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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation


Chronologisch Thread 
  • From: Moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: Sebastian Alscher <sebastian.alscher AT piratenpartei-hessen.de>, AG AG-Geld <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>, Rudolf Müller <muellerrudolf AT on22.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation
  • Date: Thu, 8 Jun 2017 12:35:04 +0200


Hallo Sebastian,


Am 06.06.2017 um 17:04 schrieb Sebastian Alscher:
Hi!

Deine Frage war ja, warum sich die Bewertung ändert und nicht, warum es Boom und Bust Zyklen gibt.

Du bist also der Meinung, beides ist unabhängig voneinander?!?!!

Ziel eines Jahresabschluss und damitbaicuvder Bilanz ist in der Regel eine möglichst objektive Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage. Die Bewertung folgt daher festgelegten Kriterien (IFRS 13 etc) und soll subjektive Kriterien ausschließen, im Vergleichbarkeit zu erhöhen und Willkürlichkeit auszuschließen.

Klar, nur läßt sich Objektivität hier nie erreichen, man kann nur subjektive Bewertungen Restriktionen unterwerfen (wie z.B. dem Niederstwertprinzip etc.).  Ausschalten kann man menschliche Subjektivität und die daran geknüpften, in Bedürfnissen und Emotionen gegründeten Ziele und Interessen nicht.  

Analysten sind aber durchaus in der Lage davon ausgehend weitere Einschätzungen abzuleiten. Die eignen sich dann aber natürlich nicht, z.B. Grundlage für die Besteuerung zu sein.

Wissenschaftler meinen, es sei "objektiver", menschliche Intentionen aus ihren Theorien zu eliminieren.

Klar, wenn man subjekte herausnimmt, wird das objektiver. Aber vielleicht war das als Wortwitz gemeint?
Die Subjekte nimmst Du dann nur in Deinem Denken heraus, in der Realität handeln sie aber weiterhin. Ergebnis: dein Denken wird unrealistisch.  Gegenstand der "Wirtschaftstheorie" ist, wie Menschen unter den Bedingungen und Restriktionen von Privatrecht (Eigentums- und Vertragsrecht) typischerweise Handeln.  

Ist das wirklich noch gängig, Sibjekte rauszuhalten? Dachte das hätte sich seit des Behaviorismus erledigt...
Schau Dir die Sprachmuster an, dann siehst Du, wie das nach wie vor gang und gäbe ist (Passivtransformation etc.).


"Stress-Situation" ist hier weniger als wir beim Kardiologen zu verstehen, sondern wie in diesem Kontext als "asset Stress" oder wie bei einem Stresstest. Eine gängige Methode der Aufsicht, um die Risikotragfähigkeit einzuschätzen.
Eine unpräzise Metapher - darauf wollte ich das Augenmerk lenken und um mehr Präzision bitten. 

Der Marktwert der Schiffe fällt zum Beispiel konjunkturbedingt, weil weniger Waren von A nach N transportiert werden müssen, wenn sich die Nachfrage in Quantität oder Qualität ändert.
Darin sehe ich ein wunderbares Musterbeispiel fürs sprachliche Eliminieren der handelnden Subjekte:  der Marktwert "fällt" nicht "von alleine" wie ein Stein vom Himmel (den keiner geworfen hat), sondern bilanzierende Wirtschaftssubjekte (und ihre Gläubiger) beschließen, ihre Schiffe niedriger zu bewerten als vorher.  Das sind menschliche Entscheidungen und Handlungen, nicht "fallende Objekte".  Sie tun das z.B., weil ihre Kunden sich entschlossen haben, weniger Waren von A nach N transportieren zu lassen als vorher.  Und warum haben sie sich dazu entschlossen?   Weil sie ggf. erwarten, weniger Waren verkaufen zu können als vorher - weil es vielleicht neue Zollschranken gibt, weniger Bestellungen eingegangen sind oder man erwarten kann, daß die Kunden weniger bestellen werden, usw.   Fragt man so, kommt man weiter beim Verständnis der Handlungszusammenhänge. Suggeriert man, daß es sich hier um physikalische Objekte dreht und eliminiert man die Subjekte in seinen Beschreibungen, eliminiert man gerade die wichtigsten Informatione (die über die Erwartungen und Pläne der Subjekte nämlich).

