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ag-drogen - [AG-Drogen] Ist es ethisch und gesellschaftlich verantwortbar alle Drogen zu legalisieren?

ag-drogen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik

Listenarchiv

[AG-Drogen] Ist es ethisch und gesellschaftlich verantwortbar alle Drogen zu legalisieren?


Chronologisch Thread 
  • From: Marcel Mayer <marcel_mayer AT t-online.de>
  • To: Spiff Pirat <spiffpp AT yahoo.de>, Mailingliste der AG Drogen <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [AG-Drogen] Ist es ethisch und gesellschaftlich verantwortbar alle Drogen zu legalisieren?
  • Date: Sat, 10 Dec 2011 12:55:52 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
  • List-id: Mailingliste der AG Drogen <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>

Ich möchte Spiff Pirats E-Mail von gestern Abend (21:21 h) hervorheben: Seine Argumentation der für und wider Problematik hat mich angesprochen, weil sie sich konkret an realen Lebensfragen entlang hangelt.

Nach wie vor habe ich bedenken gegenüber einer Legalisierung aller bzw. sämtlicher Drogen, das schließt unter umständen auch Drogen ein, die noch gar nicht entdeckt oder noch nicht erfunden wurden, deren Folgen kann keiner abschätzen.
Darüber hinaus erscheint mir die allgemeine Forderung (alle Drogen zu legalisieren) als eine Maximalforderung, die gegenüber der Gesellschaft nicht Konsensfähig sein wird.

Daher noch Mals die Frage (an alle E-Mail-Teilnehmer):

Ist es ethisch und gesellschaftlich verantwortbar jede Droge zu legalisieren, egal wie hoch oder niedrig ihr  Abhängigkeits- und/oder Gesundheitsrisiko ist und gleichzeitig einen Handel mit ihnen zu gestatten, ganz unabhängig davon ob bestimmte Drogen auf Rezept herausgegeben werden?

Wäre es nicht wert über einen Passus nachzudenken, in dem auf das ethische Wohl der Gesellschaft verwiesen wird und erst nach Prüfung und Abwägung, die auf wissenschaftlicher Erkenntnis beruht, über Stoffe individuell zu befinden.

Oder handeln wir allgemein so, wie ich es vor wenigen Tagen mitgehört habe, als ein Pirat einem Interessenten bei einem Stammtisch antwortete „wir brauchen Ziele, die möglichst unreichbar sind, um uns so von den anderen (Parteien) zu unterscheiden, um ein eigenes Gesicht zu bekommen", auf die Frage nach Beschlüssen und deren Umsetzbarkeit, die auf dem Bundesparteitag beschlossen wurden.

So kommen mir diese Maximalforderungen gerade auch vor. 

Doch dann kann ich auch in die Kirche gehen und warten bis der Heiland kommt, das ist auch ein nach wie vor unerreichtes Ziel.
Eigentlich der Wesenskern den alle Religionen ausmachen.



Am 09.12.2011 21:21, schrieb Spiff Pirat:
Hallo,

ich muß ich hier jetzt auch noch mal unbedignt reinhängen.
Kurz zur Vorgeschichte:
Vor kurzem gab's 'nen Mumble, und da habe ich die Anfänge eines Positionspapiers vorgestellt. In meinem Positionspapier tauchte der Drogenführerschein als ein Werkzeug auf, um die Abgabe von bestimmten Substanzen ein Stück weit zu reglementieren. Vor allem Willi, Georg und Christine haben da lautstark gegen protestiert. Ihre wichtgsten Argumente waren:
- einem mündigen Erwachsenen darf man keine Vorschriften machen, der Rauschkundeunterricht den die Piraten auch einführen, erzieht alle zu mündigen Erwachsenen
- Regulierung und Verbote führen sofort zu einem Schwarzmarkt und das ist immer ganz schlimm
(bitte korrigiert mich, wenn ich das falsch wiedergegeben habe)


