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ag-umwelt - Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Emissionssteuer vs. Zertifikatehandel

ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Ag-umwelt mailing list

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Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Emissionssteuer vs. Zertifikatehandel


Chronologisch Thread 
  • From: "Moritz Richter" <mmarichter AT aol.com>
  • To: "'Mailingliste der AG Energiepolitk'" <energie_und_infrastruktur AT lists.piratenpartei.de>
  • Cc: 'AG Nachhaltigkeit' <ag-nachhaltigkeit AT lists.piratenpartei.de>, 'AG Umwelt' <ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Emissionssteuer vs. Zertifikatehandel
  • Date: Thu, 30 Aug 2012 14:58:07 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
  • List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>

Hallo Gunnar,

diese Herangehensweise ist aber auch wieder eine ganz andere, als
international über einen einheitlichen Steuersatz zu reden.
Die Planbarkeit der Steuer, die wohl der große Vorteil dieser ist, ist dann
nicht mehr gegeben. Obwohl die Ausschläge bei einer Steuer deutlich milder
als beim Zertifikatehandel verlaufen, ergibt sich für die Unternehmen
möglicherweise ein gleiches Maß an Unsicherheit, da diese keine Möglichkeiten
mehr haben, auf den Preis Einfluss zu nehmen. Beim Zertifikatehandel haben
Unternehmen wenigstens einen gewissen Einfluss auf den Kaufpreis der eigenen
Zertifikate, da sie entscheiden können, wann und zu welchem Preis sie kaufen
und verkaufen. Möglicherweise sind hier die Preisentwicklungen besser
vorhersehbar als eine politische Entscheidung, die Steuer jetzt z.B. um 10%
zu verändern.

Gruß

Moritz

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: energie_und_infrastruktur-bounces AT lists.piratenpartei.de
[mailto:energie_und_infrastruktur-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im Auftrag
von Gunnar Kaestle
Gesendet: Mittwoch, 29. August 2012 23:08
An: AG Energiepolitik
Cc: AG Nachhaltigkeit; AG Umwelt
Betreff: Re: [Energiepolitik] [Ag-umwelt] Emissionssteuer vs.
Zertifikatehandel

Moritz Richter schrieb:

> es kommt immer darauf an, was denn eigentlich dein Ziel ist. Eine
> Steuer besitzt keine "ökologische Treffsicherheit", das heißt, dass
> der Staat sich dabei (auch deutlich) verschätzen kann, wie viel CO2
> bei einer bestimmten Steuerhöhe tatsächlich eingespart wird.
> Natürlich kann der Staat hier nachsteuern, aber dann verändert er auch
> wieder die Steuerhöhe und gelangt zu einer variablen CO2-Bepreisung
> wie bei dem Zertifikatehandel.

Ja, ein Mengeninstrument (Zertifikatehandel) mit nachgelagertem
Preisinstrument (Capanpassung gemäß Preiskorridor) ist fast dasselbe wie ein
ökonomischer Regelkreis, bei dem zuerst das Preisinstrument in Form einer
Steuer und die Steuerhöhe dann mit einem übergelagerten Mengeninstrument
nachjustiert wird. Im Detail sind aber Unterschiede vorhanden, die vor allem
die zeitliche Anpassungsgeschwindigkeit beschreiben. Der Regelkreis wäre in
beiden Fällen etwas träger zu gestalten (Quartal/Jahr), während die erste
Eben unmittelbarer reagiert.
Hier führt die höhere Preis-Volatilität der Zertifikate zu einem höheren
Risiko für den Investor.

Genauer kann man das bei Fachliteratur zu Financial Engineering
nachlesen: die verschiedenen Koeffizienten sind griechische Buchstaben und
werden daher auch "die Griechen" genannt:
http://en.wikipedia.org/wiki/The_Greeks#Use_of_the_Greeks

> Die bisherigen Klimaverhandlungen sind immer so geführt worden, dass
> sich bestimmte Staaten darauf verpflichten, ein bestimmtes Maß an
> Treibhausgasen einzusparen. Dieser Ansatz wäre mit einer Steuer dann
> nicht mehr möglich, weil man mit dieser gar nicht mehr verlässlich
> eine bestimmte Höhe einsparen kann.