Die obige Beschreibung dagegen, würde ich sagen, leidet unter Informationsverlust: da die Subjekte eliminiert wurden, kann man nach ihren Motiven, Erwartungen etc. schon gar nicht mehr sinnvoll fragen.


Diese Frage erschließt sich mir leider nicht:
was passiert in Bilanzen im Boom auf der Aktivseite bei gleichbleibender Passivseite, und wie wirkt sich DAS aufs Eigenkapital aus?  

Diese Frage war falsch formuliert, mea culpa: gemeint war: bei nominal gleichbleibenden Fremdverbindlichkeiten.

Vorab: wenn du forderst, dass sich die Passivseite nicht ändert, wird sich naturgemäss ja auch nicht das EK ändern.
Ja, mein Schlampigkeitsfehler, s.o.
Was auf der aktivseitr passiert, hatte ich ja beschrieben. Das hat aber auch Auswirkungen auf die Passivseite (früher oder später, auf die einender andere Art/Position).
Solltest du die Passivseite stabil halten, könnte es nur einen Aktivtausch geben, aber auch da - warum sollte das eine Annahme sein? Veränderst du die Bewertung der Aktiva wird das in den meisten Fällen Eigenkapitalpositionen verändern, ceteris paribus.

Gemeint hatte ich: was passiert in Bilanzen im Boom auf der Aktivseite bei nominal fixierten Fremdverbindlichkeiten?

  • Die Bilanzierenden und ihre Gläubiger werten das Realvermögen aufgrund positiver Ertragserwartungen auf ("asset price inflation") --> Eigenkapital steigt
  • beim Finanzvermögen (Forderungen) sinken die Abschläge (Diskont), mit denen man bei Liquidierung vor Fälligkeit rechnen muß,
  • d.h. ihr (immer unter dem Nominalwert liegender) Marktwert steigt relativ an --> Eigenkapital steigt
  • "sonstige Forderungen" (nicht zahlungsmitteltaugliche Forderungen) werden "liquiditätsnäher" --> Verbesserung der Liquiditätslage
D.h. die Wi-Subjekte werden "reicher" (Nettovermögen) und "liquider" (zahlungsfähiger).   Warum? Nur aufgrund geänderter Ertragserwartungen - und die sind, da die Zukunft unbekannt ist, as subjective as it gets (Keynes' Kerngedanke in der GT).   Im Boom rechnen sie sich reich, in der Depression arm - und beides "stimmt", weil es hier kein "objektiv richtig" geben kann, auch wenn einem der common sense sagt, daß dieses "irgendwo dazwischen liegen" dürfte.

Oder, wie Wolfgang Stützel das ausdrückt:
„Von John R. Commons übernehmen wir vor allem die Erkenntnis, daß die Werttheorie die Ursache von Wert nicht wie die ricardianische Klassik in der Vergangenheit (aufgewendete Arbeit), auch nicht wie die Grenznutzenschule in der Gegenwart, sondern wesentlich in den Erwartungen über die Zukunft zu suchen habe.”  FN 22: Dies ist freilich schon von mehreren Autoren bemerkt, aber von keinem aber wohl so programmatisch proklamiert und konsequent durchgeführt worden wie von ihm, Legal Foundations, 2ff (Wolfgang Stützel (1952): Preis, Wert, Macht - analytische Theorie des Verhältnisses der Wirtschaft zum Staat,  Aalen 1972, S. 86)
 
