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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] endlich - Vollgeld Kritik im Wirtschaftsdienst erschienen

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] endlich - Vollgeld Kritik im Wirtschaftsdienst erschienen


Chronologisch Thread 
  • From: Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>
  • To: Benedikt Weihmayr <benedikt AT weihmayr.de>
  • Cc: "ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] endlich - Vollgeld Kritik im Wirtschaftsdienst erschienen
  • Date: Sun, 4 Jan 2015 21:38:17 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hallo Bene,

sehr schön, man erkennt vieles wieder, was wir hier in den letzten drei Jahren (Kinners, wie die Zeit vergeht) diskutiert haben, aber an zwei Punkten würde ich doch Kritik üben:

1. Eigenkapital

"Außerdem werden mit der Capital Requirements Direc- tive IV (CRD IV) im Rahmen des Basel-III-Reformpakets ab 2015 international einheitliche Liquiditätsvorschrif- ten implementiert, die einen noch stärkeren Fokus auf etwaige Schocks in Krisenzeiten legen.14 Ergänzend dazu ist neben verschärften risikogewichteten Eigen- kapitalquoten erstmals eine Leverage Ratio, also eine tatsächliche Eigenkapitalquote ohne Risikogewichtung im Verhältnis zur gesamten Bilanzsumme vorgesehen. "

Der Absatz klingt so, als wären fest Eigenkapitalquoten irgendwie hilfreich, dabei ist doch eindeutig, dass so pro-zyklisch wirken, mithin neutral bis kontraproduktiv sind.

In guten Zeiten wächst die Bilanz wie von selbst, u.a. wegen des Fair-Value-Ansatzes, der in guten Zeiten zu optimistischeren Prognosen und Bewertungen führt als in schlechten Zeiten. In guten Zeiten ist es kein Problem geringe Ausfallwahrscheinlichkeiten und höhe Rückflüsse plausibel zu machen, also steigen die Bewertungen (schließlich ist das auch ein schöner Buchgewinn, auf den es leistungslos Boni gibt) und damit steigt das Eigenkapital. Mit dem höherem Eigenkapital steigt auch die Möglichkeit der Kreditvergabe. In schlechten Zeiten wirkt der selbe Mechanismus umgekehrt, und führt zu reduzierter Kreditvergabe - mit schlimmen Folgen. Was daran positiv sein soll, kann ich nicht erkennen.

2. Sparen

"Erst der Nicht- Konsum, also das Sparen von Kapital- und Arbeitsein- kommen führt zu einer zwingenden Dynamik. Dies führt je nach Höhe der aggregierten Nachfrage, entweder zu steigenden Investitionen oder aber zu einem Unter- beschäftigungsgleichgewicht."

Hier seid ihr meines Erachtens zu vorsichtig, weil ihr ein fundamentales Dogma in Frage stellt. Jeder gut konditionierte Ökonom wird euch an dieser Stelle entgegenhalten, dass die Ersparnis selbstredend wieder investiert wird und dieser Vorgang daher neutral ist, I=S - "Das weiss doch jeder!"

Hier wäre es wichtig gewesen darauf hinzuweisen, dass diese Gleichsetzung ein reines Artefakt ist, und in der Realität eben nicht gilt. Sparen, i.S.v. in Finanzanlagen "investieren" ist eben ein reines Stillegen von Zahlungsmitteln. Sie werden weder direkt noch indirekt kaufkraftwirksam, noch sorgen sie für (Zusatz-)Einkommen. Man muss an dieser Stelle schon verstehen wollen, aber viele wollen eben nicht.

Wieso argumentiert ihr, dass eine festgelegte Geldmenge prozyklisch wirkt (was stimmt), aber beim Eigenkapital befürwortet ihr eine (exogene) Festlegung?

Wieso weist ihr auf der einen Seite darauf hin, dass es bei gegebener Geldmenge aufgrund des engen Zusammenhangs von Geldzu- und abflüssen zur Verstärkung von Krisen kommt, aber auf der anderen Seite seht ihr stärkere Liquiditätskontrolle als Vorteil, obwohl sie diesem Zusammenhang erst herstellt.

