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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Antrag Gesundheitsreform in HH

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

Re: [AG-Gesundheit] Antrag Gesundheitsreform in HH


Chronologisch Thread 
  • From: Wolfgang Gerstenhöfer <wolfgang.gerstenhoefer AT gmx.de>
  • To: "AG Gesundheit" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Antrag Gesundheitsreform in HH
  • Date: Mon, 10 Sep 2012 14:07:48 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hallo Syna,

Deine ausfürliche Entgegnung habe ich wieder mit großem Interesse gelesen.

Tatsächlich werden wir wohl nicht zu einer gemeinsamen Sicht der Dinge kommen. Bei dem Ziel sind wir einer Meinung, bei dem Weg dorthin leider gar nicht.

Nun nur noch zwei Anmerkungen bzw. eine Frage:

Vielleicht hast Du mein Konzept nicht (mehr) richtig in Erinnerung, aber ich habe immer wieder den Eindruck, als ob Du davon ausgehen würdest, daß ich das derzeitige System der privaten Krankenversicherung präferieren würde. Das ist ganz und gar nicht der Fall. (... obgleich man alleine zu dem ganzen Thema "Mitgabe der Alterungsrückstellung" Bücher füllen könnte ... denn leider ist auch dieses Thema nicht ganz so trivial, wie Lieschen Fliegenschnee oder das immer wieder gern zitierte Milchmädchen (kann auch ein Milchjunge sein) sich das vorstellt ...)

Habe ich Deine folgende Ausführung so richtig verstanden, daß Du gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen bist? Das überrascht mich nun doch sehr!

"Denn der Steuerausgleich hilft da wenig; er macht aus mündigen Bürgern Bittsteller und bläht die Bürokratie auf."

Ich kann dazu nur sagen, daß ich das von Dir geforderte und bevorzugte Gesundheitswesen nicht erleben möchte:

Eine große Gesundheitsbürokratie - abhängig von Entscheidungen der Politiker, die in der Regel Laien auf diesem Gebiet sind - mit einer Schar beim Staat angestellter Gesundheitsmitarbeiter, denen die Patienten als Einheitsversicherte zugeteilt werden und für ihren staatlich festgelegten Zwangsbeitrag die ebenfalls staatlich normierten Einheitsleistungen bekommen.

Dann sind endlich alle kranken Bürger Patienten im Sinne von Leidende und keine Kunden. Da ist nichts von Augenhöhe, da ist nur noch Abhängigkeit.

Schade.

Beste Grüße
Wolfgang

Ich habe mir erlaubt, nach der folgenden E-Mail mein Konzept noch einmal anzuhängen. Für Detail- und Verständnisfragen stehe ich natürlich sehr gern zur Verfügung.



----- Original Message ----- From: "syna" <syna AT news.piratenpartei.de>
To: <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
Sent: Monday, September 10, 2012 12:49 PM
Subject: Re: [AG-Gesundheit] Antrag Gesundheitsreform in HH


Wolfgang Gerstenhöfer schrieb:
Hallo Syna,

vielen Dank für Deine Ausführungen.

Hallo Wolfgang,

da ich nicht jeden Tag Zeit habe, hier ins Forum zu blicken, dauert es
immer ein bißchen, bis ich ein Feedback geben kann. Du sprichst so viele
Themen an, ich beschränke mich da mal auf einige wichtige:

1. Einkommensunabhängige Finanzierung Gesundheitswesen
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Warum soll das nicht auch zwischen Anbietern von Gesundheitsleistungen und den Nachfragern, also den Patienten funktionieren? Muß das wirklich der Staat, müssen das wirklich Politiker machen? Können das entsprechende Interessenvertretungen/Verbände/Organisationen nicht viel besser machen?

Ja, das muss der Staat - in Form einer vom Staat bzw. von den Politikern
eingesetzten Kommission machen.

