ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Rudolf Müller <muellerrudolf AT on22.de>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016
- Date: Mon, 1 Feb 2016 10:02:59 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hallo Wolfgang, um nicht wieder bei dieser Diskussion von vorne anzufangen habe ich Deine Mail vom 16.9.2014 hervorgekramt. Du hast Mehrling dabei so dargestellt: Es geht Mehrling darum, die verschiedenen Ebenen des System zu unterscheiden und zu sagen: was vom Standpunkt einer niedrigeren Ebene als Zahlungsmittel erscheint, ist für die höhere Ebene eben ggf. nicht im vollen Sinn ein solches, weil eben nach dem Netting der Saldo zwischen den Teilnehmern der nächsthöheren Ebene im Zahlungsmittel der wiederum nächsthöheren Hierarchieebene ausgeglichen werden muß.Dies trifft sich mit einem Aspekt aus meinen Ausführungen zum Zweibankensystem https://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Zweibankensystem „Ein Zahlungsproblem entsteht allgemein für jede Bank, wenn sie in einem "Geld" leisten muss, dass sie selbst nicht schaffen kann.“ Also bis hierher keine Differenzen. Problematisch sehe ich die Unterscheidung in „Geld“ (endgültiges, schuldbefreiendes Zahlungsmittel = Bargeld) und „Anspruch auf Geld“ (Geschäftsbanken-Buchgeld). Zur historischen Entstehung dieser Verwirrung: Bei Gründung der Bank of England wurden Banknoten als Quittungen für eingezahlte Kurantmünzen ausgegeben. Weitere Quittungen wurden als Zahlungsversprechen der Bank gegen ein Rückzahlungsversprechen des Kreditnehmers ausgegeben. In beiden Fällen wurden die gleichen Banknoten erstellt mit der Aufschrift: „Ich verspreche an … oder jeden anderen Inhaber gegenwärtiger Note auf Verlangen die Summe von zehn Pfund Sterling auszubezahlen.“ http://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Bank_von_England So wurden bereits zu Beginn der BoE Banknoten im Wert von 1.2 Mio. Pfund Sterling ausgegeben, obwohl zur Auszahlung maximal 300.000 Pfund Sterling in „echtem Geld“ zur Verfügung standen. Diese äußerst fragwürdige, wenn nicht unrechtmäßige Ausstellung von auf „echtem Geld“ lautenden Bankzetteln durch die BoE wirkt bis heute nach. Die BoE gab Zahlungsversprechen ab, die sie nie einhalten konnte und wäre dadurch auch einige Male insolvent gewesen, wenn nicht der Staat durch Aussetzung der Auszahlungsverpflichtung eingegriffen hätte. Das Versprechen auf der Banknote war offensichtlich in 75 % der Fälle nur eine nichtssagende Floskel. Wie lässt sich dieses Gemenge entzerren? Banknoten über 300.000 Pfund Sterling waren indirekt echtes Warengeld, da für sie werthaltige Kurantmünzen bei der BoE vorhanden waren. Die Banknote war hier eine echte Quittung. Banknoten im Wert von 900.000 Pfund Sterling stellten jedoch nur Kreditgeld dar. Die Bank gab diese Noten nur heraus, wenn der Empfänger einen entsprechenden Kredit bei ihr aufnahm, d.h. versprach, den Kreditbetrag einschl. Zinsen nach Ablauf der Kreditlaufzeit zurückzuzahlen. Es existierte also gleichzeitig Warengeld und Kreditgeld im Geldsystem, ohne das der Benutzer wusste, was er in Händen hielt. Nur die Bank selbst besaß Informationen über das Verhältnis. Die Ära des Warengeldes wurde spätestens 1971 endgültig beendet und doch wurden die jetzt völlig nichtssagenden Formeln der Warengeldära in das heutige Denken übernommen. Dabei wurde die Funktion des ehemaligen „echten Geldes“ durch das „heutige Bargeld“ ersetzt und die ehemaligen Banknoten durch das heutige Buchgeld. Die Analogie zeigt sich in der Behauptung, dass unser Geschäftsbanken-Buchgeld nur ein Anspruch auf Bargeld, das einzige gesetzliche Zahlungsmittel sei. Wird aber im Laufe der Zeit auf