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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - [AG-GOuFP] Der Zins, der Markt und die Minderung der kognitiven Dissonanz

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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[AG-GOuFP] Der Zins, der Markt und die Minderung der kognitiven Dissonanz


Chronologisch Thread 
  • From: Comenius <comenius2000 AT gmail.com>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: [AG-GOuFP] Der Zins, der Markt und die Minderung der kognitiven Dissonanz
  • Date: Sun, 17 Jun 2012 14:06:15 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Am 17.06.2012 10:56, schrieb Tugrisu: Banken produzieren definiv keine Waren und Güter! Banken produzieren Geld durch Kredit und Zins. Das durch Kredit erzeugte Geld wird bei Tilgung wieder vernichtet. Übrig bleibt der Zins. Und dies drückt sich in der Erhöhung der Geldmengen aus.
oder in http://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Gesellschaftliche_Problemstellungen/Umverteilungsproblem lese ich:
"Wäre Fremdkapital zinslos verfügbar (als Extrembeispiel) wäre eine Rendite auf Eigenkapital am Markt nicht mehr durchsetzbar."

Wenn solche Aussagen, die relativ leicht falsifizierbar sind, so hartnäckig verteidigt werden, dann muss es dafür einen guten Grund geben - und den gibt es. Er heißt: "Minderung der kognitiven Dissonanz". Dieser sozialpsychologische Mechanismus ist weitgehend dafür verantwortlich, dass jede Art von "Heilslehre" ihre Anhänger findet und behält.

Heilslehren zeichnen sich dadurch aus, dass sie behaupten den einen Punkt gefunden zu haben, von dem aus man ALLES GUT machen kann. Solche Lehren werden von ihren Anhängern emotional sehr stark besetzt, da die Anhänger sich im Kreis der tumben Toren als Durchblicker fühlen können, die allein erklären können, "was die Welt im innersten zusammenhält". Dies stärkt das Selbstwertgefühl und die Aussicht auf Anerkennung und Erfolg im Leben, wenn denn die Lehre endlich als allgemein "verstanden" und entsprechend als wahr akzeptiert würde. Wegen dieser hohen positiven emotionalen Besetzung der Lehre wird die Motivation der Anhänger, Kritik oder Widerlegungen der Lehre nicht zur Kenntnis zu nehmen oder nicht zu "verstehen" mindestens so hoch, wie ihre Hoffnung - und das kann erheblich sein. Besonders leicht gemacht, wird dies, wenn es sich um eine Lehre zu einem hochkomplexen System (wie der Weltwirtschaft) handelt, das wegen seiner Komplexität auch von der etablierten Wissenschaft nicht vollständig und schlüssig beschrieben wurde und das der "normale" Mensch sowieso nicht in den Einzelheiten versteht. Hier ergeben sich immer wieder viele argumentative Schlupflöcher, mit denen man seinen Glauben an die Lehre stützen kann.

Die Lehre vom "bösen Zins" erfüllt alle Voraussetzungen einer solchen Heilslehre. Sie ist einfach und verspricht durch die eine Änderung die Erlösung von allen Problemen unseres Wirtschaftssystems. Gleiches gilt übrigens für die Lehre "der Markt macht alles gut - der Staat macht alles schlecht" genauso wie die Gegenlehre "der Markt macht alles schlecht - der Staat macht alles gut".

Nun können natürlich solche sozialpsychologigschen Überlegungen keine Lehre falsifizieren, sie können uns aber zur Vorsicht gemahnen. Ein weiterer - diesmal systemtheoretischer - Aspekt unterstützt diese Mahnung zur Vorsicht: Ein System kann möglicherweise durch die Änderung eines Parameters völlig kollabieren und aufhören, seine Funktion zu erfüllen, was beim System der Weltwirtschaft eher ungünstig wäre, Wahrscheinlicher ist jedoch, dass ein hinreichend komplexes System die Änderung eines Parameters nach kurzer Zeit kompensiert und dann mit gleichem Ergebnis weiter wie bisher funktioniert.

Fazit:
Es gibt reichlich Gründe gegenüber Ein-Punkt-Lösungen skeptisch zu sein und gute Gründe für die Anhänger von Ein-Punkt-Lösungslehren, nicht nur ihre Argumentationen, sondern auch ihre Motivation mit Blick auf die Minderung kognitiver Dissonanz gründlich zu prüfen, weil sie ein hohes Risiko eingehen, sich lächerlich zu machen.

Für politisches Handeln gilt darüber hinaus. Mit einer theoretischen "Lösung" ist noch nichts gewonnen, solange es keine Implementierungsstrategie gibt, die wenigstens den Hauch einer Umsetzungschance hat.

Ahoi,
Comenius





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