Ich mache mir keine Sorgen, dass man das mit einer nachgeführten Steuer nicht
erreichen kann. Der Markt reagiert in Domänen mit hoher kapitalintensität oft
in Zyklen, der darauf beruht, dass für eine Investition erst fixe+variable
Kosten gedeckt werden müssen, wohingegen ein Nachfrageeinbruch die fixen
Kosten als Sunk Costs deklariert, und relevant für den Weiterbetrieb nur die
variablen Kosten werden. Ein Fuel Shift von Braunkohle zu Erdgas braucht,
wenn das Kraftwerk erstmal gebaut is,t eine gigantischen Anreiz, um die
ökonomische Hysterese zu überspringen.

> Wie gesagt, der Staat kann gar nicht genau bestimmen, wie sich eine
> Steuer auf die Emissionen auswirkt, hinzu kommen jetzt
> Konjunkturschwankungen.

Klar kann er das: in einem Ökonomischen Regelkreis wäre das:
Anreiz geben, Marktreaktion abwarten, Ergebniss messen und mit dem Sollwert
vergleichen, Anreiz nachstellen. Mit dem Prinzip hat James Watt auch die
Drehzahlregelung bei einer Dampfmaschine realisert.
http://de.wikipedia.org/wiki/Regelung_%28Natur_und_Technik%29
Auch der Regelkreis, den die Zentralbanken zur Geldwertstabilität
implementiert haben, funktioniert so, auch wenn man manchmal gewisse Vorgänge
in der Strecke nicht ganz verstanden hat.

> (Übrigens hat eine Steuer zwar eine höhere Planbarkeit, aber ein
> Zertifikatehandel gleicht ein wenig die konjunkturellen Schwankungen
> aus! Wenn in einer Flaute weniger Energie verbraucht wird, sinkt der
> Zertifikatepreis und Energie wird billiger).

Wäre es nicht sinnvoller, wenn in einer Flaute die Arbeit billiger wird?
(Ohne dass das Einkommen und die Binnennachfrage geringer wird)

> welches Land belastet schon seine eigene Industrie mehr als notwendig?
> Man hätte hier das gleiche Dilemma, wie bei der Steuer.

In europäischen Ländern hat man sich daran gewöhnt, 1,50 Euro pro Liter Sprit
zu zahlen. In den USA wären das ca 7$ pro Gallone. Ich sehe es angesichts der
abnehmenden Verfügbarkeit von Öl eher als ein Vorteil an, dass man in Europa
eher mit spritsparenden Autos fährt und kurze Wege bevorzugt, was nicht zu
einer Zersiedlung der Landschaft geführt hat.

> Also Zwischenfazit: Wenn man Klimaverhandlungen mit festen
> Reduktionszielen führt, ist die ökologische Treffsicherheit schon
> wichtig und aus dieser Perspektive Zertifikate "sicherer".

Mein Zwischenfazit ist, dass sich die Preisinstrumente als überlegen gezeigt
haben und insbesondere die Effizienz höher ist, d.h. die makroökonomischen
Kosten geringer sind. Vor allem braucht man eine technologiespezifische
Differenzierung, was z.B. in UK schon gemacht wird, was darin resultiert,
dass gewisse Anlagen das 1,5 oder 2 fache als Grundstromzertifikaten erhalten.

> Wenn es allerdings keine besonders große Rolle spielt, ob wir am Ende
> z.B. bei 650 oder 680ppm CO2-Gehalt landen, ist es vielleicht
> sinnvoller, von den genauen Reduktionszielen abzuweichen und eher über
> die Steuerhöhe zu verhandeln.

Aufgrund der Tatsache, dass man Steuern (im Gegensatz zu physikalischen
Abschlägen per Wirkungsgrad oder anderen technischen Restriktionen) relativ
frei gestalten kann, mache ich mir nicht so viel Sorgen, dass ein intelligent
gemachter Anpassungprozess - trotz des nichtlinearen Verhalten des zu
steuernden Systems - es nicht schafft, den Einspareffekt dahin zu treiben, wo
man ihn haben möchte.

Schau mal in Kapitel 8.5, S. 171 rein.
http://m.photovoltaik.eu/fileadmin/uploads/PDFs/Webcode/120123-Gutachten_Consentec_r2b_FGH.pdf
Auch wenn da noch Detailschwächen in der Ausgestaltung drin sind, ist das
Prinzip goldrichtig.

Gruß,
Gunnar


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