Bargeld, das einzige gesetzliche Zahlungsmittel, gänzlich im Zahlungsverkehr einer Wirtschaft verzichtet, ist auch die auch die Formel „Geschäftsbanken-Buchgeld ist ein Anspruch auf gesetzliche Zahlungsmittel, das Bargeld“ sinnentleert. Obwohl die Tendenz eindeutig in Richtung „weniger Bargeld“ zeigt, siehe hierzu einige nordische Länder, kann man um das Bargeld die tollsten Modelle stricken. Als Gedankentraining sicher sehr wertvoll. Wie gelangt der Bankkunde an Bargeld? Sofern er kein Bankguthaben besitzt und auch privat keine Waren oder Dienstleistung verkaufen kann, muss er zuerst bei seiner Bank einen Kredit Aufnahmen. Das dabei entstehende Bankguthaben kann er sich dann als Bargeld auszahlen lassen. Damit sind beide Formen von Geld mE Kreditgeld. Woher die Bank das Bargeld bezieht, ist an der Schnittstelle Bankensektor zum Nichtbankensektor unerheblich. Das Bargeld kommt nur gegen Verschuldung in die Wirtschaft. (Das Bargeld besitzt jedoch den Vorteil, dass bei Insolvenz seiner Bank der Kunde sein Giralgeld eventuell verloren hat, sein Bargeld hingegen immer noch allgemein anerkannte Kaufkraft besitzt.) Das Bargeld stellt für die Bank jedoch ein Zahlungsproblem dar, da sie in einem Geld leisten muss, dass sie nicht selbst herstellen kann. Gleiches geschieht, wenn ich von meiner Bank US$ als Bargeld erhalten möchte. Sie muss diese erst „einkaufen“. Das aus praktischen Gründen Modelle mit verschiedene Ebenen des Geldsystems sinnvoll sind, bleibt unbestritten, lediglich der Bezug zwischen Buchgeld und Zentralbankgeld, wie ihn auch Mehrling an den Anfang von: "The Inherent Hierarchy of Money" stellt One way that economists have tried to get an analytical grip on this empirical fact is to distinguish money (the means of final settlement) from credit (a promise to pay money, or means of delaying final settlement).1ist zweifelhaft. Aufgrund meiner kaum ausreichenden Englischkenntnisse habe ich wohl auch einige Schwierigkeiten den Text richtig zu verstehen. Zuerst stoße ich mich an dem Wort „Inherent“. Wenn damit natürlich oder angeboren gemeint sein sollte finde ich dies sehr fragwürdig. Die Ebene der Zentralbank und darüberliegende sind mE nicht natürlich gewachsen sondern diese haben sich diese Privilegien und Machtbefugnisse mit Hilfe des Gesetzgebers erstritten. Zweitens finde ich die Unterscheidung in „endgültige Zahlungsmittel und dem „Versprechen zu zahlen bzw. den endgültigen Zahlungsausgleich erst später vorzunehmen“ hinderlich, den wahren Kern unseres gegenwärtigen Geldsystems zu erfassen. Details s.o. Etwas zu lang geworden, sorry :-[ Beste Grüße Rudi Müller PS. Bitte bei Literaturhinweisen mit englischsprachigen Texten sparsam umgehen. Danke. Für kurze Zusammenfassung in deutscher Sprache, wie Du es oben bei Mehrling gemacht hast, bin ich Dir sehr dankbar. :-) Zum Thema CU folgen noch einige Gedanken in einer getrennten Mail. Am 30.01.2016 um 10:39 schrieb moneymind: Hallo Wolfgang, Ohne Staat (Kurzzusammenfassung vergleichender ethnologischer Forschung): https://www.dropbox.com/s/b9qyxiat426r1vl/Uwe%20Wesel%20-%20Reziprozit%C3%A4t.pdf?dl=0 Mit Staatsplanung (ohne Zivilrecht): https://www.dropbox.com/s/p12zx8iq5d1x5eh/Verdery%20-%20Anthropology%20of%20Socialist%20Societies.pdf?dl=0 Dort ab S. 2 ganz unten: Redistributive Bureaucracies and Reciprocal Exchange. "Geld" kann man nur funktional definieren, als allgemeines Tauschmittel, "Wertaufbewahrungsmittel" (d.h. Tauschmittel für die Zukunft), und Zahlungsmittel (bei nicht direktem, sondern zeitverschobenem Tausch).