ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Thomas Weiß <Weiss-Tom AT gmx.de>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen
- Date: Mon, 10 Mar 2014 13:05:52 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hey Moneymind,
Also: "Überfluß an Produktivvermögen" in Bezug worauf?
Und was meinst Du mit "Produktivvermögen" genau? Die physischen
Maschinen, Gebäude, etc.? Oder deren Vermögenswert? Oder beides?
Wie hängt beides für Dich zusammen?
gute Antwort. Ich bin mir selbst auch nicht ganz klar, was ich meine. Deshalb brauche ich auch eineinhalb Wochen für ne Reaktion :-) Die Frage, die ich mir eben stelle, ist das, was zur Zeit als "säkulare Stagnation" herumgeistert: Lässt sich mit den richtigen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen Prosperität und Wachstum wie in den 50er/60er Jahren problemlos erreichen, oder gibt es vielleicht tiefere fundamentale Entwicklungen, die ein solches Wachstum unmöglich/unnötig machen? Hat das Aufblähen des Finanzsektors die ohnehin langsam eintretende Phase geringeren Wachstums verzögert, oder war es stattdessen ursächlich für vermindertes Wachstum in der Realwirtschaft? Mir scheint es, du (und u.a. Schulmeister) bist eher der ersteren Meinung. Ich stimme voll zu, dass Vorschläge in Richtung Schulmeisters "New Deal" nötig sind, die den Realkapitalismus wieder vor den Finanzkapitalismus stellen. Mir ist aber nicht klar, wie genau dieser Zielzustand aussehen wird. Im Detail: Am 01.03.2014 15:09, schrieb moneymind: Überfluss in Bezug auf die physischen Maschinen, Gebäude, sowie deren technisch-wissenschaftliche Grundlage, die es uns zumindest theoretisch ermöglichen würde, ein beachtlich hohes Maß an materiellem Wohlstand der gesamten Bevölkerung zu erreichen (in Deutschland). Klar werden wir nicht den "Bedarf" an Ferraris decken können, aber man kommt auf jeden Fall auf ein Level materiellen Wohlstands, bei dem schon ein signifikanter Anteil der Lebensqualität über nichtmaterielle Dinge kommt, wie Bildung, Musik, Kultur, Film, soziale Beziehungen, (Umweltbedingungen), demokratische Mitbestimmung. Das ist für mich der Umbruch zur Informationsgesellschaft. Mir ist klar, dass man Sättigung auch oft auf die Nachfrage von Konsumgüter bezieht. Du meinst also: die Unternehmer machen zwar Gewinne, aber sie reinvestieren sie nicht in zusätzliche Produktionsanlagen, sondern "sparen" sie. Die Theorie, mit Unternehmenssteuersenkungen könne man die Unternehmer zur Erweiterung ihrer Kapazitäten anregen, stimmt also nicht. Zustimmung. Warum sparen sie? Vielleicht, weil sie sich vom Sparen ein besseres Ertrags-/Risiko-Verhältnis versprechen als von Erweiterungsinvestitionen. Erweiterungsinvestitionen (die zusätzliche Arbeitsplätze schaffen könnten) müssen sich ja lohnen, d.h. eine Rendite erwarten lassen, die über der Rendite von Geldsparen oder Anlage auf den Finanzmärkten liegt. Zustimmung. Wie kalkuliert ein Unternehmer nun, ob sich eine Erweiterungsinvestition rechnet oder nicht? Er stellt die Kosten den erwarteten Erträgen gegenüber. Welche Erträge er erwartet, hängt in erster Linie davon ab, ob er erwartet, seine zusätzlichen Produkte a) überhaupt verkaufen zu können, und b) zu welchem Preis. Zustimmung. Die Frage, ob er seine Produkte verkaufen kann, hängt natürlich von der aggregierten Nachfrage ab. Zweifelsfrei ist diese geschwächt worden, durch die neoliberale Lohnpolitik. Ich stelle allerdings zusätzlich die These auf, dass auch der Bedarf an materiellen Gütern, deren Herstellung viel Realkapital benötigt, unterproportional gewachsen ist seit den 50er/60er Jahren. Dadurch wird netto deutlich weniger neues Produktivkapital gebraucht, d.h. es gibt nur geringe Nettoinvestitionen. Unternehmer können natürlich jederzeit auch bei guten Ertragsaussichten für Erweiterungsinvestitionen darauf verzichten, diese umzusetzen, wenn sie nicht verschuldet sind (dies würde einen Renditezwang erzeugen und eher dafür sorgen, daß steigende Nachfrage und steigende Renditeerwartungen auch in Erweiterungsinvestitionen umgesetzt werden). In den 50er