Zur Sache mit den mündigen Erwachsenen: Selbst wenn wir noch heute ein Gesetz durchbekommen würden, mit dem ab dem kommenden Schuljahr ein gutes Konzept den Kindern Rauschkunde vermittelt, dann dauert es mindestens 12-13 Jahre, bis die Kinder aus der Schule sind. Bis dieser Rauschkundeunterricht flächendeckend wirkt, also ca. die Hälfte der Bevölkerung ihn durchlaufen hat, gehen bei unserer demografischen Entwicklung mindestens 30 Jahre ins Land. Sollen wir noch 30 Jahre Prohibition ertragen? Oder sollen wir in Kauf nehmen, daß der überwiegende Teil der Bevölkerung keine Rauschkunde genossen hat und es einfach mal probieren?
Desweiteren bin ich davon überzeugt, daß selbst wenn der Rauschkundeunterricht gut und sinnvoll eingeführt ist, es immer noch Leute gibt, die durchs Raster fallen. Nehmen wir die als Kollateralschäden in Kauf?


Das Argument, daß immer sofort ein total gefährlicher Schwarzmarkt entsteht, wenn man Schwellen, Regulierungen oder gar Verbote einführt, überzeut mich nicht. Sagen wir, wir haben einen Bürger, der interessiert daran ist, Heroin zu konsumieren. Ich würde ihn jetzt vor zwei Alternativen stellen: entweder macht er eine kleine Schulung und erwirbt einen Drogenführerschein, der ihm dann bescheinigt, daß er mit dieser Substanz umgehen kann und dann darf er staatlich geprüftes Heroin legal im Handel erwerben. Oder er muß sich einen Dealer suchen, bei dem er nicht weiß, wie die Qualität sein wird, von dem er nicht weiß, wo er ihn findet, auf dessen Angaben er sich nicht verlassen kann und er begibt sich in ein kriminelles Milieu. Ich behaupte, daß bei dieser Wahl sich der Großteil für die erste Möglichkeit entscheidet und die kleine Schulung gerne in Kauf nimmt.


Ich sehe sowas wie den 
Drogenführerschein auch nicht als große Bevormundung oder Einschränkung. Meiner Ansicht nach ist das mehr sowas wie ein Gesellschaftsvertrag. Es gibt in diesem Land auch Strafverfolgung und den 
Strafverfolgungsbehörden ist es erlaubt, das wichtigste Menschenrecht, 
nämlich die Freiheit, einzuschränken. Darauf haben wir uns alle geeinigt und nehmen das in Kauf um ein anderes Gut zu erreichen.
Abschließend möchte ich nochmal in aller Deutlichkeit sagen, daß ich eine schwellenlose Abgabe von Heroin für falsch halte. Als Grundlage unserer Arbeit wollen wir die Stoffe aus einer wissenschaftlichen Perspektive her betrachten. Und aus eben dieser Perspektive möchte ich einen grundlegenden Unterschied zwischen z.B. Heroin und Tabak herleiten: bei der ersten Anwendung von Heroin ist es ohne Hintergrundwissen sehr leicht möglich, sich zu töten. Das geht bei Tabak nicht. Auch bei Alkohol müssen schon viele zufällige Merkmale zusammenkommen, damit ein Mensch, der noch nie Alkohol getrunken hat, sich im ersten Anlauf eine tödliche Dosis einverleiben kann.
Ein anderer Aspekt ist, daß Suizid eine Affekthandlung ist. Das bedeutet, daß bei leichter Verfügbarkeit von Suizidmöglichkeiten, sich mehr Menschen umbringen, als wenn es nicht so leicht verfügbar ist. Man konnte in den 50ern und 60ern die Selbstmordraten deutlich senken, in dem man Brücken, Dächer, etc... besser gesichert hat und das damals verwendete giftige Haushaltsgas durch ein anderes ausgetauscht haben. Schon allein deshalb halte ich es nicht für gut, wenn der goldene Schuß eifnach so verfügbar ist.


Und zuletzt: wir müssen die Bevölkerung überzeugen und mitnehmen. Wie das bei einer bedingungslosen Freigabe von Heroin funktionieren soll, weiß ich nicht. Da müssen wir progressiv vorgehen. An die Diskussionsteilnehmer, die eine bedingungslose Freigabe von Heroin befürworten: ist denn für ein Kompromiß denkbar, daß Heroin erstmal mit gewissen Schwellen legalisiert wird, also Rezept vom Arzt oder Erlangen einer Umgangsgenehmigung mit der langfristigen Perspektive, diese Schwellen noch weiter abzusenken?


