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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- Subject: Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise"
- Date: Fri, 13 Mar 2015 18:31:44 +0000
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- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hi,
noch bißchen genauer dazu:
Frage: Wird im "Vertrag" tatsächlich "Vertrauen" hergestellt?
Oder tritt anstelle des Vertrauens etwas, daß Du als "Verlässlichkeit" bezeichnest - die Verlässlichkeit, die der Gläubiger ggf mit Rechtsmitteln einfordern kann?
Wenn ich Dir vertraue, gibt es keinen (einklagbaren) Vertrag - so zB bei Familiendarlehn.
Genau - bei verwandtschaftlicher Solidarität braucht es keinen Vertrag. Man kennt sich gegenseitig, und hilft sich gegenseitig aus. Natürlich erwartet man auch, daß der andere sich irgendwie "revanchiert" (Reziprozität), aber im Rahmen seiner Möglichkeiten - so wie er es kann, und wann er es kann. Und wenn er es nicht kann, und es ist ersichtlich und verständlicherweise so, dann ist das eben so - und nix wird vollstreckt.
Deswegen kann man das auch nicht wirklich "Darlehen" nennen. Sondern eben eher verwandtschaftliche Solidarität, Gabe und Gegengabe. Eine ganz andere Form des Ausgleichs von Geben und Nehmen als der Vertrag, der zwischen freien und gleichen (und deswegen abstrakten) Rechtspersonen OHNE Ansehung ihrer jeweils persönlichen Situation geschlossen wird und auch relativ anonym geschlossen werden kann (Personalausweis reicht für die Rechtsfähigkeit, man muß den Ladenbesitzer und die Angestellten nicht kennen, um bei Aldi einkaufen gehen zu können).
Verwandtschaftliche Solidarität war die historisch früheste Form sozialer Beziehungen (daher nannte Marx das "Urkommunismus"), allerdings auf relativ kleine Gruppen beschränkt. Sie galt bis zu den Stammesgrenzen, aber nicht weit drüber hinaus.
Irgendwann kam eine zentrale Autorität dazu - und damit die soziale Beziehungsform herrschaftlicher Redistribution (Natural-Abgaben für Priesterkönige). Aber das passierte längst nicht überall! Also gibt es auch keine "evolutionäre Zwangsläufigkeit" ("Höherentwicklung"), sondern man muß jeweils genau gucken, wie und aus welchen Gründen das zustandekam. Die Entstehung zentraler Autoritäten ist eins der großen ungelösten Rätsel der Sozialwissenschaften, zu dem es viele mehr oder weniger plausible Theorien gibt, aber keinerlei Konsens - weil die Theorien allesamt mehr oder weniger spekulativ sind (Geschichte kann man halt nicht beobachten, nur rekonstruieren).
Irgendwann aber wendeten sich Leute GEGEN diese zentrale Autorität oder beseitigten sie - und führten die Beziehungsform des "Vertrags" ein (wohl zuerst im antiken Griechenland - polis - zwischen freien Grundeigentümern). Sie bezogen sich also als freie/gleiche Eigentümer aufeinander - als "unabhängige Privatpersonen". Auch das passierte längst nicht überall, sondern lokal begrenzt - also auch nicht mit evolutionärer Zwangsläufigkeit!
Auch die Gründe für DIESE Veränderung sind relativ ungeklärt (man stößt da in der griech. antike auf ein "dunkles Zeitalter", von dem die Historiker sagen, daß sie kaum was darüber wissen ...).
Was aber interessant ist, scheint mir, daß die Beziehungsformen 2 und 3 zwar zunächst zur verwandtschaftlichen Solidarität hinzutreten (also diese nicht ersetzen, sondern "überformen"). Daß sie aber die verwandtschaftliche Solidarität nach und nach zu unterminieren scheinen. Jedenfalls in der Moderne. Das ist eine der ganz großen Achillesfersen des Kapitalismus/der bürgerlichen Gesellschaft (deren Mitglieder sich zueinander als freie/gleiche Rechtspersonen verhalten) - der Zerfall der Familie und ihrer solidarischen Struktur, samt zunehmendem Kindesverzicht, Geburtenrückgang, und demographischer Überalterung. Daran ist Kapitalismus in der Antike schon mal gescheitert (Max Weber: Die sozialen Gründe für den Untergang der antiken Kultur).
Und auch der moderne könnte langfristig ebenfalls genau DAran zerbrechen, wenn man keine Lösung für das Problem findet (Lösungen gäbe es durchaus in Form von Genossenschaften - in den Kibbutzim, deren Mitglieder sich zueinander NICHT als freie Eigentümer verhalten, sondern als Mitglieder eines Eigentümerkollektivs, das sein Produktionsmitteleigentum kollektiv nutzt und verwaltet, sind die Geburtenraten bleibend hoch).
Worauf ich aber rauswill, ist die Frage: wie kam es denn historisch zu den "entfremdeten" Beziehungen - Vertragsbeziehungen - und dem dazugehörigen "Warenfetischismus" (Marx)?
Gruß
Wolfgang
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", ukw, 11.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", Patrik Pekrul, 11.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", David Finsterwalder, 12.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", moneymind, 11.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", ukw, 11.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", ukw, 12.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", ukw, 12.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", moneymind, 13.03.2015
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- Re: [AG-GOuFP] die Vertrauensfrage [was] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", ukw, 13.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", moneymind, 13.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", moneymind, 13.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", moneymind, 13.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", moneymind, 13.03.2015
- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", ukw, 12.03.2015
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- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", David Finsterwalder, 13.03.2015
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- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", David Finsterwalder, 13.03.2015
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- Re: [AG-GOuFP] Mal 'ne französische Perspektive zur "Eurokrise", Grosser Nagus Gint, 12.03.2015
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