht nach lieber Schiedsrichter wählen,
die entweder ihre Arbeit erledigen, oder zurücktreten.
Derailing. Du beschäftigst Dich noch nicht einmal mit dem Inhalt des Antrages, sondern schießt gegen Dir weniger genehme LSGe und forderst zur Wahl besserer Richter auf. In der Sache: Wer keine Untätigkeitsbeschwerde erhebt stellt seinen Anspruch auf eine angemessen schnelle Behandlung eines Verfahrens aus freiem Willen zurück. Das gilt es zu respektieren und spricht nicht gegen die Regelung. Gerade in Fällen der Zurückverweisung haben die Verfahren jedoch idR bereits so lange angedauert, dass durch eine entsprechende Verkürzung der Frist dem nunmehr verstärkt zu berücksichtigenden Beschleunigungsgrundsatz Rechnung getragen werden kann. Dass im Rahmen eines funktionierenden Rechtsschutzes irgendwer die Arbeit machen muss, sollte doch klar sein, oder?
5.) SÄA 34: "Ordnungsmaßnahmen und deren Folgen"
Dieser Antrag hebt den Unterschied zwischen "einfachen" und
"gerichtlichen" Ordnungsmaßnahmen de facto auf: Zwischen einer
Ordnungsmaßnahme, die durch ein Gericht angeordnet und einer, die
durch ein Gericht (zwei Gerichte…) bestätigt werden muss, besteht kaum
ein Unterschied.
Dabei ist diese Vorschrift weitgehend unnötig: Verwarnungen haben
keinerlei weitere Wirkung, außer, dass sie existieren. Eines
gesonderten, gerichtlichen Rechtschutzes bedarf es hier nicht; einzig
das Ego des Betroffenen könnte zu Schaden kommen, wäre eine Verwarnung
zunächst "wirksam" und würde später angefochten. Ähnlich könnte es
hier beim Verweis aussehen; ob ein Verweis einfach eine Verwarnung mit
anderem Namen oder eine Verwarnung mit tatsächlichen Nebenfolgen ist,
ist meines Wissens nach nicht ausdiskutiert/-entschieden. Ob es hier
also einer Satzungsänderung bedarf, ist sehr fraglich.
Hier nur eine kleine Kritik: Wenn die Verwarnung oder der Verweis mit Erlass wirksam wären und während des gerichtlichen Verfahrens eine weitere OM fällig wird, könnte man darüber streiten, ob die - ja wirksame - erste OM zu berücksichtigen ist. Ich würde dies ablehnen, halte den Diskurs darüber aber durchaus für vertretbar. Im Übrigen lehne ich diesen Antrag ebenfalls ab.
Viele Grüße
Malte
--
Justiziar
Piratenpartei Deutschland
Piratenpartei Schleswig-Holstein
- [Schiedsgericht-Koordination] Antragsdiskussion BPT (hier: SAÄ zu Schiedsgerichten), Simon Gauseweg, 29.06.2015
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