@Georg

Rein aus Interesse:

2.) Heroin war frei und legal (ohne Rezept) verfügbar, das Verbot beruht NICHT auch stoffspezifische Eigenschaften, sondern hatte ausschließlich wirtschaftliche Hintergründe (gilt so ziemlich für alle Verbote bis ca. 1940, später ist's nur'ne Ausweitung)
Ich kenne mich jetzt nicht aus mit dem Verbot von Heroin, aber ich erinnere mich ein Mumble, wo jemand erzählt hat, daß das Opiumverbot daherrührte, daß es zuviele Arbeiter gegeben hat, die sich lieber weggedopt haben, statt arbeiten zu gehen. Das würde ich jetzt nicht mal nur als wirtschaftlichen Faktor sehen. Vor allem ist es ja auch eine der großen Sorgen der Gegner unserer Initiative, daß bei Legalisierung alle nur noch zu Hause abhängen und sich wegdröhnen. Kannst Du nochmal erklären, wie genau das Verbot zu Stande kam?


Bis später,
Spiff

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Freiheit, für alle, für umsonst.


ACHTUNG: Obige Unterschrift ist nicht ganz ernst gemeint. Weitere Belehrungen darüber, was und wie Freiheit ist oder nicht werden nicht benötigt. Danke.


www.piratenpartei.de - Klarmachen zum Ändern!


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Von: Georg v. Boroviczeny <georg AT von-boroviczeny.de>
An: 'Mailingliste der AG Drogen' <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de> 
Gesendet: 20:15 Freitag, 9.Dezember 2011
Betreff: Re: [AG-Drogen] Piraten - Kokain bald am Kiosk?



nach
Cannabis gehört H. zu den vielgebrauchten Drogen (relativ, Alk. und Tabak
schlagen alle und auch das muss offensiv kommuniziert werden!), daher können
wir es nicht 'unterschlagen', sondern müssen auch klar kommunizieren, dass H. zu
den 'erwerbbaren' Drogen gehört. Zudem: reines H., korrekt (unter hygienischen Bedingungen) auch gespritzt, ist weniger riskant,
als Alkohol! Auch das kann (und muss) man darstellen. Ein Alkoholentzug OHNE
Arzt kann (bei längerer Sucht: IST) lebensgefährlich sein, Entzug von H. zwar
sehr unangenehm, aber ungefährlich.
Grüße
Georg


________________________________

Von:ag-drogen-bounces AT lists.piratenpartei.de
[mailto:ag-drogen-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im Auftrag von Marcel
Mayer
Gesendet: Freitag, 9. Dezember 2011 19:55
An: Mailingliste der AG Drogen
Betreff: Re: [AG-Drogen] Piraten - Kokain bald am Kiosk?

Hallo Georg,

vielen Dank für das rasche Feedback.
Klasse! Das ist endlich mal klar und deutlich.

Zu 3.) Warum ist es dann erstrebenswert Heroin in Apotheken im Rahmen eines
gesellschaftlichen Kontextes abzugeben, wenn keine Relevanz mehr besteht, was
Frage 5 ebensfalls betrifft. Denn hier werden auch Kritiker einhaken und uns
vorwerfen, dass ist Verantwortungslos, da Heroin eine hohe Abhängigkeit
hervoruft, das beiwort "kann" lass ich jetzt mal Außen vor. Als
Just-For-Fun-Droge würde man es niemanden empfehlen. So hat es doch rein eine
medizinische Verwendung und die wird, wie Du bereits sagstest, wirtschaftlich
keinen Nutzen mehr. Daher stellt sich die Frage im welchem Rahmen wir es
legalisieren wollen und in welchem Kontext? Abgesehen das man jetzt einhaken
könnte, wenn man es nicht legalisiert, dann ein Schwarzmarkt besteht.

