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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Die "Duale Vergütung" im Gesundheitswesen

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Die "Duale Vergütung" im Gesundheitswesen


Chronologisch Thread 
  • From: DS Lawfox <dslawfox AT googlemail.com>
  • To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Die "Duale Vergütung" im Gesundheitswesen
  • Date: Tue, 3 Jan 2012 13:24:42 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

In Deutschland wird man sogar dann medizinisch versorgt, wenn man nen Furz quersitzen hast; auch in Neukölln. In den USA nur dann, wenn man es dir leisten kannst.

Mehr ist zu dem Quark, der - getreten - nur breit und nicht stark wird, nichts zu sagen.

Beste
DSLawFox

Am 03.01.2012 11:21 schrieb "syna" <syna AT news.piratenpartei.de>:

Ahoi!

Na, Leute, das freut mich sehr, dass ich hier so eine kontroverse, lebhafte Diskussion
ausgelöst habe. Ich habe fast den Eindruck, ich hätte in ein Wespennest gestochen.

@Dietmar:

... üble Nachrede ...

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Wie kommst Du denn darauf? Habe ich irgendjemanden hier persönlich
angeredet, zitiert, verglichen oder ähnliches? Bin ich einer Personengruppe
zu nahe getreten? Wer ist denn hier so dünnhäutig, dass er überall gleich
"üble Nachrede" erahnen will?

Ich glaube, hier ist es eher die Ohnmacht der Argumentation, die Dich
zu solchen seltsamen Anwandlungen hinreißt. Ach ja Dietmar: Für mich hast
Du Dich hier disqualifiziert.

*Gerade die "Duale Vergütungsstruktur"* ist ja gerade für Ärzte ein Knackpunkt,
eine wunde Stelle im Gesundheitssystem: Einerseits wollen sie nach hippokratischem
Eid alle Menschen "gleich gut" versorgen, aber andererseits lassen es oftmals
die ökonomischen Strukturen gar nicht zu. Das genau ist der Knackpunkt!

*Die Zweiklassenmedizin* bestraft ausgerechnet die Ärzte, die das größte soziale
Engagement mitbringen und bewusst in schwierigen Städten oder Armenvierteln
arbeiten. Ärzte, die in den Stadtteilen praktizieren, in denen es viele Problempatienten
und wenige Privatversicherte gibt, sind in jeder Beziehung Verlierer des Systems:
Der Facharzt am Starnberger See macht mit relativ leichten Fällen ein Vermögen,
während der engagierte Arzt in Neukölln manchmal um seine Existenz kämpft.
Er hat schwerere Fälle, die sich wegen begleitender sozialer und sprachlicher
Probleme nur mit mehr Aufwand behandeln lassen, erntet oft wenig Dank seiner
Patienten, arbeitet länger und verdient nur die Hälfte. Trotzdem muss er sich
von seinen eigenen Funktionären die Vorteile der Zweiklassenmedizin anhören,
weil sonst alle Arztpraxen in die Pleite gingen – während es in Wirklichkeit
darum geht, dass die Kollegen mit vielen Privatpatienten gut verdienen.

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... Daten, Quellenangaben?

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Ja, das ist ein - fast schon *natürlicher Reflex*: Erstmal nach Quellen fragen.
Finde ich aber gut. Im Prinzip jedenfalls.

Denn: Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass ich oben
(siehe First Posting) anhand von Beispielen kausal entwickelt habe, was eine
"*Duale Vergütungsstruktur*" bewirkt. Welche negative Folgen sie also hat.

In meinem ersten Beispiel "Shop" geht es um einen Sportartikel-Laden in guter
Lage: Hier würde eine "Duale Vergütung" dazu führen, dass der Ladeninhaber,
aber auch alle seine Mitarbeiter, jeden Kunden, der den Laden betritt, danach
selektieren, ob diese eine Kundenkarte haben oder nicht.

Es geht mir darum, kausal herzuleiten - und so für jedermann plausibel zu
machen - was eine "Duale Vergütungsstruktur" *grundsätzlich* bedeutet.
Es wird wohl jedem (ich berichtige: Fast jedem!) einleuchten, dass es so
einen Laden wahrscheinlich gar nicht gibt. Er ist nur ein Beispiel, eine Art
Metapher oder Gleichnis für eine in wirtschaftlichen Abläufen bzw. im
Marktgeschehen grundsätzliche Kausalität.

