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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Kredit-/Zahlungsmittelbedarf = reines Vorsprungphänomen

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Kredit-/Zahlungsmittelbedarf = reines Vorsprungphänomen


Chronologisch Thread 
  • From: Rolf Müller <rolf.mueller9 AT t-online.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Kredit-/Zahlungsmittelbedarf = reines Vorsprungphänomen
  • Date: Thu, 12 Feb 2015 22:24:25 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>


Am 12.02.2015 um 19:40 schrieb moneymind:
Hi,

Habe heute nochmal in Stützels "Paradoxa" gelesen, bis ca. S. 26.

Mir leuchtet folgendes ein:

Wenn Käufe und Verkäufe im Gleichschritt stattfinden, entsteht kein nennenswerter Kreditbedarf. Der Kreditbedarf ist also ein reines Vorsprungphänomen.

Bedeutet das nicht im Umkehrschluß: wenn wir die gegenwärtige Situation als "Schuldenkrise" oder wahlweise auch "Guthabenkrise" wahrnehmen und die Ursachen im "Geldsystem" vermuten - übersehen wir dann nicht die sozusagen darunter verborgenen Kaufs-/Verkaufs-Ungleichgewichte, die sozusagen das Primärphänomen wären?

Das scheint mir eine ganz essentielle Einsicht zu sein, die aber ja gerade bei den Leistungsbilanzungleichgewichten zwischen den verschiedenen Ländern offensichtlich ist - aber natürlich nicht nur dort gilt, sondern ganz generell.

Habt ihr das hier schon mal systematisch thematisiert? (Ich erinnere mich nicht daran, bin aber ja auch noch nicht so lange dabei)
Ich habe im September 2013 genau diesen Aspekt benannt um Mitstreiter für eine genaue Untersuchung und die Lektüre von Stützel zu gewinnen. Damals war mir allerdings überhaupt nicht klar bis zu welcher Granularität diese Vorsprungsphänomene zu erfassen sind. Leider ist niemand darauf angesprungen. Aber 'was lange währt wird endlich gut' - hoffentlich.
(die Ironie ganz am Schluß ist ohne den Kontext nicht zu verstehen)


Am 15.09.2013 um 10:27 schrieb Rolf Müller:

Am 14.09.2013 19:10, schrieb matthias garscha:
hallo,


aufgrund von  Recherche Arbeiten bin ich in verschiedenen Quellen wiederholt auf eine geldtheoretische Frage von großer Brisanz für die Makroökonomie und die Finanztheorie gestoßen: Quelle: Dissertation über die:  Hypothese Finanzieller Instabilität (Hyman Minsky) Versuch der theoretischen Abgrenzung und Erweiterung (2002), Universität Freiburg /Schweiz
https://dl.dropboxusercontent.com/u/14730145/Diss.-Hypothese%20finanzieller%20Instabilit%C3%A4t-von%20Hyman%20Minsky.pdf

Dort steht über die Frage: Was ist die richtige Geldtheorie? (Seite 148ff)
Eine Geldtheorie die sich auf eine Unterscheidung zwischen staatlichem Bankensektor (ZB), nichtstaatlichem Bankensektor (GB) und Nichtbankensektor beschränkt wird immer unzureichend bleiben.  Die Verteilung von Depositen und Krediten zwischen dem Unternehmenssektor und dem Nichtunternehmenssektor sind von entscheidender Bedeutung. Sie bestimmt maßgeblich Kreditbedarf von (realwirtschaftlicher) Investition und Konsum, sowie Liquiditätspräferenzen dieser Sektoren. 

Die Unterscheidung zwischen exogener und endogener Geldmenge bezieht sich auf die Abhängigkeit des Geldangebotes von der Geldnachfrage

Sowohl der strikt exogene als auch der strikt endogene Ansatz machen keine Unterscheidung hzwische Liquiditätspräferenz und Geldnachfrage( gerade weil die endogenen Anhänger die Liquiditätpräferenz von Banken ignorieren und die negativen konsequenzen einer steigenden Liquiditätspräferenz (LQP) der Nichtbanken vernachlässigen kann jegliche Kreditnachfrage immer befriedigt werden und die LQP keine Rolle spielen (Wray 1992, S. 172).
Der Einbezug einer klaren Unterscheidung zwischen Liqiditätspräferenz und Geldnachfrage sowie von Minskys Erkenntnissen hinsichtlich der Rolle der Bilanzstruktur führt laut Wray zu einer realitätsnäheren Darstellung und Stärkung des Konzeptes der endogenen Geldmenge (Wray 1990, S. 134)


Die reine Betrachtung von Geld und Kredit als Bestandsgößen ist nicht zielführend. Darüberhinaus sorgt die "shiftability" von Geld unterschiedlichen Liquiditätsgrades dafür, daß jede Geldmengenunterteilung willkürlich und von sehr eingeschränkter Aussagefähigkeit ist. Notwendig ist die dynamische Betrachtung von Geld und Kredit als Stromgrößen mit dx/dt->0.
Das Konzept einer exogenen Geldmenge kann mttels der Aussage " Reserven verursachen Geld ",
jenes der endogenen Geldmenge mittels " Geld verursacht Reserven " zusammenfassend beschrieben werden.

