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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - [AG-GOuFP] Geschäftsbanken an prozyklischem Staatshandeln interessiert, um ZB-Zins zu senken?

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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[AG-GOuFP] Geschäftsbanken an prozyklischem Staatshandeln interessiert, um ZB-Zins zu senken?


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: [AG-GOuFP] Geschäftsbanken an prozyklischem Staatshandeln interessiert, um ZB-Zins zu senken?
  • Date: Fri, 28 Feb 2014 12:25:41 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hi,

anbei ein Briefwechsel mit Schulmeister mit einem Versuch, die wirtschaftspolitischen Forderungen der neoliberalen Ideologie zu verstehen - ich komme dabei zu dem Schluß, daß die tatsächlich "im Interesse des Finanzkapitals" (der Geschäftsbanken, etc.) sind.

Mich würde interessieren, ob ihr meine Überlegungen nachvollziehbar und schlüssig findet - würde mich über Einwände und Kritik freuen.

*Ich schrieb an Schulmeister: *

/Lieber Herr Schulmeister,

die Beschäftigung mit ihrem Modell der langen Zyklen als über zwei
typische Interessenbündnisse geführten Machtkampfs zwischen Arbeit,
Realkapital und Finanzkapital hat für mich schon eine ganze Reihe von
fruchtbaren Einsichten gebracht.

Hier jedoch eine Frage. Sie schreiben, das Finanzkapital habe primär
ein Interesse an "hohen Zinsen" (also, so nehme ich an, auch an einem
höheren Diskontsatz der Zentralbank). Gleichzeitig habe es ein
Interesse an der Konsolidierung des Staatshaushalts (einer
Standardforderung der neoliberalen Ideologie/Wirtschaftspolitik) - für
letzteres erinnere ich mich nicht, eine plausible Erklärung in Ihren
Texten gefunden zu haben.

Ich hatte hierzu folgende Überlegung bzw. Frage:

1. Es ist zu beobachten, daß die Staaten, wenn sie eine
bedingungslose Budgetkonsolidierung anstreben, ihr Handeln nicht mehr
auf ein Inflationsziel hin ausrichten können, sondern dies völlig an
die Zentralbank deligieren (müssen - und das auch tun: die
Verantwortung fürs Erreichen des Inflationsziels wird ja fast nur noch
der EZB zugeschrieben, während man dem Staat die "Verantwortung für
einen unter allen Umständen ausgeglichenen Haushalt" andichtet -
unabhängig von jeglicher Betrachtung der gesamtwirtschaftlichen
Verschuldungssalden).

2. Die Zentralbanken sehen sich bei bedingungsloser
Staatskonsolidierung natürlich gezwungen, den Zinssatz immer weiter zu
senken, um die Zielinflationsrate (EZB 2%) überhaupt noch erreichen zu
können. Die niedrigen ZB-Zinsen sind also ebenfalls wiederum kein
Problem sui generis, sondern werden nur dadurch möglich, daß der Staat
das in einzelwirtschaftlichem Denken begründete Ziel der
"Haushaltskonsolidierung" über gesamtwirtschaftliche Ziele stellt,
deren Anstreben "eigentlich" seine Aufgabe wäre, weil nur er dies
nachhaltig tun kann).

3. Wir beobachten, daß die Zinsrate dennoch nicht signifikant unter
der Wachstumsrate der Realwirtschaft liegt und offensichtlich nicht zu
mehr realwirtschaftlichen Investitionen anreizt. Vielmehr ist der
Unternehmenssektor mittlerweile sogar Nettosparer (im Gegensatz zu den
60er Jahren, in denen er Nettoschuldner war).

4. Wer nun aber am stärktsten von den niedrigen Zentralbankzinsen
profitiert, sind die Spekulanten - das Finanzkapital. Denn Spekulanten
können bei niedrigen Zinsen leichter auf Kredit spekulieren und damit
enorme Kursschwankungen provozieren - also genau das, das ihnen ihre
Gewinnmöglichkeiten bietet. Extrem volatile Kurse - große
Kursschwankungen - bedeuten ja für die Profis extrem große
Gewinnmöglichkeiten.

5. Billige Zentralbankkredite fließen ja momentan auch vornehmlich in
die Spekulation, anstatt in realwirtschaftliche
(arbeitsplatzschaffende) Investitionen.

