Re: [Ag Meinungsfindungstool] User Stories- vor neuem Entwurf

[Johannes Ammon <j.ammon AT dr-ammon.de>]

Meinungen haben oft keine klare Struktur.
Argumente haben keine festgelegte Struktur.
Diskussionen folgen auch keinen regelmäßigen Strukturen.

Hier werden verschiedene Tools oder Entwürfe diskutiert, die 
Diskussionen, Argumente, Inhalte, Meinungen oder Aussagen in ihren 
Strukturen und Beziehungen erfassen und so für die parteiinterne 
Meinungsbildung oder gar Entscheidungsfindung urbar machen wollen. Ich 
fürchte, dass dieser Ansatz in die Irre führt.

Die Idee ist attraktiv, die Strukturen der Argumente oder Aussagen zu 
analysieren und so eine Art "Computer Aided Decision Making" zu 
ermöglichen. Die real existierenden Diskussionen und Diskutanten passen 
aber in mehreren Aspekten nicht in dieses Bild.

- Aussagen oder Argumente haben (evtl.) keine Listen- oder Baumstruktur, 
die die Aufteilung in Teilaussagen oder Unterpunkte impliziert. Genauso 
können kreisförmige oder netzartige Zusammenhänge vorkommen, die nur in 
einem Graphen ausreichend abgebildet werden können. Diskussionen 
verlaufen nicht logisch, sie mäandrieren durch den Argumentenraum oder 
machen unmotiviert erscheinende Sprünge.

- Die Zusammenhänge zwischen Argumenten oder Teilargumenten stellen 
ihrerseits wieder Meinungen bzw. Argumente dar, die umstritten sein 
können. Der Versuch einer strukturierten Darstellung kann beliebig 
kompliziert werden.

- Menschen denken und argumentieren nicht (immer) so strukturiert, wie 
Informatiker programmieren. (Das ist keine Wertung. Z.B. künstlerisch 
veranlagte Menschen können sehr überzeugend und gleichzeitig völlig 
unstrukturiert sein.)

- Wenn eine Strukturierung der Argumente Voraussetzung für die Nutzung 
des Disskussionstools ist, diskriminieren wir Menschen, die weniger 
strukturiert denken.

- Meinungsfindung ist ein emotionaler Prozess. Argumente und 
Argumentationen können logisch, stringent und stimmig sein. Aber die 
Wertung von Argumenten oder Konklusionen ist ein subjektiver Vorgang, 
abhängig von Idealen, Ängsten, religiösen Werten usw. Das lässt sich 
nicht objektiv modellieren.

- Menschen haben die Fähigkeit, intuitiv Argumente zu erfassen, zu 
werten, in Beziehung zu setzen und eine Synthese als eigene Meinung zu 
bilden. Dieser Prozess kann auch in einem Meinungsfindungstool 
abgebildet werden, aber das wird immer schwieriger, komplizierter und 
unbeholfener sein als die intuitive Erfassung durch einen Menschen, der 
die Diskussion verfolgt hat.

- Meinungsfindung ist etwas /Individuelles/. Der einzelne Pirat sichtet 
die vorhandenen Argumente, diskutiert eventuell mit anderen und bildet 
sich am Ende eine Meinung. (Oder findet seine vorgefasste Meinung 
bestätigt ;-).)
Entscheidungsfindung ist etwas /Kollektives/. Die Piratenpartei muss 
eine Entscheidung finden, die von der Basis getragen wird. Dafür gibt es 
Wahlen, Abstimmungen, LQFB.
(Man kann zu LQFB stehen, wie man will. Aber die Dreiteilung der AGs in 
Bürgerbeteiligung (Information), Meinungsfindungstool und LQFB macht den 
Scope dieser AG deutlich. LQFB durch ein Meinungsfindungstool ersetzen 
zu wollen, ist einfach eine andere Baustelle - meiner Meinung nach.)


Konklusion:
Das Ziel eines Meinungsfindungstools ist für mich nicht, Argumente und 
Positionen in Software und Daten umzusetzen. Das Ziel ist, dem einzelnen 
Piraten seine subjektive Meinungsbildung zu erleichtern. Es soll ihm 
leicht gemacht werden, Wichtiges von Unwichtigem, Relevantes von 
Rauschen zu unterscheiden.
Wenn das Tool einfach die gefühlte Signal-Noise-Ratio in der Diskussion 
verbessert, hat es für mich seinen Zweck erfüllt.

Gruß, Johannes aka ungebeten