Dabei nach Quellenangeben zu fragen, ist etwa so absurd, wie jemanden,
der behauptet "Wenn Sie aus dem 4.Stock aus dem Fenster springen,
dann ist das negativ für Ihre Gesundheit!" zu fragen: "Na, das glaube ich
nicht. Wo sind Ihre wissenschaftlichen Quellen zu dieser Aussage?"

An einer Stelle sind Quellen allerdings wichtig, um nachvollziehen zu können,
was wirklich wichtig ist:

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... Daten, Quellenangaben "Spezialisierung"

Im Abschnitt "Krankenhaus-Chirurg" erkläre ich, dass Spezialisten in den
Unikliniken - im Falle schwerster Erkrankungen eine besondere Rolle
spielen. Im Falle einer ernsten Erkrankung hängt die Überlebensrate
empfindlich davon ab, wie erfahren der Operateur ist. Dazu gibt es Studien
aus den USA und Kanada, die das eindrucksvoll belegen. Ich zähle hier
gerne einige auf:

Quelle 1: Urbach, D.R., Bell, C.M. Austin, P.C.: Differences in operative mortality between high- and low-volume hospitals in Ontario for 5 major surgical procedures: estimating the number of lives potentially saved through regionalization. Canadian Medical Association Journal 2003; 168(11): 1409-1414.

Quelle 2: Birkmeyer, J.D., Stukel, T.A.., Siewers, A.E., Goodney, P.P., Wennberg, D.E., Lucas, F.L.:Surgeon Volume and operative mortality in the United States. New England Journal of Medicine 2003; 349(22): 2117-2127.

Quelle 3: Birkmeyer, J.D., Siewers, A.E., Finlayson, E.V., Stukel, T.A.., Lucas, F.L, Batista, I., Welch, H.G., Wennberg, D.E.:Hospital volume and surgical mortality in the United States. New England Journal of Medicine 2002; 346(15): 1128-1137.

Quelle 4: Finlayson, E.V., Goodney, P.P., Birkmeyer, J.D.:Hospital volume and surgical mortality in cancer surgery: a national study. Archives of Surgery 2003; 138(7): 721-725.

Quelle 5: Begg, C.B., Craner, L.D., Hoskinds, W.J., Brannan, M.F.: Impact fo hospital volume on operative mortality for major cancer surgery. Journal of the American Medical Association 1998;280(20): 1747-1751.

Quelle 6: Simunovic, M., Rempel, E., Theriault, M.E., Coates, A.., Whelan, T., Holowaty, E., Langer, B., Levine, M.: Influence of hospital characteristics on operative death and survival of patients after major cancer surgery in Ontario. Canadian Journal of Surgery 2006;49(4): 251-258.

Quelle 7: Schragg, D., Cramer, L.D., Bach, P.B., Cohen, A.M., Warren, J.L., Begg, C.B.: Influence of hospital procedure volume on outcomes following surgery for colon cancer. Journal of the American Medical Association 2000; 284(23): 3028-3035.

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Dem Interessierten Gesundheitspiraten kann ich nur ans Herz legen,
sich zumindest mit einer der Studien zu befassen. In jeder Bibliothek
einer Uniklinik sind die Quellen verfügbar und jeder kann sie durchlesen.

Zwei schöne Grafiken zeigen die Änderung der Mortalität abhängig
von der Zahl der durchgeführten Eingriffe (nur im Forum sichtbar!): [attachment=286][attachment=287]

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Mehr zum Thema Spezialisierung:

Man ermittelte z.B. wieviele Todesfälle vermieden werden könnten,
wenn die Patienten an ein spezialisiertes Krankenhaus überwiesen würden.
Also an ein Krankenhaus, in dem die Behandlung beziehungsweise die
Operation deutlich häufiger als andernorts vorgenommen wurde.

Eine Studie betrachtete elf medizinische Maßnahmen, darunter
Bypassoperationen und Tumorentfernungen – und kam zu dem Ergebnis,
dass allein bei diesen Eingriffen in Kalifornien jedes Jahr 602 Todesfälle
durch Inanspruchnahme von spezialisierten Krankenhäusern hätten
verhindert werden können.

Quelle: Dudley, R.A., Johansen, K.I., Brand, R., Rennie, D.J., Milstein, A.: Selective referral to high-volume hospitals: estimating potentially avoidable deaths. Journal of the American Association 2000; 283(9): 1159-1166.

Also: Ahoi Piraten,
genießt das neue Jahr - aber denkt dabei auch an Eure Gesundheit!

Grüsse, Syna.
--
AG-Gesundheitswesen mailing list
AG-Gesundheitswesen@lists.piratenpartei.de
https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen



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