Schlußfolgerung: das Interesse des Finanzkapitals an der
Konsolidierung der Staatshaushalte hat auch den Effekt (und verfolgt
vermutlich daher auch das Ziel) des Erzwingens eines niedrigen
ZB-Zinssatzes, das billiges Spekulieren auf Kredit ermöglicht; dies
wiederum ermöglicht eine höhere Volatilität der Kurse mit höheren
Gewinnmöglichkeiten für die "Profis" (Hyman P. Minsky hätte seine
wahre Freude daran).

In other words: die Forderung nach bedingungsloser Konsolidierung der
Staatshaushalte hat auch das Ziel, den ZB-Zinssatz zu senken und so
billiges Spekulieren auf Kredit möglich zu machen, das wiederum die
Volatilität der Kurse erhöht und für die Profi-Spekulanten höhere
Gewinnmöglichkeiten schafft.

So erklärt sich zu einem Teil, daß sich bedingungslose
Staatskonsolidierung ohne Rücksicht auf gesamtwirtschaftliche
Zielvorstellungen im Forderungskatalog der vom Finanzkapital
propagierten neoliberalen Ideologie findet. Zentrale ideologische
Denkfigur wäre hier: "der Staat ist auch nur ein Haushalt" bzw. "muß
wie ein Unternehmen geführt werden" - also die Anwendung
einzelwirtschaftlich-betriebswirtschaftlichen Denkens auf den Staat
(was natürlich jegliche Saldenmechanik und Makroökonomie ignorieren
bzw. verdrängen muß).

Erscheint diese Begründungskette aus Ihrer Sicht schlüssig?

Beste Grüße und vielen Dank für Ihre Arbeit!
WT/

*Antwort Schulmeister:*

/Lieber Herr Theil,

"im Prinzip" ist das Finanzkapital natrülich an hohen Redniten aller Art von Finanzveranlagung interessiert, also auch an hohen Zinsen. Aber die logische Inkonsistenz des gesamten Spielanlage führt faktisch notwenidg zu a) Finanzkrisen und b) steigenden Staatsschulden (insbesondere wegen des Überschusses des Unternehmenssektors).

In diesem Dilemma sind niedrige ZInsen das geringere Übel, weil Staatsbankrotte die größte Vernichtung des FK ist (abgesehen von Hyperinflation), und man mit den niedrigen Zinsen ja anderer (Aktien)"Investitionen" tätigen kann. Damit baut man allerdings das Potential für die nächste Krise auf.....

Also: Ihre Argumentation beschreibt konsistent Etappen einer Kettenreaktion.

Herzlich,

StS/

*Antwort von mir mit genauerer Erklärung des Hintergrunds meiner Überlegung: *

/Lieber Herr Schulmeister,

Sie schreiben:

"im Prinzip" ist das Finanzkapital natrülich an hohen Redniten
aller
Art von Finanzveranlagung interessiert, also auch an hohen Zinsen.

Ja - aber profitieren von einem hohen Zentralbankzins nicht vor allem
die Halter von Sparguthaben bei Geschäftsbanken, also hauptsächlich
die privaten Haushalte (und jetzt auch die Unternehmen, sofern sie
ihre Überschüsse tatsächlich in dieser Form und nicht in Form anderer
Finanzanlagen halten)?

Für Geschäftsbanken bedeuten die Zinsen, die sie an die Zentralbank zu
zahlen haben, ja immer Kosten - ein niedrigerer Zentralbankzinssatz
bedeutet für sie also eine Kostenersparnis. Der Grund, warum
Geschäftsbanken Zinsen für auf eine gewisse Zeit fest angelegte
private Sparguthaben bezahlen, die praktisch immer unter dem von der
Zentralbank geforderten Zinssatz liegen, besteht darin, daß die
Geschäftsbanken dadurch, daß ihre Kunden für eine gewisse Zeit
explizit auf die Auszahlung ihrer Guthaben in Form von Zentralbankgeld
(Bargeld) verzichten, das Liquiditätsrisiko der Geschäftsbank senken,
sodaß sie weniger Zentralbankgeld für eventuelle Auszahlungswünsche
vorhalten muß. Das spart der Geschäftsbank natürlich Kosten für
Zentralbankgeld.

