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ag-landwirtschaft - [Ag-landwirtschaft] Wie die Bio-Landwirtschaft ins Ministerium kam

ag-landwirtschaft AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Landwirtschaft

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[Ag-landwirtschaft] Wie die Bio-Landwirtschaft ins Ministerium kam


Chronologisch Thread 
  • From: Stephan Verbücheln <erlenmayr AT gmail.com>
  • To: ag-landwirtschaft AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: [Ag-landwirtschaft] Wie die Bio-Landwirtschaft ins Ministerium kam
  • Date: Wed, 18 Apr 2012 00:25:01 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-landwirtschaft>
  • List-id: <ag-landwirtschaft.lists.piratenpartei.de>

Davon ist Bundesministerin Künast weit entfernt. Sie hat inzwischen
genügend Nachhilfe in Sachen Landwirtschaft genommen, um selbstbewusst
im Sinne der Anthroposophen argumentieren zu können. In den BSE- und
MKS-Fällen, die sie an die Spitze des Ministeriums gespült haben, sah
sie eine historische Chance:

„Es hat sich eine Tür aufgetan. Wenn man auf Rudolf Steiner zurückgeht,
dann haben sich die Menschen seit den zwanziger Jahren für einen
nachhaltigeren Umgang mit der Natur eingesetzt. Es war immer eine kleine
radikale Minderheit.“

Diese kleine radikale Minderheit hält jetzt – über Bündnis’90 / Die
Grünen – die Fäden der Landwirtschaftspolitik in der Hand. Das Feindbild
– „Profitbauern“ und „Agrarfabriken“ – ist klar definiert, der gemeine
Landwirt produziert „Masse statt Klasse“. Dem stellt die Ministerin das
elysäische Panorama ökologischer Landwirtschaft gegenüber. Da erwies
sich der Beirat des Ministeriums allerdings als Hindernis. Den dort
vertretenen Agrarwissenschaftlern leuchten Einsichten wie die folgende
einfach nicht ein: „Im Apfel ißt man den Jupiter, in der Pflaume den
Saturn... Das Minderwertiger-Werden der Produkte... hängt zusammen
ebenso wie die Umwandlung der menschlichen Seelenbildung mit dem Ablauf
des Kali-Yuga im Weltall“ (aus Steiners Vortragszyklus von 1924).

*Nachdem die Unabhängigkeit des wissenschaftlichen Beirats von
Ministerin Künast durch eine Satzungsänderung zerstört wurde, trat er
geschlossen zurück.* Jetzt kann sich Frau Künast ihre Berater danach
aussuchen, welchen Rat sie wünscht. Künasts Staatssekretär Müller,
ebenfalls ein Grüner, sah damit nur ein Hindernis für die Neuausrichtung
der Agrarpolitik zum ökologischen Landbau beseitigt. Und das stimmt wohl
auch. Wissenschaftliche Argumente zählen nicht, das Sagen haben Ideologen.
Auf der Homepage des Verbraucherministeriums wird im Zusammenhang mit
dem ökologischen Landbau der anthroposophischen Methode das Wort
geredet: „Der ökologische Landbau ist keine Modeerscheinung. Schon 1924
wurde die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise eingeführt. Auch andere
Formen des ökologischen Anbaus, wie der organisch-biologische oder der
naturgemäße Landbau, haben eine lange Tradition.“

Der schleichende Paradigmenwechsel fand schon vor Jahrzehnten statt. Mit
Beginn der siebziger Jahre wurden an deutschen Agrarfakultäten die
ersten Lehrstühle für ökologischen Landbau eingerichtet, zum Teil unter
erheblichen universitätsinternen Protesten – wie in Kassel, wo der
damalige Präsident der Gesamthochschule, Ernst Ulrich von Weizsäcker,
die Initiative ergriff. Bis in die jüngste Zeit hinein wurden Lehrstühle
und Institute für den Ökolandbau z.T. nur unter massivem politischem
Druck eingerichtet. Nirgendwo sonst mischt sich die Politik so ungeniert
in den Wissenschaftsbetrieb ein wie auf diesem Gebiet. Fadenscheinige,
aus Steuergeldern finanzierte Forschungsprojekte werden ausgelobt, nur
um endlich „nachweisen“ zu lassen, was in fast achtzig Jahren Forschung
niemandem gelang: dass nämlich Bioprodukte gesünder sind als
herkömmliche Ware.

Das Erfolgsrezept der anthroposophischen Seilschaften war und ist die
undurchsichtige Verquickung von anthroposophischer Lehre und vorgeblich
naturwissenschaftlicher Methodik. Dass einer „auf höheren Einsichten“
basierenden Weltsicht mit Naturwissenschaften nicht beizukommen ist,
wissen auch die Anthroposophen. Steiner behauptete ohnehin, dass die
Naturwissenschaften gar nicht anders könnten, als nachträglich
Erkenntnisse zu gewinnen, die er dank seiner „Geisteswissenschaft“ schon
vorher schaute.

