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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Stephan_Schulmeister

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Stephan_Schulmeister


Chronologisch Thread 

Am 19.11.14 um 01:50 schrieb moneymind:
> Hi Gerhard,
>
>> Leider bleibt Schulmeister im Dogma einer Mikrofundierung der
>> Makroökonomie gefangen.
> Könntest Du das mal konkretisieren/präzisieren?

Gerne, denn ich glaube, dass darin der Kern der Krise in der Ökonomie
liegt. Gleichzeitig kann ich dadurch auch meine eigene Agenda in unseren
Diskurs mit einbringen.

Als Ausgangspunkt möchte ich eine Folie aus Keen ins Vortrag 'Dodgy
Dynamics' heranziehen:
direkter Link zur Folie:
<https://www.youtube.com/watch?v=WZ_Q94eQ-Kg&t=9m02s>
[Transskript]
Der Trugschluss des Konstruktionismus in der Ökonomie ('Mikrofundierung')

Wenn man Wissenschaften in eine hierarchische Ordnung derart sortiert,
dass elementare Objekte in einer Disziplin X den Gesetzen der
darunterliegenden Disziplin Y gehorchen, kann man das etwa so illustrieren:

Festkörperphysik < Atomphysik
Chemie < Festkörperphysik
Molekularbiologie < Chemie
Zellbiologie < Molekularbiologie
...
Psychologie < Physiologie
Sozialwissenschaften < Psychologie

Aus einer derartigen Hierarchie geht jedoch nicht hervor, dass eine
Disziplin X 'nur angewandte Disziplin Y' sei, wie das im Kanon der
Volkswirtschaftslehre der Fall ist. Auf jeder Ebene werden
eigenständige Gesetze, Konzepte und Verallgemeinerungen notwendig,
die im gleichen Maße Gedankenarbeit und Einfallsreichtum erfordern,
wie auf der vorhergehenden.
[/Transskript]

Die Gleichgewichtsesoteriker begründen die Mikrofundierung aus der
walrasianischen Totalanalyse, das ich nebenan im Beitrag 'Missing Link…'
in meiner Anmerkung zu Michael Heinrichs Artikel zum
Transformationsproblem dargelegt habe.

Die Quantumanalyse bietet ein alternatives Framework zum
marginalistischen Ansatz (Grenznutzenlehre) der Neoklassik. Geld und
Kapital sind zum erstenmal präzise im makroökonomischen Zusammenhang
definiert, basierend auf Keynes Identitäten. Wir haben nicht nur eine
funktionale Beschreibung von Geld als Recheneinheit Tauschmittel und
Wertaufbewahrungsmittel, wie bei Hicks, sondern auch eine
Gelddefinition, die zudem stock-flow-konsistent ist: Geld im engeren
Sinne existiert nur im Moment der Zahlung als Aktiv-Passiv-Relation
(Flussgröße) zwischen zwei Akteuren, wovon einer immer eine
Registrierungsinstitution (Bank) ist. Als Resultat der Zahlung verbleibt
ein Geld-Einkommen, das als reine Zahl in einem Depot dieser
Registrierungsinstitution erhalten bleibt (Bestandsgröße). Dieses Modell
präzisiert, was Wolfgang Stützel in 'Volkswirtschaftliche
Saldenmechanik' auf S. 57 in einer Fußnote vermerkt:

> vgl. hierzu Hans Peter, Mathematische Strukturlehre des
> Wirtschaftskreislaufs, Göttingen 1954, S. 92f. über „Raumbegrifre in
> der Ökonomik“, insbesondere S.93: „Bei einer Zahlung verläßt Geld den
> einen Pol, um sofort dem anderen anzugehören. Der Übergang erfordert
> keine Zeit - auch kein Zeitdifferential! Schicke ich Geld mit der
> Post, so hat der Jurist zu entscheiden, in welchem Zeitpunkt der
> Besitzwechsel sich vollzieht“. Wir glauben, daß Copeland sehr recht
> hatte, wenn er (A Study of Moneyflows in the United States)
> feststellte, daß der Vergleich von Geldströmen mit (offenen)
> Wasserströmen, die eine gewisse Zeit brauchen, um von einem Pol zum
> nächsten zu gelangen, eine Fülle von Mißverständnissen
> heraufbeschwört (a.a.O. Chapt. 12, sowie S. 29ff.).

Als Ursache der Krise macht die Quantumökonomie eine Überkapitalisierung
einer Volkswirtschaft (genauer eines Währungsgebietes) aus, die nicht im
individuellen Verhalten der Wirtschaftsssubjekte gefunden werden kann,
sondern auf eine unvollständige Rechnungslegung im Bankensektor
zurückzuführen ist. Völlig unabhängig davon hat Heribert Genreith mit
einem komplett anderen Ansatz nachgewiesen, dass Investitionsgüter in
der herkömmlichen Auffassung der Quantitätsgleichung doppelt gezählt
werden. -> Thread 'das Kind im Bade..,'

Was noch aufzuzeigen wäre, und ich noch nicht eingebracht habe, ist die
Unsinnigkeit einer LM-Kurve zu begründen, wie es in der neoklassischen
Synthese nach Hicks geschehen ist.

