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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] ESM Interview fertig !?

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] ESM Interview fertig !?


Chronologisch Thread 
  • From: Monika Herz <elisapirat AT googlemail.com>
  • To: Piratos <piratos.aka.tobias AT egomatrix.de>, ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] ESM Interview fertig !?
  • Date: Fri, 23 Mar 2012 09:07:49 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hi, finds auch super, hab mir erlaubt, nochmal minimal redaktionell zu überarbeiten, mit kleiner Ergänzung unter 6. zu Komplementärwährung. im pad jetzt ganz oben. für nichtpadianer hier. Bei Erscheinen bitte unbedingt melden, kann den link dann für Konstantin Weckers website "Hinter den Schlagzeilen" empfehlen, wo er vermutlich auch reinkommt. Evtl. auch noch woandershin. Zumindest in den Regio-Verteiler.
lg Monika

Interview Daniel Worofka (Koordinator der AG – Geldordnung der Piratenpartei)
 
1. Der ESM Vertrag widerspricht der AG-Geldordnung (AGG) zufolge den Grundsätzen einer demokratischen Staatsordnung. In welcher Hinsicht?
 
Die Piraten lehnen rechtliche Gebilde dieser Art, die kein ausreichende demokratische Legitimation und Transparenz besitzen ab.
Der ESM verstößt gegen die im Grundgesetz verankerten fundamentalen Rechtsprinzipien und Grundsätze einer demokratischen Staatsordnung wie dem Parlamentsvorbehalt, dem Gleichheitsprinzip, dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip, der Gewaltenteilung sowie dem Transparenzgebot.
Darüber hinaus beschneidet der ESM nachhaltig das vom BVerfG in seinem Urteil vom 07. Sept 2011 hervorgehobene Budgetrecht des nationalen Parlaments.
Daher halten wir den ESM für ein unzulässiges Mittel, um die Eurokrise zu bewältigen. Diese etwaige Verfassungswidrigkeit birgt das Potenzial, die Krise in Europa erst recht eskalieren zu lassen.
 
2. Bundespräsident Joachim Gauck soll seine Unterschrift auf den ESM-Vertrag verweigern, fordert die AGG. Trauen sie Gauck zu sich bei einer so schwerwiegenden Entscheidung quer zu stellen und wie könnte man ihn davon überzeugen?
 
Einen Versuch ist es wert, zumal der ESM gerade im Hinblick auf "Freiheit und Verantwortung" mit Sicherheit diskussionswürdig ist. Herr Gauck bezeichnet sich selbst auch gerne als Demokratielehrer. Der ESM könnte zu seinem Lehrplan gehören, als aktuelles Beispiel zum Thema: "Gefahren für unsere Demokratie".
 
3. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Einsatz eines 9er-Gremiums des Haushalsausschusses für Entscheidungen über Auszahlungen an den ESM EFSF (oder ist mir da was entgangen?) unzulässig ist. Aber nur, wenn der Einsatz mit Eilbedürftigkeit begründete wird. Wenn Geheimhaltung erforderlich sei, wird das Gremium weiterhin eingesetzt. Wie bewerten Sie dies?
 
Wenn das so ist, würde es in der gängigen Praxis sicherlich dazu führen, dass ein immunes Gremium entscheidet, ohne Bundestag, oder irgendeine andere Kontrollinstanz. Höhere Ebenen von Politik und Verwaltung werden sich mit dem ESM eine neue Lizenz zum Geldrucken beschaffen. Am Kern der zunehmenden Verschuldungsproblematik ändert sich dabei nichts. 
 
4. In einer Presseerklärung der AG-Geldordnung schreiben sie, der ESM habe in seiner jetzigen Form das Potential, die Krise in Europa zu verschärfen. Wie könnte ein solches Szenario ablaufen?
 
Weder in den zahlenden noch in den empfangenden Ländern wird die Bevölkerung von diesen Vorgängen profitieren, denn sie werden die Kosten tragen. Wir sehen, wie bereits die Maßnahmen in Griechenland zu tiefen sozialen Spaltungen binnen kürzester Zeit geführt haben. Alte Ressentiments der Länder können sich bei einer weiteren Zuspitzung der sozialen Verhältnisse in Europa aufschaukeln. Der ESM schröpft die Bürger der starken und der armen Länder zu Gunsten der institutionellen Geldanleger. Man darf aber auch die Handelsbilanzen der Länder untereinander nicht ausser acht lassen. Wenn man so will hat Deutschland gegenüber den Defizitländern eine Schuld aus den Exportüberschüssen zu begleichen. Bei dieser ausgleichenden Gerechtigkeit hat aber der Bürger wieder am Wenigsten davon. Die Profite haben andere gemacht, die Rechnung zahlt der Bürger. Ohne wirkliche Aufklärung und Transparenz im bestehenden Geldsystem, kommen wir auf Dauer in Europa nicht weiter. Was Europa braucht, ist eine ehrliche, offene und schonungslose Debatte über die Probleme der bestehenden Geldordnung, sowie möglicher Lösungen. Daran möchten wir arbeiten.
 
