Nach US-Urteil Hedgefonds
jubeln -Droht Argentinien abermals die Staatspleite?
Autor: Redaktion
w:o
19.06.2014, 09:30 | 1320 Aufrufe | 0
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Am Montag hat der US-Supreme Court ein wegweisendes
Urteil gefällt: Argentinien
muss einen Milliardenbetrag an Hedgefonds zahlen. Eine
erneute Staatspleite scheint damit nicht mehr ausgeschlossen
– und womöglich droht ein Dominoeffekt.
Es war ein schicksalhaftes Jahr für Argentinien. 2001 erklärte
sich das Land für zahlungsunfähig, die Mehrzahl der Gläubiger
musste in den darauffolgenden Jahren massive Abschreibungen
hinnehmen. Fast alle fanden sich im Rahmen von zwei
Umschuldungsrunden 2005 und 2010 mit einem Bruchteil ihrer
Forderungen ab. Aber eben nicht alle. Acht Prozent der
Auslandschulden gingen nicht in die Umschuldung mit ein, die
Inhaber der Anleihen
blieben hartnäckig. Unter ihnen auch die Hedgefonds NML Capital
des Elliott Associates-Imperiums und Aurelius. Sie bestanden auf
die Rückzahlung aller Schulden und zogen schließlich sogar vor
den obersten US-Gerichtshof (Supreme Court). Dieser wies am
Montag eine Berufung Argentiniens zurück, sodass die
argentinische Regierung nun insgesamt 1,5 Milliarden US-Dollar
an die Hedgefonds zahlen muss.
Was nun, Argentinien?
Damit steckt die Regierung von Staatschefin Cristina de
Kirchner in einem Dilemma. Denn solange Buenos Aires dieser
Forderung nicht nachgekommen ist, darf es auch seine restlichen
Anleihen nicht bedienen, so der Richterspruch. Wie die „Welt“ berichtet, bleiben de Kirchner damit
de facto drei Möglichkeiten:
1. Alle Forderungen erfüllen
Argentinien könnte die ausstehenden 1,33 Milliarden US-Dollar
samt Säumniszinsen an die Hedgefonds zahlen. Allerdings würde
Buenos Aires dann Gefahr laufen, dass neben NML Capital und
Aurelius auch die restlichen 7 Prozent der Gläubiger, die nicht
in die Umschuldung eingegangen sind, auf eine Auszahlung
bestehen. Um das zu leisten, müsste Argentinien dafür mindestens
die Hälfte seiner Devisenreserven aufwenden. Ein solcher
„Devisen-Aderlass“, wie die „Welt“ es nennt, würde wohl nicht
ohne Folgen bleiben – eine Zahlungsbilanzkrise könnte drohen.
2. Ausstehende Forderungen in neue Anleihen umwandeln
Das wäre sicherlich die eleganteste Lösung. Argentinien könnte
versuchen, die Forderungen in Form von neuen Anleihen zu
vergleichen. Doch dem müssten die Gläubiger erst einmal
zustimmen. Dabei scheint fraglich, ob diese sich wirklich mit
neuen Schuldverschreibungen vertrösten ließen.
3. Sich zahlungsunfähig erklären
Was Experten befürchten, könnte schon Ende des Monats
Wirklichkeit werden - Argentinien könnte sich für
zahlungsunfähig erklären und es tatsächlich auf einen
Zahlungsausfall ankommen lassen. Damit würde das Land zwar
zunächst um die Begleichung der Forderungen umhin kommen, doch
langfristig wären die Folgen einer erneuten Staatspleite
verheerend. Es wäre dann „nicht mehr kapitalmarktfähig“, so die
„Welt“. Einem säumigen Schuldner würden Investoren demnach eine
ganze Weile lang keine neuen Mittel zur Verfügung stellen, und
falls doch, dann nur zu exorbitantem Zins.