Denn eine Erfahrung kann man fast immer auf dem freien Markt erneut
erleben: Auf dem freien Markt wird jede Anbieterdominanz auch ziemlich
gnadenlos ausgenutzt und ausgereizt. Deshalb ist diese Gefahr des
Ausnutzens und Mißbrauchs gerade in so einem sensiblen und für den
gesellschaftlichen Konsens wichtigen Bereich wie der Gesundheit groß.
Das heißt: Wir brauchen hier eine rigorose Regulierung, eine Festsetzung
der Erhebung der Finanzen.

Wir sehen z.B. in der Regulierung der Pharma-Preise, mit welchen Tricks
und Ösen da gearbeitet wird - jede gesetzliche (Teil-)Regelung sofort
unterlaufen wird. In Deutschland sind Medikamente am teuersten. Warum
wohl?

Im Bereich der Finanzierung von Gesundheit haben wir mit unserem
derzeitigen dualen System ein wirklich extreme Schlagseite - und gerade
die PKVen sagen auf der einen Seite immer das hohe Lied des "freien
Marktes" auf, wenn es aber um die Rückstellungen geht, dann verweigern
sie sich diesem "freien Markt" - da wird dann wieder gemauert bis zum
Exzess. Eine ziemlich leidig unselige Szenerie!

Jede Mini-Regelung - und das zeigt die Historie - führt immer zu
Umgehungen, Anpassungen - und ändert nicht wirklich etwas. Das ganze
Hin- und Her mit Gesundheitsfonds, Zuzahlungen,
Zusatzbeitragsregelungen - ein Feilschen um Regelungen - und es wird
immer komplizierter. Das GKV-Finanzierungs-gesetz von Rösler 2011: Wer
versteht es eigentlich noch?

Deshalb: Wie man es auch wendet und betrachtet: Der beste Weg ist der
zu einer Kasse (oder mehreren Kassen) mit progressiv
einkommensabhängiger Finanzierung für alle Bürger - oder sogar mit
vollständiger Steuerfinanzierung. Dann sind alle in gerechter Weise
beteiligt und keiner kann sich der solidarischen Finanzierung entziehen.

Mir ist schon klar, daß dies nicht von dem einzelnen Patienten mit seinem
Arzt im konkreten Krankheitsfall gemacht werden kann.

Ja, siehe oben: Die Anbieterdominanz bedeutet: Wir
müssen - ausnahmsweise - diesen Bereich regulieren. D.h. der Arzt soll
bei seinem Tun und Behandeln nicht seine Brieftasche und seine Finanzen
im Fokus haben, sondern das Heil des Patienten. Dafür trat er einmal sein
Studium an, und so sollte es auch bleiben.

Deshalb muss es so sein, dass der Arzt nicht seine Bezahlung fürchten
muss, sondern dass er z.B. Angestellter einer Polyklinik oder einer
staatlichen Einrichtung ist.

Wann bekommen wir denn dann einkommensabhängige Preise in anderen Branchen?
....
Wollen wir also demnächst auch die gesamte Lebensmittelbranche - vom
Landwirt bis zum Einzelhändler - staatlich regeln? Wer bekommt was zu
welchem Preis? Am besten auch einkommensabhängig. Warum müssen
Menschen mit geringem Einkommen für ein Brot den gleichen Preis
bezahlen wie Menschen mit hohem Einkommen?

Und wie ist das mit der Energiebranche? Strom, Gas, Wasser?

Naja, lieber Wolfgang , das ist ein bißchen das
Totschlagsargument. I.A. ist der freie Markt schon das Effektivste - aber
nur wenn alle Marktteilnehmer auf Augenhöhe verhandeln. Dies ist bei
Monopolbildungen nicht mehr der Fall. Es ist bei "natürlichen Monopolen"
von Anfang an nicht der Fall. Und das ist im Gesundheitswesen zwischen
Leistungsanbietern und Patienten erst recht nicht der Fall. Deshalb finde
ich: Immer schön unterscheiden: Was für einen "Markt" haben wir da? Und nicht
den Teufel an die Wand malen.

