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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Die PKV muss abgeschafft werden!

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Die PKV muss abgeschafft werden!


Chronologisch Thread 
  • From: DS Lawfox <dslawfox AT googlemail.com>
  • To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Die PKV muss abgeschafft werden!
  • Date: Tue, 13 Dec 2011 17:30:41 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hallo Syna,

Fragen von elementarer, gesundheitsökonomischer, gesundheitssystematischer und medizinischer Relevanz mit Sozialromantik und auf emotionaler Ebene unter gleichzeitigem Appel an einen durch nichts faktisch zu belegenden bzw. belegten Verstoß gegen moralische oder ethische Ansprüche zu beantworten ist garantiert nicht der Weg der Vermeidung einer vermeintlichen, teilweisen Unterversorgung.

Hinzu kommt, dass sämtliche von dir gewählten Beispiele NICHTS mit der Versicherungsart zu tun haben.

Der Schlüssel liegt - und das scheint bei der Debatte darüber, ob die PKV abgeschafft werden soll, völlig übersehen zu werden - in "WANZ":
"WANZ" ist ein elementarer Aspekt der 2007 in Kraft getretenen Gesundheitsreform, ist in § 12 SGB V geregelt und bedeutet:
  • Wirtschaftlich
  • Ausreichend
  • Notwendig
  • Zweckmäßig

Die Krankenkassen übernehmen NICHTS, was dem nicht in allen Punkten entspricht und haben auf diesem Vehikel seither - und wir erleben nur die Anfänge - die Leistungen für ihre Versicherten massiv zusammengestrichen. Dies gilt sowohl für den ambulanten als auch für den stationären Bereich. Vom Goldstandard oder auch nicht evidenzbasierter Medizin einmal ganz zu schweigen, denn gerade in diesem Bereich agieren die Erstattungsregeln der GKV in einem Maße restriktiv, dass man beinahe kotzen könnte. Aber dies wiederum ist keine Frage und Folge der Leistungsbereitschaft der GKVen sondern eine Folge von WANZ.

Dabei ist ganz besonders auf den Aspekt "notwendig" abzuheben. Besteht keine "Not" ... gibt es nichts und basta. Im Ergebnis werden bestimmte Diagnosemethoden schon nicht angewandt und Behandlungen bzw. Therapien eben nicht durchgeführt.

Dass es dadurch unter Umständen zu lebensbedrohlichen Situationen kommen und zu einer Minderversorgung gesetzlich Versicherter kommen würde, war den meisten Gesundheitsökonomen und allen Medizinern bekannt und klar und man hat diese Politik der Rot-Grünen Regierung stillschweigend in Kauf genommen; bis auf einen, der die Sache 1998 auf den Punkt brachte - Carsten Villmer, der bekanntlich von einem "politisch gewollten sozialverträglichen Frühableben" sprach.

Wie man es dreht und wendet, an § 12 SGB V ist zu drehen und nicht blindwütig klassenkämpferisch am System der Versicherungen; ohne zu verhehlen, dass mit Blick auf den Aspekt der Übertragung von Rückstellungen beim Wechsel von PKV zu GKV sicher mit Nachdruck einzugehen wäre. Das erwähnte ich schon andernorts.

Daneben fehlen erneut die hard facts, Syna. Von Einzelbeispielen auf´s Ganze zu schließen bringt wenig weiter, schon gar, wenn die Beispiele keinen Anspruch erheben können, als Regelbeispiele betrachtet zu werden. Das ist wenig zielführend.

Im Einzelnen:

Zu 2. - "Fehlallkokation"

Zitat:
"Ein bekannter Spitzenchirurg einer deutschen Universitätsklinik operiert vor allem Leistenbrüche. Und zwar obwohl er sich auf Bauchspeicheldrüsenkrebs spezialisiert hat. Statt nun alle Fälle mit Bauchspeicheldrüsenkrebs im Umfeld zu operieren – was zeitlich gut ginge, da die Krankheit nur selten ist – übernimmt er nur einen kleinen Teil davon und behandelt hauptsächlich Leistenbrüche. Operiert er einen Bauchspeicheldrüsenkrebspatienten der AOK, dann steigt sein persönliches Einkommen nicht um einen einzigen Euro. Operiert er stattdessen in der gleichen Zeit 5 Privatpatienten mit Leistenbruch, hat er zusätzlichen 3000 Euro verdient."
 
