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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] System-Vergleich

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] System-Vergleich


Chronologisch Thread 
  • From: Wolfgang Gerstenhöfer <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
  • To: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] System-Vergleich
  • Date: Mon, 12 Mar 2012 08:12:47 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Ahoi Tim,

vielen Dank für Deine Rückmeldung.

Da ich selbst fast 25 Jahre für die DKV und ERGO arbeiten durfte, kenne ich
mich in diesem Bereich recht gut aus. ;-)

Auch das Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der
Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz – GKV-FinG) vom
22. Dezember 2010 - auch wieder so ein "schöner" Titel und das unter der
Federführung eines vermeitnlich Liberalen - ist mir durchaus bekannt. Kam
aber zu spät.

Ich habe den Eindruck, daß Deine und meine Vorstellungen in eine ziemlich
gleiche Richtung gehen. :-)

Wahrscheinlich kennst Du meinen Vorschlag noch nicht. Ich habe dazu noch
einmal drei E-Mails angehängt.

Bei Fragen bitte einfach fragen.

Piratig-liberale Grüße
Wolfgang

http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Wolfgang_Gerstenh%C3%B6fer

Noch etwas zu den Begriffen: Krankenkassen = GKV, Krankenversicherer = PKV.

Fusionen in der GKV sind Mittel, um Pleiten zu verhindern, die es bei Anstalten des öffentlichen Rechts nicht geben darf/kann.

Auch bei der heutigen PKV verlieren bei einer Insolvenz des Unternehmens die Versicherten nicht ihren Versicherungsschutz (Medicator AG - Insolvenzsicherungsfonds). Bei Interesse: http://www.pkv.de/publikationen/pkv_publik/archiv/pkv_publik_nr_4_05.pdf

Das mit der Victoria Krankenversicherung AG hatte eher andere Gründe und zur Debeka und ihrem Vertriebssystem könnte ich auch noch das eine oder andere schreiben, würde aber nicht unserer Sache hier dienen.

----- Original Message ----- From: "Wolfgang Gerstenhöfer" <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
To: "Sub-AG der AG Gesundheit der Piratenpartei Deutschland"
<ag-gesundheit-reformer AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Tuesday, January 17, 2012 8:04 PM
Subject: Re: [Ag-gesundheit-reformer] Finanzierung des Gesundheitswesens
bzw. der Krankenversicherung


Ahoi zusammen,

hier nun das versprochene Konzept für eine piratige
Krankenversicherungsreform.

So könnte die "Piraten-Krankenversicherung" in Zukunft aussehen:

Die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung wird zugunsten einer
Pflicht zur Versicherung ersetzt. Demnach muss jeder einen gesetzlich
definierten Basis- oder Grundversicherungsschutz bei einem der Träger der
Krankenversicherung abschließen. Meines Erachtens sollten dessen
Leistungen
dem derzeitigen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
entsprechen. Alternativ besteht die Möglichkeit, Tarife zu wählen, die
zusätzliche, höhere oder umfangreichere Leistungen,
Beitragsrückerstattungen
oder auch gar keine,
geringere oder andersartige Selbstbeteiligungen/Zuzahlungen vorsehen.

Der Basisversicherungsschutz bzw. -tarif steht jedem offen. Bei den
anderen
Tarifen kann eine Risikoprüfung vorgesehen werden, die zu einer Annahme,
einer Annahme mit einem Risikozuschlag oder einem Leistungsausschluss und
auch zu einer Ablehnung des Antrags führen kann.

Träger der Krankenversicherung sind in meinem Modell die bisherigen
Krankenkassen nicht mehr als Körperschaften des öffentlichen Rechts,
sondern
als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und die bisherigen privaten
Krankenversicherer entweder als Aktiengesellschaften oder ebenfalls als
Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Für alle Träger gelten die
gleichen Rechtsvorschriften und Rahmenbedingungen z. B. im Steuerrecht.

