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ag-meinungsfindungstool - Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen

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Betreff: Ag-meinungsfindungstool mailing list

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Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen


Chronologisch Thread 
  • From: "gaukler AT dadabit.de" <gaukler AT dadabit.de>
  • To: ag-meinungsfindungstool AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [Ag Meinungsfindungstool] Meinungsfreiheit und Emotionen
  • Date: Tue, 30 Sep 2014 12:06:14 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-meinungsfindungstool>
  • List-id: <ag-meinungsfindungstool.lists.piratenpartei.de>

Hallo Jano

Am 28.09.2014 20:33, schrieb janonymous2:

Hallo,

möchte hier mal zwei Themen zur Diskussion bringen, die ich für
essentiell für Demokratie und Konfliktbewältigung halte:
Meinungsfreiheit und Emotionen

Was ist Meinungsfreiheit? Ist Meinungsfreiheit ein Freifahrtsschein für
Todschlagargumente (abwertendes Schwarz-Weiß-Denken) und die Äußerung
jeglichen Hirnfurzes, auch wenn dem noch nicht mal eine adäquate
Verarbeitung der Informationen vorausgegangen ist?


Deine Definition von Meinungsfreiheit schränkt sie willkürlich ein. Denn was ist ein Totschlagargument und was ist ein Hirnfurz.
Es geht m.E. weniger um "Meinungsfreiheit" als um die Plattform, auf der sie geäußert werden darf/kann.
Ich würde dich so verstehen, dass du es erschweren willst, dass irgendwelche Leute, die sich noch nicht sonderlich mit einem Thema befasst haben, mit billigen Argumenten eine konstruktive Arbeit stören oder unmöglich machen.


Welche Rolle spielen Emotionen in einem demokratischen Diskurs? Wenn in
einem Diskurs Emotionen eine Rolle spielen, heißt das in jedem Fall,
dass Irrationalität das Handeln bestimmt?


Emotionslos können insbesondere gesellschaftspolitische Themen kaum diskutiert werden. Die persönliche Weltanschauung, das Menschenbild, die ganzen vorgeprägten Vorstellungen sind mit dem Individuum verwachsen und können nicht einfach verändert werden.


Ich sehe den Emotionen als einen wichtigen Indikator für die Qualität
und Fallstricke in einem Diskurs. Ohne Emotionen würden wir uns in
dieser (sozialen) Welt wahrscheinlich gar nicht zurechtfinden, nicht
wissen, wann unsere Grenzen erreicht sind, hätten unzureichende
Optimierungsprozesse und auch kein Feingefühl. Emotionen aus der Arbeit
und Bewertung rauszunehmen, würde heißen, dass uns das Signal fehlt,
Gefahren und Stressquellen zu
erkennen und zu überwinden, dass am Ende der Klebstoff fehlt, um uns
selbst wahrzunehmen, Anerkennung zu erfahren, Motivation und soziale
Beziehungen zu entwickeln - letzteres sind aber alles sinngebende
Quellen von Arbeit. Emotionen haben also einerseits eines
selbstregulative und wichtige Kommunikationsfunktion, wenn es um die
Wahrung eines menschenwürdigen Umgangs geht.


Emotionslose Lebewesen sind keine Lebewesen. Meine Meinung ertrage ich für mich alleine emotionslos.
Negative Emotionen in einem Diskurs entstehen, wenn mit der eigenen Meinung keine Anerkennung verbunden ist.
D.h. die "eigene" Emotion ist proportional zur sozialen Anerkennung der "eigenen" Meinung.



Das soll jetzt also nicht heißen, dass ich eine emotional aufgeladene
Diskussionskultur befürworte in der die sachlichen Argumente
zurückstehen - im Gegenteil, denn im Falle von affektiv konditionierten
bis Macht- und egobezogenen SW-Kurzschlussreaktionen und
Todschlagargumenten bin ich für die Überwindung affektgetriebenen
Handelns und die Befreiung des Geistes. Solange ein Diskurs von solchen
Merkmalen bestimmt ist und Todschlagargumente frequenzmäßig und
personenübergreifend zur Routine werden, konterkarriert das die
Meinungsfreiheit. Hab hier dazu mal eine entsprechende Definition
entworfen:


Gerade in gesellschaftswissenschaftlichen Diskussionen fehlt es an Sachlichkeit. Denn die Weltanschauung ist nicht sachlich.

Die Beziehung des Menschen zum Geld macht es unmöglich sachlich über eine Gesellschaft zu reden in der kein Geld mehr nötig.
Die sozialen Strukturen die sich zwischen den Menschen ausgebildet habe sind nicht sachlich.
Wir können daher keine "sachliche" (im Sinne von emotionslos) Diskussion über die Gesellschaft führen.