2. Kostenbewusstsein des Einzelnen
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Außerdem wird dann das Kostenbewußtsein bei dem einzelnen
Versicherten völlig verschwinden, denn man hat überhaupt keinen
Überblick mehr, wie viel jedem einzelnen seine Gesundheitsversorgung kostet.

Nun ja, in der PKV stiegen in den letzten Jahren die
Kosten überproportional. Obwohl die Patienten da immer die Rechnung vor
Augen hatten und haben ... offenbar hat solches auf Kosten keine
Auswirkungen.

Was Du ansprichst, ist ja das Paradigma des "moral hazard" - auf Deutsch
etwa "moralisches Risiko". Man postuliert, das soziale
Krankenversicherungen oder staatliche Gesundheitssysteme die
Versicherten bzw. Bürger zu einer Überinanspruchnahme von Leistungen
verführen.

Dabei ist schon die Grundlage von Alltagserfahrungen wenig einleuchtend,
unterstellt sie doch, dass die Inanspruchnahme med. Leistungen ein
erstrebenswerte Genuss sei, von dem die Menschen gar nicht genug
bekommen könnten. Diese Annahme kann man schon mit dem Hinweis auf
schmerzhafte Zahnbehandlungen, die lästige 24-Stunden-
Blutdruckmessung und den bitteren Genuss einer Bypass-OP oder gar
einer Chemotherapie als unrealistisch verwerfen. Wer geht schon gerne
zum Arzt oder lässt sich Pillen verschreiben, nur weil er befürchtet,
weniger Leistungen zu erhalten als die anderen Versicherten?

3. Versicherungsanbieter wechseln
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Und dann - ohne die Möglichkeit, den Anbieter von Versicherungsleistungen zu wechseln. Dann haben wir noch eine neue Anbieter-Dominanz im Gesundheitswesen.

Na, das ist ja heute bei den PKVen der Fall: Dadurch,
dass Rückstellungen nicht mitgenommen werden dürfen, kann die
PK-Versicherung praktisch nicht gewechselt werden. Und gerade die PKV
wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, diese Regelung (der NICHT-
Mitnahme der Rückstellungen) auszusetzen. Was für eine Welt ...

4. Patient eingekeilt
--------------------------------
Der Patient also eingekeilt zwischen den Erbringern medizinischer
Leistungen, die er nicht beurteilen kann, einem Kostenträger, von dessen Leistungen er abhängig ist, und dem Gesetzgeber, der sowohl den Versicherungsschutz als auch die dafür zu zahlenden Steueranteile jederzeit verändern kann. ... Für mich ist das eine Horrorvision.

Ja, das hört sich in der Tat horrible an. Hoffentlich
atment der Patient überhaupt noch!

Aber ernsthaft: Das, was Du als "freiheitlich" und "ohne Zwänge" hier
posaunst, ist bei näherer Betrachtung aus meiner Sicht - im Bereich
Gesundheit - leider nur die Freiheit und Zwangslosigkeit der "best
Betuchten". Und es ist gleichzeitig ein Zwangskorsett und eine
existenzielle Benachteiligung aller anderen. Denn der Steuerausgleich hilft
da wenig; er macht aus mündigen Bürgern Bittsteller und bläht die
Bürokratie auf.

Deshalb glaube ich: Das Konzept der Piraten - eine gesetzliche
Kasse und solidarische Finanzierung - ermöglicht überhaupt erst mehr
Freiheit und mehr Gesundheit für alle Bürger:

*Mehr Freiheit für Ärzte: *Sie können sich - gemäß dem Hippokratischen Eid
- um die Gesundheit kümmern - und müssen nicht nach
Kassenzugehörigkeit, Einnahmestatus und Profitabilität ihrer Praxis
entscheiden.

*Mehr Freiheit für Patienten:* Sie werden - bei geringem Einkommen - nicht
von den Kosten erwürgt und haben trotzdem die volle Absicherung bei
ernsten Krankheiten. Kein Arzt, kein Zentrum weist sie ab, weil sie nicht
die "richtige" Versicherung haben.