Gruß, Wolfgang


Best - Seb


Von: Moneymind <moneymind AT gmx.de>
Antworten: Moneymind <moneymind AT gmx.de>
Datum: 6. June 2017 at 17:00:11
An: Sebastian Alscher <sebastian.alscher AT piratenpartei-hessen.de>, AG AG-Geld <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>, Rudolf Müller <muellerrudolf AT on22.de>
Betreff:  Re: [AG-GOuFP] Geldschöpfung vs Fristentransformation

Hallo Seb,

danke für Deine Antwort. Dazu noch einige Fragen:


Am 05.06.2017 um 20:36 schrieb Sebastian Alscher:
Hi,

ein paar Ergänzungen zu den Fragen von meiner Seite:

Welche Dienstleistung erbringt eine Bank für ihren Kunden bei der Einräumung eines Darlehens Deines Erachtens überhaupt?
Sie übernimmt das Risiko, das Geld ggf nicht zurück zu bekommen. Dieses Risiko nimmt mit der Bonität ab und mit der Laufzeit des Darlehens zu. (weitere Faktoren bestimmen das Risiken, wie Korrelation zum Rest der vergebenen Darlehen etc)

 warum "schnurren die Aktivseiten der Bilanzen in einem deflationären Crash zusammen"
Weil die Banken eine Zerschlagungsbilanz aufstellen müssen, Vermögensgegenstände auf der Aktivseite folglich zu Marktwerten bilanziert werden müssen. Wenn also - wie bei Schiffskrediten - konjunkturbedingt der Marktwert der Schiffe fällt und damit auch die Bescherung der Kredite, dann müssen sie abgeschrieben werden.
An Deiner - durchaus typischen - Antwort fällt auf, daß jeglicher Bezug zu menschlichen Bewertungsakten und -Entscheidungen fehlt.  "Der Marktwert fällt konjunkturbedingt", schreibst du.  Warum "fällt der Marktwert konjunkturbedingt"?  Von allein? Nein. Weil z.B. potentielle Käufer nicht mehr bereit sind, zu bestehenden Preisen einzukaufen. Warum waren sie vorher bereit und sind es jetzt nicht mehr?  Usw.

Worauf ich hinauswill, ist die These: Booms und Busts sind ganz einfach Ergebnis menschlichen Tuns: menschlichen Planens, Erwartens, Entscheidens, Handelns im Kontext von Privatrecht: Eigentum, Vertrag und Markt.  Nicht Ergebnis irgendeines "Geldsystemfehlers", den man nur herausoperieren müßte.  Sie entstehen, weil Menschen die Zukunft zwar planen, aber nie voraussehen können (weswegen Pläne auch regelmäßig schiefgehen und dann modifiziert werden müssen).  

Wissenschaftler meinen, es sei "objektiver", menschliche Intentionen aus ihren Theorien zu eliminieren.  Tatsächlich wird damit das, was man eigentlich erklären sollte, von vorneherein wegabstrahiert und die Analyse auf Nebenschauplätze verschoben. 

Die Abschreibung reduziert das Eigenkapital. Das Eigenkapital ist aber maßgeblicher Teil der aufsichtsrechtlichen Eigenkapitaldefinition. Das wiederum muss für Risiken vorgehalten werden, z.B. für (Neu-)Kreditvergabe und in den Handelsbüchern. Die Bestände der Handelsbücher reduzieren sich folglich. 
Banken können (müssen) damit Positionen verkaufen und können keine neuen Positionen nehmen. Das reduziert die Liquidität.

Es gibt hier auch einen Zusammenhang zwischen Aktiva und Passiva:
Abschreibungen auf Vermögenswerte sind ja mindestens Quartalsweise in der Berichterstattung sichtbar. Das schlägt sich im Kurs der Anleihen des Finanzinstitut nieder. Bei der Bewertungen der eigenen ausstehenden Verbindlichkeiten können/müssen nach IFRS die credit spreads (also die vom Markt gehandelte Ausfallswahrscheinlichkeiten) berücksichtigt werden, also druntergeschrieben werden. Das hat einen Eigenkapital-hebenden Effekt.
Alles richtig, aber s.o.


