ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
Listenarchiv
Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi
Chronologisch Thread
- From: Rolf Müller <rolf.mueller9 AT t-online.de>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi
- Date: Mon, 27 Feb 2012 17:47:31 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
- Newsgroups: pirates.de.talk.politik.geldordnung-finanzpolitik.ag-bereich
- Organization: Newsserver der Piratenpartei Deutschland - Infos siehe: http://wiki.piratenpartei.de/Syncom/Newsserver
Bietet die Monetative mit ihrer Idee staatlich geschöpften Vollgeldes
einen nachhaltigen Ausweg aus der Staatsschuldkrise?
Wachsende Staatsschulden und drohende Staatspleiten verlangen neue
Lösungen. Seit allgemein bekannt ist, dass Banken das Geld, das sie den
Staaten leihen, aus dem Nichts schöpfen, stellt sich die Frage, warum
Staaten ihren Geldbedarf nicht durch eigene Geldschöpfung decken?
Warum den Banken Zinsen zahlen, wenn man selbst Geld schöpfen kann?
Dann würden außer den Zinskosten auch die Tilgungsforderungen
(Rückzahlungsforderungen) der Banken entfallen.
Staatliche Geldschöpfung – als Ausweg aus der Schuldenkrise – scheint
machbar, da die oft beschworene Inflation (infolge ständiger
Geldmengenausweitung durch wachsende Staatsschulden) nie im erwarteten
Ausmaß eingetreten ist. Diplomierte Ökonomen fordern ihr Regierung
zwar zum Sparen auf, warnen im gleichen Satz aber vor den Folgen der
Sparpolitik. Auf die erklärte Sparabsicht folgt so promt das nächste
Konjunkturprogramm, finanziert durch neue Staatsschulden. Denn die
Geldmengenausweitung ist zwingend notwendig, um eine
Deflationsspirale zu vermeiden.
Aus Angst vor Inflation beschließt man Schuldenbremsen, aus Angst vor
Deflation ignoriert man sie. Ohne dem Widerspruch zwischen Sparen
wollen und Schulden machen müssen, nachzugehen, sieht die
Monetative in souveräner staatlicher Geldschöpfung den Ausweg aus
der Schuldenkrise.
Da Staatsschulden auf lange Sicht überall ausgeweitet werden, scheint
die Angst vor daraus folgender Inflation tatsächlich unbegründet. Der
Vorschlag der Monetative den Zinsforderungen der Banken durch
staatliche Geldschöpfung zu entgehen, erscheint deshalb folgerichtig.
Um die Nachhaltigkeit dieses Lösungsvorschlages zu prüfen, soll hier
den sich aus dem oben skizzierten Widerspruch ergebenden Fragen
nachgegangen werden.
1. Warum muss der Staat seit Jahrzehnten die Konjunktur durch immer neue
Programme ankurbeln?
2. Warum erzeugt Staatsverschuldung keine entsprechende Inflation?
Anders gefragt, wo landet das Geld aus staatlicher Geldschöpfung?
3. Wofür zahlt der Staat Zinsen, wenn:
a. Geld aus dem Nichts entsteht,
b. staatliche Bürgschaften illiquiden Banken wieder Zahlungsfähigkeit
verschaffen, weil die staatlichen Garantien aus dem Geld der
Geschäftsbanken voll gültiges staatliches Zahlungsmittel machen?
Die Monetative stellt diese Fragen nicht. Sie fokussiert allein auf den
durchaus spannenden Punkt: Warum kann der Staat nicht selbst Geld
schöpfen, da er im Krisenfall doch als unumschränkter Garant des
Geldwertes fungiert? Sehen wir zuerst, wohin uns die anderen Fragen führen.
Zu 1: Der Staat muss ständig neues Geld in den Wirtschaftskreislauf
pumpen, weil durch Profitakkumulation unentwegt Geld aus der
Realwirtschaft abgezogen wird. Dieses Geld fließt in die
Finanzwirtschaft und nur ein kleiner Teil davon kehrt später in die
Realwirtschaft zurück. Infolge dessen wird Geld für Warenkäufe knapp.
Um Absatzkrisen zu vermeiden und eine Deflationsspirale zu verhindern,
muss der Staat den Geldabfluss aus der Real- in die Finanzwirtschaft
durch sogenannte Konjunkturprogramme ausgleichen. Er muss stets mehr
ausgeben als er einnimmt, damit einige stets mehr einnehmen können als
sie ausgeben.
Zu 2: Da das durch staatliche Kreditaufnahme geschaffene Geld über den
Umweg der Realwirtschaft nach und nach in die Finanzwirtschaft
abwandert, wird die in der Realwirtschaft zirkulierende Geldmenge kaum
größer. Trotz absolut wachsender Geldmenge, bleibt die
warennachfragende Geldmenge weitestgehend konstant. Während die in der
Finanzwirtschaft zirkulierende Geldmenge immer schneller wächst,
bleiben die Warenpreise vergleichsweise (!) stabil.