5. Welche Folgen würde dies für die europäischen Bürgerinnen und Bürger haben?
 
Die positive Folge sind zunächst die Erhaltung der Geldvermögen, die den Schulden gegenüberstehen. Die Geldvermögen sind der Hauptbestandteil der allgemein geförderten privaten Altersvorsorgen. Deshalb muss grundsätzlich die private Altersvorsorge hinterfragt werden. Da Geldvermögen (Sparen) als Gegenpart Schulden sind, muss man bei einem Aufruf für mehr Sparen oder gar einer gesetzlichen Verankerung zum Aufbau von privaten Altersvorsorgen auch das mehr an Schulden akzeptieren.
Der ESM sorgt nur für eine breitere Verteilung der Schulden, damit  die Geldvermögen erhalten bleiben. Damit wurde nur Zeit gewonnen, aber grundlegende Probleme nicht gelöst, dazu müsste man tiefgreifendere Reformen anstoßen und zu einem Paradigmenwechsel bereit sein.
 
Die Gefahr besteht, dass auf Grund eines fehlerhaften Systems drastische Maßnahmen ergriffen werden, um das System so lange wie möglich zu stützen (u.a. ESM). Europa könnte so zu einer Tyrannei mutieren, in der eine praktisch zentralisierte Regierung die europäische Einigung mit harter Hand erzwingen will. Das kann leicht ins Gegenteil überschlagen und nationalistischen Tendenzen und radikalen Kräften in Europa Auftrieb verleihen. Gerade die führende Rolle Deutschlands in der ESM-Konstruktion sollte uns dabei zu denken geben. 
 
6. Die AGG beschäftigt sich intensiv mit Möglichen Reformen des Geldsystems. Wo hat unser Geldsystem Schwächen und wie können diese Behoben werden?
 
Wir diskutieren unterschiedlichste Ansichten: Als die folgenreichsten Schwächen werden momentan die Giralgeldschöpfung, der Zins und das Sparen diskutiert. Giralgeld wird von Geschäftsbanken durch einfache Gutschrift bei Kreditvergabe erzeugt und bei Kredittilgung vernichtet. Deshalb sollte das Recht der Zentralbank auf Schöpfung von Bargeld auf unbares Geld erweitert werden. Durch diese Maßnahme wäre die Zentralbank endlich in der Lage, die Geldmenge direkt und nicht mehr nur über Zinsen zu steuern. Guthabenzinsen stellen leistungsloses Einkommen dar. Sie fördern die Ungleichverteilung von Vermögen und erhöhen die Kreditzinsen. Langfristiges Sparen führt zu einem gesamtwirtschaftlichen Verschuldungszwang, um die umlaufende Geldmenge aufrechtzuerhalten. Eine umlaufgesicherte Währung würde das allgemeine Zinsniveau senken und die Sparneigung verringern.
Außerdem wird über den Nutzen von regionalen Komplementärwährungen diskutiert. Bei einem Finanzsystemzusammenbruch könnten sie die schrecklichen Folgen spürbar mildern. Die Komplementärwährungs-Initiativen leisten einen wertvollen Beitrag zu Fragen rund um Geldschöpfung und Geldmengensteuerung durch Umlaufimpuls.
Das größte Problem aber ist die mangelnde politische Diskussionsbereitschaft zu diesen Themen. Das Geld beherrscht uns und nicht wir das Geld. Unserer Gesellschaft fehlt das Problembewußtsein und wichtiges Grundwissen. Deshalb wollen wir aufklären und eine breite öffentliche Debatte entfachen.
 
7. Viele Anregungen für die AGG stammen von dem Soziologen Joseph Huber. Dieser setzt sich dafür ein, Geldschöpfung durch Banken zu unterbinden. Wie läuft eine solche Geldschöpfung ab und mit welchen Folgen?
 