Experten gehen daher davon aus, dass Argentinien letztlich
doch versuchen wird, das Geld aufzutreiben, zu hoch wäre der
Preis einer Zahlungsunfähigkeit. Zudem hatte sich Argentinien
erst vor Kurzem mit staatlichen Gläubigern über die Rückzahlung
von Krediten in Milliardenhöhe geeinigt – und das nach einem
mehr als zehnjährigen Schuldenstreit. Dennoch zeigt sich
Staatschefin de Kirchner bislang uneinsichtig. In einer
Fernsehansprache bezeichnete sie das Urteil des Supreme Courts
als „Erpressung“, zuvor hatte sie mehrfach
betont, die „Aasgeier“, wie sie die Hedgefonds nennt, nicht
auszuzahlen.
Schuldentausch - Die rettende Lösung?
Stattdessen setzt Argentinienim Kampf gegen die drohende
Staatspleite offenbar auf einen noch nie dagewesenen Trick. Wie
das „Wall Street Journal Deutschland“
berichtet, will Buenos Aires alle umlaufenden Schuldscheine, die
unter amerikanisches Recht fallen, gegen Anleihen tauschen, die
dem argentinischen Recht obliegen. Einen solchen Schuldentausch
hat es weltweit in dieser Form noch nie gegeben. Experten
rätseln daher, wie Argentinien diese Pläne konkret umsetzen will
und was es für die betroffenen Gläubiger bedeutet.
Kein anderes Land ist dem Staatsbankrott so nahe
Am Kapitalmarkt selbst rechnet man offenbar zunehmend mit
einer Staatspleite Argentiniens. So beträgt die
Pleitewahrscheinlichkeit laut „Welt“ inzwischen stolze 78
Prozent – kein anderes Land ist damit dem Bankrott so nahe wie
Argentinien. Ein Grund hierfür sind neben dem Gerichtsurteil
auch Anleiheschulden in Höhe von über 900 Millionen US-Dollar,
die Ende des Monats fällig sind.
Der Fall Argentinien wirft darüber hinaus ein Licht auf die
bestehenden Machtverhältnisse im internationalen Finanzsystem.
In der Theorie sollte die Wahrscheinlichkeit eines
Staatsbankrotts umso mehr steigen, je höher die Schulden im
Verhältnis zur Wirtschaftskraft sind. Soweit die Theorie. In der
Praxis zeigt sich jedoch, dass Argentinien mit 74 Prozent
Wahrscheinlichkeit an oberster Stelle der Pleitekandidaten
steht, obwohl es mit lediglich 60 Prozent seiner
Wirtschaftskraft verschuldet ist. Im Unterschied dazu belaufen
sich etwa die Schulden der USA auf ganze 17 Billionen US-Dollar.
Das entspricht 100 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Allerdings haben etablierte Volkswirtschaften wie die USA
einen entscheidenden Vorteil gegenüber Schwellenländern: Sie
haben im Zweifel immer eine Notenbank in der Hinterhand, die
genügend Geld drucken kann, um die Schulden zu begleichen.
Länder wie Argentinien hingegen müssen ihre Schulden häufig in
Fremdwährungen aufnehmen. Hinzu kommt, dass sie in hohem Maße
auf das Kapital aus eben jenen starken Volkwirtschaften
angewiesen sind. Ziehen diese ihre Investitionen überraschend
zurück, könnten sich Schwellenländer schnell am Rande des
Abgrunds wiederfinden.
Urteil könnte fatale Kettenreaktion auslösen
Das Urteil des Supreme Courts ist daher in vielfacher Hinsicht
wegweisend: Zum Einen bestärkt es Spekulanten
darin, in Schwellenländer zu investieren, was die Abhängigkeit
dieser Länder vom „flüchtigen“ Kapital erhöhen würde. Zum
Anderen könnte es Argentinien in die Knie zwingen, nämlich dann,
wenn Buenos Aires sich tatsächlich für zahlungsunfähig erklärt.
Das wiederum könnte eine „fatale Kettenreaktion“ auslösen, die
laut „Welt“ „das ganze hoch verschuldete globale Finanzsystem in
Schieflage bringen“ könnte – mit unabsehbaren Folgen.