Statt dessen steigen die Wertpapierpreise, was bekanntlich erwünscht
ist. Diese Preisinflation (Hausse) scheint geradezu notwendig zu sein.
Sobald das Wachstum an den Börsen zusammenbricht, sehen sich
Regierungen gezwungen, Banken zu retten.
Dazu müssen sie entweder für die illiquiden (zahlungsunfähigen/„in
Schieflage geratenen“) Banken bürgen, oder beim krisengeschüttelten
Bankensektor Kredite aufnehmen, um Geld zu schaffen, mit dem illiquide
Banken ihre Spielschulden bezahlen können. Wenn vom Bankensektor dann
Zinsen für die Rettung von Banken verlangt werden, fragt man zu Recht
nach dem Sinn dieses Geldsystems. Denn in diesem Fall verdienen die
einen Banken an der Rettung der anderen, wobei deren Rettung zugleich
den eigenen Bankrott verhindert.
Zu 3a: Die Zinsforderungen werden von den Banken zunächst dadurch
begründet, dass Banken Dienstleistungsunternehmen sind, die ihre
Betriebskosten aus Zinseinnahmen bestreiten müssen. Zu solchen Zwecken
erheben Banken jedoch auch Kreditprovisionen und Kontogebühren.
Außerdem verweisen die Banken auf ihre Pflicht zur Bildung von
Rücklagen zur Absicherung gegen Kreditausfälle. Irgendwie reichen die
Rücklagen aber nicht, um die faulen Kredite aus den Bankbilanzen zu
tilgen.
Ist das Bilanzloch schließlich zu groß und die Zahlungsunfähigkeit nicht
mehr zu verschleiern, muss der Staat als Bürge oder gar als Zahlmeister
für die insolventen Schuldner der Bank einspringen. Nimmt der Staat
dazu bei einer Bank verzinste Kredite auf, um einer anderen Geld zur
Tilgung fremder Schulden zu zahlen, fragt man nach dem Recht Zinsen zu
erheben. Haben die Banken ihre Zinsforderung nicht damit begründet,
sich gegen Kreditausfälle absichern zu müssen? Wenn bei Kreditausfällen
aber nicht die Bank, sondern der Staat die Schulden tilgt, warum erhält
die Bank und nicht der Staat die Zinsen?
Zu 3b: Da Banken ihre Einnahmen nicht hinreichend zur Absicherung
ihrer Kreditgeldschöpfung verwenden (sondern große Teile als Gewinne
auszahlen), zwingen sie den Staat, die Haftung für faule Kredite zu
übernehmen. Da der Staat jedes Geld (auch wertloses Buchgeld der
Banken) per Gesetz zum voll gültigen Zahlungsmittel erklären kann, hat
er die Macht, im Krisenfall zum unangefochtenen Garant des von den
Banken geschöpften Geldes zu werden. So wird doppelt unverständlich,
warum er Zinsen zahlen muss.
Es zeigt sich, dass die heutigen Banken keine sehr soliden Geldschöpfer
sind. Doch wer garantiert, dass der Staat ein besserer Geldschöpfer ist?
Würde er sein Recht auf unbeschränkte Geldschöpfung nicht (z.B. vor
Wahlen) nutzen, um populäre Projekte zu finanzieren? Werden
beispielsweise neue Stellen im Sozial- oder Bildungsbereich geschaffen,
erhöht sich das Warenangebot dadurch nicht. Wenn nur die Geld- nicht
aber die Warenmenge steigt, kommt es zu Inflation. Die kann zwar durch
Geldabfluss in die Finanzwirtschaft bald wieder sinken, der Preisverfall
kann dann jedoch eine Rezession bewirken.
Um solche Wechselbäder zu verhindern, fordert die Monetative eine Art
staatliches Währungsamt, das die Geldmenge an Hand eines Preisindexes
steuert. Aus zwei Gründen halte ich es für unmöglich, durch ein
Währungsamt stabile Preise zu gewährleisten.
Erstens lässt sich kein absoluter Preisindex aufstellen. Es können nie
alle Preise mitsamt ihren regionalen und saisonalen Schwankungen erfasst
werden. Jeder Preisindex ist deshalb manipulierbar. Zweitens lässt sich
eine politische Einflussnahme auf das Währungsamt kaum vermeiden. Es
ist unrealistisch, anzunehmen, dass nicht spätestens in Krisenzeiten
(infolge Naturkatastrophen oder Krieg, wobei der Krieg nicht unbedingt
im eigenen Land stattfinden muss) eine Lockerung der Währungspolitik
erfolgt. Die Geschichte kennt hierfür zahlreiche Beispiele, denn
staatliche Geldschöpfung hat es bereits in der Antike und im
Feudalismus gegeben.
Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass der Staat sein
Geldschöpfungsmonopol nicht genauso missbrauchen wird, wie es die
Banken heute tun. Ein solcher Missbrauch kann nur durch eineindeutige
Geldschöpfungsregeln verhindert werden, deren Verletzungen zeitnah
erkannt und geahndet werden können müssen. Geldschöpfung durch ein
staatliches (schwer kontrollierbares) Währungsamt auf Basis eines
(manipulierbaren) Preisindexes stellt kein eineindeutiges,
demokratisch kontrollierbares Regelwerk dar.
Aus der Geschichte staatlicher Geldschöpfung wissen wir, dass Geld- und
Währungsgesetze immer vor allem von den autorisierten Geldschöpfern
selbst gebrochen wurden. So ist z.B. die Geschichte der
Falschmünzerei vor allem eine Geschichte königlicher Münzfälschung,
auch wenn natürlich immer nur die privaten (unautorisierten)
Münzfälscher gehängt wurden.
Geldschöpfungsmonopole führten immer dazu, die politische Macht in den
Händen der Geldschöpfer zu konzentrieren. Staatliche Geldschöpfung
führt deshalb nach allen geschichtlichen Erfahrungen unweigerlich zu
Neoabsolutistischen Machtstrukturen.
Allerdings werden diese absolutistischen Strukturen wie in der
Vergangenheit nicht von Dauer sein, zumindest, solange eine
Finanzwirtschaft existiert, in der sich mehr und mehr Geld sammeln
kann. Je größer der dort zirkulierende nicht durch Warenwerte gedeckte
Geldüberhang wird, desto größer das Interesse der
Geldvermögenseigentümer, das Geldschöpfungsmonopol des Staates
abzuschaffen. Denn ohne Möglichkeit zur Geldmengenausweitung durch
staatliche Geldschöpfung entstünde bei Geldbedarf eine
Kreditnachfrage nach ihrem Geld, so dass sie Zinsen erpressen können.
Das Ändern der Geldschöpfungsregeln ließe sich durch konzertierte
Aktionen der Superreichen leicht erzwingen. Sie könnten beispielsweise
die Preise von Grundnahrungsmitteln durch gezielte Käufe hochtreiben,
so dem Volk vorführen, wie unsolide das System staatlicher
Geldschöpfung ist, denn bei schnellen Marktinterventionen hätte das
Währungsamt keine Chance gegenzusteuern. Wenn der Volkszorn kocht,
könnten sich die Spekulanten durch Verkauf billiger Nahrungsmittel als
Retter inszenieren. Neue Gesetze sind dann bald auf den Weg gebracht.
Nichtsdestotrotz kann staatliche Geldschöpfung vorübergehend dem
Machterhalt der Eigentümerklasse dienen. Denn ehe die großen
Geldvermögen bei einem Zusammenbruch unsere Banken- und Geldsystems
einfach verschwinden, ist es allemal attraktiv das gesamte Buchgeld per
Gesetz zu vollgültigem staatlichem Zahlungsmittel zu erklären. Die
Eigentümerklasse wird den Umstand, dass dann nicht mehr private Banken,
sondern ihr Staat das Geld schöpft, ertragen, da er hilft, das zur Zeit
schwindende Vertrauen in unser Geld neu zu festigen. Irgendwann wird
die Zeit reif sein, den Staat wie oben skizziert zu entmachten.
Ich halte es daher für wahrscheinlich, dass ein System staatlicher
Geldschöpfung genauso per Unfall (per Notgesetz) in die Welt tritt, wie
einst das Notenbanksystem inthronisiert, bzw. das Goldstandardsystem
entthront wurde. Da es an der bestehenden Vermögensverteilung nichts
ändern wird, sollte es eher darum gehen, ein System staatlicher
Geldschöpfung zu verhindern, statt dafür zu werben.
Mir scheint die Idee einer staatlichen Geldschöpfung mit einem
demokratischen Gesellschaftsideal nicht unvereinbar. Demokratie
braucht demokratische Geldschöpfungsregeln, siehe hierzu meinen Text
über warengedecktes Geld.
Frankfurt am Main, 27.2.2012
--
instead of focusing on our differences,
we should look at what we all have in common...
http://www.youtube.com/watch?v=WibmcsEGLKo&feature=player
- [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, Rolf Müller, 27.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, Rolf Müller, 27.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, Keox aka Daniel Worofka, 27.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, Piratos aka. Tobias, 27.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, MonikaHerz AT t-online.de, 28.02.2012
- Nachricht nicht verfügbar
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, MonikaHerz AT t-online.de, 28.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, Christoph Ulrich Mayer, 28.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, MonikaHerz AT t-online.de, 28.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, Keox aka Daniel Worofka, 28.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, Christoph Ulrich Mayer, 28.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, MonikaHerz AT t-online.de, 28.02.2012
- Nachricht nicht verfügbar
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, Nicolai Haehnle, 28.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, MonikaHerz AT t-online.de, 28.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, Keox aka Daniel Worofka, 28.02.2012
- Re: [AG-GOuFP] Bietet die Monetative einen Ausweg aus der Staatsschuldenkrise? - Diskussionsbeitrag von Samira Kenawi, Rolf Müller, 27.02.2012
Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.