Und jeder behält die Freiheit, sich zusätzlich abzusichern, weil er
unbedingt Ultra-Titan-Zahn-Füllungen braucht, weil er unbedingt ein
Khs-Einzelzimmer mit goldenem Wasserhahn braucht oder weil er
unbedingt zusätzlich ein Khs-Unterhaltungsprogramm benötigt.

Sodenn, beste Grüsse, Syna.
--
AG-Gesundheitswesen mailing list
AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen


Konzept von Wolfgang Gerstenhöfer:

"Krankenversicherung der Zukunft

Für die Piraten ist der Sozialstaat ein Staat, der nicht selbst quasi bevormundend für die soziale Sicherheit seiner Bürger sorgt (Zwangssystem wie z. B. die so genannte Bürgerversicherung), sondern sicherstellen muss, dass jeder für seine soziale Sicherheit vorsorgen kann (z. B. mithilfe des bedingungslosen Grundeinkommens).

Die Piraten setzen sich deshalb zum einen dafür ein, dass jeder eine möglichst große Wahlfreiheit hat, beim wem und wofür er sich versichern möchte, und zum anderen für eine Finanzierung, die möglichst zukunftssicher, also weitgehend unabhängig von der Bevölkerungs- und auch von der Einkommensentwicklung ist.

Es geht darum, das Krankenversicherungssystem endlich an die demografsche Entwicklung unserer Gesellschaft anzupassen und für die Zukunft nachhaltig und damit generationengerecht finanzierbar zu machen und gleichzeitig die ebenfalls nicht mehr zeitgemäße Trennung von gesetzlicher und damit quasi-staatlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Krankenversicherung (PKV) aufzuheben.

Die Piraten stehen für eine Gesundheitsreform, die zu einer generationengerechten, möglichst zukunftssicheren und bezahlbaren Krankenversicherung führt, die größtmögliche Wahlfreiheit mit der medizinisch notwendigen Vorsorge, Untersuchung und Behandlung verbindet und zu angemessenen Arbeitsbedingungen
im Gesundheitswesen führt.


Kern der Reform der Piraten ist die Umstellung des Finanzierungssystems vom nicht mehr dem Bevölkerungsaufbau (Pilz statt Pyramide) entsprechenden Umlage- auf das versicherungsmathematische Kapitaldeckungsverfahren und gleichzeitig die Verlagerung des Sozialausgleichs in das Steuersystem und damit auf eine wesentlich breitere Basis (alle Bürger und Unternehmen), ohne den Menschen eine Einheitsversicherung oder überhaupt einen bestimmten Versicherungsschutz über eine Grundversorgung hinaus aufzuzwingen.


Die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung wird zugunsten einer Pflicht zur Versicherung ersetzt - analog der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung. Demnach muss jeder einen gesetzlich definierten Basisversicherungsschutz bei einem Träger der Krankenversicherung abschließen. Dessen Leistungen orientieren sich an dem derzeitigen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Alternativ besteht die Möglichkeit, Tarife zu wählen, die zusätzliche, höhere oder umfangreichere Leistungen, Beitragsrückerstattungen oder auch gar keine, geringere oder andersartige Selbstbeteiligungen/Zuzahlungen vorsehen.

Der Basisversicherungsschutz bzw. -tarif steht jedem offen. Bei den anderen Tarifen kann eine Risikoprüfung vorgesehen werden, die zu einer Annahme,
einer Annahme mit einem Risikozuschlag oder einem Leistungsausschluss und auch zu einer Ablehnung des Antrags führen kann.

Das Angebot der Träger der Krankenversicherung soll so aussehen, dass es zwingend eine Basis-Krankheitskostenvollversicherung (Basistarif) gibt und darüber hinaus - aber das bestimmt letztendlich der Wettbewerb - verschiedene Krankheitskostenvollversicherungstarife z. B. auch nach wie vor für Beihilfeberechtigte.

Dieser Versicherungsschutz ist vertraglich garantiert und kann nicht - wie heute in der gesetzlichen Krankenversicherung möglich und üblich - jederzeit durch den Gesetzgeber einseitig verändert und in den meisten Fällen bei steigenden Beiträgen - durch Erhöhung der Beitragssätze und der Beitragsbemessungsgrenze - gekürzt werden.