  • Wie ändern sich die Aktivseiten von Bilanzen in einem Boom
Kommt es zu einer Aufhebung dieser „Stress-Situation“ können/müssen die Banken die Vermögensgegenstände wieder entsprechend bewerten, und - da sie in den meisten Fällen nach IFRS und/oder US-GAAP berichten - diese hochschreiben (das wäre nach HGB nur bedingt möglich). Und wenn die credit spreads sich wieder verringern, dann steigen auch die Verbindlichkeiten wieder. diese beiden Effekte müssen aber nicht zeitgleich passieren. 
Die Liquidität nimmt zu, es wird leichter die Assets zu bewerten (auch nach internen Risikomodellen kann man dann weniger vorsichtig sein, weil die Preise beobachtbarer sind)

So ist es - und wer oder was hebt die "Stress-Situation" (schwitzende Banker mit Herzklopfen bis zum Infarkt? Oder "stöhnende Märkte"?) z.B. wieder auf? Und was heißt, "entsprechend" bewerten?

(Das mit dem Weg zur ersten Million oder den Finanztrainern hab ich aber, befürchte ich, nicht ganz verstanden.)

Nun, das war die analoge Frage für den Boom: was passiert in Bilanzen im Boom auf der Aktivseite bei gleichbleibender Passivseite, und wie wirkt sich DAS aufs Eigenkapital aus?  Worauf ist DAS zurückzuführen? 

Das immergleiche Spiel beschreibt übrigens J.K. Galbraith sehr schön in "A Short History of Financial Euphoria".

Cheers, Wolfgang


Cheers - Seb


Am 5. Juni 2017 um 18:38:17, Moneymind (moneymind AT gmx.de) schrieb:



Am 05.06.2017 um 14:24 schrieb Moneymind:

  • Wie ändern sich die Aktivseiten von Bilanzen in einer deflationären Depression

  • in Bezug auf die Vermögenswerte der "Sachaktiva" (Eigentumstitel)

  • in Bezug auf die die Abschläge vom Nominalwert (Diskont) bei Finanzaktiva definierter späterer Fälligkeit

Ich könnte auch so fragen:  warum "schnurren die Aktivseiten der Bilanzen in einem deflationären Crash zusammen" - die berühmte "Vermögensvernichtung" ("aus dem Nichts" - bei der zunächst auch nichts "reales" vernichtet wird, im der Folge aber Pleitewellen zu Arbeitslosigkeit, Einkommenslosigkeit und letztlich Krieg führen kann, wo dann die Vernichtung realer Lebensmöglichkeiten, Güter und Menschenleben der Vernichtung von "virtuellem" Vermögen in Bankbilanzen folgt)?


  • in Bezug auf die "Liquidität" bzw. "Shiftability" der auf den Aktivseiten befindlichen Vermögenswerten?
  • im Zusammenhang damit in Bezug auf die Risikostruktur (Ausfallrisiken) der Finanzaktiva (Forderungen) auf der Aktivseite?

  • Wie ändern sich die Aktivseiten von Bilanzen in einem Boom

  • in Bezug auf die Vermögenswerte der "Sachaktiva" (Eigentumstitel)

  • in Bezug auf die die Abschläge vom Nominalwert (Diskont) bei Finanzaktiva definierter späterer Fälligkeit

  • in Bezug auf die "Liquidität" bzw. "Shiftability" der auf den Aktivseiten befindlichen Vermögenswerten?
Oder: Wie und warum können sich die Rechtspersonen - nicht nur die Banken - in einem solchen Boom "aus dem Nichts reich rechnen" und euphorisch ihren "Weg zur ersten Million" planen wie während der dotcomblasenzeit, als ein Motivations- und Finanztrainer nach dem anderen solche Bücher und Seminare zum besten gab?

Grüße
Wolfgang


--
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