Die Beiträge sowohl des Basistarifs als auch aller anderen Tarife werden
nach versicherungsmathematischen Grundsätzen kalkuliert. Sie sehen die
Bildung von Alterungsrückstellungen vor, die dazu dienen, die mit
zunehmendem Alter steigenden Krankheitskosten auszugleichen.
Beitragserhöhungen oder -senkungen müssen - allerdings höchstens einmal
pro
Jahr - vorgenommen werden, wenn die kalkulierten von den tatsächlichen
Versicherungsleistungen abweichen.

Über Transferleistungen (z. B. dem bedingungslosen Grundeinkommen) wird
sichergestellt, dass sich jeder mindestens den Basistarif leisten kann.
Damit hat jeder Anspruch auf alle medizinisch notwendigen Untersuchungen
und
Behandlungen.

Auf der Leistungsseite gibt es Gebührenordnungen, die primär ein Ergebnis
von Verhandlungen zwischen den Verbänden der jeweiligen Erbringer
medizinischer Leistungen und der Träger der Krankenversicherung bzw. der
Versicherten/Patienten sein sollten, mit Öffnungsklauseln, die
Vereinbarungen zwischen einem, mehreren oder auch allen Trägern der
Krankenversicherung und Erbringern medizinischer Leistungen zugunsten
ihrer
Kunden/Versicherten vorsehen.

Die Aufsicht über die Träger der Krankenversicherung, ihre Tarife, die
notwendige Anpassung von Beiträgen an sich verändernde
Versicherungsleistungen und ihren Geschäftsbetrieb soll aufgrund der
existentiellen Bedeutung der Krankenversicherung (wieder) bei einer
staatlichen Aufsichtsbehörde im Zuständigkeitsbereich des Bundesministers
für Gesundheit (statt des Bundesministeriums der Finanzen) liegen und
nicht
nur bei "unabhängigen Treuhändern". Diese Behörde soll auch das Thema
medizinische Notwendigkeit im Blick haben, um einem Wettbewerb zu Lasten
der
medizinischen Qualität vorzubeugen.

Kurzbegründung:

Für die Piraten ist der Sozialstaat ein Staat, der nicht selbst für die
soziale Sicherheit seiner Bürger sorgt, sondern sicherstellen muss, dass
jeder für
seine soziale Sicherheit vorsorgen kann.

Ziel der piratigen Krankenversicherungsreform ist es, das
Krankenversicherungssystem endlich an die demographische
Entwicklung unserer Gesellschaft anzupassen und für die Zukunft
nachhaltig
und damit generationengerecht finanzierbar zu machen (Kapitaldeckungs-
statt
Umlageverfahren) und gleichzeitig die
ebenfalls nicht mehr zeitgemäße Trennung von gesetzlicher und privater
Krankenversicherung und von Pflicht- und freiwilligen Versicherten
aufgrund
von Einkommensunterschieden aufzuheben.

Der Solidarausgleich findet - wie es sich für eine
Krankenversicherung gehört - zwischen Gesunden und Kranken statt. Der
Ausgleich zwischen arm und reich muss über das Steuersystem und mögliche
Transferleistungen (negative
Einkommensteuer, Bürgergeld, bedingungsloses Grundeinkommen oder ...)
sichergestellt werden. Das ist auch gerechter, weil es tatsächlich alle
Bürger (und
Unternehmen) erfasst und die Last so auf wesentlich mehr und belastbarere
Schultern verteilt werden kann.

Der Vorteil gegenüber der heutigen Finanzierung liegt darin, dass man
einerseits von der Bevölkerungsentwicklung deutlich unabhängiger wird und
jede Generation selbst für sich vorsorgt und nicht zu Lasten ihrer Kinder
und Enkel lebt und andererseits über das Steuersystem trotzdem das
soziale
Element der Umlage auf die gesamte Gemeinschaft erhalten bleibt, ohne in
Zukunft überstrapaziert zu werden.