(ZB für den Gläubiger) Die Aussage in der Klammer bedeutet was? Gesamtwirtschaftlich existiert netto kein Kreditgeldvermögen (da Forderung-Verbindlichkeit = 0).Weshalb müssen sie immer hierarchisch aufgebaut sein? War bisher empirisch so, schau Dir mal Mehrling an. Historische Abfolge: Einfache Kreditzahlungsmittel (Wechsel) + Goldmünzen als "ultimate money", noch ohne Banken: 2-stufig. Mit privaten Banken: 3-Stufig. Mit ZBen, Goldstandard: 4-stufig. Dollarsystem ab 1971: 4 stufig mit Dollar (nat. Währung) an der "Spitze" (Triffin-Dilemma etc.). Mit EZB: 5-stufig, etc. Das eine vertrauenswürdige Institution oberhalb der Geschäftsbankenebene mit einer eigenen Verrechnungseinheit den Ausgleich unter den Banken vereinfacht, ist unbestritten, aber nicht zwingend erforderlich. Ja, war auch historisch nicht immer so, s.o. Funktion: Clearing und LOLR. In einfachster Form gibt es Kreditzahlungsmittel als Zahlungssubstitute und Warengeld (Eigentumsrechte an Münzen) als letztendliches Zahlungsmittel.Das kann man sich so vorstellen, ist jedoch nicht unumgänglich. Nicht unumgänglich, war nur zunächst historisch so (ca ab 12. Jhd., beginnend in nordital. Städten, im Norden auch: Hanse). Im theoretischen Modell der "Wicksellchen Idealbank" (ohne Bargeld) ist auch ein Austausch nur auf Basis von Forderungen und Verpflichtungen denkbar. Ja. Teilt sich die Wicksellche Idealbank in viele Einzelbanken auf, die untereinander im Wettbewerb stehen, würde auch ein reines Kreditsystem ohne Bargeld funktionieren. Jein; nur dann, wenn Restsalden nicht fällig gestellt, sondern grundsätzlich prolongiert werden (nur für die Restsalden nach Clearing braucht man Zahlungsmittel). Das setzt ganz andere Handlungsmotive, weil sich jeder dann plötzlich wachsende Netto-Schulden leisten könnte und wollte, während Gläubiger nicht mehr bereit wären, Netto-Gläubigerpositionen einzugehen (die sie ja nie durchsetzen könnten). Im Endeffekt würde das darauf rauslaufen, daß für alle Subjekte nur noch direkter Barter wieder sinnvoll wäre. Bessere Idee daher m.E.: Clearing Union (Keynes). Hab aber noch immer nicht im einzelnen durchdacht, wie die die Handlungsmotive der Leute insgesamt verändern würde. Es müsste unter den Banken lediglich eine Einigkeit darüber erzielt werden, auf welche "Verrechnungseinheit" man sich einigt, um gegenseitige Forderungen aufzurechnen. Diese Verrechnungseinheit könnte aus einer rein fiktiven Währung bestehen, wie beispielsweise der "Bancor" von Keynes. Ja, s.o. Aber tatsächlich wurde im Mittelalter ein zweistufiges System ohne Zentralbank, wie von Dir nachfolgend beschrieben, benutzt. Siehe auch: Ja. http://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Mehrbankensystem Danke! Gruß Wolfgang |
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Rudolf Müller, 01.02.2016
- <Mögliche Wiederholung(en)>
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Gerhard, 01.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 10.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Rudolf Müller, 01.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 03.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Rudolf Müller, 04.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 05.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Rudolf Müller, 06.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 10.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Rudolf Müller, 06.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 05.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Rudolf Müller, 04.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, moneymind, 03.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Rudolf Müller, 02.02.2016
- Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016, Jürgen, 04.02.2016
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