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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Privates Gesundheitssystem?

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Privates Gesundheitssystem?


Chronologisch Thread 
  • From: syna <syna AT news.piratenpartei.de>
  • To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Privates Gesundheitssystem?
  • Date: Wed, 10 Jun 2015 20:45:44 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hallo Wolfgang,

los geht's:

Wolfgang Gerstenhöfer schrieb:
Der Staat, die Politik entwickelt sehr schnell ein Eigenleben. Politiker sind nun einmal nicht die besseren Bürger und schon gar nicht die besseren Unternehmer. Sie neigen grundsätzlich dazu, daß Geld anderer Menschen leichtfertig auszugeben und Beschlüsse zu fassen, die andere "ausbaden" müssen und für die sie letztendlich keine Verantwortung zu übernehmen brauchen.

Ich vertraue daher mehr auf die liberale und damit soziale Marktwirtschaft mit einem starken Staat, der die Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Wettbewerb setzt und deren Einhaltung beaufsichtigt, und nicht auf einen Staatsmonopolkapitalismus oder eine Zentralverwaltungswirtschaft.

Ich möchte weder eine DDR 2.0 noch einen "Wilden Westen".

Gute Argumente, da ist was "dran".

Wolfgang Gerstenhöfer schrieb:
Und dabei gilt für mich: Lieber wenige Marktmechanismen als gar keinen Markt. Natürlich bedarf es im Bereich der Krankenversicherung einer gewissen Regulierung, aber die muß nicht bei 100 Prozent und vor allem nicht ausschließlich in den Händen von Politikern und Beamten liegen.

Denn trotz der weitgehend zu recht bestehenden starken Regulierung der heutigen privaten Krankenversicherung funktioniert der Wettbewerb mit Blick auf die Verwaltungskosten (Wirtschaftlichkeit) und den Kundenservice, aber auch im Hinblick auf einen verantwortungsvollen Umgang mit den Leistungsausgaben, mit dem Geld der Versichertengemeinschaft.

Die Versicherten müssen als Kunden (Service), als Patienten (Qualität) und als Beitragszahler (Wirtschaftlichkeit) geschützt werden, und das funktioniert nach meiner Überzeugung am besten mittels der Marktmechanismen einerseits und einer materiellen Staatsaufsicht unter Beteiligung aller Akteure des Gesundheitswesens andererseits. (Du siehst, der Staat hat bei mir auch eine Funktion.)

Na, so weit auseinander liegen wir nicht.

*Zunächst* ist mein größtes Anliegen die Aufhebung der "Dualen Vergütung". Das
würde mit Deinen Vorstellungen ebenfalls gelingen. Insofern könnte ich mir Dein
System einer regulierten kapitalgedeckten Krankenversicherung schon vorstellen.

Wenn man sieht, wie die öffentliche Hand den Bau des Berliner Flughafens organisiert,
da erschleichen einen schon die Zeifel bezüglich "öffentlicher Unternehmungen".
Aber wenn ich sehe, welche Vorgänge innerhalb der Deutschen Bank ablaufen - ca.
7000 (!) Gerichtsverfahren wegen übler Machenschaften sind dort anhängig - ja
dann sieht man, dass auch private Unternehmen sehr tief im Sumpf stecken können.

Könnte es sein, dass es nicht so sehr darauf ankommt, ob eine Unternehmung
staatlich oder privat organisiert ist, sondern dass es darauf ankommt, welche Leute
an der Spitze stehen? Wie also das Management ist?

Vielleicht ist die Aufteilung in "staatlich" oder in "privat" gar nicht so entscheidend?

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*Es gibt* auch vorbildlich gemanagte staatliche Unternehmungen, z.B. die ehemalige
Bank der Bahn, heute ist das die genossenschaftliche Sparda-Bank. Und es gibt
natürlich gut gemanagte staatliche Unternehmen.

Richtig ist leider - für staatliche Organisationen: "Sie neigen grundsätzlich dazu, das
Geld anderer Menschen leichtfertig auszugeben und Beschlüsse zu fassen, die andere
'ausbaden' müssen". D.h. die Übernahme verbindlicher Verantwortung ist gering
ausgeprägt. Das Lavieren und "Schuld von sich schieben" dagegen schon häufiger
zu finden.

