ag-meinungsfindungstool AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Ag-meinungsfindungstool mailing list
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- From: janonymous2 <janonymous2 AT news.piratenpartei.de>
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- Subject: Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen
- Date: Mon, 29 Sep 2014 13:23:11 +0000
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-meinungsfindungstool>
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- Organization: Newsserver der Piratenpartei Deutschland - Infos siehe: http://wiki.piratenpartei.de/Syncom/Newsserver
Hallo Jacob,
danke für deine Antwort und Fragen. Will mir gern die Zeit nehmen, um auf deine Fragen einzugehen, weil ich die Auseinandersetzung mit diesen Themen auch zur Immunisierung gegenüber Korruption der Meinungsfreiheit für sehr wichtig halte.
Teil 1:
[...] möchte hier mal zwei Themen zur Diskussion bringen, die ich für essentiell für Demokratie und Konfliktbewältigung halte: Meinungsfreiheit und Emotionen [...] Wenn in einem Diskurs Emotionen eine Rolle spielen, heißt das in jedem Fall, dass Irrationalität das Handeln bestimmt? [...]So weit ich das sehen kann, ist Kommunikation ohne Emotionen nicht möglich. Was Du noch nicht angesprochen hast: Emotionen steuern das Gedächtnis. Das Hirn muß auswählen, was gespeichert wird, und wie lange, da nicht jede Wahrnehmung im Kurzzeitgedächtnis und schon gar nicht im Langzeitgedächtnis landet. Normalerweise werden Dinge desto länger gespeichert, je stärker sie emotional besetzt sind. Wer keine Emotionen hat, könnte sich nichts merken (naja, vielleicht etwas vereinfacht). Jedenfalls ist mir noch kein Mensch begegnet, der emotionsfrei kommunizieren könnte.
Ja, da hast du recht. Emotionen steuern im Grunde den gesamten Wahrnehmungs- und Handlungsprozess, also auch die Interaktion mit anderen, die Qualität der Meinungs- und Entscheidungsbildung sowie die Optimierung derselben. Sowohl das Wahrnehmen (Auflösungsgrad und Infoqualität), das Abspeichern (die Konsolidierung, d.h. die Überführung von Erlebnisinhalten und Wissen ins Langzeitgedächtnis, als auch der Zugriff auf persönliche Wissens- und Bedürfnisstrukturen, das autobiographische Gedächtnis oder das Kurzzeitgedächtnis werden durch Stress und Affekte/Emotionen beeinflusst. Was man wahrnimmt, ob man sich etwas merkt oder ob man sich z.B. ausreichend raum-zeitlich orientieren kann, hängt von einer äußerst sensiblen und hochintegrativen Gehirnsturktur ab, die durch negativen Effekt und bei Stress durch das Stresshormon Cortisol gehemmt und bei anhaltendem Stress sogar zerstört wird - dem Hippocampus*.
* s.a.: http://www.cell.com/trends/neurosciences/abstract/S0166-2236%2898%2901322-8?_returnURL=http%3A%2F%2Flinkinghub.elsevier.com%2Fretrieve%2Fpii%2FS0166223698013228%3Fshowall%3Dtrue http://www.cell.com/trends/neurosciences/abstract/S0166-2236%2898%2901322-8?_returnURL=http%3A%2F%2Flinkinghub.elsevier.com%2Fretrieve%2Fpii%2FS0166223698%E2%80%8B013228%3Fshowall%3Dtrue
Wenn es also bei Todschlagargumenten zur Wahrnehmung der Bedrohung eigener Interessen und Bedürfnisse zu einer Stressantwort kommt, wird durch die Ausschüttung von Cortisol der Zugang auf das implizite Erfahrungs- und Bewältigungswissen gehemmt und die Fähigkeit reduziert, neue Informationen in das bestehende Wissen zu integrieren. Negative Emotionen und anhaltendes Stresserleben, die durch wiederholte Todschlagargumente und dadurch herausbeschwörte Konflikte ausgelöst werden, hemmen also das unvoreingenommene und an den eigenen Bedürfnissen und Erfahrungswerten orientierte Abwägen von Informationen, verzerren die Informationsaufnahme und behindern die Überführung von Erfahrungswerten in das Langzeitgedächtnis. Todschlagargumente und Stress verhindern in der Konsequenz ganzheitliche Erkenntnis, differenziertes Denken, effizientes Lernen und reduzieren die Willensfreiheit bzw. hemmen die Selbststeuerung, was gleichfalls mit einer Zunahme psychsomatischer Erkrankungen** einhergeht und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine Person ohne es zu merkeln, zur Marrionette fremder Interessen wird.
