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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Banken zahlen mit Selbstgemachtem; war: Vollgeld Kritik im Wirtschaftsdienst erschienen

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Banken zahlen mit Selbstgemachtem; war: Vollgeld Kritik im Wirtschaftsdienst erschienen


Chronologisch Thread 
  • From: Arne Pfeilsticker <Arne.Pfeilsticker AT piratenpartei-hessen.de>
  • To: Thomas Weiß <Weiss-Tom AT gmx.de>
  • Cc: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Banken zahlen mit Selbstgemachtem; war: Vollgeld Kritik im Wirtschaftsdienst erschienen
  • Date: Mon, 2 Feb 2015 22:09:45 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>



Am 01.02.2015 um 15:53 schrieb Thomas Weiß <Weiss-Tom AT gmx.de>:

Am 31.01.2015 um 18:22 schrieb Arne Pfeilsticker:




Hallo Thomas,
die Trennung der fachlichen Analyse einerseits und der Wertung andererseits ist auch aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Gesichtspunkt. Genau das versuche ich zu erreichen.

Unsere AG und insbesondere eine politische Partei darf sich m.E. nicht auf die fachliche Analyse beschränken. Die Wertung gehört zu den Kernaufgaben. Die Wertung sollte m.E. aber nicht nur die Fakten im engeren  Sinne einbeziehen, sondern alle relevanten Aspekte. 

Beispiel: Was das amerikanische Militär als "erweiterte Verhörmethoden" bezeichnet ist, ist nach meiner Wertung brutale Folter und ein Verbrechen.

Was du als „vergünstigte Passivposten ‚Giralgeld‘“ bezeichnest ist aus meiner Sicht eine ähnlich sprachliche Verharmlosung. 

Ich spreche von Ausbeutung, wenn Leistungen und Gegenleistungen in einem deutlich unausgewogenen Verhältnis stehen. Insbesondere dann, wenn die Ausgebeuteten die Ausbeutungsmechanismen nicht verstehen und erkennen können und sich auch nicht oder kaum dagegen wehren können.

Ich spreche von brutaler Ausbeutung, wenn z.B. 1% der Bevölkerung genau so viel Vermögen haben, wie die restlichen 99%. Ich spreche von brutaler Ausbeutung, wenn ein kleiner Teil der Bevölkerung in einem unvorstellbaren Überfluss leben und ein großer Teil in Drecklöchern hausen und Dreck fressen müssen, obwohl sie von Kindesbeinen an tagtäglich hart arbeiten.

Ich weiß, dass du diese Zustände genauso verabscheust wie ich.

Wenn wir diese Zustände ändern wollen, dann müssen wir zunächst die Ursachen herausfinden, die Zusammenhänge klar und einfach darstellen und die Dinge auch bewertend beim Namen nennen.

Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass diese Zustände allein das Ergebnis der „vergünstigten Passivposten“ sind.

Was ich behaupte und durch meine fachlichen Analysen begründe ist, dass die Geldschöpfung des Geschäftsbankensektors ein zentraler Baustein der globalen Ausbeutungsstrukturen ist.

Nicht mehr und nicht weniger.

Viele Grüße
Arne 


Da bin ich voll bei dir. Möchtest du auch noch konkret sagen, wo du meine Wertung nicht unterschreiben kannst?

Hallo Thomas,
gerne gehe ich auf deine Wertung ein, aber dafür musste ich ein bisschen mehr Nachdenken.


Nun meine Wertung: Giralgeld dient einer Nichtbank als Zahlungsmittel, es stellt den Nichtbanken Liquidität zur Verfügung.
Das wäre auch dann der Fall, wenn das Giralgeld, genauso wie Banknoten ausschließlich von der Zentralbank bereit gestellt werden würde.

Wenn jemand mehr Giralgeld hat als er braucht, hindert ihn niemand daran, das z.b. in Staatsanleihen umzuschichten. Die Nichtbank nimmt also den Zinsverlust bewusst in Kauf um liquide zu sein.
Richtig. Aber auch das wäre der Fall, wenn das Giralgeld nur durch die Zentralbank bereit gestellt werden würde.