Deshalb muss man der Führung eines solchen Unternehmens regelmäßig auf die Finger
schauen, deren Personalpolitik ansehen (wen stellen die ein?) - und rechtzeitig
Veränderungen vornehmen. Das muss die Politik in den entsprechenden Ressorts mit
der entsprechenden Kompetenz tun. Dies bleibt immer ein Nachteil von staatlichen
Unternehmen.

Bei privaten Unternehmen dagagen übernimmt quasi der Markt die Aufsichtsfunktion:
Es (einerseits der Aufsichtsrat, aber letztendlich) der Markt, der Mißmanagement bestraft.

*Aber auch* private Unternehmen haben - wie ich schon sagte - bestimmte Nachteile: Bei
allen Entscheidungen und allem Tun steht immer die Gewinnmarge im Vordergrund. Das
ROCE muss ja spätestens bis zur nächsten Hauptversammlung wieder angehoben
worden sein. D.h. ethische oder ökologische Wert haben bei allen Entscheidungen einen
sekundären Charakter. Und bei einer Krankenversicherung sollten nun mal gerade ethische
Grundsätze nicht an zweiter sondern an erster Stelle stehen.

Nun, das hatten wir alles schon. Aber wie gesagt: Die Lösung ist nicht Stein gemeißelt,
und vielleicht ist Dein Vorschlag gar nicht schlecht. Jedoch: Den Sozialausgleich
ausschließlich via Steuern bzw. über ein BGE zu realisieren ist mindestens anspruchsvoll.

Noch kurz zu Deinen weiteren Einwürfen:

Wolfgang Gerstenhöfer schrieb:
Solidarität der derzeitigen Privatversicherten:
Sie finanzieren die gesetzliche Krankenversicherung auch noch über den Teil ihrer Steuern, die in den Gesundheitsfonds fließen und den Krankenkassen zugewiesen werden.

Der Steueranteil, der im GKV-Gesamtbudget steckt, ist zu vernachlässigen, denn
er macht (in 2009 beispielsweise) gerade mal 2,7% aus. (Gesamtausgaben 2009 GKV:
175 Mrd. €, Steuerzuschuss 2009: 4 Mrd. €). Heute dürfte der Steueranteil noch
niedriger liegen - er ist vom Betrag her vernachlässigbar.

Es ist genau umgekehrt: Die Private Krankenversicherung ist ein System, welches
Jahr für Jahr mit 9,7 Milliarden Euro (Stand 2009 - heute einiges Mehr) von den
Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung subventioniert wird. Das ist nämlich
der Betrag, den die privat Versicherten in das Solidarsystem zahlen müssten, würden sie
sich wie die gesetzlichen Kassen beteiligen. Sie ist eine Art Steuerschlupfloch für Reiche in
der Krankenversicherung und müsste genauso konsequent dichtgemacht werden wie
andere Steuerschlupflöcher.

Wolfgang Gerstenhöfer schrieb:
BVerfG, 1 BvR 706/08 vom 10. Juni 2009:
Den Gesetzgeber trifft eine Beobachtungspflicht im Hinblick auf die Folgen der Gesundheitsreform 2007 für die Versicherungsunternehmen und die bei ihnen Versicherten. (Diese Beobachtungspflicht dient dem Zweck, die Grundrechte der Privatversicherten und der privaten Krankenversicherer zu wahren.)

Natürlich müssen die Grundrechte der Privatversicherten gewahrt werden. Schließlich
müssen ja die Grundrechte aller Bürger gewahrt werden.

Das schließt aber /nicht/ die Abschaffung der PKV - ein gerechtes Überführungsgesetz
vorausgesetzt - aus. Das könnte beispielsweise so aussehen, dass alle PKV-
Versicherten in ihrer Versicherung bleiben können, ihre Rückstellungen also ganz
für sich behalten. Nur den GOÄ müsste man an die neue Gebührenordnung anpassen.
Und Neuversicherungen wären z.B. nur über die neue Bürgerversicherung, die neuen
Versicherungsvereine o.ä. möglich. ... das ließe sich alles gut regeln.

Grüße, Syna.




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