Die Gemeinschaft der Bürger, der Staat, würde also dafür sorgen, dass
sich
jeder gegen das finanzielle Risiko, krank zu werden, versichern kann und
auch
tatsächlich versichert; er würde jedoch niemanden bevormunden und einen
bestimmten, häufig
sogar bei geringeren Leistungen teureren Versicherungsschutz aufzwingen.

Gleiche Rahmenbedingungen für die Träger der Krankenversicherung
(Krankenversicherer) sorgen für einen Leistungswettbewerb, der sich
positiv
auf den Service, die Kundenorientierung, die beitragsrelevanten
Verwaltungskosten und die alternativen Tarife (Leistungen und Beiträge)
auswirken wird.

Ebenso sorgen der Wettbewerb unter den Krankenversicherern zum einen und
unter den Erbringern medizinischer Leistungen um Kunden bzw. Patienten
zum
anderen in Verbindung mit der Möglichkeit, z. B. Preise auszuhandeln, für
marktgerechte Honorare und Gebühren. Die zuständige Aufsichtsbehörde
achtet
in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Verbänden auf das Einhalten von
Mindeststandards, damit dieser Wettbewerb zugunsten der Kunden als
Beitragszahler nicht zu ihren Lasten als Patienten geht.

Hintergrund bzw. umfangreiche Begründung

Bitte vergleicht meine E-Mail unter dem gleichen Betreff vom 15. Januar
2012
(20:20 Uhr).

Piratig-liberale Grüße
Wolfgang

----- Original Message ----- From: "Wolfgang Gerstenhöfer" <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
To: "Sub-AG der AG Gesundheit der Piratenpartei Deutschland"
<ag-gesundheit-reformer AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Thursday, January 19, 2012 7:49 PM
Subject: Re: [Ag-gesundheit-reformer] Finanzierung des Gesundheitswesens
bzw. der Krankenversicherung


Ahoi alle miteinander,

ganz herzlichen Dank für die sehr konstruktiven Rückmeldungen und Fragen.
Darüber habe
ich mich sehr gefreut.

Hiermit versuche ich, auf das eine oder andere einzugehen, und hoffe,
dass
mir dies möglichst vollständig gelingt.

Kern meines Vorschlags ist tatsächlich die Umstellung des
Finanzierungssystems vom
Umlage- auf das Kapitaldeckungsverfahren und gleichzeitig die Verlagerung
des Sozialausgleichs in das Steuersystem und damit auf eine wesentlich
breitere Basis (alle Bürger und Unternehmen), ohne den Menschen eine
Einheitsversicherung oder überhaupt einen bestimmten Versicherungsschutz
aufzuzwingen.

Ich gehe davon aus, dass dies mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung
in
Deutschland und trotz der derzeitigen Krise auf längere Sicht nicht nur
die
zukunftssicherere Reform ist, sondern auch im Hinblick auf die
Grundrechte
der Privatversicherten und der privaten Krankenversicherer die
verfassungsrechtlich einwandfreiere (Recht auf Eigentum, Berufs- und
Vereinigungsfreiheit/Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10.6.2009).

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg09-059.html

Das Angebot der Krankenversicherer (dann ehemalige gesetzliche
Krankenkassen
und private Krankenversichrerer) soll bei meinem Vorschlag so aussehen,
dass
es zwingend eine Basis-Krankheitskostenvollversicherung bzw. einen
Basistarif gibt und darüber hinaus - aber das bestimmt letztendlich der
Wettbewerb - verschiedene Krankheitskostenvollversicherungstarife z. B.
auch
nach wie vor für Beihilfeberechtigte. (Das Thema Beihilfe wäre sicher
noch
einmal eine andere Diskussion wert.)

Ob es Zusatz- oder Ergänzungstarife - wie wir sie heute in der privaten
Krankenversicherung kennen - dann überhaupt noch geben wird/muss, wird
sich
zeigen (Wettbewerb).