Erstens ist damit nicht gesagt, dass er den Bauchspeicheldrüsenkrebs des AOK-Patienten nicht operiert und zweitens ist damit letztlich nichts gesagt.
Was das "Umfeld" angeht, so fehlt hierzu jede Erläuterung. Solltest du behaupten wollen, dass der Bauchspeicheldrüsenkrebspatient nicht operiert wird, weil stattdessen 5 Leistenbruchoperationen anstehen und der Patient aufgrund des Umstands der Nichtoperation verstirbt, obwohl nicht nur die OP indiziert war und NIEMAND (also auch der Bauspeicheldrüsenspezialist) operierte - wobei ich es allerdings für reichlich uninformiert halte, anzunehmen, dass nur ein einziger Arzt (Spezialist) in der Lage sei zu operieren - wär eine Strafanzeige angebracht. Sollte die AOK der Universitätsklinik die mit der "Versendung" des Chirurgen verbundenen Kosten als entsandtem Chirurgen entstehenden Kosten (Beispiel: München-Hamburg-München) übernehmen, glaube ich schon, dass der Chirurg von der Klinik in Ansehung des zwischen der Klinik und dem Chirurgen bestehenden Anstellungsvertrags temporär freistellen würde. Zugleich sei darauf hingewiesen, dass es in D einige hundert Chirurgen gibt, die nach Gold-Standard Bauspeicheldrüsenkrebs zu operieren in der Lage sind.

Im übrigen ist auch hier von der Gesetzeslage auszugehen, die da lautet: WANZ. Und was WANZ ist, entscheidet nicht der Arzt (auch nicht der Klinikarzt) sondern der Gemeinsame Bundesausschuss und ganz oben an der Spitze der Pyramide die GKV.

Wo waren noch gleich die MILLIONEN gesetzlich Versicherten als es darum ging, in Berlin gegen die Gesundheitsreform auf die Straße zu gehen, wozu die gesamte deutsche Ärzteschaft insbesondere auch ihre Patienten aufgerufen hatte? Richtig. Auf der Couch.


Zitat 2:
"Die knappste Ressource in unserem Gesundheitssystem, die Zeit der Superspezialisten, wird oft für Trivialeinsätze verschwendet, damit diese Leute gut verdienen und die Privilegierten zu jedem Zeitpunkt die bestmögliche Versorgung genießen. Diese Fehlallokation ist in fast jedem Fachbereich. Es ist also kein marginales Problem, das mal auftritt. Nein es ist die Regel - und führt zu erheblichen Verzerrungen und Ineffizienzen des Gesundheitssystems. Die Spezialisten verbringen einen überproportional großen Teil ihrer Arbeitszeit mit den Erkrankungen privat Versicherter, statt sich um die schweren Fälle aller Versicherten zu bemühen."

Zahlen, Daten, Fakten !! Syna, du scheinst über irgendwelche persönlichen, negativen Erfahrungen zu verfügen, aus denen aber ein allgemeiner Ansatz nicht ableitbar sein dürfte. Außerdem verwechselst du "klinische Forschung" mit "ärztlicher Versorgung".

Die von dir aufgestellte Behauptung, dass die Spezialisten sich überproportional mit den Erkrankungen privat Versicherter beschäftigen, statt sich um die schweren Fälle aller Versicherten zu bemühen, dürfte den Tatbestand der üblen Nachrede (§ 186 STGB) erfüllen.

Der entscheidende Ansatz resultiert vielmehr - wie erwähnt - aus "WANZ":


Zu 3. - "klinische Forschung"

Das Problem ist bekannt, aber keine Folge einer "Zwei-Klassenmedizin". Es ist vielmehr eine Folge verfehlter Forschungspolitik und der Subventionierungs-"Fehlallokation" auf deutscher und europäischer Ebene.

Sofern Drittmittel nicht in die Forschung fließen, sondern in den allgemeinen Aufwand der Kliniken, so ist auch das keine Frage der Gegenüberstellung von PKV und GKV oder ein Argument pro solidarischer Gesundheitsversorgung, sondern ebenfalls eine "Fehlallokation", welche durch verfehlte Subventionierung (in diesem Fall Spenden) hervorgerufen wird.

Die Abwanderungsquote der medizinischen (klinischen) Forscher (ins Ausland) ist wiederum eine Folge dessen und überdies eine Folge der so entstehenden Unterbudgetierung von Forschungskräften.