Auf der anderen Seite stellt das Bankensystem auch die Infrastruktur unseres Zahlungsverkehrs, d.h. es erzeugt erst diese Liquidität. 
Wäre nur die Zentralbank kontoführende Stelle der Girokonten, dann würden alle Zahlungen über ein und den selben Rechnerverbund laufen. Das Gesamtsystem würde sich drastisch vereinfachen, weil jede Zahlung genau ein Buchungssatz wäre und das gesamte Clearing weg fallen würde. Sowohl Geschäftsbanken als auch Nichtbanken könnten wie im Online-Banking auf ihre Konten zugreifen. Jede Überweisung wäre in Echtzeit für allen Berechtigten einsehbar.

Die Kosten für den Zahlungsverkehr und die Kontoführung könnten erheblich gesenkt werden.

(und eine Bank muss sich auch sehr real darum kümmern, jederzeit selbst liquide zu sein.) 
Das ist der Job nicht nur für Banken, sondern eine Grundfunktion, die jeder - egal ob Unternehmen, der Staat und auch die privaten Haushalte - erfüllen müssen.

Das Liquiditätsmanagement für Banken würde sich erheblich vereinfachen, wenn Banken nur noch termingebundene Aktiva und Passiva hätte und keine jederzeit fällige Sichteinlagen. Die Vorhersagbarkeit der Ein- und Auszahlungen würde sich deutlich verbessern. Bankenruns wären systembedingt nicht mehr möglich.

Letztlich ist also der "Geldschöpfungsgewinn" der Lohn der Banken dafür, Liquidität und Abwicklung von Zahlungen zur Verfügung zu stellen.

Dem Grundprinzip, das hinter dieser Schlussfolgerung steht, kann ich voll und ganz zustimmen: Der Lohn ist die Gegenleistung für eine erbrachte Leistung.

Dieses Leistungsprinzip besagt, dass Leistung und Gegenleistung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen sollen. (Meine Formulierung)
Hardcore Marktverfechter würden sagen: Der Lohn sollte dem Grenzertrag der Leistung entsprechen. Auch bei dieser Formulierung wird auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung abgestellt.

Das Leistungsprinzip ist zwar nicht in allen Lebensbereichen angebracht, aber bei dem hier diskutierten Sachverhalt sehe ich keinen guten Grund davon abzuweichen.

Mein Einwand gegen deine Schlussfolgerung ist nun, dass genau dieses Leistungsprinzip in dem von dir beschriebenen Sachverhalt verletzt wird.

Die betriebswirtschaftliche Disziplin, die sich mit der Leistungsverrechnung befasst, ist die Kosten- und Leistungsrechnung.

Nach den Ideen der Kosten- und Leistungsrechnung sollten Kosten und Erlöse möglichst ursächlich den Kostenträgern (= abgegebenen Leistungen) zugerechnet werden.

Veranschaulicht ausgedrückt heißt das, dem Metzger stehen die Einnahmen aus dem Wurst- und Fleischverkauf zu, dem Bäcker die Einnahmen aus dem Verkauf seiner Brötchen und nicht z.B. die Tageskasse vom örtlichen ALDI. Und Analoges gilt für die Kosten.

Meine These ist nun: Zwischen dem Lohn (= Geldschöpfungsgewinn) und den Kosten für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und der Bereitstellung von Liquidität gibt es hinsichtlich der Banken keinen ursächlichen Zusammenhang.

Es gibt keinen sachlogischen  Zusammenhang zwischen Geldschöpfungsgewinn und der Abwicklung des Zahlungsverkehrs: Die Kosten für den Zahlungsverkehr korrelieren mit der Anzahl der Überweisungen und nicht mit dem Geldschöpfungsgewinn. Die Kosten des Zahlungsverkehrs bekommen die Banken über die Kontoführungsgebühren erstattet.  Würden die Konten bei der Zentralbank geführt, dann würden der Bank und den Kunden keine oder erheblich geringere Ausgaben der Kontoführung entstehen.