Für den Basistarif gilt ein Kontrahierungs-, also ein Annahmezwang,
dennoch
findet eine Risiko- bzw. Gesundheitsprüfung statt – dies gilt auch für
Umwandlungen in den Basistarif. Eine Ablehnung des Antrags ist aber nicht
zulässig. Notwendige Risikozuschläge
(versicherungsmedizinische Beitragszuschläge) sind für einen
branchenweiten
finanziellen Spitzenausgleich „fiktiv“ zu ermitteln. Während der
Vertragsdauer nach dem Basistarif darf dieser Beitragszuschlag nicht
verlangt
werden. Bei einer Umstellung aus dem Basistarif in einen anderen Tarif
wird
für etwaige Mehrleistungen eine Gesundheitsprüfung durchgeführt sowie der
bei
Vertragsabschluss ermittelte Beitragszuschlag erhoben.

Der Spitzenausgleich ist notwendig, um eine ungleiche Verteilung der
Risiken
auf die einzelnen Krankenversicherer auszugleichen. Nur ein solcher
Ausgleich macht einen Annahmezwang gegenüber der jeweiligen
Versichertengemeinschaft vertretbar. Hierbei wird die unterschiedliche
Versicherten- und Krankheitsstruktur berücksichtigt. Krankenversicherer
mit
älteren und kränkeren Versicherten erhalten über den Spitzenausgleich
mehr
Mittel als Krankenversicherer mit einer Vielzahl an jungen und gesunden
Versicherten.

Die Beiträge für den Basistarif werden weitgehend identisch sein, da die
Leistungen gesetzlich für alle gleich festgelegt werden. Leichte
Unterschiede kann (und sollte) es wegen der einzukalkulierenden
Verwaltungskosten geben. Dies halte ich auch für richtig und wichtig, um
auch hier einen Anreiz zu einem wirtschaftlichen und kostenbewussten
Umgang
mit den Geldern der Versicherten/Kunden zu gewährleisten.

Grundsätzlich zum Thema Wettbewerb:

Ich halte einen funktionierenden und konstruktiven Wettbewerb für äußerst
wichtig, da nur Wettbewerb, also die Möglichkeit des Kunden den Anbieter
wechseln zu können, für Service, Kundenorientierung, Produktinnovationen
und
möglichst niedrigen Verwaltungskosten sorgt. (Das ist (leider) so.
Menschen
sind in der Regel
bequem.)

Dies ist auch ein Grund für meine Forderung, keine Unterscheidung mehr
zwischen gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherern
vorzunehmen, sondern für alle gleiche Rahmenbedingungen zu schaffen.
Deshalb
auch die Umwandlung der Krankenkassen von Körperschaften des öffentlichen
Rechts zu Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit.
Versicherungsvereine,
weil diese Unternehmensform - ähnlich wie es heute bei den Krankenkassen
der
Fall ist - eine Mitwirkung der Mitglieder/Kunden quasi als Eigentümer des
Versicherungsvereins vorsieht und dies auch die ursprüngliche
privatwirtschaftliche Rechtsform zumindest der früheren Ersatzkassen (z.
B.
BEK, DAK) war.
Ein anderer, vielleicht noch wichtigerer Grund liegt darin, dass es
unfair
ist,
Menschen aufgrund eines geringeren Einkommens eine
Krankheitskostenvollversicherung über dem Niveau der Basisversorgung zu
verweigern.

Deshalb trete ich auch nicht für einen steuerfinanzierten Zuschuss an die
Krankenversicherer (Stichwort Gesundheitsfonds) ein, sondern nach dem
Prinzip "Subjekt- statt Objektförderung" für einen Zuschuss über den
steuerlichen Grundfreibetrag bzw. das staatlich garantierte
Mindesteinkommen
(z. B. BGE).