und 60er Jahren war der Unternehmenssektor verschuldet, heute ist er Nettosparer und kann sich auch mal leisten, sich zurückzulehnen und mit den Gewinnen gemütlich ins globale Casino zu gehen. Die Gewinne hat man ja durch Steuersenkungen und Lohnsenkungen auf Kosten der Arbeitnehmer erzielt, was viel bequemer ist als über Erweiterungsinvestitionen. Fazit: die Unternehmer beantworten politische Geschenke an sie (Steuersenkung und Lohnsenkung) eben NICHT mit Erweiterungsinvestitionen, sondern mit dem genauen Gegenteil. Also muß man sie auch genau gegenteilig behandeln, wenn man sie zu Erweiterungsinvestitionen bringen will: man muß dafür sorgen, daß sie sich wieder verschulden - *aber dadurch eben auch Gewinnmöglichkeiten erhalten*. Dann werden Gewinne wieder über reale Produktion erwirtschaftet anstatt durch bloße Umverteilung von unten nach oben. Das macht Sinn. Den Schuldendruck der Unternehmer als treibende Kraft hatte ich bisher nicht im Fokus. Am 01.03.2014 15:38, schrieb moneymind:
Gewinnaussichten des Unternehmenssektors setzen eine
Kreditexpansion voraus - und zwar eine Kreditexpansion in der
REALwirtschaft, d.h. daß mit den Krediten reale Güter nachgefragt
werden, die verschuldete Produzenten verkaufen, um Kredite
bedienen zu können.
Kannst du das genauer erläutern? Klar ist das ein gängiger Weg, über den diees Gewinnaussichten entstehen, aber das muss nicht zwingend der einzige sein, richtig? (Beispiel: Staat verspricht Steigerung der umlagefinanzierten Rente -> Sparquote sinkt -> Nachfrage steigt -> Gewinnaussichten) In einer Situation, in der die Unternehmen sich nicht verschulden, also diese Kreditexpansion nicht von sich aus in Gang setzen, kann das nur der Staat übernehmen. Gleichzeitig muß er aber über höhere Unternehmensbesteuerung sichergestellt werden, daß die Unternehmen (bei guten Gewinnaussichten - dafür muß auch die Zinspolitik der ZB sorgen) tatsächlich wieder in eine Defizitposition kommen, d.h. Schuldner sind. So kann gleichzeitig ein Teil des Staatsdefizits, das für den Anschub der Nachfrage nach realen Gütern aufgebaut wird, wieder abgebaut werden. Auch saldenmechanisch ist klar, daß einem verschuldeten Unternehmenssektor ein Restsektor gegenüberstehen muß, der die dem entsprechenden Guthaben hält. In den 50er/60er Jahren waren das die privaten Haushalte (die auch heute Nettosparer sind, was auch sinnvoll ist), der Staatshaushalt war relativ ausgeglichen (und der außenwirtschaftliche Saldo sollte idealerweise auch relativ ausgeglichen sein). Axel vertritt ja die Meinung, dass Staatsschulden gut sind, weil sie das Sparen der privaten Haushalte ermöglichen. Ich beginne zu glauben, dass ein verschuldeter Unternehmenssektor sinnvoller ist. (Wobei zu starke Verschuldung ja wieder Stabilitätsprobleme mit sich bringt.) Danke, ich freue mich auf deine Antwort. Viele Grüße, Thomas |
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, moneymind, 01.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, Thomas Weiß, 10.03.2014
- <Mögliche Wiederholung(en)>
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, moneymind, 01.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, Axel Grimm, 03.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, moneymind, 02.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, Thomas Weiß, 10.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, Rudi, 10.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, tobego, 14.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, Nicolas Hofer, 14.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, Axel Grimm, 14.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, tobego, 15.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, Axel Grimm, 15.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, tobego, 15.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, Axel Grimm, 14.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, Nicolas Hofer, 14.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen, Thomas Weiß, 10.03.2014
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