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ag-umwelt - Re: [Ag-umwelt] [AG-Steuerpolitik] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe)

ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Ag-umwelt mailing list

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Re: [Ag-umwelt] [AG-Steuerpolitik] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe)


Chronologisch Thread 
  • From: Johannes Nix <johannes.nix AT gmx.net>
  • To: ag-steuerpolitik AT lists.piratenpartei.de, "'Mailingliste der AG Energiepolitk'" <energie_und_infrastruktur AT lists.piratenpartei.de>, AG Umwelt <ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de>
  • Cc: Moritz Richter <mmarichter AT aol.com>
  • Subject: Re: [Ag-umwelt] [AG-Steuerpolitik] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe)
  • Date: Sat, 21 Jul 2012 15:26:47 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
  • List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>

Hallo Moritz,

sorry, ich lagge ein bißchen mit Mail ...


Am Wed, 18 Jul 2012 23:43:18 +0200
schrieb "Moritz Richter" <mmarichter AT aol.com>:

> Ich kann die Intention eures Positionspapier durchaus nachvollziehen,
> ich muss aber auch sagen, dass ich der Idee einer Energiesteuer mit
> der Begründung a) der Risikovorsorge b) zur Verteuerung des Faktors
> Energie gegenüber menschlichem Arbeitseinsatz
>
> ablehnend gegenüber stehe.

> Volkswirtschaftlich ausgedrückt bewegt euch die Sorge, dass es zu
> einer Fehlallokation der Ressource Erdöl kommt und es zu schnell und
> ineffizient verbraucht wird.

Yupp. Die Situation ist nicht nur "nicht nachhaltig".
Sie ist *gefährlich* für die Wirtschaft und auch
die Menschen.

> In der Umweltökonomie, dem
> wissenschaftlichen Themenbereich, der sich genau mit der effizienten
> Nutzung natürlicher Ressourcen beschäftigt, herrscht jedoch Einigkeit
> darüber, dass perfekte Wettbewerbsmärkte zu einer optimalen
> Allokation nicht-erneuerbarer Ressourcen führen.

Erstens ist der Markt nicht perfekt. Er ist vielmehr hochgradig
intransparent. Das liegt daran, dass Vorbereitungen für
Peak Oil eine Reduktion des Ölverbrauchs und die
Schaffung von Alternativen beinhalten, und das senkt
die Nachfrage und damit die für die Ölproduzenten
erzielbaren Preise. Deswegen wird von den Produzenten
nicht an die große Glocke gehangen, wie es um die Ressourcen aussieht.

Andererseits gibt es umfangreiche und glaubwürdige
Untersuchungen darüber, und von diesen gehen wir aus.


> Das bedeutet einfach
> ausgedrückt, dass eine Besteuerung aus Gründen der Risikovorsorge
> nicht nur unnötig ist, sondern auch die Allokation ineffizient macht.

Na, wenn man das auf die Spitze treibt sind auch Brandschutzvorschriften
für Hotels und Discotheken Unsinn. An einem freiem Markt müßte ja auch
ein Hotelbetreiber ein wirtschaftliches Interesse haben,
sich um die Sicherheit zu kümmern.

Warum funktioniert das nicht?

Weil

a) Die Information asymmetrisch ist

und

b) Risiken und Nutzen ungleich verteilt sind. Das Risiko tragen
die Hotelgäste. Den Nutzen kriegt der Hotelbetreiber.

In Groß haben wir das so bei der Atomenergie und beim
Öl ist die Sache ähnlich gelagert.

>
> Die Erklärung hierfür ist darin begründet, dass es aufgrund der
> Knappheit des Gutes auf einem Wettbewerbsmarkt sowieso zu einer
> ständigen Verteuerung des Gutes kommt.

Aber zu spät. Bei einer Förderverknappung kann der Ölpreis
innerhalb von fünf Jahren astronomische Höhen erreichen
- oder alternativ die gesamte Volkswirtschaft trashen.
Wie schnell der Preis dann hoch gehen kann, hat man 2008/2009
gesehen. Die Nutzungsdauer von Gütern wie PKWs, Großflughäfen,
Supermärkten am Stadtrand oder Einfamilienhäusern
in städtischen Spekgürteln beträgt aber 15, 20, 30 Jahre oder
mehr.