Ob es Zusatz- oder Ergänzungstarife - wie wir sie heute in der privaten Krankenversicherung kennen - dann überhaupt noch geben wird, wird sich zeigen (Wettbewerb).

Für den Basistarif gilt ein Kontrahierungs-, also ein Annahmezwang, dennoch findet eine Risikoprüfung statt – dies gilt auch für Umwandlungen in den Basistarif. Eine Ablehnung des Antrags ist aber nicht zulässig. Notwendige Risikozuschläge sind für einen branchenweiten finanziellen Spitzenausgleich „fiktiv“ zu ermitteln.

Während der Vertragsdauer nach dem Basistarif darf dieser Beitragszuschlag nicht verlangt werden. Bei einer Umstellung aus dem Basistarif in einen anderen Tarif wird für etwaige Mehrleistungen eine Risikoprüfung durchgeführt sowie der bei Vertragsabschluss ermittelte Beitragszuschlag erhoben.

Diese Risikozuschläge (versicherungsmedizinische Beitragszuschläge) können von den Trägern der Krankenversicherung nicht willkürlich festgelegt und erhoben werden. Ihre Höhe muss versicherungsmedizinisch, also mit der Höhe der voraussichtlich entstehenden Kosten begründet und versicherungsmathematisch berechnet werden.

Der Spitzenausgleich ist notwendig, um eine ungleiche Verteilung der Risiken auf die einzelnen Träger der Krankenversicherung auszugleichen. Nur ein solcher Ausgleich macht einen Annahmezwang gegenüber der jeweiligen Versichertengemeinschaft vertretbar. Hierbei wird die unterschiedliche Versicherten- und Krankheitsstruktur berücksichtigt. Träger der Krankenversicherung mit älteren und kränkeren Versicherten erhalten über den Spitzenausgleich mehr Mittel als Träger mit einer Vielzahl an jungen und gesunden Versicherten.

Die Beiträge für den Basistarif werden weitgehend identisch sein, da die Leistungen gesetzlich für alle gleich festgelegt werden. Leichte Unterschiede kann (und sollte) es wegen der einzukalkulierenden Verwaltungskosten geben. Diese sind richtig und wichtig, um einen Anreiz zu einem wirtschaftlichen und kostenbewussten Umgang mit den Geldern der Versicherten/Kunden zu gewährleisten.

Die Beiträge sowohl des Basistarifs als auch aller anderen Tarife werden nach versicherungsmathematischen Grundsätzen kalkuliert. Sie sehen die Bildung von Alterungsrückstellungen vor, die dazu dienen, die mit zunehmendem Alter steigenden Krankheitskosten auszugleichen. Beitragserhöhungen oder -senkungen müssen - allerdings höchstens einmal pro Jahr - vorgenommen werden, wenn die kalkulierten von den tatsächlichen Versicherungsleistungen abweichen.

Dabei gibt es einen gesetzlich festgelegten Ermessensspielraum für den einzelnen Träger der Krankenversicherung. Dieser ermöglicht es, auf Beitragserhöhungen ganz oder teilweise zu verzichten, wenn mittels einer guten Kapitalanlage (Alterungsrückstellung) oder einer sparsamen Verwaltung zusätzliche Mittel vorhanden sind.

Für die Kalkulation der Beiträge gilt das Äquivalenzprinzip, also die Gleichwertigkeit zwischen Leistung und Beitrag. Jeder Versicherte zahlt soviel, wie er voraussichtlich an Leistungen in Anspruch nehmen wird. Der Beitrag setzt sich aus mehreren "Einzelposten" zusammen.

Der Risikobeitrag wird gebraucht, um das versicherte Risiko, nämlich Krankheitskosten, abzudecken. Der Vorsorgebeitrag wird in der so genannten Alterungsrückstellung für die Versichertengemeinschaft gesammelt und verzinslich angelegt. Diese Rückstellung wird aufgebaut, um die erfahrungsgemäß mit zunehmendem Alter steigenden Ausgaben für die Gesundheit abzudecken. Der Kostenbeitrag finanziert den allgemeinen Geschäftsbetrieb des Trägers der Krankenversicherung.