Denn dann hat jeder, selbst die Möglichkeit zu entscheiden, welchen
Anteil
seines Einkommens er für seine Krankenversicherung aufbringen kann und
will.
Warum soll man jemanden, der zwar ein niedriges oder auch "nur" das
Mindesteinkommen hat, das Recht nehmen, auf anderes zugunsten einer
Krankheitskostenvollversicherung über dem Niveau des Basistarifs zu
verzichten? Auch das entspricht für mich der Freiheits- und
Selbstbestimmungsidee der Piraten.

Noch etwas zur Leistungsseite:

Von Kostendämpfungsgesetzen halte ich gar nichts. Davon hatten wir seit
1977
mehr als genug. Sie haben letztendlich nichts gebracht
und sind auch mit einer sozialen Marktwirtschaft nicht wirklich
vereinbar.

Deshalb setze ich auch hier zum einen auf den Wettbewerb - mit einer
starken
staatlichen Rechts- und Fachaufsicht - und auf Vereinbarungen zwischen
den
Erbringern medizinischer Leistungen und den Krankenversicherern.

Die Krankenversicherer bekommen damit Möglichkeiten für eine
wirtschaftliche
und hochwertige Versorgung ihrer Versicherten/Kunden an die Hand gegeben.
Sie können zum Beispiel mit Arzneimittelherstellern Rabattverträge
abschließen, Hilfsmittel günstiger einkaufen oder mit
Heilmittelerbringern
verhandeln. Sie können Verträge mit besonders qualifizierten Ärzten
schließen oder mit Krankenhäusern die ambulante Behandlung für schwer
kranke
Versicherte vereinbaren. Das sind nur einige Beispiele.

Solche Verträge sollten insofern auch im Interesse der Leistungserbringer
liegen, als sie damit ihren Kundenstamm erweitern oder besser an sich
binden
können.

Für die Aufsicht werden die für die Krankenversicherung zuständigen
Bereiche
des heutigen Bundesversicherungsamts und der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht zu einer neuen Aufsichtsbehörde zusammen
geführt. Der heutige Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wird durch ein
Gremium ersetzt, in dem zum einen die verschiedenen Berufsgruppen auf der
Seite der Erbringer medizinischer Leistungen (nicht nur Ärzte-,
Zahnärzte-
und Krankenhausvertreter) und zum anderen die Krankenversicherer, aber
auch
die Versicherten/Kunden sowohl als Patienten als auch als Beitragszahler
vertreten sind.

Die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen würden
aufgrund
dieser Reform überflüssig. Über Sinn, Zweck und Nutzen der Ärzte- und
Zahnärztekammern einerseits und der verschiedenen Berufsverbände
andererseits sollte man gesondert diskutieren und entscheiden.

Exkurs Beitragskalkulation nach versicherungsmathematischen Grundsätzen:

Für die Kalkulation der Beiträge gilt das Äquivalenzprinzip, also die
Gleichwertigkeit zwischen Leistung und Beitrag.
Jeder Versicherte zahlt soviel, wie er voraussichtlich an Leistungen in
Anspruch nehmen wird. Der Beitrag setzt sich aus mehreren "Einzelposten"
zusammen:
1. Der Risikobeitrag wird gebraucht, um das versicherte Risiko, nämlich
Krankheitskosten, abzudecken.
2. Der Vorsorgebeitrag wird in der so genannten Alterungsrückstellung für
die Versichertengemeinschaft gesammelt und verzinslich angelegt. Diese
Rückstellung wird aufgebaut, um die erfahrungsgemäß mit zunehmendem Alter
steigenden Ausgaben für die Gesundheit abzudecken.
3. Der Kostenbeitrag finanziert den allgemeinen Geschäftsbetrieb des
Krankenversicherers.
Ausgeglichen werden die im Zeitablauf steigenden Krankheitskosten durch
die
Alterungsrückstellung. Während also im Laufe der Jahre der Anteil des
Risikobeitrags immer mehr steigt, nimmt der Anteil des Vorsorgebeitrags
immer mehr ab. Gebe es nicht noch einige Rahmenbedingungen
(Preissteigerungen, neue
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, stärkere Inanspruchnahme von
Leistungen), würde der Beitrag also über die gesamte Dauer des Vertrags
gleich bleiben (Grundsatz der Beitragskonstanz). Beitragssteigerungen
aufgrund steigender Verwaltungskosten
sind in diesem Finanzierungssystem übrigens ausgeschlossen.