Die Geschäftsbanken sind also natürlich daran interessiert, im
Kreditgeschäft von ihren KUNDEN einen möglichst hohen Zinssatz für
Kredite kassieren zu können. Aber gleichzeitig sind sie daran
interessiert, selbst einen möglichst niedrigen Zins an die Zentralbank
(für Zentralbankgeld) und ihre Kunden (für Einlagen, d.h. den Verzicht
auf Auszahlung in Zentrabankgeld) zahlen zu müssen.

Ich denke, da sollte man sinnvollerweise differenzieren, und es kann
irreführend sein, von "Zinsen" im allgemeinen und "dem Finanzkapital"
im allgemeinen zu sprechen.

Aber die logische Inkonsistenz des gesamten Spielanlage führt
faktisch notwenidg zu a) Finanzkrisen und b) steigenden
Staatsschulden
(insbesondere wegen des Überschusses des Unternehmenssektors).

Ja, sehe ich ähnlich.

In diesem Dilemma sind niedrige ZInsen das geringere Übel, weil
Staatsbankrotte die größte Vernichtung des FK ist (abgesehen von
Hyperinflation), und man mit den niedrigen Zinsen ja anderer
(Aktien)"Investitionen" tätigen kann. Damit baut man allerdings das
Potential für die nächste Krise auf.....

Dies - das Zocken auf Kredit - passiert ja, und natürlich wird damit
das Potential für den nächsten Crash aufgebaut. Der Witz ist aber
doch, daß extrem volatile Kurse eben auch extreme
Spekulationsgewinnmöglichkeiten (für die Profis) bieten, und Zocken
mit billigem Kreditgeld es ermöglicht, über hohe Kreditsummen auch
extreme Kursausschläge zu erzeugen. Daher ist für die Banken die
Strategie, die Zentralbank dadurch zu Niedrigzinsen zu zwingen, daß
man bedingungslose Staatskonsolidierung fordert (was die
Realwirtschaft stranguliert, sodaß nur noch bei extrem niedrigen
Zinssätzen überhaupt real investiert wird), nicht das "geringere
Übel", sondern liegt voll im Interesse der Geschäftsbanken.

Ein niedriger Zentralbankzins ist also SOWOHL im Interesse des
Realkapitals als auch des Finanzkapitals, aber prozyklische staatliche
Politik ist v.a. im Interesse des Finanzkapitals (Geschäftsbanken
etc.), da die Realunternehmer ja von staatlicher Nachfrage auch
profitieren (und sich deswegen auch für Konjunkturprogramme
mobilisieren lassen dürften, die zu Auftragseingängen führen würden
(Bauwirtschaft etc.).

Die Lösung kann, wie Sie schreiben, klarerweise nur in einer "neuen
Spielanordnung" bestehen: erstens muß das Zocken auf Kredit
gesetzlich unterbunden werden, zweitens muß der Staat wieder
Verantwortung für gesamtwirtschaftliche Ziele übernehmen und anstelle
der Verfolgung einzelwirtschaftlicher / betriebswirtschaftlicher
Ideale "bedingungsloser Konsolidierung" seine Fiskal- und
Defizitpolitik wieder an gesamtwirtschaftlichen Zielen ausrichten,
also mit der Zentralbank am selben Strang ziehen, anstatt gegen diese
zu arbeiten und sie zu extremen Niedrigzinsen zu zwingen (um überhaupt
noch die Zielinflationsrate in der Realwirtschaft erreichen zu können,
der es systematisch an Nachfrage fehlt).

Aber der Kernpunkt, auf den ich hinauswollte war: es erscheint mir
sinnvoll, bei "den Zinsen" genauer zu differenzieren (s.o.):
Geschäftsbanken sind zwar daran interessiert, selbst hohe Zinsen
kassieren zu können, aber möchten selbst eben auch möglichst niedrige
Zinsen bezahlen. Daher sind sie an einem möglichst NIEDRIGEN
Zentralbankzins interessiert, und das Propagieren prozyklischen
staatlichen Handelns kann als Mittel dienen, den Zentralbankzins nach
unten zu drücken.

Niedrige Zentralbankzinsen bei gleichzeitig prozyklischer staatlicher
Politik wären damit ein Kernelement der finanzkapitalistischen
Spielanordnung.

Beste Grüße und vielen Dank für Ihre Arbeit!
WT /

Gibt es Anregungen, Kritik, Einwände, Ergänzungen eurerseits dazu?

Danke + Gruß!




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