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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Adair Turner Übersetzung für den Blog

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Adair Turner Übersetzung für den Blog


Chronologisch Thread 
  • From: thomas <pazeterno AT web.de>
  • To: marie traegner <licorice_lilly AT hotmail.com>, AG-Geldordnung-und-Finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Adair Turner Übersetzung für den Blog
  • Date: Wed, 26 Mar 2014 11:45:38 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hallo Marie,


hier der Vortrag:

http://www.youtube.com/watch?v=1BP0RyY1h8w

und hier eine leicht korrigierte Version der Übersetzung:

Danke schonmal für drüberschaun


Geld, Kredit und Preise - Teil 2
(von Wicksell zur modernern Makroökonomie, September 2012)

Vortragstranskription
Adair Turner, INET

(aus dem Englischen von Thomas Bunke)

== Fiat-Money versus Kreditgeld-Schöpfung ==

Fiat-Money Erzeugung ist immer möglich und man könnte sagen, die gute
Botschaft ist, dass die öffentlichen Behörden die optimale Menge an
erzeugtem Fiat-Money frei wählen können. Und ich denke, es ist wichtig
anzuerkennen, dass es durchaus erfolgreiche Phasen in der
Wirtschaftgeschichte gegeben hat, während derer durch Erzeugung von
Fiat-Money durch staatliche Behörden Kaufkraft (spending power)
geschaffen worden ist, ohne dass es außer Kontrolle geraten wäre, und
ohne, dass das zu Hyperinflations geführt hätte.

Wenn wir auf Phasen in der US-Geschichte schauen, wie den Bürgerkrieg
und die darauffolgende Post-Bürgerkriegsepoche, in der das
US-Finanzministerium "greenbacks" kreierte und damit die Union-Army
bezahlt hat. Das war eine außerordentlich erfolgreiche Anwendung von
Fiat-Money-Erzeugung, die nicht zu einer übermäßigen Inflationsrate
geführt hat.

Jedoch sind wir immer tendenziell besorgt um Fiat-Money-Schöpfung, wegen
dessen Nachteile []:

Erstens, wenn einfach das fiskalische Defizit durch neues Fiat-Money
gestopft wird, dann ist die Allokation von ebendiesem eine politische
Entscheidung und befeuert damit entweder unwirtschaftliche Investitionen
oder die großzügige Honorierung politischer Ämter. Und zweitens,
natürlich, gibt es eine sehr starke Angst davor, dass in dem Moment, in
dem man akzeptiert, dass man nominale Nachfrage (nominal demand) durch
Fiat-Money erzeugen kann, das dann im Übermaß geschehe - und dann reden
wir über die Hyperinflations-Phasen der Weimarer Republik oder in
näherer Vergangenheit, Simbabwe.

Im Vergleich dazu scheint die Erzeung zusätzlicher Kaufkraft durch
privaten Kreditschöpfung zwei Vorteile zu haben.

Erstens: Die Alloktion wird durch Martkdisziplin determiniert -
angenommenermaßen. Und Zweitens: die optimale Menge könnte - vermutlich
- sichergestellt werden, durch eine Zinspolitik in Übereinstimmung mit
Wicksell's Ansatz, wonach der Geldzins (money rate of interest) in der
Nähe der natürlichen Zinsrate gehalten wird.

Ich denke, wir können nun die fundamentalen Probleme erahnen, die durch
den Kreditzyklus hervorgerufen werden [].

Sind diese vermeintlichen Vorteile tatsächlich vorhanden? Oder können
Situationen entstehen, in denen die Alloktion privat erzeugten Kredits
so undiszipliniert und problematisch wie bei Fiat-Money-Erzeugung ist,
wo der Zins-Kontrollprozess - "Geldzins nahe natürlicher Zins" - keine
effektive Kontrolle darstellt?
Und das dritte Problem, das entsteht, ist, dass wir durch die Erzeugung
zusätzlicher aggregierter nomineller Nachfrage durch Erzeugung
zusätzlicher privater Kredite, einen fortdauernden Kreditvertrag
hinterlassen, und fortdauernde Kreditverträge per se haben Konsequenzen.

== Hayek, Minsky, Fisher/Simons ==

Lassen Sie mich über drei Kathegorien von Problemen bei der
Kreditschöpfen reden, von denen ich denke, dass sie jenseits dessen
liegen, worauf die sich Wicksell konzentriert hatte. Jenseits des
Problems, dass da ein Zuviel an Kredit die Preisstabilität gefährden
könnte. Diese Probleme rühren von der Tatsache her, dass Banken
Kreditgeld und Kaufkraft (purchasing power) erzeugen, und es daher
darauf ankommt, <b>wem<\b> die Kreditausweitung zu Teil wird - wir
müssen dem nachgehen - sowie aus den oben schon genannten Konsequenzen
fortdauernder Kreditverträge. Wegen ebendieser gibt es Konsequenzen, die
über die Preisstabilität hinausgehen.