Piratig-liberale Grüße und schon mal ein schönes Wochenende
Wolfgang


----- Original Message ----- From: "Wolfgang Gerstenhöfer" <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
To: "Sub-AG der AG Gesundheit der Piratenpartei Deutschland"
<ag-gesundheit-reformer AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Sunday, January 22, 2012 9:11 PM
Subject: Re: [Ag-gesundheit-reformer] Finanzierung des
Gesundheitswesensbzw. der Krankenversicherung


Ahoi zusammen,

gern antworte ich auf Eure Rückmeldungen.

In der Basisversorgung bzw. in dem Basistarif gibt es - nach meinem
Konzept - keine Risikozuschläge.

Es muss aber eine Risikoprüfung und fiktive Risikozuschläge geben, um zum
einen einen Risikoausgleich zwischen den Krankenversicherern vornehmen zu
können und um zum anderen bei einer späteren Umwandlung des Basistarifs
in
einen Tarif mit besseren, höheren und/oder umfangreicheren Leistungen
sicherzustellen, dass Basistarifversicherte weder schlechter noch besser
gestellt werden als andere Antragsteller.

Für die Basistarifversicherten eine eigene Institution zu schaffen,
kostet
nur zusätzliches Geld. Es könnte außerdem wahrscheinlich kein
Unternehmen,
sondern müsste eine Behörde sein, da nur mit den Basistarifversicherten
keine Gewinne erzielt werden können. (Gewinne werden übrigens dadurch
erzielt, dass ein Unternehmen auf seine Kapitalanlagen mehr Zinsen
("Überzinsen") erwirtschaftet als bei der Beitragskalkulation zugrunde
gelegt werden/wurden ("Rechnungszins", zzt. in der PKV 3,5 %).)

Basistarifversicherte könnten so schnell zu Kunden zweiter Klasse werden,
denn die Mitarbeiter der Behörde hätten keinen Anreiz, sich kunden- und
serviceorientiert zu verhalten. Denn sie haben ja keine andere
Alternative
als
diese "Verwaltungsbehörde".

Andere Honorierungen können auch so festgelegt werden - sowohl vom
Verordnungsgeber als auch durch Vereinbarungen zwischen den
Krankenversicherern und den Erbringern medizinischer Leistungen.

So etwas gab bzw. gibt es bereits bei früheren Basistarifen oder beim
Tarif
PSKV für Studenten in der PKV.

Noch einmal zum Thema Kapitaldeckungs- versus Umlageverfahren:

Das Umlageverfahren fährt mit künftigen Verhältnissen von einem
Erwerbstätigen zu einem Rentner und dann sogar von nur noch zwei
Erwerbstätigen auf drei Rentner vor die Wand. Das ist so sicher wie das
Amen
in der Kirche. Das ist mit Blick auf die Geburtenraten und die
Lebenserwartung auch nicht mehr zu ändern - auch nicht mit Zuwanderungen.

Das Kapitaldeckungsverfahren in Kombination mit dem Sozialausgleich über
das
Steuersystem (und nur dort spielt das Einkommen eine Rolle) kann die
Situation nur verbessern. Es mag zwar sein, dass es keine Nettoverzinsung
von 9 und mehr Prozent mehr gibt, aber dass gar keine Zinsen irgendwo auf
der Welt mehr zu erwirtschaften sind, halte ich für äußerst
unwahrscheinlich.

Es kann also nur besser werden.

