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ag-meinungsfindungstool - Re: [Ag Meinungsfindungstool] Vehement für qKonsens?!

ag-meinungsfindungstool AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Ag-meinungsfindungstool mailing list

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Re: [Ag Meinungsfindungstool] Vehement für qKonsens?!


Chronologisch Thread 
  • From: Dinu Gherman <gherman AT darwin.in-berlin.de>
  • To: ag-meinungsfindungstool AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [Ag Meinungsfindungstool] Vehement für qKonsens?!
  • Date: Thu, 4 Oct 2012 22:43:26 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-meinungsfindungstool>
  • List-id: <ag-meinungsfindungstool.lists.piratenpartei.de>

Hallo Wolfgang,

danke für Deine ausführlichen Erläuterungen, die mein Verständnis Deines
qKonsens-Prinzips erweitert haben! Ich gehe unten auf einige Aussagen ein,
kann das aber mangels Zeit nicht über die nächsten Wochen wesentlich weiter
fortsetzen.

Am 03.10.2012 um 11:01 schrieb WSchallehn:

> Die Frage nach bisherigen überzeugenden Anwendungen berührt eine alte
> Wunde. Die Grundidee hatte ich im Jahr 2007 in dem Büchlein "Das
> Erdmännchen-Projekt"
> http://www.engelsdorfer-verlag.de/db/werkdetail.php?autor_id=699&werk_id=1190
> publiziert. In den Jahren 2008/2009 gab es eine hoffnungsvolle Entwicklung
> mit dem Internet-Portal "Trupoli". Dort waren die für den qKonsens
> benötigten Funktionalitäten Bewertung, Diskussion, Gruppen u.a.m.
> implementiert. Durch intensiven Kontakt zu den Entwicklern war es auch
> gelungen, das für den qKonsens typische enge Zusammenspiel von Bewertung
> und Diskussion nahezu ideal zu realisieren.

Das ist sehr ungünstig, weil nicht nachvollziehbar. Und leider enthält die
Leseprobe Deines Erdmännchen-Buches auch nur das Inhaltsverzeichnis und
Vorwort. Immerhin ist es bei Amazon gelistet, aber insgesamt scheint mir ein
kommerzielles Buch unvorteilhaft gewählt zu sein, wenn es Dir um die
schnelle, weite Verbreitung einer Idee eines Einzelnen geht.

> Von mehreren Versuchen mit semiprofessionellen Systementwicklern hat es
> dann nur udeci bis ins Internet geschafft. Die eigentlich ziemlich einfache
> Funktionalität des qKonsens erfordert eben doch eine Systemumgebung, die
> nicht so einfach aus dem Ärmel zu schütteln ist. Dabei wäre diese
> vermutlich für einen Systemexperten ziemlich leicht anzupassen. Aber wer da
> soeben "das beste Meinungsfindungstool" implementiert hat, ist leider
> schwer für eine alternative Methodik zu gewinnen...

Hier ist leider nicht nachvollziehbar, warum Du glaubst, eine solche
Systemumgebung sei besonders anspruchsvoll? Ich kann das aus Deiner weiteren
Beschreibung nicht ableiten.

> Warum kämpfe ich nun so "vehement" für den qKonsens? Grob gesagt: weil die
> heutige abgrundtiefe Misere des Politikbetriebs durch keine der derzeit
> implementierten Methoden überwunden werden kann. Ich versuche nachfolgend
> zu erklären, warum die einzelnen Methoden keine Lösung bringen, meist sogar
> von einer Lösung wegführen.
>
> Erster Knackpunkt ist die Ganzheitlichkeit. Kein Politikfeld oder
> Problemkreis lässt sich auf ein einziges Statement reduzieren. Wer
> Atomstrom oder Beschneidung oder Grundeinkommen oder Basisdemokratie
> oderoderoder mit einem Satz abtun will, vernachlässigt Wesentliches(!).
> Jedes Politikfeld, und natürlich auch jedes detailliertere Unterthema ist
> mit seinem FÜR und WIDER nur durch eine gewisse Menge von Aussagen
> darstellbar. Deshalb ist eine tiefere Strukturierung der Argumentation
> hilfreich - und mMn unverzichtbar.

Ich glaube, das wird nicht ernsthaft bezweifelt oder? Allerdings haben
Politiker *und* Medien das Problem, komplexe Zusammenhänge (im Idealfall für
alle) leicht verständlich zu beschreiben. Du sagst das selbst weiter unten.
Vielleicht ist es das, was Du meinst?

