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- Subject: Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation
- Date: Mon, 5 Jun 2017 10:48:31 +0200
Am 05.06.2017 um 08:55 schrieb Rudolf Müller <muellerrudolf AT on22.de>:Hallo Wolfgang,
im Beitrag zu "Fristentransformation: Frage" vom 11.05.2017 19:23 hast Du geschrieben:
Als ich vor ca. 3 Jahren mal bei einer Veranstaltung mit Brodbeck und Huber war, in der es um Vollgeld ging, stand der lokale Sparkassendirektor auf und sagte: "ich weiß nicht worüber sie reden mit dieser Geldschöpfung - wir machen Fristentransformation."
Ein typisches Beispiel für die Sprachverwirrung zwischen Volkswirten und Bänkern. Die Volkswirte modellieren sich das Geldsystem und den Bankensektor so zurecht, wie sie ihn für ihre volkswirtschaftlichen Betrachtungen gerne hätten. Was dabei in den Banken tatsächlich insgesamt abläuft, interessiert sie offensichtlich nicht. Die Funktion unseres Geldsystems mit Guthaben und Schulden wird in Sach- und Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre zwar vielfach beschrieben und erklärt, bei der Erklärung von Geld beschränken die Autoren sich vielfach auf die Funktionen von Geld und wie Geld eingesetzt wird. Wie Geld entsteht, wird überwiegend entweder nicht erläutert, oder es wird auf die Entstehung der Tauschwirtschaft verwiesen. Neu wird jetzt wieder die bereits im 19. Jahrhundert bekannte "Geldschöpfungstheorie der Banken" aus der Schublade hervorgeholt und als neue Erkenntnis angepriesen. (z. B. Norbert Häring, Die Bundesbank versucht über Geldschöpfung aus dem Nichts aufzuklären – vergeblich, http://norberthaering.de/de/27-german/news/818-bundesbank-geldschoepfung)
Die Bänker hingegen leben in ihrer eigenen Welt. In der Bankbetriebslehre und den Fachbücher über Banken und das Kreditwesen kommt das Wort "Geldschöpfung" so gut wie garnicht vor. Das Stichwort „Geldschöpfung“, unter welchem die Entstehung von Geld eigentlich beschrieben werden sollte, sucht man teilweise vergebens. Wird die Geldschöpfung beschrieben, so geschieht dies auf weniger als zwei Seiten in einem Buch mit über 1000 Seiten. Im Wesentlichen beschränken sich die Erklärungen auf folgende Aussage: „Die Geldschöpfung der Geschäftsbanken erfolgt durch Kreditgewährung und Buchung der eingeräumten Kredite auf Konten. Das so entstandene Buchgeld ist seinerseits die Grundlage für weitere Kreditgewährungen durch die Banken.“ Nun kommt noch der Satz des oben erwähnten Sparkassendirektors hinzu: "ich weiß nicht worüber sie reden mit dieser Geldschöpfung - wir machen Fristentransformation.“
Geldschöpfung und Fristentransformation sind zwei sehr unterschiedliche Dinge.
Bei der Argumentation des Bankers und der Banken im Allgemeinen darf man nicht die Interessenlage vergessen. Banken haben kein Interesse, dass die Allgemeinheit versteht, dass der Finanzsektor mit selbstgemachtem Geld seine Rechnungen bezahlt und Kredite vergibt.
Ich kenne zwar auch Banker, die nach bestem Wissen und Gewissen davon überzeugt sind, dass Banken kein Geld schöpfen, aber auch im Mittelalter war die Kirche nach bestem Wissen und Gewissen überzeugt, dass sich die Sonne um die Erde dreht.
Entscheidend scheint mir bei allen Diskussionen zu sein, ob die Theorie bzw. Behauptungen aufgrund von Tatsachen und logischen Schlussfolgerungen bewiesen werden können und auch der Gesamtzusammenhang betrachtet wird.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Die Frage ist z.B. im Falle der Fristentransformation, ob Banken tatsächlich das machen, was sie behaupten und glauben zu tun. Die sog. Goldene Bankregel, nach der Banken sich verhalten sollten, besagt genau das Gegenteil.
Und was als langfristiger Kredit erscheint, ist nach genauer Betrachtung ein stetiger Fluß gleichbleibender Zahlungen, wie z.B. bei einem Annuitätendarlehen.
Der entscheidende Punkt ist, dass die aus den Aktiva generierten Einzahlungen der Höhe und Fälligkeit nach größer oder gleich den durch die Passiva generierten Auszahlungen ist. - Und diese Situation kann durch sehr unterschiedliche Kombinationen erreicht werden.
Gruß
Arne
In der o. g. Veranstaltung trafen offensichtlich die Mitglieder zweier unterschiedlicher Gruppen aufeinander, die nicht die gleiche Sprache benutzten. Sie interessierten sich jedoch auch offensichtlich nicht für den Sprachgebrauch der jeweils anderen Gruppe. Überzeugt von der eigenen Vorstellung über die Funktionsweise des Geldsystems wird die Auseinandersetzung mit der jeweils andern Meinung als unnötiger, nicht zielführender Aufwand angesehen.