Die Ausgestaltung

Etwas verfeinert: der exogene Ansatz der Geldtheorie (Neoklassik, Monetaristen und Neokeynsianer) kann somit etwas detaillierter als a) Depositen begründen Reserven b) Reserven begründen Kredite beschrieben werden.
Für ein rein exogendes Geldsystem (positiv Money) gilt:
- Reserven begründen Kredite
- Staatliche Ausgabenüberschüsse (Kredite) begründen Depositen der übrigen Sektoren.
Für ein überwiegend endogenes Geldsystem gilt:
a) und b) sind falsch: Depositen begründen vermittelt über Reserven keine Kredite .
Die einzige korrespondierende Kausalität ist folgende:
Staatliche Ausgabenüberschüsse (Kredite) begründen Depositen der übrigen Sektoren.
Die endogene Konzeption (Postkeynsianer, Minskyaner und MMT) kann mittels folgender drei Punkte
a) Kredite begründen Depositen b) Depositen begründen Reserven c) die Geldnachfrage induziert das Geldangebot beschrieben werden.
a) ist falsch: Kredite begründen keine Depositen.
Die einzige korrespondierende Kausalität ist folgende:
Staatliche Ausgabenüberschüsse (Kredite) begründen  Depositen der übrigen Sektoren.
b) ist korrekt.
zu c):  Hier ist zu unterscheiden zwischen 1) Krediten für spekulative Finanzprodukte(Depositen/Derivate) und Krediten für 2) Sachvermögensmehrende (realwirtschaftliche) Investitionen.
Für 1) ist c) eigescheänkt gültig. A) Wegen der positiven Rückkopplung gilt ebenso daß das steigende(sinkende) Geldangebot eine steigende(sinkende) Geldnachfrage induziert. Allerdings ist zum vollständigen Verständnis der Wirkungszusammenhang B) mitzubetrachten (s. B)->A)
Für 2) ist die Aussage c) falsch. Hier gilt vielmehr
B) Die Kredit(Geld-)nachfrage für Investitionen (Unternehmenssektor) ist maßgeblich eine Funktion der Verteilung der Depositen unter den Sektoren Unternehmen und Nichtunternehmen. (Nachfrage nach realwirtschaftlichen Gütern)

B) -> A)
Wegen der negativen Korrelation von Kredit(Geld-)nachfrage für Investitionen zur Kredit(Geld-)nachfrage für spekulative Finanzprodukte(Depositen/Derivate) gilt,
Die Kredit(Geld-)nachfrage für spekulative Finanzprodukte(Depositen/Derivate) ist eine Funktion der Verteilung der Depositen unter den Sektoren Unternehmen und Nichtunternehmen.

Können wir hierüber Konsens erzielen? Welche Geldtheorie deckt dies ab?

L. Randell Wray entwickelte seit den 90iger Jahren als Schüler von Hyman Minsky einen alternativen Ansatz der endogenen Geldmenge, der sich von der Theorie einer reinen endogenen Betrachtung unterscheidet.
Seite 153 - 160 (in der Dissertation: sind sehr interessant für Geldtheoretiker)
Da Wray auch der MMT zugeordnet wird, besteht hier eine interessante Verknüpfung zwischen der Theorie Minsyky`s (Hypothes finanzieller Instabilität) und  dem alternativen geldtheoretischen Ansatz von Wray. Sie erscheinen kompatibel. Dabei hilft die Unterscheidung von Liquidität und Geld resp. Liqiditätspräferenz und Geldnachfrage das Investitionsmodell von Minsky genauer zu formulieren. Die Liqiuditätspräferenztheorie ist nämlich keine Theorie der Geldnachfrage.