Der Ansatz, dies zu ändern, ist nicht im Bereich der Versicherungsarten zu suchen und finden, sondern in einer Veränderung der Forschungs- und Wissenschaftspolitik


Zu 4. - "Uneffiziente duale Strukturen"

Der von dir geschilderten Fallkonstellationen hat nichts mit dem Fall der sog. "Drehtürmedizin" zu tun und ist auch keine Folge eines etwaigen Missverhältnisses zwischen PKV- und GKV-Versicherungsleistungen. Auch Drehtürmedizin selbst ist keine solche Folge.

Drehtürmedizin ist eine Folge der fortschreitenden Privatisierung von Krankenhäusern zu Gunsten von, mit der Politik verflochtenen Krankenhauskonzernen.


Gruß
Dietmar aka DSLawFox



Am 13. Dezember 2011 14:36 schrieb syna <syna AT news.piratenpartei.de>:

K K schrieb:

Guten Morgen!

Ich würde immer noch auf die angekündigte Erläuterung vom:
2. Erheblichen Fehlallokationen in fast jedem Fachbereich.
3. Schlechteren Forschungsleistungen in der Medizin.
4. Uneffizienten duale Strukturen (doppelte Facharztschiene, Drehtürmedizin) - nur zum Wohle
der Privatversicherten.*
... Warten. Kommt da noch was? Vokalem Punkt 3 wäre interessant und bei Punkt 4 va was will mir die doppelte Schiene sagen?(hier rein Verständnis)

Und dann eine weitere Frage in die Runde: Wie wären denn die Ideen gkv only oder pkv only mi dem noch nicht gebohrenen bge zu verbinden?

Bye ab zum "leben"
Klaus

Hallo Klaus,

sorry, wenn es etwas dauert, aber natürlich "kommt da noch was". Aber der Reihe nach - denn - es ist leider eine verflixt "komplexe Materie" - und trotzdem müssen wir darüber ja irgendwie kommunzieren, also komplexe Sachen nachvollziehbar darstellen ... wir haben also 3 Themen (2), (3) und (4):

*2. Erhebliche Fehlallokationen

3. Schlechteren Forschungsleistungen in der Medizin.
4. Uneffizienten duale Strukturen (doppelte Facharztschiene, Drehtürmedizin)*

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2. Erhebliche Fehlallokationen

Unter "Allokation" - das wissen wir ja alle - versteht man allgemein die Zuordnung von beschränkten Ressourcen zu potentiellen Verwendern. Im Krankenhaus sind die "beschränkten Ressourcen" die Spezialisten, die bei vielen ernsten Erkrankungen lebensentscheidend sind. Die "potentielle Verwender" sind die ernsthaft erkrankten Patienten. Und da gibt es PKV-Patienten und GKV-Patienten.

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Beispiel Fehlallokation
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Ein bekannter Spitzenchirurg einer deutschen Universitätsklinik operiert vor allem Leistenbrüche. Und zwar obwohl er sich auf Bauchspeicheldrüsenkrebs spezialisiert hat. Statt nun alle Fälle mit Bauchspeicheldrüsenkrebs im Umfeld zu operieren – was zeitlich gut ginge, da die Krankheit nur selten ist – übernimmt er nur einen kleinen Teil davon und behandelt hauptsächlich Leistenbrüche. Operiert er einen Bauchspeicheldrüsenkrebspatienten der AOK, dann steigt sein persönliches Einkommen nicht um einen einzigen Euro. Operiert er stattdessen in der gleichen Zeit 5 Privatpatienten mit Leistenbruch, hat er zusätzlichen 3000 Euro verdient.

Dazu muss man wissen: Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine aggressive Krankheit, 90% überleben das erste Jahr nicht. Bei einem Eingriff durch einen erfahrenen Operateur ist die Sterbewahrscheinlichkeit direkt nach dem Eingriff nur halb so groß (5,8%) wie bei Patienten, die von wenig erfahrenen Ärzten operiert werden (12,9%).

Die knappste Ressource in unserem Gesundheitssystem, die Zeit der Superspezialisten, wird oft für Trivialeinsätze verschwendet, damit diese Leute gut verdienen und die Privilegierten zu jedem Zeitpunkt die bestmögliche Versorgung genießen. Diese Fehlallokation ist in fast jedem Fachbereich. Es ist also kein marginales Problem, das mal auftritt. Nein es ist die Regel - und führt zu erheblichen Verzerrungen und Ineffizienzen des Gesundheitssystems.

