ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Nicolai Haehnle <nhaehnle AT gmail.com>
- To: Christian Seiler <christian.seiler AT hotmail.de>
- Cc: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen
- Date: Mon, 23 Apr 2012 08:21:26 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
On Fri, Apr 20, 2012 at 7:39 PM, Christian Seiler
<christian.seiler AT hotmail.de> wrote:
> nha schrieb:
>> Christian Seiler schrieb:
>>> Tut mir LEid, ich kanns nciht anders sagen als was für eine
>>> Augenwischerei.
>>>
>>> 1. Keynes hat von einer Vershculdung in der Krise gesprochen und von
>>> einem
>>> Abbau der Verschuldung in guten Zeiten!
>>
>> Ja, Keynes war halt in manchen Dingen auch nicht der Weiseste.
>> Vielleicht hat er ja geglaubt, man könne eine Situation von
>> Nullwachstum und Nullinflation erreichen.
>
>
> und warum schreibst du dann in deinem Blog es so, als hätte Keynes etwas
> anderes gesagt?
Hast du ein Zitat, in dem Keynes explizit von einem langfristig
ausgeglichenen Haushalt schreibt? Ich hatte das nämlich ursprünglich
tatsächlich schärfer formuliert, aber dann dachte ich mir - war Keynes
*wirklich* so blöd? Ohne ein explizites Zitat wollte ich ihm das dann
doch nicht unterstellen. Aber gut, er hat natürlich auch in einer
anderen Zeit gelebt, als der Anteil der Staatshaushalte an der
Gesamtwirtschaft noch nicht so hoch war und die Welt weniger Erfahrung
mit langfristig stabilen Währungen hatte. Vielleicht hat einfach die
entsprechende Erfahrung gefehlt.
>>> 2. Wie kommst du immer auf deine abstrusen Zahlen?
>>
>> Welche Zahlen findest du konkret abstrus? Es ist eine
>> Beispielrechnung, von daher sind die Zahlen ausgedacht, aber wie ich
>> meine durchaus nicht zu weit von realen Fällen entfernt. 80%
>> debt-to-GDP ist durchaus typisch, genauso wie 1,8% Inflation und so
>> weiter.
>
> Auf die Rechnung an sich geh ich jetzt noch nicht ein, dazu werd ich dir
> auch keinen Gefallen tun, weil ich gleich wieder weg muss. Ich werds dieses
> Wochenende versuchen näher darauf einzugehen, vielleicht bis Sonntag.
Ich warte.
>>> 3. Staatsverschuldung ist eine exogene Handlung des Gesetzgebers, kein
>>> Zwang
>>> durch den Sparer! Der Sparer kann viele Instrumente wählen, u.a. die
>>> Staatsanleihe
>>
>> Da hast du halt leider einfach Unrecht. Das Haushaltsdefizit ist nicht
>> rein exogen, sondern zum sehr großen Teil endogen. Was meinst du denn,
>> warum in der Rezession das Haushaltsdefizit steigt? Das liegt doch
>> nicht daran, dass die Politiker dann auf einmal beschließen, große
>> Partys zu feiern. Nein, das Steueraufkommen geht zurück und die
>> Sozialabgaben steigen, beides sind endogene Effekte, die *natürlich*
>> auf Sparentscheidungen (und Nicht-Kreditaufnahme-Entscheidungen) des
>> privaten Sektors basieren.
>
>
> Halt! Natürlich ist die Staatsverschuldung im Jetzt hauptsächlich durch
> Steuereinkommen und durch die Sozialausgaben abhängig von der
> Produktion/Arbeitslosigkeit.
> ABER: der Staat bestimmt die Art der Abhängigkeit, der Staat bestimmt die
> Höhe der Abhängigkeit, der Staat bestimmt ferner welche Ausgaben abseits der
> Sozialausgaben getätigt werden, der Staat bestimmt auch die Art der
> Sozialabgaben. Der Staat bestimmt auch die Steuereinnahmen, vorrausgesetzt
> es gibt Leute die Rechnen können im Finanzministerium.