Die Publikationen von Prof. Huber sind sehr hilfreich bei der Analyse des bestehenden Geldsystems. Er sieht in der Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken den Nährboden für immer wiederkehrende Finanzkrisen. Giralgeld, das unbare Geld auf unseren Girokonten, wird durch Kreditvergabe erzeugt. Es hat vorher nicht existiert und muß deshalb nicht von einem Sparer stammen. Banken sind Geldproduzenten und keine Geldverleiher. Die Bank schreibt den Betrag einfach dem Girokonto gut und parallel dazu erhöhen sich ihre Kreditforderungen. Es findet keine Umbuchung von einem anderen Girokonto, sondern eine sogenannte Bilanzverlängerung statt, wodurch die umlaufende Geldmenge erhöht wird. Bei Kredittilgung wird das Giralgeld vernichtet und dem Kreislauf entzogen. Die Bank behält bloß die Zinszahlungen.
Dieser Mechanismus hat mehrere Nachteile zur Folge: Unbares Geld ist nicht sicher vor Bankenpleiten, was die Banken als Druckmittel in Krisen einsetzen können. Die Zentralbank kann die umlaufende Geldmenge nur indirekt steuern. Dem Staat entgeht der jährliche Geldschöpfungsgewinn in zweistelliger Milliardenhöhe, der durch Anpassung der Geldmenge an die wachsende Wirtschaft anfallen würde. Wenn die Banken im Aufschwung zuviele Kredite vergeben, steigt die umlaufende Geldmenge zu stark. Umgekehrt führt zurückhaltende Kreditvergabe im Abschwung zu einer Senkung der Geldmenge. Die Ausschläge von Konjunkturzyklen werden dadurch verstärkt.
 
8. Wie ist Ihre Position zu Staatlicher Geldschöpfung?
 
Vor über hundert Jahren wurden Banknoten noch von privaten Banken ausgegeben, bevor dieses Recht in die Hände der Staaten übertragen wurde. Das gleiche sollte nun mit der Macht der Schöpfung unbaren Geldes geschehen. Vor allem angesichts der Finanzkrise ist dieser nächste logische Schritt in der Evolution unseres Geldsystems fällig. Der Zeitgeist ist auf unserer Seite. Die staatliche Geldschöpfung ist ein Muss. Der Staat soll und muss eine Geldmenge zum Wirtschaften zur Verfügung stellen. Allerdings mus der Staat auch dafür sorgen, das die von ihm bereitgestellte Geldmenge permanent als Geld erhalten bleibt und nicht dauerhaft entzogen werden kann. Wir fordern einen ordnungspolitischen Rahmen, der sowohl dem Staat als auch seinen Bürgern ein freies und selbstbestimmtes Handeln gewährleistet und gleichzeitig für höchstmögliche Stabilität sorgt. Die Geldordnung  ist kein Allheilmittel, aber das Fundament einer stabilen und erfolgreichen Realwirtschaft.
Prof. Huber hat mit der Vollgeldreform ein Modell entwickelt, das auch von international renommierten Ökonomen, wie Prof. Richard A. Werner und Prof. Binswanger unterstützt wird. 
 
Eine Liberalisierung des Währungsmonopols kann dabei eine weitere Säule in der Entwicklung unserer Geldsysteme sein. Diese Möglichkeiten behandeln wir unter dem Sammelbegriff "Komplementärwährungen". 
Díe AG untersucht auch die Geldschöpfung durch das Prinzip des Werdens und Vergehens, wie es im heutigen System vorliegt. Auf diese Weise könnte sich die Geldmenge nach Bedarf selbst regulieren.
Wir wünschen uns in jedem Falle für die Geldordnung einen ordnungspolitischen Rahmen, der sowohl dem Staat als auch seinen Bürgern ein freies und selbstbestimmtes Handeln gewährleistet und gleichzeitig für höchstmögliche Stabilität sorgt. Die Geldordnung ist kein Allheilmittel, aber das Fundament einer stabilen und erfolgreichen Realwirtschaft. Wir müssen viele weitere Bereiche in unserer Gesellschaftsordnung neu denken lernen und mit einer praktikablen und gerechten Geldordnung zusammenbringen.
 
Einige unserer AG Mitglieder engagieren sich zudem für eine Vollgeldreform, die nicht nur von Professor Huber, sondern in zunehmenden Maße auch von international renommierten Ökonomen, wie Prof. Richard A. Werner und Prof. Binswanger vertreten wird und auch in anderen Ländern wie  England und der Schweiz zunehmend Befürworter findet. In Deutschland  wurde die Reform als zusätzliche Säule der Gewaltenteilung eines  modernen Staates thematisiert. Prof. Bernd Senf erfand dafür den Begriff  Monetative. Aus dem thinktank Monetative ging nun ein Förderverein  hervor, der im Herbst seine erste Jahrestagung in Berlin veranstaltet.
 