Die Spezialisten verbringen einen überproportional großen Teil ihrer Arbeitszeit mit den Erkrankungen privat Versicherter, statt sich um die schweren Fälle aller Versicherten zu bemühen. Die Situation hat sich noch verschlechtert, seit die privaten Krankenversicherungen verlangen, dass der liquidierende Spezialist die Leistung auch selbst erbracht haben muss, um abzurechnen, während in der Vergangenheit oft die Arbeit von weniger qualifizierten Ärzten durchgeführt werden konnte, und der Spezialist sie nur abgerechnet hat. Man stelle sich vor, dass die besten Hochschullehrer nur die Kinder von Beamten oder Einkommensstarken unterrichten würden (eine Situation, von der wir aus anderen Gründen leider nicht weit entfernt sind). Die Spezialisten sollten besser bezahlt werden auf der Grundlage der Qualität ihrer Arbeit, nicht wegen des Anteils an Privatpatienten. Dieses System hat in der Zwischenzeit sogar die Forschungsleistungen der deutschen medizinischen Fakultäten deutlich reduziert, Spitzenplätze werden in fast keinem Bereich der klinischen Forschung mehr eingenommen (siehe dazu: Rothmund, M.: Die Stellung der klinischen Forschung in Deutschland im internationalen Vergleich, 1997, Dtsch. Med. Wschr. 122, 1358-1362. Adams J, Benchmarking international research. 1998, Nature 396, 615-
618. )

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Zusammenfassung Fehlallokationen
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Das heißt also: Die in allen Fachbereichen der Kliniken verbreitete Fehlallokation bedingt Ressourcenknappheit für GKV-Versicherte - und bedeutet damit mittelbar den Nicht-Zugang von GKV-lern zu Spezialisten, wenn es um Leben und Tod geht.


Wir sehen also: Die PKVen betreiben nicht nur ein höchst parasitäres Geschäftsmodell - nämlich dadurch, dass sie sich in keiner Weise an der Solidariät beteiligien. Die PKVen sorgen durch Fehlallokationen sogar für Ineffizienzen, Ressourcenverschwendung(!) und verwehren GKV-lern, die ja die Solidarität bezahlen (!), in besonders ernsten Fällen die adäquate Behandlung durch Spezialisten.

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3. Schlechteren Forschungsleistungen in der Medizin.

Das klingt oben (Punkt 2 Fehlallokationen) ja schon ein bißchen an. Die Zweiklassenmedizin ruiniert die Forschung, weil zu viele Spezialisten nach Abschluss ihrer extrem aufwändigen Ausbildung aus der Forschung aussteigen und sich der Behandlung von Privatpatienten widmen. Denn mit der Forschung alleine kann an einem deutschen Universitätskrankenhaus nicht viel Geld verdient werden. Wirbt der klinische Forscher in großem Umfang Drittmittel von der Industrie ein, geht das Geld komplett an die Klinik, für ihn bleibt nichts. Beansprucht er einen Teil der Mittel für Tätigkeiten außerhalb des engen Forschungsvorhabens, läuft er Gefahr, wegen Korruption angeklagt zu werden. Viele ziehen sich deshalb zum Zeitpunkt der Berufung weitgehend aus der aktiven Forschung zurück, behandeln Privatpatienten, werden einigermaßen vermögend und bewerten die Ergebnisse der Forschungsgruppen im Ausland, ohne selbst etwas dazu beizutragen.

Keine Ausnahme, geradezu typisch ist der deutsche Universitätsprofessor, der seinen Kollegen für ein Honorar der Pharmafirma die Forschungsergebnisse aus den USA erklärt und somit eine Art Marketing-Galionsfigur der Firma darstellt. Im Fachjargon wird von einem habilitierten „Mietmaul“ gesprochen. Es ist so peinlich wie traurig, wenn man erleben muss, dass viele hochdotierte deutsche Universitätsprofessoren nur bei den sogenannten Satellitensymposien der internationalen Fachkongresse eine Rolle spielen. Dabei handelt es sich um Marketingveranstaltungen der Pharmafirmen, die parallel zum eigentlichen wissenschaftlichen Programm ablaufen.