>
> Einfaches Beispiel: ein Staat kann einfach das jetzige Steuersystem
> abschaffen und eine Poll Tax einführen. Der Staat kann auch einfach das
> jetzige Sozialsystem abschaffen und ein BGE einführen.
> Das ist eine exogene Handlung - das hat mit Sparern rein gaaaar nichts zu
> tun.
Das ist alles schön und gut. Natürlich legt der Staat die Regeln für
seine Einnahmen- und Ausgabenpolitik selbst fest. Aber de facto ist
und bleibt die Zahl, die am Ende dasteht, wenn man Einnahmen von
Ausgaben abzieht, eine endogene Größe. Etwas anderes wäre mit unseren
Vorstellungen der gesellschaftlichen Verantwortung auch nicht
kompatibel. Um es konkret zu sagen: wenn man partout keine Endogenität
im Haushalt haben will, dann muss man im Zweifelsfall Menschen auf der
Straße verhungern lassen. Von daher sind deine Aussagen zwar richtig,
praktisch aber vollkommen irrelevant.
>>> Warum ist I nicht gleich S im Moment? Das ist ganz einfach.
>>> 1. wir haben ein Ausland.
>>> 2. der Staat will Geld haben zusätzlich zu den Steuergeldern und nimmt
>>> dieses als Schulden auf. Weil er Geld haben will, muss (!) er gleich
>>> attraktive Konditionen bieten wie andere Produkte des Finanzmarktes
>>> u.d.A.
>>> der Finanzmarkteffizienz.
>>
>> Ja, unter Annahmen kann man viel schlussfolgern. Schon mal was von der
>> "Zero Lower Bound" gehört? Selbst die orthodoxesten Ökonomen geben zu,
>> dass an der Theorie im Extremfall einfach etwas nicht stimmt. Je
>> heterodoxere Stimmen man wahrnimmt, umso mehr realisiert man, dass an
>> der Theorie auch im Normalfall etwas nicht stimmt.
>>
>> Ich weiß schon, du bist ein großer Fan von orthodoxer VWL. Ich habe
>> solche Diskussionen schon X-mal geführt.
>
>
> Diese Annahme ist auch ohne Finanzmarkteffizienz möglich. Tatsächlich habe
> ich neulich einen Artikel über einer Art repressiver Einschränkung durch den
> Staat, eine Kanalisierung auf Staatsanleihen gelesen - Z.B. in den USA
> damals als Gold nicht mehr handelbar war, und mildere Formen.
> Aber: nimmt man diese möglicherweise vorhandene Repression mit auf,
> so muss die Teilnahmebedingung erfüllt sein:
> Nutzen einer Staatsanleihe miteinberechnet deren Ausfallrisiko müssen
> mindestens genauso hoch sein wie andere Finanzmittel inklusive deren
> Ausfallrisiken. Wie genau die Nutzenfunktion aussieht, darüber könnte man
> Aufsätze schreiben. Abstrakt gedacht ist dies jedoch offensichtlich. Wer
> insgesamt (! alles erdenkliche mitenthalten inklusive erotischer Gefühle zu
> Staatsanleihen !) weniger von einer Staatsanleihe hat als von einer Aktie
> wird die Aktie kaufen.
Das ist doch alles offensichtlich. Trotzdem kann selbst bei 0% Zinsen
noch der Fall eintreten, dass nicht investiert wird, wenn kein
Absatzmarkt da ist. Du kannst viel schreiben, aber solange du auf
diesen Aspekt nicht eingehst ist das alles sinnlos.
>>> Ferner müsstest du dich bei deinen Ideen einfach mal Fragen, warum denn,
>>> wenn Staatsverschuldung und Inflation sich derart positiv auswirken, es
>>> nicht jetzt shcon eine Verschuldung gibt die im Limes gegen unendlich
>>> tendieren?
>>
>> Das tut sie doch. Lim t->\infty Staatsverschuldung(t) = \infty. Bei
>> langsamer aber stetiger Inflation ist das der Fall. Na und?
>>
>> Mach doch nicht den Anfängerfehler, dass du exponentielles Wachstum
>> mit einer Singularität verwechselst. Die Exponentialfunktion hat keine
>> Singularitäten.