1. "‪Meinungsfreiheit‬ ist die Möglichkeit, fern von Propaganda,
Autoritäts- und Konformitätsdruck sowie automatischer Reproduktion von
Vorurteilen und Todschlagargumenten eigenständig und selbstgesteuert
Informationen abzuwägen."


Hier beschreibst du einen Prozess, der der Meinungsbildung vorausgeht. Unter Meinungsfreiheit verstehe ich, die Ergebnisse der individuellen Informationsbeschaffung und -verarbeitung repressionsfrei äußern zu dürfen.


2. "Meinungsfreiheit ist kein Freifahrtsschein für die Re-/Produktion
von Falschaussagen, Todschlagargumenten, Hetze und Propaganda."


Wann ist was Hetze, Totschlagargument, Propaganda, wer bestimmt das?
Während du oben m.e. die Meinungsbildung mit Meinungsfreiheit gleichsetzt, setzt du hier Meinungsäußerung, also die Plattform auf der jemand seine Meinung kundtut, mit Meinungsfreiheit gleich.


Die Kunst ist also eher, die eigenen Emotionen und sich selbst
wahrzunehmen, zu äußern UND sich aus einer Beobachterposition daneben
stellen können, auch um Fehlurteile und Projektionen zu vermeiden, die
eigenen Anteile an einem Konflikt und unfaires Handeln erkennen zu
können. Emotionen und sachbezogenes Argumentieren in sozialen Kontexten
schließen sich in meinen Augen also nicht zwangsläufig aus. Es schließt
sich zB dann nicht aus, wenn man eine ganzheitliche Erkenntnismethodik
oder Methoden der empathatischen Gesprächsführung, z.B. des aktiven
Zuhörens anwendet. Das ist eigentlich auch das, was ich in der AG am
Anfang vorgefunden habe.


In der Tat drückt diese Fähigkeit, sich neben sich zu stellen und die Ursachen seiner (negativen) Emotionen zu ergründen eine Reife aus.
Die Voraussetzung wäre aber das der Grund an einen Diskurs teilzunehmen ein Erkenntnisverlangen nicht ausschließt.



Bei den Todschlagargumenten und anderer Verhaltensmanipulation bin ich
voll und ganz der Meinung, dass es ein prioritäres Ziel der Sicherung
von Meinungsfreiheit ist, von motionalisierendem Content wegzukommen und
sehe da sogar den Knackpunkt vieler Konflikte und Spaltungsszenarien in
linken Gruppen. Dadurch, dass man zB durch Verheißung eines
Expertenstatus, durch Furchtkonditionierung, Wiederholung und
Todschlagargumente eine flache Informationsverarbeitung antriggert und
dabei eine intensive Elaboration von Informationen
verhindert und die Person zu einer Überzeugung oder einem Standpunkt
emotional verleitet, hebelt man in meinen Augen im Kleinen sogar die
Demokratie und Meinungsfreiheit aus.


Das ist das, was ich unter "sozialer Kontrolle" verstehe. Und ich gebe dir recht, dass hier moderne politische Gruppierungen schwere Defizite aufweisen.
Ich würde darum den Begriff "Toleranz" einführen wollen, zumindest wenn wir (also die Piratenpartei) uns als "suchend" begreifen.
Gerade unsere Zeit, geprägt von der Auflösung der Nationalstaaten und dem "Multikulti", die Menschen aller Couleur zusammenbringt, macht es notwendig andere Vorstellung zu tolerieren.
Das heißt für mich nicht, jede daraus ableitbare Handlung zu akzeptieren aber, um z.B. schräge Vorstellung bezüglich anderer Lebensentwürfe korrigieren zu können, muss es möglich sein mit seinen Mitmenschen darüber reden zu können.
Ziel wäre also miteinander zu reden und nicht sich gegenseitig zu ächten.


Es ist also ein zweischneidiges Schwert mit der Emotion und pauschal
(von wegen emotionales Handeln ist per se irrational) lässt sich das
nicht formulieren.. Ich bin aber der Meinung, dass diese auch zum Teil
frauenfeindliche Philosophie, alle Emotionen seien irrational und hätten
nix in einer sachlichen Diskussion zu tun, im Grunde schon wieder ein
unlauteres Todschlagargument ist, dass uns im Endeffekt davon abhält,
uns gegenseitig zu verstehen (ganz allgemein gesprochen).