Piratig-liberale Grüße und einen guten Start in die neue Woche
Wolfgang

Noch eine Anmerkung zum Thema Risikozuschläge:
Diese versicherungsmedizinischen Beitragszuschläge können von den
Krankenversicherern nicht willkürlich festgelegt und erhoben werden. Ihre
Höhe muss versicherungsmedizinisch, also mit der Höhe der voraussichtlich
entstehenden Kosten begründet und versicherungsmathematisch berechnet
werden. Darüber wacht die in meinem Konzept vorgesehene Aufsichtsbehörde.


----- Original Message ----- From: "Tim Chrispeels" <tchrispeels AT online.de>
To: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Sunday, March 11, 2012 8:48 PM
Subject: Re: [AG-Gesundheit] System-Vergleich


Am 11.03.2012 19:47, schrieb Wolfgang Gerstenhöfer:
Ahoi zusammen,

für mich ist das ein "schönes" Beispiel dafür, daß wir eine radikale
Gesundheitsreform brauchen, die tatsächlich diese Bezeichnung Reform auch
verdient - kein neues Kostendämpfungsgesetz.
Wolfgang, da bin ich ganz Deiner Meinung. Ich habe das auch schon an
anderer Stelle zitiert, mache es aber hier gerne wieder: "Wenn man markt,
dass man ein totes Pferd reitet, wird es Zeit, abzusteigen." Dieses
Indianer-Sprichwort kann auch für die GKV gelten. Wir sehen an der
aktuellen Diskusion, was in der GKV abgeht. In diesem Jahr sind
Überschüsse da. Was ist aber in drei bis fünf Jahren. "Spare, wenn Du
hast, dann hast Du in der Not" gilt für alle, die einen Haushalt zu führen
haben. Offenbar aber nicht für die bisherige Politik. Lasst es uns anders
machen.

Was bei einer Staatskrankenversicherung mit dem Geld der Versicherten
geschieht, sieht man gerade sehr deutlich: Dr. Wolfgang Schäuble
vereinnahmt
sie für den Bundeshaushalt. Ganz einfach und auch noch völlig legal.

Das kann bei einer privatwirtschaftlich organisierten Krankenversicherung
nicht passieren (Grundrecht auf Eigentum). Da bleibt das Geld im System,
im
Eigentum der Versichertengemeinschaft(en).

Zurück zur Pleite:

Auch Pleiten gehören (leider) zu einer Marktwirtschaft. Ein
Staatsunternehmen - wie z. B. eine Krankenkasse - kann nicht insolvent
werden oder in Konkurs gehen. Da kann noch so schlecht gewirtschaftet
werden, es geht immer zu Lasten der Steuerzahler weiter.
Welche Krankenkasse meinst Du hier? Die GKV oder die PKV? In den letzten
Jahren haben sich viele GKV zusammen geschlossen, beispielsweise die
Barmer EK und die Gmünder EK. Das machen die nicht aus Spaß, sondern weil
ihnen das Wasser bis zu Hals steht.
Die PKV hat auch einige Unternehmen auf der Strecke gelassen.
Beispielsweise die Viktoria, die ohne Zusammenschluss zum Ergo Konzern
nicht überlebt hätte. In diesem Jahr hat die Central 40.000 Mitarbeiter im
Außendienst entlassen und das Maklergeschäft zurück gefahren. Auch kein
Zeichen von Stärke.

Und zur Staatsplaite fällt mir nur eins ein: Griechenland!!!!!

Für die Versicherten ist das kein Problem. Sie müssen von anderen
Versicherern quasi übernommen werden.
In der PKV stimmt das NICHT!!!! In der GKV muss nur die AOK aufnehmen.
Alle anderen können auch ablehnen.
Für die Arbeitnehmer ist es natürlich
sehr schlecht. Deshalb brauchen wir gerade in Unternehmen ohne
Unternehmer -
wie z. B. Aktiengesellschaften - eine gut ausgebaute und funktionierende
Mitbestimmung der Arbeitnehmer und eine viel stärkere Haftung der
Vorstands-
und Aufsichtsratsmitglieder für die Folgen ihrer Entscheidungen
("Eigentum
verpflichtet").
Gute Beispiele hierfür sind die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit.
Die dürfen nur kostendeckend arbeiten und müssen die Gewinne an ihre
Mitglieder zurück geben. Es ist schon bezeichnend, dass die Debeka
beispielsweise im Jahr 2010 und 2011 jeweils fast die Hälfte vom
PKV-Neugeschäft gemacht hat. Und die Aktiengesellschaften mit den tollen
Stadien Versicherte verlieren.