Diese Konsequenzen kategorisieren wir, ohne dabei wissenschaftlich
präzise sein zu wollen, unter den Schlagwörtern: "Hayek", "Minsky" und
"Fisher/Simons". Zuerst Hayek: Investitions- und
Über-Investition-Zyklen. Wie bereits gesagt, neigte Wicksell, wie viele
moderene VWL-Bücher, dazu anzunehmen, dass bei jeder Kreditausweitung,
sich auch die Bilanz eines Unternehmens ausweitet, welches in
realökonomische Projekte investiert - so dachten weitestgehend
Schumpeter, wie auch Hayek.

Nehmen wir also zunächst einmal an, das wäre der Fall. Grundlegend reden
wir also über Kreditausweitung zur Finanzierung neuer physischer
Kapitalinvestitionen. Wenn man verstanden hat, dass es das ist, wofür
Kredit da sind, kann man sich über zweierlei Konsequenzen Gedanken
machen. Die eine, die sich positiv auf das Wachstum auswirkt und die
andere, die schädliche Schwankungen im Wachstumszyklus bewirkt.

Die, die positiv für das Wachstum ist, basiert auf dem Faktum, dass,
wenn Kredit primär für Unternehmen und Unternehmer (businesses and
entrepreneurs) ausgeweitet wird - gleichwohl andere Kategorien von
Investoren realer Kapitalformen, wie z.B. eine lokale Regierung, die in
ein Infrastrukturprojekt investiert - dann kann die Kreditausweitung die
Nachfrage hin zur Investition drehen und damit weg vom Konsum. Und das
kann wiederum eine höhere Sparquote erzeugen, als unter Umständen
stattfinden würde, in denen jeder Kredit auf einer direkten Basis
vergeben wurde, und daher ein unabhängiger Haushalt eine bewusste
Entscheidung zum Sparen hätte treffen müssen.

== Erzwungenes Sparen durch Kreditvergabe ==

Und daher kommt das Konzept, über das wir uns noch nicht genügend
unterhalten haben und welches ich für gültig erachte, und, worüber viele
der Ökonomen im frühen 20sten Jhd. geschrieben haben, und zwar
"Erzwungenes Sparen". Auf die Weise kann der Kreditallokationsprozess
ein höheres Sparniveau herstellen als es anderenfalls stattfände. Hayek
beschreibt es in der monetären Theorie des Handelszykluses als eine
Vergrößerung der Kapitalisierung zu Kosten des Konsums zusätzlichen
Kredit gewähren ohne die willentliche Handlung von Individuen, die
Konsumverzicht üben, und ohne, dass sie für sich daraus einen sofortigen
Vorteil ableiten können.
Ich denke, das Konzept des erzwungenen Sparens und der
Investitionslenkung innerhalb des Kreditallokationsprozesses ist
theoretisch möglich und es gibt empirische Belege dafür in der
Wirtschaftgeschichte. Wenn man auf den Entwicklungsprozess von Japan und
Korea in den 50er, 60er, 70ern schaut [...], mit unter dem Marktzins
liegenden Kreditzinsen für Guthaben der Nichtbanken und dem
Durchschleusen günstiger Kredite durch das Bankensystem zur Industrie,
insb. Schwerindustrie, [dann wird deutlich, dass] das ein
[Erfolgs-]Faktor zum Erreichen einer höheren Investitionsrate und daher
einer höheren Wachstumsrate war.

Nichtsdestoweniger, im Moment, wo man das erwähnt, sollte man auch die
Kehrseite erkennen. Wie ich bereit vorher gesagt hatte, bin ich in China
und betrachte Probleme die mit dem hiesigen Kreditzyklus zu tun haben.
Ich denke, hier ist klar, dass die Regierung eine Kreditausweitung durch
das Bankensystem veranlasst hat, um ein investitionsgelenkte
Volkwirtschaft anzutreiben. Die höhere Investitionsrate war entscheidend
für eine höhere Wachstumsrate. Wenn man das einsieht, kann man auch die
mögliche Nachteile erkennen. So kann ein Überinvestitionszyklus
geschaffen werden, bei dem man letztendlich unwirtschaftliche
Investitionen bei geringer Grenz-Kapitalproduktivität tätigt. Und man
kann eine Wirtschaft erschaffen, die so von Nachfrage nach
kreditfinanzierten Investitionen abhängig ist, dass sich ein
fundamentales Ungleichgewicht zwischen der erzeugten Kapitalmenge und
der Konsumnachfrage nach den Konsumgüter, die das Kapital produziert,
einstellt. Und ich denke, China steht vor einem großen Problem, da
wieder herauszumanövrieren. [...]