Das ist für mich ein Dilemma, wo ich persönlich zu keiner eindeutigen Antwort
komme. Es sei denn man verbindet mit der Legalisierung den heren Wunsch den
Stoff, Heroin von seinem Stigma des Konsums in Form des berauschtseins, zu
befreien und glaubt das könnte gelingen, wenn man ihn dem Reiz des Verbotenen
raubt. Das ist eine Utopie und wie bei vielen Utopien  unmöglich zu
erreichen.

Gruß
Marcel


Am 09.12.2011 18:58, schrieb Georg v. Boroviczeny: 
1.) das Schwarzmarktargument ist einfach wahr: Verbote werden
immer umgangen, dadurch entstehen (zusätzliche) Probleme
2.)
Heroin war frei und legal (ohne Rezept) verfügbar, das Verbot beruht NICHT auch
stoffspezifische Eigenschaften, sondern hatte ausschließlich wirtschaftliche
Hintergründe (gilt so ziemlich für alle Verbote bis ca. 1940, später ist's nur
'ne Ausweitung)
3.)
H. besitzt med. Qualitäten (antispychotisch), diese stehen heute nicht mehr im
Vordergrund oder sind relevant
4.)
unschädlich ist KEINE Droge, das behaupten wir nirgends, jede Substanz hat ihre
eigenen Risiken, das stellen wir eindeutig klar. (Auch Cannabis nicht, bzw hat
Risiken)
5:)
Rezept ist eine Idee (nicht meine), als mögliche Kontrolle, daher auch
fragwürdig (mMn)
6.)
ja, jeder wird mit Legalisierung eigene Vorstellungen/Fantasien/Ängste
verbinden, das ist so

Georg


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Von:ag-drogen-bounces AT lists.piratenpartei.de [mailto:ag-drogen-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im Auftrag von Marcel Mayer
Gesendet: Freitag, 9. Dezember 2011 18:42
An: Mailingliste der AG Drogen
Betreff: Re: [AG-Drogen] Piraten - Kokain bald am Kiosk?

Hallo,
Auf die Gefahr hin das ich ein ungeschriebenes
Tabu innerhalb der AG breche. Einerseits sagen wir, es ist falsch die Drogen in
böse und gute einzuteilen. Andererseits erkenne ich in unsrer Außenwirkung eine
Pauschalisierung, in dem wir sagen, wir erlauben grundsätzlich alle Drogen. Wir
machen nichts besser als die Gegner, die sagen „wir wollen das alle illegalen
Substanzen verboten bleiben, weil sie gefährlich sind“. 
Warum wollen wir denn Heroin erlauben? 
Einfach weil es zur Freiheit gehört, dass
Menschen dazu ungehindert bzw. auf Rezept Zugang bekommen sollen und das
zweitens dem Schwarzmarkt die Grundlage entzogen wird?
Ich denke die Menschen werden sich nicht mit
einer solchen Antwort zufriedengeben, schon gar nicht wenn sie nicht mit dem
Thema vertraut sind. Das Heroin nur über Apotheken oder in Drogenfachgeschäften
verkauft werden soll, warum, was steckt dahinter, will man etwa Süchtigen damit
entgegen kommen (da auf Rezept) oder besitzt der Stoff medizinische Qualitäten
und wer soll eigentlich ein Rezept erhalten können, solche Fragen stelle nicht
nur ich, das werden sich auch Wähler und Kritiker fragen?
Bei Hanf sammeln wir alle möglichen
Informationen zusammen, die eine medizinische Wirksamkeit nachweisen bzw. seine
Unschädlichkeit bestätigen, arbeiten akribisch genau.
Wenn dann müssen wir das auch bei den anderen
Stoffen versuchen herauszuarbeiten. 
Aber ich fürchte jeder verbindet mit einer
„Legalisierung aller Drogen“ etwas anderes. Am Beispiel Hanf, es wird Menschen
geben, die sich berauschen möchten und es wird Menschen geben, die seine
medizinische Wirkung bevorzugen oder vielleicht beides und so wird es auch in
unsrer AG sein.
Ich hoffe Ihr versteht worauf ich hinaus will.






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