Ausgeglichen werden die im Zeitablauf steigenden Krankheitskosten durch die Alterungsrückstellung. Während also im Laufe der Jahre der Anteil des Risikobeitrags immer mehr steigt, nimmt der Anteil des Vorsorgebeitrags am Gesamtbeitrag immer mehr ab. Gebe es nicht noch einige Rahmenbedingungen (Preissteigerungen, neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, stärkere Inanspruchnahme von Leistungen), würde der Beitrag also über die gesamte Dauer des Vertrags gleich bleiben (Grundsatz der Beitragskonstanz). Beitragssteigerungen aufgrund steigender Verwaltungskosten sind in diesem Finanzierungssystem ausgeschlossen.

Über Transferleistungen (z. B. dem bedingungslosen Grundeinkommen) wird sichergestellt, dass sich jeder mindestens den Basistarif leisten kann. Damit hat jeder Anspruch auf alle medizinisch notwendigen Untersuchungen und Behandlungen.

Träger der Krankenversicherung sind die bisherigen Krankenkassen nicht mehr als Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern
als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und die bisherigen privaten Krankenversicherer entweder als Aktiengesellschaften oder ebenfalls als
Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Für alle Träger gelten die gleichen Rechtsvorschriften und Rahmenbedingungen z. B. im Unternehmens-, Steuer-, Wettbewerbs- und Tarifrecht.


Einen funktionierenden und konstruktiven Wettbewerb halten die Piraten für äußerst wichtig, da nur Wettbewerb, also die Möglichkeit des Kunden den Anbieter
wechseln zu können, für Service, Kundenorientierung, Produktinnovationen und möglichst niedrige Verwaltungskosten sorgt.

Dies ist auch ein Grund für die Forderung, keine Unterscheidung mehr zwischen gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherern vorzunehmen, sondern für alle gleiche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Deshalb auch die Umwandlung der Krankenkassen von Körperschaften des öffentlichen Rechts zu Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit. Versicherungsvereine, weil diese Unternehmensform - ähnlich wie es heute bei den Krankenkassen der Fall ist - eine Mitwirkung der Mitglieder/Kunden quasi als Eigentümer des Versicherungsvereins vorsieht und dies auch die ursprüngliche privatwirtschaftliche Rechtsform zumindest der früheren Ersatzkassen (z. B. BEK, DAK) war.

Ein anderer, vielleicht noch wichtigerer Grund liegt darin, dass es unfair ist, Menschen aufgrund eines geringeren Einkommens eine Krankheitskostenvollversicherung über dem Niveau der Grundversorgung zu verweigern.

Deshalb treten die Piraten auch nicht für einen steuerfinanzierten Zuschuss an die Träger der Krankenversicherung (Stichwort Gesundheitsfonds) ein, sondern nach dem Prinzip "Subjekt- statt Objektförderung" für einen Zuschuss über den steuerlichen Grundfreibetrag bzw. das staatlich garantierte Mindesteinkommen (z. B. bedingungsloses Grundeinkommen).

Denn dann hat jeder, selbst die Möglichkeit zu entscheiden, welchen Anteil seines Einkommens er für seine Krankenversicherung aufbringen kann und will. Warum soll man jemanden, der zwar ein niedriges oder auch "nur" das Mindesteinkommen hat, das Recht nehmen, auf anderes zugunsten einer Krankheitskostenvollversicherung über dem Niveau des Basistarifs zu verzichten? Auch das entspricht der Freiheits- und Selbstbestimmungsidee der Piraten.

Auch auf der Leistungsseite bzw. der Seite der Erbringer medizinischer Leistungen setzen die Piraten zum einen auf Wettbewerb - mit einer starken
staatlichen Rechts- und Fachaufsicht - und auf Vereinbarungen zwischen den Erbringern medizinischer Leistungen und den Trägern der Krankenversicherung.