Zunächst sollten wir [...] anerkennen, dass wir selbst erst kürzlich
durch einen solchen Hayek'schen Überinvestitionszyklus gegangen sind,
nämlich in Ländern wie Spanien und Irland. Die nächste Folie zeigt einen
von den vielen fast total verlassenen Provinzflughäfen die in Spanien
gebaut worden sind. Es wird hier sehr schön illustriert, wie auch ein
Bankensystem mit freiem Markt letztlich zu viel Kreditgeld in diesen
Zyklen erzeugen kann. Wir können also Überinvestitionszyklen im
Hayek'schen Sinn haben, auch wenn wir unter der Annahme argumentieren,
dass die gesamte Kreditausweitung zu Gunsten von Realinvestitionen in
physischem Kapital geschieht. Jedoch findet in der Tat in modernen
Volkswirtschaften die meiste Kreditausweitung, gegensätzlich zu aller
Literatur, nicht zu diesem Zweck statt. Ich denke, es ist nützlich, über
die verschiedenen Kategorien nachzudenken in deren Rahmen
Kreditausweitung stattfindet. Es werden
-Kredite an Spekulanten und Investoren vergeben, die einfach den Kauf
vorhandener Vermögenstitel damit finanzieren.
-Hypothen-Kredite an Haushalte vergeben, was Vermögenstransfer zwischen
den Generationen darstellt. (Manchmal werden damit dann neue Häuser
gekauft, aber manchmal einfach nur der Kauf von bereits bestehenden
Häusern finanziert.)
-unbesichertert Darlehen und Finanzierungskredite an Haushalte mit
Liquiditsengpässen oder schlichtweg ärmere Privatpersonen vergeben. [...]

Meine Schätzungen zu den Bilanzen des U.K., 2009, legen nahe, dass von
Ł1,2 Milliarden Bankkreditwachstum, tatsächlich nur 232 Millionen, also
nicht viel mehr als 13%, bereitgestellt worden sind, um produktiven
Investitionsprojekten, von denen Hayek, Schumpeter und Wicksell
ausgingen, zu finanzieren. [...]

== Selbstverstärkende Kreditzyklen ==

[Unter Anerkennung dieser Tatsachen] können wir eine ganz neue
Möglichkeit der Auswirkungen von Krediterzeugung erkennen, und zwar,
dass Kredit, in der Weise, wie Hyman Minsky beschreibt, Zyklen in den
Preisen von bestehenden Vermögenswerten hervorrufen, sowie in der Menge
zusätzlich geschaffenen Kredits, woraus sich selbstverstärkende Zyklen
ergeben: vermehrte Kreditvergabe befeuert steigende Vermögens-Preise,
die wiederum Anlass zu Verhaltensänderungen sind, angesichts
vermeintlicher Nettowertzuwächse, wobei beide Seiten, Kreditnehmer wie
Gläubiger, auf die positiven Anreize positiv reagieren. Kreditnehmer
stellen fest, dass der Preis ihres Vermögens nach oben geht und glauben,
es sei gescheit mehr Geld zu leihen, womit die Kreditnachfrage steigt.
Gestiegene Vermögenspreise führen zu geringeren Kreditabschreibungen,
was den Nettowert von Interbankenbesicherungen vergrößert. Es bestärt
die Leiter der Kreditabteilungen, dass es geschickt ist, Geld gegen die
existierenden Vermögen zu vergeben, egal ob es sich um geschäftliche
Immobilien handelt oder um Wohnhäuser. Damit geht die Kreditzufuhr nach
oben und die Kreditnachfrage geht hoch, mehr Kredite werden vergeben und
Vermögenspreise steigen weiter. Diese Zyklen von Krediten und
Vermögenspreisen bereits existierender Vermögenswerte sind von
fundamentaler Natur für die Dynamik von Kredit in einer modernen
Volkswirtschaft.

Und eine der Folgen davon ist, dass die Zinsratenelastizität der
Kreditnachfrage zwischen den verschiedenen Kreditkategorien sehr
variiert. Das ist ein fundamentale Problem für Wicksell's Hypothese,
dass sich der Kreditzyklus einschränken lässt, indem einfach, wie im
modernen Notenbankwesen auch üblich, nur darauf geachtet wird, dass die
Zinsrate zweckgemäß festgelegt wird. Dabei dachte doch Wicksell an neue
Kredite für neue Investitionen ("Geldzins nahe natürlicher Zins -> alles
wird gut").

Die Zinsratenelastizitäten der Kreditnachfrage werden je nach Verwendung
erheblich voneinander abweichen, und das im Lichte der Erwartungen von
Vermögenspreis-Trends, die wiederum selbst endogen von der
Kreditnachfrage gesteuert sind.

Das bedeutet, wer die Geschwindigkeit eines Booms von
Immobilien-Darlehen durch Erhöhung der Zinsrate zu veringern versucht,
läuft Gefahr den real produktiven Investitionen und dem
nichtkommerziellem Immobiliensektor echten Schaden zuzufügen - und das
lange bevor der Boom im kommerziellen Immobiliensektor gebremst wird, wo
die Schätzungen für einen akzeptablen Kreditzins an die Erwartungen an
Vermögenspreissteigerungen geknüpft sind. Es ist daher eine Gefahr, wenn
man ganz und gar auf die Zinsrate vertraut, um Kreditzyklen zu
kontrollieren.







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