Mit andern Worten, man sitzt dann in einer Falle. Ich würde
sagen, das ist ein Symptom für einen nicht transparenten
Markt.

>
> Wie gesagt, das ist volkswirtschaftliche Theorie. Die Realität ist um
> einiges komplizierter. Dennoch müsste derjenige, der behauptet, dass
> eine Steuer die bessere Alternative wäre, das auch beweisen können.
> Ich bin mir sicher, dass das niemand von uns kann.

Das kommt darauf an, was Du mit "beweisen" meinst.
Als Physiker stelle ich mir einen schlüssigen Beweis einer
volkswirtschaftlichen Theorie so vor, dass man den
Planeten Erde mit Bewohnern klont, und daraufhin auf der
einen Kopie sein volkswirtschaftliches Experiment
durchführt und auf der anderen die Dinge läßt wie sie
sind. Schließlich muss ich, um eine Auswirkung nachzuweisen,
zeigen können dass ich, wenn ich die fragliche Variable nicht
ändere, den Effekt nicht sehe.

Und das stelle ich mir in der Tat schwierig vor.

Aber: Wenn Du "Theorie" im naturwissenschaftlichen
Sinn meinst, dann muss sie auch falsifizierbar sein.
Dafür reicht schon ein einziges Gegenbeispiel.

Und dieses Gegenbeispiel gibt es im Fall der Anpassung
an teueres Erdöl:

Es gab 1973 eine Ölkrise vor allem in den USA.
Diese wurde durch den Rückgang der US-amerikanischen
Ölförderung verursacht, der bereits 1956 (!) vorhergesagt
wurde. In der Folge kam es zu einer Verknappung von
Öl, und, weil die arabischen OPEC Staaten ihre
neue Macht am Markt nachdrücklich nutzten,
zu einer Verteuerung. Die Folge waren starke
Krisenerscheinungen bis hin zu Rationierungen.

Obwohl man vom Rückgang der nationalen Förderung
frühzeitig wußte, fand keine vorherige Anpassung statt.

Somit ist die von dir vertretene Theorie, dass eine Anpassung quasi von
selber passiert, falsifiziert. Der Markt sorgt nicht in jedem Fall für
eine rechtzeitige Anpassung. Wie soll er auch? Er kann Information
zwischen Teilnehmern vermitteln aber ist kein allwissendes Wesen.


> Ich hoffe, meine Erklärung und die
> Skepsis gegenüber der Begründung "Risikovorsorge" ist einigermaßen
> nachvollziehbar!

Die Frage wäre, ob Du die Existenz eines Risikos nachvollziehst?



>
> Ein weiterer Grund, warum eine Energiesteuer nichts bringt, um das
> Risiko zu verringern, ist, dass wir Deutschland nicht als von der
> Welt isoliert betrachten können. Wenn der Faktor Energie nur in
> Deutschland deutlich teurer wird und die Nachfrage sinkt, steigt
> aufgrund niedrigerer Weltmarktpreise der Verbrauch in der restlichen
> Welt.

Das ist ein tricky Argument. Erstens hat Deutschland bei den
alternativen Energietrögern eine Vorreiterrolle und
eine Vorsorge Deutschlands gegen Peak Oil wird mit Sicherheit
nicht unbeachtet bleiben.

Zweitens müssen wir zunächst mal in nationalem
Eigeninteresse handeln.

Ein Land, das die Energieproduktivität seiner Prozesse
erhöht, hat auch einen volkswirtschaftlichen Vorteil
gegenüber anderen, die der Verschwendung frönen: Es kann
sich bei Verteuerungen den notwendigen Energiekonsum leisten, der für
andere Marktteilnehmer unbezahlbar wird.

Global koordinierte Vorsorge ist aufgrund der ökonomischen
Verflechtung wünschenswert, läßt sich aber wohl nicht so schnell
erreichen.

> .... Wenn der Faktor Energie nur in
> Deutschland deutlich teurer wird und die Nachfrage sinkt, steigt
> aufgrund niedrigerer Weltmarktpreise der Verbrauch in der restlichen
> Welt.
> Das kann sogar den Effekt haben, dass Öl schneller verbraucht
> wird, als es ursprünglich der Fall war.