Die Ideengeschichtliche Herleitung des Ansatzes des Ansatzes von Minsky sieht wie folgt aus:
1) Hilferding ( Das Finanzkapital 1912) beeinflusste den Ökonomen Schumpeter. In einem Kommetarband von der UNI Frankfurt wurde Hilferdings Werk als grundlegend für die moderne Theorie bis Minsky und Wray bezeichnet und erscheint auch heute noch sehr aktuell. Gerald Braunberger (FAZ, 2000)

2) Schumpeter artikulierte als erster den Begriff das Banken Geld aus dem Nichts schaffen können (1934) Minsky ist ein Schüler von Schumpeter. Gleichzeitig bekannte er sich immer zu Keynes. Aus diesen beiden Quellen ging seine "Hypothese der Finanziellen Instabilität" hervor.
3) Sowohl Keynes, Hayek und Minsky erkannten , das die Geldmenge eine endogene Größe ist. Jedoch haben Sie alle unterschiedliche Schlußfolgerungen aus dieser Erkenntnis gezogen. Oder sind absichtlich falsch interpretiert worden (Im Falle Keynes)

4) Minskys Geltheorie war unvollkommen und erfuhr durch die Erweiterungen von Randell Wray eine entscheidende Verbesserung. 1996 starb Minsky in New York. in der Finanzkrise 2007/08 erfuhr Minskys Hypothese  eine große Anerkennung, weil er die Realen Ereignisse am besten erklären konnte.
Die genauen Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen der MMT und den Minskyanern müssen noch herausgearbeitet werden (beide werden dem Postkeynsianismus zugeordnet?)

Fortsetzung folgt.

Falls es tatsächlich so ist, daß die Postkeynsianer eine ebenso falsche, wenn auch gegensätzliche Kausalitätsannahme explizit machen oder auch nur immer mitdenken und/oder die differenzierte Betrachtung der Sektoren Nichtunternehmer und Unternehmer unterlassen, dann ist das fehlende Puzzlestück offenbar die Kreditmechanik die vor allem von Wilhelm Lautenbach, Hans Gestrich, Otto Pfleiderer und Leonhard Gleske entwickelt und von Wolfgang Stützel zur Volkswirtschaftlichen Saldenmechanik weiter ausgearbeitet wurde. Sie benennen als Krisenursache die Lautenbach als "Phasengleichschaltung" die in der saldenmechanischer Terminologie formuliert, erst durch die differenzierte Betrachtung des Regelfalles von "Vorsprung- und Nachhinkeffekten" und des "Ausnahmefalls von Ausgabengleichschritt" zutage treten.

Alle Mitlesenden die sich wirklich mit Geldtheorie befassen und Theoretische Ansätze im Original lesen bitte ich die genannten Aspekte mitzuprüfen. (Thomas Weiss liest ja gerade Minsky und Patrik liest Keynes und beide hoffentlich bald auch Stützel :-) )




Ergänzungen:


In der Geldtheorie herrscht heute also nur eines, die Uneinigkeit der Ökonomen. Auch hier in der AG haben wir in der Vergangenheit diesen Streit erlebt (zum Teil sehr lebhaft). Viel Aufmerksamkeit hat letztes Jahr (März 2012) eine Debatte zwischen Krugman und Steve Keen (MMT) in der Blogossphäre erfahren, die diesen Konflikt exemplarisch abbildet.

http://www.cnbc.com/id/46944145

Steve Keen hat seine Position sowohl auf seinem Blog (wo er den Nachweis eines endogenen Geldsystems ersucht), als auch bei  seinen Auftritten bei den INET Konferenzen in Berlin (2012) sowie Hongkong (2013) dargelegt:
http://ineteconomics.org/sites/inet.civicactions.net/files/keen-steve-berlin-paper.pdf


In letzter Zeit hat sich  bei mir eine Sichtweise durchgesetzt, die besonders von den schweizer Finanzjournalisten Markus Diem Meier und Markus Dittli vertreten wird. Sie geben die Positionen der Minsky Schüler  Dirk Bezemer und Steve Keen wieder. In der AG Geldordnung wurden schon einige Positionen (Videos von Bezemer) aufgenommen. Doch auch progressive Mainstream Ökonomen verdienen unserer Aufmerksamkeit (Claudio Borio, Raghuram Rajan, Dani Rodrik, Simon Johnson). Gerade wen sie sich von orthodoxen Positionen entfernen.

Wir müssen noch viele Zusammenhänge erforschen. Arbeitsteilung ist angesagt und wird nach meinem Empfinden verstärkt betrieben. Lasst uns vorsichtig sein und nicht vorschnell daran glauben schon den Gral gefunden zu haben. Das schränkt die eigene Offenheit gegenüber anderen Thesen ein und lässt einem dogmatisch werden.
Ob Steve Keen wohl die Kreditmechanik bzw. die Weiterentwicklung Saldenmechanik kennt?
lg
matthias


@matthias: Vielen Dank für deinen Beitrag! Setze deine Recherche Arbeiten unbedingt fort. Er hat die Debatte in unserem Autorenkollektiv inspiriert und zur umgehenden Autorisation des obigen Beitrages veranlaßt. Hoffentlich haben wir hier keinen die Konfusion befordenden Schnellschuß produziert. ;-)

-- 
instead of focusing on our differences, 
we should look at what we all have in common...
http://www.youtube.com/watch?v=qLci5DoZqHU

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