** s.a. http://www.femmessies.de/MessieSyndrom/messieinfo/EntfremdungalsKrankheitsursache.pdf
1. "Meinungsfreiheit ist die Möglichkeit, fern von Propaganda, Autoritäts- und Konformitätsdruck sowie automatischer Reproduktion von Vorurteilen und Todschlagargumenten eigenständig und selbstgesteuert Informationen abzuwägen."Mmh, ich weiß nicht. Klingt eigentlich ganz gut, aber: Autoritäts- und Konformitätsdruck hast Du ja immer. Außerdem wüßte ich nicht, wie ich Vorurteile von Nicht-Vorurteilen unterscheiden könnte, da Vorurteile ja nicht bewußt sind, und alle Meinungsbildung sozial ist. Was Du mit Totschlagargumenten meinst, weiß ich nicht.
Jein ;o). Die Aussage, „Autoritäts- und Konformitätsdruck gibt es immer“, ist im Grunde schon die Vorstufe zu einem Todschlagargument und kann ggf. auch Ausdruck von Hilflosigkeit sein, die systemisch bedingt ist. Wir leben in einem paternalistisch orientierten Mehrheitswahlsystem, in dem beständig schon in der Phase der Willensbildung autoritäres Schwarz-Weiß-Denken dominiert und beständig Konformitätsdruck erzeugt wird, bspw. dadurch dass man sich ständig an Mehrheiten orientiert. Experimente, wie das Asch-Experiment*** haben hier gezeigt, wie dadurch sogar die Meinungsbildung über eindeutige Reize verfälscht wird und sich Individuen in ihrer Wahrnehmung automatisch der Mehrheitsmeinung unterordnen. Unter Autoritätsdruck sind Personen mehrheitlich sogar in der Lage, anderen Personen Elektroshocks zu verteilen, etwa ein zwei Drittel verabreichen sogar tödliche Dosen****.
*** s.a.: http://de.wikipedia.org/wiki/Konformit%C3%A4tsexperiment_von_Asch
**** s.a.: http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at:4711/LEHRTEXTE/Milgram.html
Das paternalistische Systeme und Kommunikationsmuster Menschen dabei behindern, verantwortliches Verhalten und eine eigene Motivation zur Lösung ihrer Probleme zu entwickeln bzw. eine Person in Passivität zwingt, hat man mittlerweile auch im Bereich der Arzt-Patienten-Kommunikation bei chronischen Krankheiten herausgefunden. Ein Arzt, der nicht von oben herab den Patienten lediglich nur noch die Behandlungsentscheidung mitteilt, sondern ihm alle notwendigen Infos mitteilt und ihn einbindet in die Behandlungsentscheidung und selbst entscheiden lässt, erhöht nicht nur die Zufriedenheit, sondern zumindest bei nicht autoritätshörigen Personen die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient motiviert mitarbeitet und zum Experten seiner eigenen Erkrankung/Probleme wird. Diese Ergebnisse lassen sich im Grunde auch auf das Politiker-Bürger-Verhältnis übertragen.
Bisher wurden Todschlagargumente lediglich inhaltlich gesammelt und nach den dahinter liegenden Absichten kategorisiert. Wenn man sich aber das Spektrum von Todschlagargumenten mal genau nach abstrakten linguistischen Kriterien, also inhaltsunabhängig anschaut, so kennzeichnen sich diese dadurch, dass in der Phase der Vorschlagssammlung und Willensbildung eine Schwarz-Weiß-Aussage formuliert wird und jemand oder eine Idee im Vorfeld der Entscheidung in eine minderwertige Kategorie eingeordnet wird. Je nach Schwere des Todschlagarguments kommen dann oftmals noch implizite oder explizite Annahmen hinzu, dass Menschenrechte nicht für jeden gelten.
Beispiel: Refuggees sollten aus dem Occupy-Protest ausgeschlossen werden, weil sie an dessen Niedergang schuld seien (so eine ähnliche Aussage kam, man glaubt es kaum aus dem linkspolitischen Spektrum)
Zu deiner Frage, woran man Vorurteile erkennt. Nun ja, das sind gewissermaßen stereotypische Einstellungen über einen Sachverhalt, also wiederum stark vereinfachende SW-Einstellungen mit einer impliziten Abwertung. Der Übergang zu (latent) faschistoiden Einstellungen oder totalitärem Verhalten ist dabei fließend. Das habe ich hier mal zusammen gefasst und eine Taxonomie der Schwere von Todschlagargumenten entwickelt, die über den sogenannten ff-Score gemessen werden. http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Janonymous/FunktionalerFaschismus
Soweit erstmal von mir, sonst wird es vielleicht bischen zuviel für den Anfang.
LG und bis später
Jano
- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, (fortgesetzt)
- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, marc, 29.09.2014
- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, janonymous2, 29.09.2014
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- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, Der Moonopool, 29.09.2014
- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, janonymous2, 29.09.2014
- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, Der Moonopool, 29.09.2014
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- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, janonymous2, 30.09.2014
- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, janonymous2, 30.09.2014
- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, Jacob Kanev, 30.09.2014
- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, Alexander Praetorius, 30.09.2014
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- Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen, Jacob Kanev, 29.09.2014
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