Was hat die damalige Bundestagsmehrheit beschlossen?

Sie hat der PKV die Gewinnung neuer Kunden erschwert: Bisher schied ein
Arbeitnehmer aus der Versicherungspflicht in der GKV mit Beginn des
Folgejahrs aus, sofern sein Gehalt die Versicherungspflichtgrenze
überschritt und zu erwarten war, daß er auch im Folgejahr ein Gehalt
oberhalb der dann maßgeblichen Grenze bezieht. Seit dem 2.2.2007 sind
Arbeitnehmer erst dann versicherungsfrei, wenn ihr Gehalt die
Versicherungspflichtgrenze übersteigt und in drei aufeinander folgenden
Jahren überstiegen hat.
Wolfgang, das ist schon wieder Geschichte. Die drei Jahre sind wieder
gekippt. Du kannst ruhig wieder nach einem Jahr wechseln. Ist kompliziert,
was sich die Etablierten da zurecht regieren, aber es wurde wieder
geändert. Daher auch meine Bitte: Eine richtige Reform statt nur
Reförmchen.

Sie überzieht die PKV mit Bürokratie: Ein Basistarif muß seit dem
1.1.2009
von allen Versicherungsunternehmen mit Sitz in Deutschland angeboten
werden,
welche die private Krankheitskostenvollversicherung anbieten.
Der Basistarif musste eingeführt werden, nachdem, zu Recht, die
Krankenversicherungspflicht eingeführt wurde. Nun dürfen die Kassen (GKV
und PKV) keinen mehr rausschmeißen. Ein Wechsel ist nur möglich, wenn eine
Anschlussversicherung nachgewiesen wird. Für Menschen, die keine
Vorversicherungszeit in der GKV haben, beispielsweise Selbstständige, ist
ein Wechsel in die GKV NICHT möglich. Also wurde der Basistarif
geschaffen, der die gleiche Leistung anbietet, wie die GKV und der in der
Beitragshöhe gedeckelt ist. Gut gedacht, doch in der Praxis hat sich der
Basistarif zum "Nicht Zhaler Tarif " entwickelt. Menschen, die ihre PKV
Beiträge nicht mehr bezahlen, können nicht rausgeschmissen werden. Jeder
Vermieter wird das Problem der PKV Baisitarife aus der Praxis kennen. Ein
Bezieher von Leistung (Miete, Versicherungsleistung usw.) der nicht
bezahlt, ist auf Dauer ein finanzielles Risiko.

Ich will nicht die bisherige PKV für alle und schon gar keine
Bürgerversicherung (= Einheitszwangskrankenversicherung).
Ich plädiere für eine Bürgerversicherung auf Basis der derzeitigen PKV
(bei einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit) mit staatlicher
Unterstützung, wo es zu Risikofällen kommen kann (Geburtsfehler,
chronische Krankheiten etc.). Dann haben wir doch "So viel Markt wie
möglich und sio viel Staat wie nötig."
Und eine leistungsgerechte Bezahlung für unsere Arbeiter im
Gesundheitssystem ist auch gewährleistet. Denn das Abrechnungsverfahren
der GKV ist so undurchsichtig, dass ein Ausnutzen des Systems nicht
ausgeschlossen werden kann.

Wir müssen aus PKV und GKV ein neues System unter dem Motto "So viel
Markt
wie möglich und so viel Staat wie unbedingt nötig" machen.

--
AG-Gesundheitswesen mailing list
AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen





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