"Denn trübt sich die Erwartungshaltung bezüglich der Solvenz oder Liquidität eines Bankinstituts ein, kann es zu panischem Verhalten der Anleger kommen, die ihr Giralgeld entwe- der in Zentralbankgeld umtauschen, oder aber zu einem anderen Institut überweisen möchten. Die Bank ist dann gezwungen, Aktiva zu Preisen un- ter ihrem fundamentalen Wert zu verkaufen. In Finanz- krisen ist es ein häufig zu beobachtendes Phänomen, dass Banken und andere Marktteilnehmer gleichzeitig versuchen, sich am Markt liquide Mittel zu beschaffen, da Gläubiger zunehmend ein systemisches Risiko ver- muten. Eine solche erzwungene Liquidierung von Akti- va führt zu einer systematischen Kreditkontraktion und damit zu einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung, was auch ursprünglich solvente Institute in den Ruin treiben kann."

In gewisser Weise macht das eure Argumentation schwach, da ihr einerseits gegen das Vollgeldsystem argumentiert - dessen Hauptschwäche die exogene Steuerung/Festlegung der Geldmenge ist - aber andererseits, befürwortet ihr Instrumente, die genau auf diesem Gedankenmodell aufsetzen (Liquiditätskontrolle und Eigenkapitalquote). Es klingt ein bisschen nach "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass".

Ich denke, es wäre besser gewesen an den Anfang zwei grundsätzliche Klärungen herbeizuführen:

1. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Aktiv- und Passivseite der Bankbilanz. Weder braucht man Kreditvergabe, um investieren zu können, noch braucht man Investitionen, um Kredite vergeben zu können, und deshalb (weil das Geld eben nicht in welche Richtung auch immer erst rein- und dann wieder rausfliesst, es entsteht und vergeht)

2. gibt es deshalb auch keinen Zusammenhang zwischen Sparen und Investieren.

Das erfordert natürlich als angehender Volkswirt eine Menge Mut, weil es zwei fundamentale Glaubenssätze der "Goldmünzendenker" direkt angreift, aber ohne dieses glasklare Fundament wird eure (gute und gerechtfertigte) Vollgeldkritik extrem wacklig, denn das Vollgeldkonzept fusst auf eben jener "Goldmünzendenke" und hat deshalb einen natürlichen Vorteil im Biotop der Ökonomen.

Aber vieles, was ihr schreibt, ist sehr zielführend, auch wenn es einiges an Vorwissen voraussetzt.

+1




Am 04.01.2015 um 13:15 schrieb "Benedikt Weihmayr" <benedikt AT weihmayr.de>:

Liebe AG,

 

Die Ergebnisse des Forschungsprojektes zur Evaluierung der Geldreformideen Vollgeld und Full Reserve Banking im Rahmen der Forschungsagenda der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld konnte ich in dankbarer Zusammenarbeit mit Dr. Martin Sauber im Dezemberheft 2014 des Wirtschaftsdienstes veröffentlichen. Die ausführliche Studie dazu wird in Kürze in der ZÖSS Discussion Paper Series Hamburg erscheinen.

Abstract

Das heutige Kreditgeldsystem wird von Kritikern zunehmend infrage gestellt. Vertreter von Vollgeld und Full Reserve Banking postulieren, dass die dezentrale Giralgeldschöpfung der Banken destruktive Boom-Bust-Zyklen, finanzielle Instabilitäten sowie strukturelle Verschuldungs- und Wachstumszwänge verursacht. Als Lösung schlagen sie eine staatliche Geldmengenemission und -steuerung vor. Die Autoren analysieren die makroökonomischen Auswirkungen und zeigen die mangelnde theoretische Fundierung dieser Reformvorschläge auf. Sie argumentieren, dass die Implementierung der geforderten Maßnahmen die Währungsqualität mindert und damit sozialökonomische Missstände verschlimmert.

http://link.springer.com/article/10.1007/s10273-014-1766-7

Unter folgendem Link könnt ihr eine Kopie des Artikels herunterladen. Bitte wahrt den Umständen entsprechend die Rechte.

https://www.dropbox.com/s/jr2t1kb10anlt9u/2014_Sauber-Weihmayr-Wirtschaftsdienst_Vollgeld.pdf?dl=0

 

 

 

mehr unter: https://benediktweihmayr.wordpress.com/2015/01/04/vollgeld-kritik-im-wirtschaftsdienst-erschienen/

 

 

Liebe Grüße

Bene


--
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https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-geldordnung-und-finanzpolitik


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