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nrw-duisburg - Re: [NRW-Duisburg] BPT112

nrw-duisburg AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Infos für Duisburger Piraten

Listenarchiv

Re: [NRW-Duisburg] BPT112


Chronologisch Thread 
  • From: bonbini <bonbini AT news.piratenpartei.de>
  • To: nrw-duisburg AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [NRW-Duisburg] BPT112
  • Date: Wed, 07 Dec 2011 15:24:30 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/nrw-duisburg>
  • List-id: Infos für Duisburger Piraten <nrw-duisburg.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Newsserver der Piratenpartei Deutschland - Infos siehe: http://wiki.piratenpartei.de/Syncom/Newsserver


Dirk (duisblog) zitiert (zustimmend, denke ich) folgenden Text in seinem Beitrag:

duisblog schrieb:

Hätten die PIRATEN an dieser Stelle beschlossen, dass die flächendeckende Grundversorgung aus zusätzlichen Abgaben der Besserverdiener und Vermögenden finanziert werden soll, dann würde dies ihre „Links-Rechts-Neutralität“ aufheben. Eine solche Forderung käme einem klaren Bekenntnis zu linken Positionen, nämlich einer Verteilung von Vermögensverhältnissen von oben nach unten, gleich.

Und so bleibt es, ähnlich wie bei der Forderung nach einem geeinten aber demokratischen Europa oder einem fahrscheinlosen Nahverkehr, bei einem begrüßenswerten Wunsch ohne die notwendigen politischen Konsequenzen.

Die PIRATEN beschränken sich insofern darauf, gemeinsame Wunschzettel mit hohem Zustimmungspotenzial auszufüllen. Den Preis hierfür, nämlich eine klare Positionierung in Bezug auf die Frage, wer für was aufkommen soll, ein deutliches Bekenntnis zu einer solidarischen Gesellschaft oder die Forderung nach einer gerechten Verteilung von Ressourcen und Optionen, will die Partei jedoch nicht zahlen.

Wenn sich hieran in der Zukunft nichts ändert, dann ergibt sich der politische Standort der Partei ganz von selber: Sie wird dann in die Nachfolge der sterbenden FDP eintreten und hauptsächlich eine modernere Version von Liberalismus anbieten. Sicher ist diese Position im parlamentarischen System wichtig. Mit revolutionären Konzepten oder einer neuen Sicht auf die Welt hat sie allerdings nur wenig zu tun.

Ich finde diesen Kommentar insofern interessant, weil er, wie auch schon HP geschrieben hat, im klassischen sozialdemokratischen / sozialistischen Denken verharrt. Es hat ja durchaus seinen Grund, wenn Linke, Gewerkschaften und SPD das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) fürchten wie der Teufel das Weihwasser, würde es doch ihre Stammklientel endlich emanzipieren und von ihrer Fürsprache deutlich weniger abhängig machen. Aber anstatt diesen zentralen Punkt zu benennen, flüchten sie sich gerne in die Frage der Finanzierung, um das BGE damit abzuschmettern.

Was das BGE (unter anderem) bewirkt: Abhängig Arbeitende müssen vor einem möglichen Jobverlust nicht mehr so viel Angst haben wie heute, da sie nicht auf ein Hartz IV-Niveau heruntersacken. Das bedeutet auch: Abhängig Arbeitende können selbstbewusster gegenüber den Unternehmen auftreten, können eher mal Nein sagen, müssen sich nicht mehr alles gefallen lassen. Und, was vielleicht noch viel wichtiger ist: Das Leben rückt wieder in den Mittelpunkt. BGE bedeutet nämlich: Wir wollen kein "Recht auf Arbeit", sondern ein "Recht auf menschenwürdiges Leben".

Das können Gewerkschaften und Linke / SPD natürlich nicht gutheißen, weil sie ja ihre Klientel unbedingt zur (Lohn-) Arbeit treiben wollen und die Arbeit als das Alleinseligmachende ansehen, egal, wie erbärmlich sie sein mag. Durch das BGE merken aber viele Menschen, dass das gar nicht stimmt.