Ebenfalls noch nicht näher ausgeführt ist Keens Kritik an der Herleitung
des rationalen Nutzenmaximierers in Samuelsons 'revealed
preferences' (offenbarte Präferenzen). An dieser Stelle nur ganz kurz:
Das Verhalten des individuellen Nutzer muss den folgenden Regeln
genügen: Vollständigkeit, Transitivität, Nichtsättigung und Konvexität.
Keen weist nach, dass die Vollständigkeit nicht mehr gegeben ist, sobald
man vom 2-Güter-Fall auf einen realistischen n-Güter-Fall schliesst.
Konsumption wird zu einem Problem von exponentieller Komplexität, das
analytisch nicht mehr berechenbar ist.

Des weiteren wird nirgends die Herleitung einer Marktnachfragekurve aus
der individuellen Nachfragekurve begründet. In Anlehnung an einen alten
Mathematikerwitz, wie Physiker nachweisen, dass alle ungeraden Zahlen
prim sind:
3 ist prim
5 ist prim
7 ist prim
9 ist prim, äh Messfehler
11 ist prim
13 ist prim
...
kann man in Bezug auf Ökonomen so umformulieren, dass sie die
Primzahleigenschaft für alle Zahlen nachweisen:
2 ist prim
...
Über eine Marktnachfragekurve kann hingegen schon eine Aussage gemacht
werden. Im Sonnenschein-Mantle-Debreu-Theorem wurde *bewiesen*, dass
jede stetige reellwertige Funktion eine potentielle Nachfragefunktion
darstellt. Keen kommentiert das als 'klassisches Eigentor'.

Wie Keen in seinem Vortrag 'Dodgy Dynamics' auf der Folie 'Weg zu einer
vereinigten postkeynesianischen Methodologie' weiter ausführt, sind für
eine konsistente Modellierung folgende Eigenschaften zu erfüllen:

direkter Link zur Folie:
<https://www.youtube.com/watch?v=WZ_Q94eQ-Kg&t=46m20s>
[Transskript]
* kann es keine subjektivistische Theorie (Neoklassik/Österreicher) sein
[Im Sonnenschein-Mantle-Debreu-Theorem schon durch den Mainstream selbst
widerlegt; exponentielle Komplexität]
* kann es auch keine Marx'sche 'Arbeitswerttheorie' sein
- Logische Unzulänglichkeiten (Transformationsproblem,
Kapitalkontroverse ->Sraffa-Kritik)
[in QÖ durch konzeptionelle Trennung Finanzierungskapital <-> Fixkapital
gelöst]
- Inkonsistent mit dialektischer Philosophie bei Marx (Keen 1993)
[habe ich noch nicht gelesen]
* muss eine objektive/subjektive Beurteilung ökonomischer Entitäten auf
mehreren Ebenen ermöglichen: objektive Kosten der Produktion, subjektive
Bewertung von Vermögensgegenständen
[in QÖ durch 'absoluten Tausch' gelöst (Kalibrierung Makro Kosten der
Produktion auf Geld-Einkommen); konzeptionelle Trennung von
Geld(-zahlung) und Geld-Einkommen; Verwendung des Einkommens bleibt der
individuellen Entscheidung eines Wirtschaftssubjektes unter
Berücksichtigung der gegebenen Budgetgrenze (Einkommens-Depot)
überlassen (->Mikro)]
* muss unser Wissen über die Realität reflektieren, das im 19. Jhdt.
noch nicht vorhanden war:
- Gesetze der Thermodynamik
- Bedeutung von Energie/Exergie/Entropy in der Produktion

Er hält es für möglich, eine solche Werttheorie aus Marx'scher Dialektik
und moderner ökologischer Ökonomie (Rogen, Ayres et.al.) herleitbar ist.
[/Transskript]

Was ersteres betrifft, betrachte ich die Quantumökonomie als Synthese
von Klassik und Neoklassik auf gesamtwirtschaftlicher Ebene. Was das
zweite betrifft, müsste das Wachstumsdogma ersetzt werden durch ein
Konzept eines 'höheren Ordnungszustandes' oder 'Organisationsgrades',
wie er in Der Physik unter dem Begriff Entropie bekannt ist.

Ein wesentliches Kennzeichen nichtlinearer Modellierung ist der Umstand,
dass es nicht mehr darum geht, Prozesse zu 'optimieren', sondern nur
darum, ob sich Prozesse im Zeitverlauf stabil verhalten. Wünschenswert
sind dabei Prozesse, bei dem ein Systemzustand auf einem
Fixpunkt(Attraktor) zuläuft oder in einem stabilen Grenzzyklus
oszilliert (im ökonomischen Kontext: Konjunktur). Unerwünscht sind
Prozesse bei denen Systemzustände chaotisch oszillieren oder gar in
mathematische Katastrophen münden.

Ich denke, dass wir damit die Bausteine für ein besseres Modell zum
Konkurrenzkapitalismus haben, das nicht auf metaphysische Annahmen
begründet ist, sondern ganz konkret auf dem Prinzip der doppelten
Buchführung (->Bilanztheorie) fusst, dem einzig eigenständigen
wissenschaftlichen Beitrag der Ökonomie zum wissenschaftlichen Kanon.
Wie wir das nennen wollen (Postwachstumsökonomie, kooperativen
Kapitalismus, demofratiekonforme Marktwirtschaft oder aufgeklärten
Kapitalismus) ist zweitrangig, die oben skizzierte Agenda stellt imho
nicht nur die Grundlage für einen Kuhnschen Paradigmenwechsel dar
sondern kann auch wissenschaftstheoretisch als Ockhams Rasiermesser
aufgefasst werden.

gerhard(ivl1705)




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