>
> Faktisch falsch. Es handelt sich in diesem Falle nicht um expenonentielles
> Wachstum, sondern um ein exponentielles Wachstum des Wachstums, ein sich
> selbst verstärkendes Wachstum. Nur mit einem akzelerierenden Wachstum der
> Inflation, kann mit Geldpolitik eine Vollbeschäftigung bei adaptiven
> Erwartungen (das wurde empirisch mehrfach nachgewiesen, dass Menschen
> wahrscheinlich adaptive Inflationserwartungen haben) erbrahct
> werden:Friedmansche Phillips-kurve
Wo kommt denn das jetzt auf einmal her? Vielleicht gibt es noch Leute,
die mit reiner Geldpolitik eine Vollbeschäftigung erreichen wollen,
aber darum geht es hier doch gar nicht. Also antworte doch bitte auf
das, was ich wirklich schreibe, anstatt deine Lieblings-Strohmänner
abzufackeln.
Der Philips-Kurve unterliegt übrigens die Annahme, dass jeder
Arbeitnehmer auch eine signifikante Verhandlungsmacht bzgl. Einkommen
hat. Das wird dann als Begründung genutzt, um Arbeitslosigkeit zu
erzeugen, um den Arbeitnehmern diese Verhandlungsmacht zu entziehen.
Es wird also ein Puffer aus Arbeitslosen erzeugt. Die Jobgarantie ist
ein deutlich intelligenterer und auch sozialerer Ansatz, bei dem ein
Puffer aus in öffentlichen/gesellschaftlichen Beschäftigten genutzt
wird.
>>> Zu deinen Inflationsansichten möchte ich noch gesagt haben dass es
>>> etliche
>>> (!) empirische Studien gibt die langfristig eine Korrelation von
>>> 0.92-0.96
>>> zwischen Geldmengenveränderung und Inflation anzeigen.
>>
>> So what? Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass die Kausalität in
>> Wirklichkeit anders herum laufen könnte? Also: Preissteigerungen
>> führen dazu, dass Unternehmen höhere Kredite für ihre Produktion
>> aufnehmen, und dadurch steigt die Geldmenge? Das ist mit Korrelation
>> perfekt kompatibel.
>
>
> Da wir hier von einer nahezu perfekten Korrelation aus Inflation und
> Geldmengenänderung reden, spielt es keine Rolle in welche Richtung das geht,
> das ergebnis ist gleich. Damit ist nicht gesagt, dass deine Behauptung die
> ganze Wirtschaft auf den Kopf stellt. So etwas unsinniges wie
> Preissteigerungen ohne jeglichen inhärenten Grund...
Ich bin neulich über ein Buch gestolpert, in dem die Preisfindung in
den USA an Hand von Interviews mit CEOs und anderen Managern
untersucht wurde. Fazit war, dass nur etwa 20% aller Preise
tatsächlich nach den Mechanismen festgelegt werden, die in
VWL-Einführungskursen gelehrt werden (ich hab jetzt gerade nicht
parat, ob das nach Volumen gewichtet war).
Von daher: Preissteigerungen haben natürlich immer einen Grund. Aber
das Phänomen ist viel komplexer und vielschichtiger als irgendwelche
Ökonomen sich vorgestellt haben als sie MV = PQ hingeschrieben haben
weil sie Formelneid auf Physiker hatten.
Schöne Grüße,
Nicolai
--
Lerne, wie die Welt wirklich ist,
aber vergiss niemals, wie sie sein sollte.
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Christoph "Pluto" Puppe, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Axel Grimm, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, piraten, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, axel . grimm, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Christian Seiler, 19.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Christoph "Pluto" Puppe, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Christian Seiler, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Pieter hogeveen, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 23.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Eckhard Rülke, 19.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 19.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Eckhard Rülke, 19.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 19.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Eckhard Rülke, 19.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 19.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Koxholt_Heiko, 19.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, piraten, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Christoph "Pluto" Puppe, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Christoph "Pluto" Puppe, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Christoph "Pluto" Puppe, 20.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Warum wir langfristig ein Haushaltsdefizit brauchen, Nicolai Haehnle, 20.04.2012
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