So soll es Gebührenordnungen geben, die primär ein Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Verbänden der jeweiligen Erbringer medizinischer Leistungen und der Träger der Krankenversicherung bzw. der Versicherten/Patienten sind, mit Öffnungsklauseln, die Vereinbarungen zwischen einem, mehreren oder auch allen Trägern der Krankenversicherung und Erbringern medizinischer Leistungen zugunsten ihrer Kunden/Versicherten vorsehen.

Die Träger der Krankenversicherung bekommen damit Möglichkeiten für eine wirtschaftliche und hochwertige Versorgung ihrer Versicherten/Kunden an die Hand gegeben.
Sie können zum Beispiel mit Arzneimittelherstellern Rabattverträge abschließen, Hilfsmittel günstiger einkaufen oder mit Heilmittelerbringern verhandeln. Sie können Verträge mit besonders qualifizierten Ärzten schließen oder mit Krankenhäusern die ambulante Behandlung für schwer kranke Versicherte vereinbaren. Das sind nur einige Beispiele.

Solche Verträge sollten insofern auch im Interesse der Leistungserbringer liegen, als sie damit ihren Kundenstamm erweitern oder besser an sich binden können.

Die Aufsicht über die Träger der Krankenversicherung, ihre Tarife, die notwendige Anpassung von Beiträgen an sich verändernde Versicherungsleistungen und ihren Geschäftsbetrieb soll aufgrund der existentiellen Bedeutung der Krankenversicherung (wieder) bei einer staatlichen Aufsichtsbehörde im Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Gesundheit (bisher ist für die private Krankenversicherung das Bundesministerium der Finanzen zuständig) liegen und nicht nur - wie zurzeit in der privaten Krankenversicherung - bei "unabhängigen Treuhändern".

Diese Behörde soll auch das Thema "medizinische Notwendigkeit" im Blick haben, um einem Wettbewerb zu Lasten der medizinischen Qualität und damit der Patienten vorzubeugen.


Zu diesem Zweck werden die für die Krankenversicherung zuständigen Bereiche des heutigen Bundesversicherungsamts und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zusammen geführt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der heute verbindlich nur für die gesetzliche Krankenversicherung zuständig ist, besteht auf Leistungserbringerseite heute nur aus Ärzte-, Zahnärzte- und Krankenhausvertretern und entscheidet über die Erstattungsfähigkeit.


Dieser Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wird durch ein Gremium ersetzt, in dem zum einen die verschiedenen Berufsgruppen auf der Seite der Erbringer medizinischer Leistungen (nicht nur Ärzte-, Zahnärzte- und Krankenhausvertreter) und zum anderen die Träger der Krankenversicherung, aber auch die Versicherten/Kunden sowohl als Patienten als auch als Beitragszahler vertreten sind.

Er repräsentiert damit alle Leistungserbringer, trifft allgemeinverbindliche Festlegungen über die medizinische Notwendigkeit und ist damit für die Qualität der medizinischen Versorgung verantwortlich. Erstattet wird künftig nicht nur das, was wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig ist, sondern alles, was medizinisch notwendig ist. Unterstützt wird er dabei durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.

Die Leitlinienmedizin und eine ganzheitliche Medizin sollen ebenfalls durch dieses Gremium gefordert und gefördert werden. Wenn Patienten frühzeitig richtig behandelt werden und es eine bessere Abstimmung zwischen den an der Therapie Beteiligten gibt, kann sehr viel Geld gespart werden. Ärzte müssten pro Tag durchschnittlich 17 Studien lesen, um immer auf dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft zu sein. Das schafft niemand. Deshalb befürworten die Piraten den Ausbau der Evidenzbasierten Medizin.

Die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen würden aufgrund dieser Reform überflüssig. Über Sinn, Zweck und Nutzen der Ärzte- und
Zahnärztekammern einerseits und der verschiedenen Berufsverbände andererseits soll gesondert diskutiert und entschieden werden."






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