> Und eine darauf aufbauende unmittelbare Verbindung von Bewertung und
> Diskussion ermöglicht ein völlig neues Niveau von *Effizienz und letztlich
> auch Effektivität* politischer Arbeit.

Ohne nachweisbare Erfahrung mit dem Konzept musst Du Dir da leider wieder die
Frage gefallen lassen: Warum glaubst Du das? Und welche Lösung hast Du für
das Skalierungsproblem?

> Dadurch können folgende Hauptprobleme aktueller Implementierungen
> überwunden werden:
>
> * Meist wird bisher ein Dokument als Ganzes zur Diskussion gestellt. Wenn
> es gut geht, werden die am häufigsten kritisierten Stellen "korrigiert". Es
> wird aber bisher nie gezählt, wieviele Teilnehmer gerade diese "Stellen"
> zustimmend akzeptiert haben. 5 Kritiker werden berücksichtigt - 5000
> Zustimmer werden ignoriert...
> Das ist aber nur ein grobes Beispiel. Die Behandlung von Dokumenten "im
> Ganzen" hat generell das Problem, dass Mogelpackungen und faule Kompromisse
> entstehen.
>
> * Im Gegenbeispiel BasDem werden nur die Zustimmungen gezählt. Gegenstimmen
> werden generell ignoriert, ich würde sagen "weggebügelt". Halte ich für
> grundgefährlich: erstens, weil Entwicklungspotenziale verschenkt werden,
> und zweitens, weil solche unfaire Behandlung von Minderheitsvoten
> potenzielle Partner verprellt.
> Demgegenüber: Eine deutliche Feststellung "Dieses Votum erhielt 5%" sehe
> ich als durchaus hilfreich fair an!
>
> * Die Vielfalt der relevanten Aussagen ist objektiv problematisch. Meist
> werden die inhaltlich wichtigsten Aussagen öffentlichkeitswirksam verpackt
> - oder gar versteckt. Das deutliche Herausstellen der wesentlichen Aussagen
> ist ein Merkmal kompetenter Autoren - aber solche Aussagen verpuffen meist
> wirkungslos, weil sie praktisch nie(!) zur Bewertung und Diskussion
> gestellt werden.
> Deshalb bedeutet es eine völlig neue Qualität, wenn im qKonsens alle
> Kernaussagen einzeln zu Bewertung und Diskussion gestellt werden! Dabei ist
> vielleicht der wichtigste Unterschied zu herkömmlichen Implementierungen,
> dass die Kernaussagen im Zusammenhang erscheinen und "lesebegleitend"
> bewertet werden können (während der Zusammenhang bisher durch mehrere
> Klicks mit "Fenster auf und zu" zerstört wurde).

Ich fasse es mal in Deiner Sprache mit den folgenden Kernaussagen zusammen:

- Konzepte/Ideen/Dokumente werden in kleinere, evtl. strukturierte, Aussagen
zerlegt
- Aussagen können einzeln bewertet und diskutiert werden
- Bewertungen können positiv und negativ sein
- Aussagen werden in ihrem Kontext auf irgendeine Weise hervorgehoben

> Die Trennung von Kernaussagen und Kontexten ist mMn unbedingt notwendig, um
> den Diskussionsprozess wie auch als wichtigstes dessen Ergebnis
> überschaubar zu halten und auf das Wesentliche zu fokussieren.

Mit Trennung meinst Du hier vermutlich nicht eine losgelöste Bewertung und
Diskussion der Kernaussagen vom Kontext oder? So klingt es nämlich. Aber
keine Aussage kann ganz unabhängig von einem Kontext Gültigkeit haben.

> * Viele Konzepte glauben ohne Moderation auszukommen. Sie meinen, dass
> Partizipation ("der Vielen") gesichert sei, wenn alle ihre Beiträge
> einbringen, vielleicht noch gegenseitig voneinander "übernehmen" können -
> dann werde die "kollektive Intelligenz" sich schon irgendwie algorithmisch
> formieren und durchsetzen.
>
> Ich halte das für einen katastrophalen Irrtum. Ich sehe zwar durchaus auch
> die Grenzen der Moderation, die durch die Versuchung zu Machtmissbrauch und
> die Endlichkeit der Kompetenz selbst der besten Moderatoren bedingt sind.
> Dies ist gewiss nicht absolut ausschließbar, aber weitgehend einschränkbar.
> Deshalb ist beim qKonsens vorgesehen, dass jede Moderatorenaktion
> dokumentiert und damit zur Diskussion gestellt wird. Der E-Fall, dass
> Moderator und Diskutant nicht "unter einen Hut kommen", ist nicht
> auszuschließen. Dann soll der Diskutant eine parallele Debatte zum selben
> Thema eröffnen können.
> Aber der Normalfall ist, dass der Moderator gemäß Diskussion und Bewertung
> die Kernaussagen vervollkommnet. Dieser Weg führt mit hoher
> Wahrscheinlichkeit zur aktuell bestmöglichen Lösung. (Damit kann man mMn
> gut leben, wenn man eingesteht, dass eine "ideale" Lösung praktisch eh
> nicht erreichbar ist!)