Der Geldschöpfungsgewinn ist bei einmaliger Realisierung die Differenz zwischen dem Nominalwert und den Herstellungskosten des Geldes. 
Der Geldschöpfungsgewinn ist bei dauerhafter Realisierung eine Funktion der Zeit, der Geldmenge und des Geldschöpfungszinsatzes. 
Mehr zur einmaligen bzw. stetigen Realisierung des Geldschöpfungsgewinns siehe: http://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Was_ist_Geld%3F/Geldsch%C3%B6pfungsgewinn 
In diesem Link wird auch gezeigt, dass der Barwert des dauerhaften Geldschöpfungsgewinns über Zinsen genau so groß ist wie der einmalige Geldschöpfungsgewinn.

Der partielle Differenzialquotient zwischen dem Geldschöpfungsgewinn und der Anzahl bzw. den Kosten der Überweisungen ist 0. D.h. Die Anzahl der Zahlungen hat keinen Einfluss auf den Geldschöpfungsgewinn. Auch hat der Geldschöpfungsgewinn keinen Einfluss auf die Kosten der Transaktionen.

Die Geldschöpfungsgewinn ist eine Funktion der Geldmenge (= Liquidität) und somit ist die Bereitstellung von Liquidität eine sachlogisch begründete Anspruchsgrundlage.

Und genau hier stellt sich die Frage: Wer hat welche Argumente bei der Verteilung des Geldschöpfungsgewinns. Der Finanzsektor oder die Gesellschaft vertreten durch den Staat?

Um diese Frage zu beantworten muss man sich aus der Sicht der Kosten und Leistungsrechnung die Kostenstruktur des Produktes Giralgeld ansehen.

Giralgeld ist in einem noch höheren Maße als Software ein Produkt dessen Grenzkosten gegen Null tendieren. Im Falle von Software hat man im Wesentlichen Entwicklungskosten und danach kann man ein Programm beliebig oft installieren und die Gesamtkosten steigen nur unwesentlich.

Aufgrund dieser 0-Grenzkosten-Eigenschaften von Giralgeld hat sich die Auffassung verbreitet, dass Giralgeld aus dem Nichts entsteht.

Diese Auffassung teile ich nicht. Die Voraussetzung für Giralgeld ist eine Gesellschaft mit - hinsichtlich des Giralgeldes - funktionierender Rechtsordnung und einem Schuldrecht, das Giralgeld ermöglicht.

Würde z.B. heute ein Gesetz in Kraft treten, nach dem Ansprüche auf Geld nicht mehr gerichtlich eingeklagt und durchgesetzt werden können, dann würde morgen der gesamte Finanzsektor so wie wir ihn kennen zusammen brechen.

Giralgeld ist ein Anspruch auf Geld und damit ein subjektives Recht bzw. Produkt der Rechtsordnung. Ich denke es ist unstreitig, dass die Rechtsordnung, die Gerichte und die Durchsetzung des Rechts Leistungen des Staates sind. 

Rechtsordnung, Gerichte und Gerichtsvollzieher bilden die Infrastruktur, auf deren Basis Giralgeld hergestellt werden kann und diese Infrastruktur verursacht Kosten. Die eigentliche Herstellung des Giralgeldes ist jedoch kostenlos.

Wo keine Kosten entstehen, dort kann auch keine Leistung erbracht worden sein, weil Kosten bewerteter Leistungsverzehr darstellt.

Bei einer ursächlichen kosten- und leistungsgerechten Verteilung des Geldschöpfungsgewinns zwischen Staat und Banken müsste demnach der Verteilungsschlüssel 100% Staat : 0% Banken lauten.

Mit dieser Schlussfolgerung bin ich am Ende meiner Einwände gegen deine vorgetragene Wertung.

Ich habe aber gesagt und du hast mir dabei zugestimmt, dass bei einer Wertung alle relevanten Aspekte in die Betrachtung einfließen sollten.

Ein Teil der relevanten Aspekte habe ich eingangs erwähnt. Andere sollten wir später diskutieren, damit ich diese Email endlich abschicken kann. :=)

Viele Grüße
Arne




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