Schon in den dreißiger Jahren gelangten Agrarwissenschaftler durch
vergleichende Forschungen zu dem Ergebnis, dass es keine meßbaren
Qualitätsunterschiede zwischen landwirtschaftlichen Produkten aus
biologisch-dynamischer und konventioneller Wirtschaftsweise gibt. Daher
mussten eigene Prüfverfahren eingeführt werden. Jedoch können nur
Anthroposophen sie anwenden. Beispiele dafür sind die 1930 vorgestellten
so genannten „bildschaffenden Methoden“, die die „innere Qualität, das
Charaktervoll-Arttypische“ von Lebensmitteln sichtbar machen sollen,
indem man das Wachstum und die Ausbildungsform von Kristallen aus Säften
und Pflanzenextrakten frei interpretiert.

Die ideologisierte Richtung des Ökolandbaus ist eben untrennbar mit der
esoterisch vernebelten Welt- und Natursicht verbunden. Attribute wie
„natürlich, biologisch, organisch, gesund“ und „ganzheitlich“ – mit
ihrer für die Gläubigen spezifischen Bedeutung – gehören ebenso dazu wie
der Glaube an die Kraft der Steine und Gestirne. Steiner: „Das Wasser
ist nicht nur aus H und O zusammengesetzt, das Wasser weist die Wege im
Erdenbereich denjenigen Kräften, die zum Beispiel vom Mond kommen, so
daß das Wasser die Verteilung der Mondkräfte im Erdbereich bewirkt“
(landwirtschaftlicher Vortragszyklus).

„Mondkräfte“ spielen in der anthroposophischen Landwirtschaft eine
besondere Rolle. Obwohl schon Untersuchungen in den dreißiger Jahren
einen wie auch immer gearteten Einfluss des Mondes auf das
Pflanzenwachstum für unwesentlich befunden hatten, wird bis heute an
einigen Instituten dahingehend geforscht. 1995 fand die Dritte
Wissenschaftstagung zum ökologischen Landbau statt. Tagungsort war die
Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Den ersten Plenarvortrag hielt
Dr. Wolfgang Schaumann aus Bad Vilbel. Schaumann führte aus, dass
Steiner mit seinem landwirtschaftlichen Vortragszyklus zu Menschen
gesprochen habe, „die sich mit seinem bisherigen Werk, der
Anthroposophie, schon beschäftigt hatten. Diese Voraussetzung muss daher
eigentlich auch heute noch erfüllt werden, was aber nur selten der Fall
ist.“ Steiners „Kurs“, wie Schaumann die Vorträge nennt, sei „eine
geistig außerordentlich anspruchsvolle Kost. Es setzt eine sehr starke
geistige Bemühung voraus, eine Beschäftigung mit den Grundlagen der
Anthroposophie und gewissermaßen ein Leben mit den Inhalten.“
Stattdessen würden die Studenten mit „Spezialwissen vollgestopft“. Die
„Wurzel des Problems“ sei die „Art der Bildung“ in Deutschland. Die
Ausführungen endeten mit der Feststellung:

„Sie sehen, es ist ganz ungeheuer viel zu tun und das nicht deshalb,
weil wir irgendwelche Sonderlinge sind, die sich seltsame Fragen
einfallen lassen, sondern weil die Geschichte des Abendlandes dorthin
strebt und weil die Welt, wo man hinblickt, gewissermaßen laut danach
ruft, daß es endlich mit genügender Intensität geschehe.“

Das war der einleitende Beitrag einer wissenschaftlichen Tagung an einer
staatlichen Universität! Schaumann forderte nichts anderes als eine
Abkehr von wissenschaftlicher Bildung. Unverhüllt tritt hier der
Anspruch einer okkulten Lehre zutage, durchgreifenden Einfluss auf das
Bildungswesen in unserem Staat zu gewinnen. Was an anthroposophischen
Waldorf-Schulen mit Kindern begonnen wird – die Vermittlung einer
esoterischen Mythologie, die Runenlehre, das Rechnen mit Pentagrammen,
die Erziehung zu heiliger Ehrfurcht und Scheu (wie Steiner es
ausdrückte) –, das soll an den Hochschulen fortgesetzt werden. Dabei
sind Erfolge dieses Ansinnens leider nicht zu verleugnen.




Auszug aus "Wenn der Mond auf den Hintern scheint" von Peter Treue
<http://www.novo-magazin.de/58/novo5852.htm>




Gruß




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