Geldschöpfung der Banken aus volkswirtschaftlicher Sicht
Unbestritten ist wohl heute die Aussage, dass in einem Kreditvorgang sowohl eine neue Forderung der Bank an den Kreditnehmer entsteht wie auch gleichzeitig eine neue Forderung des Kreditnehmers an die Bank. Diese Forderungen unterscheiden sich im Wesentlichen in den zugrunde liegenden Fristen. Während die Kreditforderung der Bank erst nach z. B. 2 Jahren fällig ist, besteht für die Forderung des Kreditnehmers an die Bank keine Frist. Die Forderung des Kreditnehmers an die Bank, unser "Giralgeld", ist sofort fällig. Dieser unterschiedlichen Fristigkeit wird von Volkswirten jedoch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Aus ihrer Sicht schöpfen die Geschäftsbanken im Kreditvorgang neues "Geld" aus dem Nichts.
Die Formulierung "aus dem Nichts" soll andeuten, dass "neues Geld" = "täglich fällige Verbindlichkeit der Bank gegenüber den Kunden" geschaffen wurde, ohne dass die Bank über entsprechende täglich fällige Forderungen (z.B. Bargeld, täglich fällige Guthaben bei der Zentralbank oder bei anderen Banken) verfügt. Das den "täglich fälligen Verbindlichkeiten der Bank gegenüber den Kunden" langfristige Forderungen und Vermögenswerte auf der Aktivseite gegenüberstehen, wird dabei verschwiegen.
Fristentransformation aus Bankensicht
Unter Fristentransformation wird allgemein verstanden, dass ein Kreditnehmer z. B. einen Kredit über 10.000 € für 5 Jahre benötigt, jedoch kein Sparer bereit ist, diesen Betrag für 5 Jahre festzulegen. Der Sparer möchte den Betrag nur für 1 Jahr festlegen. Die Bank gewährt den Kredit, muss demnach nach einem Jahr einen neuen Sparer finden, der ebenfalls bereit ist, einen Sparbetrag in dieser Höhe für ein Jahr festzulegen. Die Bank benötigt somit zeitlich hintereinander 5 Sparer mit einem Sparbetrag von jeweils 10.000 €, um dem Kreditnehmer den Betrag von 10.000 € für 5 Jahre zur Verfügung zu stellen. 5 Jahresfristen hat sie zu einer 5-jährigen Frist transformiert. In dieser Fristentransformation wird eine wesentliche Funktion unseres Bankensystems gesehen. Was geschieht aber mit dem "Giralgeld", den täglichen Forderungen der Kunden an die Bank? Der einzelne Kunde wird sein Giralgeld für Überweisungen oder aber Barauszahlungen benutzen. Betrachtet man jedoch den gesamten Giralgeldbestand einer Bank stellt man fest, dass dessen Summe sich nur noch unwesentlich verändert, in der Tendenz immer steigend. Obwohl also der Bankkunde sein Giralgeld täglich für Zahlungen verwenden kann und dies auch tut, besitzt jede einzelne Bank einen "Bodensatz" an Giralgeld, der stets vorhanden ist. Dieser wirkt sich wie ein dauerhafter Kredit der Bankkunden gegenüber der Bank aus. In Höhe dieses Bodensatzes kann also die Bank langfristige Kredite vergeben ohne sich der Gefahr auszusetzen, dass es zu Zahlungsengpässen kommt.
Ohne die Erkenntnis über diesen Bodensatz müsste die Bank soviele "täglich fällige Aktiva" besitzen wie sie an Giralgeldern auf den Konten ihrer Kunden verbucht hat. Dann hätte sie fristenkongruent finanziert, dass heißt, den täglich fälligen Forderungen der Kunden an die Bank auf der Passivseite würden auch täglich fällige Forderungen auf der Aktivseite gegenüberstehen.
Aufgrund destatsächlich vorhandenen Bodensatzes ist dies jedoch nicht erforderlich. Die Bank hat tägliche fällige Kredite ihrer Kunden erhalten, deren Giralgelder, und finanziert damit langfristige Kredite an Kreditkunden. Sie betreibt Fristentransformation auf der höchsten Stufe, d. h. aus Krediten ohne Frist generiert sie langfristige Kredite.
Fazit
An Gemeinsamkeiten lässt sich bei beiden Betrachtungen feststellen, dass "täglich fällige Verbindlichkeit der Bank gegenüber den Kunden" neu geschaffen wurden, ohne dass diesen auch "täglich fällige Forderungen der Bank" gegenüberstehen. Die Volkswirte bezeichnen diesen Vorgang als "Geldschöpfung", wohingegen die Banken von "Fristentransformation" sprechen. So einfach lässt sich das anfängliche Sprachproblem zwischen Volkswirten und Bänkern lösen. Die gegenseitige Position muss lediglich ernsthaft wahrgenommen und untersucht werden.
Otto Hübener beschreibt bereits 1853, dass bei der Fristentransformation die Bank etwas verkauft, was sie zum Zeitpunkt der Kreditgewährung noch nicht besitzt. Eine Form von ungedecktem Leerverkauf.
weiter Informationen:
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Goldene_Bankregel
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Bodensatztheorie
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Shiftability-Theorie
Mit den besten Grüßen
Rudi Müller
--
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