Die Kernforderungen der Monetative sind:
 
1. die Wiederherstellung des staatlichen Vorrechts der Geldschöpfung
2. die Beendigung jeglicher Bankengeldschöpfung
3. die schuldenfreie Inumlaufbringung neu geschöpften Geldes durch öffentliche Ausgaben.
 
Eine  positive Folge wäre der Abbau der Staatsverschuldung, sowie eine  Stablisierung des Geldsystems durch eine vernünftige  Geldmengensteuerung.
Die Vollgeldreform ist eine der wenigen Maßnahmen, die wirklich strukturverändernd wären  und erscheint vielen in der Arbeitsgruppe als gangbarer Weg, sowohl vor  als auch nach dem drohenden Reset durch eine Währungsreform.
 
9. Bei der AGG handelt es sich nur um einen Teil der Piratenpartei. Wieviel Zuspruch bekommt sie vom Rest der Partei?
 
Das ist schwer zu sagen. Beim letzten Bundesparteitag wurden zwei ESM Anträge eingereicht, wobei ein Antrag durch ging. Er kritisiert das undemokratische Zustandekommen des ESM. Ein weiterführender detaillierter Antrag wurde jedoch abgelehnt. Unsere AG konnte sich bisher noch nicht auf einen Antrag zur Geldordnung einigen. Deshalb können wir nur schätzen, ob die Mehrheit unsere Anliegen unterstützt. Wir werden uns um Aufklärung bemühen und hoffen, daß noch vor den Bundestagswahlen Vorschläge von uns ins Wahlprogramm aufgenommen werden. "Das Geldsystem ist das Problem Nr.1 in der Welt, alles dreht sich doch um's Geld..." 


in dieser Form redaktionell minimal überarbeitet von Monika. Einverstanden?


Am 23. März 2012 01:52 schrieb Piratos <piratos.aka.tobias AT egomatrix.de>:
+1  Keox, finde ich ein super Text :-)

 eine sehr gute Zusammenfassung unserer/meiner  bisherigen Erkenntnisse hier, ich sehe zwar im Prinzip der Schuld/Geld-schöpfung  nicht den Fehler, aber dass sie in privater Hand ist, ist sicherlich ein Fehler...
Komplementärwährungen könnten in der Krise wirklich praktisch werden,

es fehlt vielleicht noch die Erwähnung der "Umlage finanzierte Rente auf Basis aller Einkommen von Allen",
um eine Gesellschaft Krisen-sicherer zu machen.
Damit gewinnen wir die Wähler "50+" :-D




Am 22.03.2012 16:07, schrieb Keox aka Daniel Worofka:


Mein Vorschlag:

Wir diskutieren unterschiedlichste Ansichten: Als die folgenreichsten Schwächen werden die Giralgeldschöpfung, der Zins und das Sparen diskutiert. Giralgeld wird von Geschäftsbanken durch einfache Gutschrift bei Kreditvergabe erzeugt und bei Kredittilgung vernichtet. Deshalb sollte das Recht der Zentralbank auf Schöpfung von Bargeld auf unbares Geld erweitert werden. Durch diese Maßnahme wäre die Zentralbank endlich in der Lage die Geldmenge direkt und nicht mehr nur über Zinsen zu steuern. Guthabenzinsen stellen leistungsloses Einkommen dar. Sie fördern die Ungleichverteilung von Vermögen und erhöhen die Kreditzinsen. Langfristiges Sparen führt zu einem gesamtwirtschaftlichen Verschuldungszwang, damit die umlaufende Geldmenge aufrechterhalten bleibt. Eine umlaufgesicherte Währung könnte das allgemeine Zinsniveau senken und die Sparneigung verringern.
Außerdem wird über den Nutzen von regionalen Komplementärwährungen diskutiert. Bei einem Finanzsystemzusammenbruch könnten sie die schrecklichen Folgen erheblich mildern.
Die größte Schwäche aber ist die mangelnde politische Diskussionsbereitschaft zu diesen Themen. Das Geld beherrscht uns und nicht wir das Geld. Unserer Gesellschaft fehlt das Problembewußtsein und wichtiges Grundwissen. Deshalb wollen wir aufklären und eine breit angelegte öffentliche Debatte entfachen.








--
Liebe Grüße

Piratos aka. Tobias




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