Ich bin zwar jemand, der gern Dinge so weit wie möglich automatisiert, dort,
wo es sinnvoll und praktischen Nutzen hat. Aber bei "wirklichen" Diskussionen
sehe ich das auch kritisch. Mich erinnert das ein wenig an Soziokratie, wo
die Rolle des Moderators auch sehr wichtig ist. Die "Soziokraten" verstehen
Entscheidungen nicht so sehr als die Festlegung auf eine von mehreren, vorher
diskutierten, Optionen (und am wenigsten mit dem Mehrheitsprinzip), sondern
mehr als Herleitung/Findung einer Option, mit der alle Beteiligten "leben
können", eben weil Ideallösungen für große Gruppen sehr schwierig sind. D.h.
hierbei gehört die Diskussionsphase eigentlich mit zur Entscheidungsfindung,
jedenfalls sehe ich es so. Und hierbei ist immer eine gehörige Dosis
Kreativität hilfreich und sinnvoll (und sollte von einem Moderator provoziert
und gelenkt werden), was ich für nicht wirklich automatisierbar halte im
Sinne einer Übertragung einer Aufgabe auf eine andere "Spezies".

Die meisten, die sich an einem Moderator stören, begründen das wie Du selbst
sagst, meist mit Fehlbarkeit, Machtfülle etc. Das relativiert sich beides in
dem Moment, wo der Moderator jederzeit austauschbar ist. Allerdings ist auch
für mich noch eine offene Frage, wie diese Moderatorenrolle "skalierbar" oder
"skalierungsunabhängig" gemacht werden kann. Vermutlich kann es nur mit der
Verteilung auf der Moderatorenrolle über viele Teilnehmer hinweg
funktionieren.

> Zusammenfassung: Der qKonsens will eigentlich weiter nichts, als die
> Urfunktionalitäten Diskussion und Bewertung auf "handlich" strukturierte(!)
> Dokumente anwenden - und dies in maximal teilnehmerorientierter Form!
> Soviel zu den Knackpunkten und Alleinstellungsmerkmalen des qKonsens.

Insofern ist das nicht wirklich etwas ganz Neues, fürchte ich. Wenn noch mehr
zum Konzept gehört, dann ist es hier jedenfalls nicht definiert. Aber ich
habe auch keine qKonsens-Bibel an dieser Stelle verlangt. Sollte es in Deinem
Buch stehen, dann siehe oben. Für eine Methode, die die Politik
revolutionieren möchte, scheinen mir da noch etliche konfigurierbare
Parameter zu fehlen.

> Hoffentlich ist nun verständlich, dass man in Wikipedia dazu (noch) nichts
> findet. Ist nicht gerade das ein Grund, sich intensiv mit dem qKonsens zu
> beschäftigen?! Wenn inzwischen die Überzeugung herangereift ist, dass
> dringendst ein "neues politisches Betriebssystem" gebraucht wird, dann muss
> man schon mal über den Tellerrand hinausschauen - odrrr?

Ich verstehe jetzt besser, warum in Wikipedia nichts über den qKonsens steht.
Er würde wohl schlicht als "nicht relevant" betrachtet werden, solange es
keine vorzeigbaren Projekte, Erfahrungen und öffentliche Berichte, auch von
Dritten dazu gibt. Und hierbei würde ich den WP-Admins sogar Recht geben.

Ich nehme an, Du möchtest diese Erfahrung im Kontext der Piratenpartei
machen, was legitim ist. Aber Du solltest Dich eben nicht wundern, wenn Deine
vehement vertretene Überzeugung von der Qualität des Konzepts ohne weitere
Indizien auf bereits gemachte Erfahrungen damit skeptisch aufgenommen werden.
Leider ist es eben so, dass man andere umso leichter überzeugt, je mehr man
schon überzeugt hat. Trotzdem wünsche ich Dir viel Erfolg dabei!

Beste Grüße,

Dinu





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