Der Verlierer dieses Systems ist der gesetzlich Versicherte – und die gesamte Gesellschaft durch den Niedergang der klinischen Forschung. Dabei wird fast die gesamte Infrastruktur der Universitätskliniken von Beitragszahlern der Gesetzlichen Krankenversicherung und aus Steuermitteln bezahlt. Stärker als alle andere profitieren davon die zehn Prozent privat Versicherten, für die wir in Deutschland die aufwändigste Therapie weltweit vorhalten.

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4. Uneffizienten duale Strukturen (doppelte Facharztschiene, Drehtürmedizin)

Drehtürmedizin ... was ist das eigentlich?

Jeder bemerkte wahrscheinlich schon, dass der Eingang von großen Kliniken (allerdings auch von Einkaufszentren oder Kaufhäusern) durch Drehtüren ausgeführt ist. Diese sind die Metapher für die "Drehtürmedizin", die ich hier prägnant beschreiben möchte:

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Der gesetzlich Versicherte bemerkt Blut im Urin und geht zum Urologen. Es wird Prostatakrebs festgestellt. Der niedergelassene Urologe überweist an die örtliche Klinik. Der Patient hat keine Ahnung, dass bei einer Prostataoperation viel davon abhängt, wie oft die Klinik den Eingriff vornimmt und wie stark der Operateur spezialisiert ist. Verschiedene Studien zeigen, dass Männer seltener unter Inkontinenz und Impotenz leiden und schneller aus dem Krankenhaus entlassen werden können, wenn die Prostata von einem auf diesem Gebiet erfahrenen Urologen entfernt wird. Amerikanische Fachgesellschaften empfehlen deshalb 55 Eingriffe pro Jahr und Krankenhaus – eine Quote, die in Deutschland nur ein Viertel der Kliniken, die Prostataoperationen durchführen, auch erreichen. Vielmehr werden in Deutschland die Fälle so gut auf die Krankenhäuser verteilt, als ob die Forschung bewiesen hätte, dass die Ergebnisse der Operation um so besser wären, je weniger Erfahrung der Chirurg mit dem Eingriff hat.

Gibt es Komplikationen, beispielsweise unkontrollierten Harnabgang, dann geht der Patient zurück zu seinem niedergelassenen Urologen. Dieser versucht jetzt, das Problem in den Griff zu kriegen. Er hat die Operation allerdings nicht durchgeführt, er kennt den Verlauf des Falls nur aus der Akte, die er oft erst mit wochenlanger Verspätung bekommt. Er fühlt sich für die Folgekrankheit vielleicht gar nicht verantwortlich, während der Operateur den Fall ganz aus den Augen verliert. Die niedergelassenen Ärzte, etwa ein Röntgenarzt, der Urologe und ein Spezialist für Innere Medizin besprechen den Fall niemals gemeinsam, sie tauschen nur Akten aus. Richtig zuständig fühlt sich niemand, bestenfalls der Hausarzt, der aber mit solchen Fällen noch die wenigste Erfahrung hat.

In den USA, den skandinavischen Ländern und den Niederlanden würde der Fall anders ablaufen. Die Behandlung würde in der Regel in einem Zentrum für Prostatakrebs durchgeführt, die Komplikationsrate fiele dort wahrscheinlich niedriger aus. Diese Versorgung durch Spezialisten aus einer Hand hat sich nicht nur als besser, sondern auch als kostengünstiger erwiesen.

Sie steht aber in Deutschland ausschließlich dem privat Versicherten zur Verfügung, weil sie die Ärzte frei auswählen können und die Fachleute sie gerne behandeln. Im Fall von Komplikationen können sie daher auch nach dem Eingriff von dem Arzt ambulant weiterbetreut werden, der sie operiert hat.

Der gesetzlich Versicherte Patient wird dagegen nach Auftreten einer Komplikation „durch das System gereicht“. Dabei gerät er an Ärzte, die mit Fällen wie seinem keine oder wenig Erfahrung haben. Ist seine Behandlung aufwändig und durch die Budgets des niedergelassenen Arztes nicht gedeckt, so überweist man ihn phasenweise in das Krankenhaus zurück. Die Drehtürmedizin beginnt: Anlässlich einer jeden Verschlechterung seines Leidens wechselt er vom niedergelassenen in den stationären Bereich und wieder zurück.

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Uff - viel Text, ich hoffe auch verständlich. Wer hier nur den letzten Satz liest: Es lohnt sich,
alles zuvor zu lesen, wirklich.

Grüsse, Syna.




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