Wie gesagt, m.E. gibt es keine sachliche Diskussion. Je stärker die (negativ bei Ablehnungen, positiv bei Zustimmung) Emotionen sind, desto wichtiger ist der Emotionsträgerin die hinter der geäußerten Meinung stehende Weltanschauung.


Wenn man außerdem wie bei der Kreativen Kommunikation oder beim
Systemischen Konsensieren (http://www.konsensieren.eu/) den Widerstand
von 0 bis 10 misst, dann ist die sich darin ausdrückende negative
Emotionalität v.a. auch Ausdruck für gefährdete Mangel- und
Wachstumsbedürfnisse (Nahrung, Sicherheit, Teilhabe, Autonomie,
Selbstverwirklichung etc) oder Menschenrechte und ist damit einer der
wahrscheinlich wichtigsten Indikatoren für die
(freiheitlich-demokratische) Qualität eines Vorschlags.


Das wäre die nüchterne, sachliche Variante.
In unserer Gesellschaft ist aber die Vorstellung von der Art und Weise des Zusammenlebens, der Rollen die die verschiedenen Gruppen zu spielen haben, also die Weltanschauung und bzw. die Religion, viel mehr Emotionsmaschine.


Das ist jetzt
nicht zu vergleichen mit einem Schwarz-Weiß-Veto bei den alten
Konsensverfahren - da werden wieder ganz andere, flache
Informationsverarbeitungsprozesse angesteuert und Machtmotive, eben
solche die nichts mit Meinungsfreiheit und demokratischer
Selbststeuerung zu tun haben.

Was sagt ihr so dazu?

Viele Grüße
Jano


Versuch.

Meines Erachtens behandelst du einen (gruppendynamischen) Prozess:
Meinungsbildungsprozess > Meinungsfreiheit > Meinungsäußerung.

Jede Stufe hat ihre Eigenheiten und spielt sich eben nicht im Individuum allein ab.

Meinungsbildungsprozess:
1. Zugang zur Information und Wissen
2. Diskussionen mit anderen

Meinungsfreiheit:
die persönlichen Ergebnisse des Meinungsbildungsprozesses repressionsfrei (öffentlich) äußern zu dürfen.


Meinungsäußerung:
Die reale Wahrnehmung der Meinungsfreiheit.
1. im öffentlichen Raum (Pressefreiheit)
2. im halböffentlichen und privaten Raum


Da es sich hier nicht um einen individuellen Prozess, sondern um gesellschaftliche Prozesse handelt, kann die Meinungsbildung beeinflusst werden durch beschränkten Zugang zu Information und Wissen, durch Falschinformation usw.

Das setzt eine Gesellschaft voraus, in der einzelne Gruppen ihr Eigeninteressen über das Gesamtinteresse stellen.(Lobbyismus)

Die Meinungsfreiheit kann beschnitten werden (z.B. Presserecht).

Und selbstverständlich kann der Zugang zum öffentlichen Raum verwehrt werden. z.B. Demonstrationsrecht.

Im privaten und halböffentlichen Räumen spielt die Gruppendynamik ihre Joker, Alphatierchen und Silberrücken, aus.


Zur Emotion.

Positive/negative Emotion, du behandelst nur negative Emotion.

Die Zustimmung anderer zu einem Diskussionsbeitrag erzeugt eine positive Emotion. >Applaus

Eine Gruppe, die jemanden ausschließt, vermittelt den einzelnen Gruppenmitgliedern durchaus eine positive Emotion. >Diskriminierung


M.E. sollten wir die verschiedenen Ursachen die einen Menschen bewegen sich an einer Diskussion zu beteiligen betrachten.

Erstens kann die Diskussion zur persönlichen Meinungsbildung beitragen.
Eine konträre Auffassung könnte daher durchaus zu positiven Emotionen führen, da der Lerneffekt geeignet ist, den Horizont und damit die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten zu erweitern.

Zweitens kann eine Diskussion genutzt werden, der Lebenslangeweile zu entfliehen und andere mit dem Sturzbach seiner Seele zu überschwemmen.
Solche Menschen lernen nichts dazu, da ihr Bedürfnis "sozialer Kontakt". Sie sind ziemlich emotionslos.

Drittens kann die Diskussion genutzt werden, um bestimmte Meinungen zu erzeugen. So tummeln sich z.B. Vertreterinnen der Atomlobby in Kreisen der Regenerativen oder Rechte (z.B. AFDler) bei den Piraten. Ihr das Ziel nicht Diskussion sondern Manipulation und Agitation.

Und viertens kann das Ziel sein, die Diskussion überhaupt zu hindern.

Weiter weiß ich erst mal nicht,

Frithjof





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