Das ist für mich nicht schlüssig, zumindest wenn man von
statischem Angebot und Nachfrage ausgeht. Selbst wenn
die Angebotskurve nicht linear ist (sie ist de facto stark gekrümmt),
wird ein niedrigerer Preis wegen geringerem Verbrauch nicht zu einem
höherem Verbrauch als ursprünglich führen: Der Effekt ist nicht größer
als die Ursache. Da wir einen Weltmarkt für Öl haben, bestimmt die
Nachfrage zu einem gegebenem Zeitpunkt den Preis.

>
>
> Zu b) Verteuerung des Faktors Energie gegenüber menschlichem
> Arbeitseinsatz:
>
> [ ... ]
>
> Es gab ja dazu auch
> schon eine undurchdachte Liquid-Feedback Initiative, die gescheitert
> ist, auch wenn es dabei nur um Maschinen ging:
> https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/2987.html . Da sind
> ja auch schon viele Gegenargumente aufgezählt worden.

Naja DAS war nicht so helle. *g*

Den Faktor Energie zu verteuern und Arbeit zu verbilligen ist
aber grundsätzlich recht konsensfähig. Das wurde bei der
sogenannten Ökosteuer schon vor Jahren gemacht und Rentenbeiträge
damit gesenkt. Ich kann mich nicht erinnern, dass damals irgendwelche
Volkswirtschaftler aus Protest Harakiri begangen haben.

Problematisch wird es erst, wenn sich so eine Steuer negativ
auf die Gewinne von Großunternehmen auswirken könnte.

> Meiner Ansicht nach ist jedoch eine Besteuerung von Kraftstoffen aus
> 2 Gründen sinnvoll:
>
> c) Klimaschutz

Sinnvoll finde ich auch. Ich fürchte nur, dass alleine
interessiert die meisten Leute nicht genug.

Allerdings kann man es so sehen, dass drei große Probleme
welche die Menschheit hat - Risiko eines graduellen Zusammenbruchs der
Energieversorgung, Anreicherung der Atmosphäre mit CO2,
und permanente hoch brisante Konflikte im Nahen Osten -
alle mit einer destruktiv großen Abhängigkeit von
fossilen Energieträgern zu tun haben.

Wenn man dieses Problem angeht (und nicht nur Kosmetik macht)
löst man also die andern Folgeprobleme gleich mit.
(Geschenkt kriegt man die Lösung natürlich nicht).


> d) Beteiligung von Autofahrern an den durch sie verursachten Kosten

Das würde ich getrennt diskutieren. Es geht uns
nicht darum, Autofahrer für etwas zu bestrafen.


> So, jetzt zu meiner eigentlichen Intention:
> Die Idee ist ein möglichst unkontroverser Programmantrag zur
> Besteuerung von erdölbasierten Kraftstoffen, mit der Aussage, dass
> die Besteuerung nach Energiegehalt und ihrem CO2-Ausstoß erfolgt.

Der CO2-Ausstoß ist sachlich damit verbunden aber nicht dasselbe.
Kohle, Erdgas, und Öl haben verschiedenen Kohlenstoffanteil.
EEG-Wasserstoffgas kann (nahezu) CO2-frei erzeugt werden
aber marktüblicher Wasserstoff wird aus Kohle gewonnen.

An Diesel wird es in Zukunft wahrscheinlich erhöhten Bedarf
geben weil er in der Landwirtschaft benötigt wird, also
sollte man den Verbrauch in PKWs nicht subventionieren.

Generell sehe ich eine CO2-Steuer als potenziell effizienter als
das bestehende Zertifikatsystem an, aber das ist offensichtlich
auch sehr grottig umgesetzt.


>
> Also am liebsten wäre es mir, wenn wir für die Energiesteuer einen
> von dem PeakOil-Antrag unabhängigen Antrag formulieren würden (da es
> hierfür mehrere Begründungen gibt) und im PeakOil-Antrag dann auf den
> Energiesteuer-Antrag verweisen.

Man kann das trennen, aber ich würde vorschlagen die Peak Oil
Thematik erst einmal durchzudiskutieren. Jemand der das
nicht als wirkliches Problem versteht, wird natürlich die
Besteuerungsfrage anders betrachten.

Viele Grüße,

Johannes




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