Ich glaube, dies ist ein Grundkonflikt der Diskussion für oder gegen BGE, nämlich die implizite Arbeitsphilosophie - hat man sie oder hat man sie nicht? Das gälte es doch zunächst einmal zu thematisieren. Und dann können wir über Finanzierung sprechen, für die es auch einige Modelle gibt. Angefangen bei der Nutzung der derzeitigen Sozialtransferleistungen Deutschlands, die inzwischen über 800 Milliarden Euro pro Jahr betragen. Nun rechnen wir doch mal: Wir haben etwa 70 Millionen Bundesbürger über 15 Jahren. Wenn jeder pro Monat 1000 Euro BGE erhielte, machte das pro Monat 70 Milliarden Euro aus. Mal 12: 840 Milliarden. Finanzierungslücke: knapp 40 Milliarden pro Jahr. Klar, das ist in dieser Form natürlich extrem simplifiziert, aber es zeigt, dass ein BGE zu finanzieren so utopisch nicht ist.

Konkrete Finanzierungsvorschläge gibt es einige, so das Werner-Modell oder das Dilthey-Modell, um nur zwei zu nennen. Die haben beide nix mit dem klassischen Umverteilungsmodell zu tun (den "Reichen" wegnehmen, den Bedürftigen geben). Weil, den /wirklich /Reichen wird sowieso nix weggenommen, weder von der SPD noch von der Linken. Die BGE-Finanzierungsmodelle gehen dagegen von einer fundamental anderen Art von Gesellschaft aus - so wie ja auch das BGE die Gesellschaft fundamental verändern wird, weil es Lohnarbeit und Einkommen entkoppelt. Aber das ist das Problem von SPD, Gewerkschaften und Linken: Eine solche fundamental andere Art von Gesellschaft, eine Gesellschaft der emanzipierten Bürger, können sie sich nicht nur nicht vorstellen, sie wollen sie auch gar nicht, weil sie sich in unserer Gesellschaft so bequem eingerichtet haben.

Zum Abschluss noch ein Wort zum kostenlosen ÖPNV: auch da gibt es Modellrechnungen. Derzeit wird der ÖPNV in Deutschland jährlich mit etwa 10 Milliarden Euro bezuschusst, weitere ca. 10 Milliarden stammen aus Fahrscheinverkäufen. Nimmt man noch notwendige Investitionskosten etc. hinzu, würde ein bundesweit kostenloser ÖPNV also vielleicht 15 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Wenn man für die 41 Millionen zugelassener PKW in Deutschland die Kfz-Steuer um 100 Euro jährlich erhöhen würde, hätte man schon mal 4 Milliarden drin. Und dann spart man ein bisschen beim Autobahnausbau (für den Straßenbau gehen in Deutschland pro Jahr vom Bund aus 10 Milliarden Euro drauf, nimmt man die Länder dazu, dann noch deutlich mehr) und schon ist der fahrscheinlose ÖPNV finanziert.

Alles (ob BGE oder kostenloser ÖPNV) ist eine Frage des Wollens - und nicht der Wünsche, wie es in obigem Kommentar heißt. Und zu jedem Punkt gibt es etliche Machbarkeitsberechnungen, meine sind nur beispielhaft angeführt. Wer den entsprechenden Forendiskussionen folgt oder die Wiki-Seiten dazu studiert, der wird jede Menge machbarer Finanzierungsvorschläge finden.

Ein letztes Wort zum FDP-Vorwurf: Das ist einfach nur lächerlich. Die FDP ist eine Klientelpartei der Besserverdienenden. Was hat das mit den Piraten zu tun? Wir treten ein für umfassende gesellschaftliche Teilhabe aller Bürger, sowohl politisch als auch hinsichtlich der finanziellen Grundlagen (ReSET, BGE). Wir treten ein für kostenlose Bildung, kostenlosen ÖPNV etc. Und genau diese Mischung macht ja die Sprengkraft der Piraten aus: Weil sie neue Parameter setzen wollen für diese Gesellschaft, deren Folgen noch nicht absehbar sind. Es ist einfach, zu schreien: "Nehmt den Reichen das Geld weg." Verschafft vielleicht ein gutes Gewissen, löst aber wohl kaum die grundlegenden Probleme unserer Gesellschaft.

Upps, doch etwas länger geworden als gedacht. Deshalb Schluss hier.

Gerd




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