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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - [AG-GOuFP] Heinsohns "Eigentumsökonomik"

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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[AG-GOuFP] Heinsohns "Eigentumsökonomik"


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: [AG-GOuFP] Heinsohns "Eigentumsökonomik"
  • Date: Tue, 25 Feb 2014 23:33:53 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Hatte Schulym per Mail geantwortet, da er mir auch eine Mail geschickt hatte ... jetzt seh ich, er hat es auch hier im forum gepostet (das ich lieber nutze als die Mailingliste).

Sorry, bin ein Greenhorn bei der Technik.

Also hier meine Mailantwort an ihn nochmal für alle, die es ggf. auch
interessiert, mit paar Ergänzungen.

Hallo Schulym,

ich antworte kurz, weil ich zu Heinsohn (mit dessen Arbeiten ich mich
sehr ausführlich auseinandergesetzt hab) eine recht differenzierte
Sicht habe, die ich lieber im Forum genauer darstellen und diskutieren
würde, wo alle mitlesen und -reden können.

Also kurz: In Bezug auf Eigentum, Vertrags- und Schuldrecht (als
Basis nicht nur jeder Kredit-/Geldwirtschaft, sondern auch als
notwendige Basis von Privatsphäre und Demokratie) gebe ich Heinsohn
recht. Da hat er mit der kulturvergleichenden Analyse des
Eigentumskonzepts und der Klärung der Anwendungsbereiche der Begriffe
"Eigentum" und "Besitz" gute Klärungsarbeit geleistet, wenn sich sicher
Juristen auch mehr Präzision wünschen würden.

In der keynesianischen Tradition wurde die rechtliche Fundierung des
Kapitalismus nicht explizit diskutiert, vielleicht weil Keynes die "General
Theory" als pragmatische Antwort auf die Weltwirtschaftskrise
geschrieben hat und nicht als Grundlegung der politischen Ökonomie.

Eigentumsrechte zu thematisieren, war damale keine praktische
Notwendigkeit zur Krisenbekämpfung, da in den Ländern, in denen die
deflationäre Depression "zugeschlagen hat", eine solche existierte.

Heute ist es v.a. für die Entwicklungstheorie essentiell - also für Länder,
die Geldwirtschaft wollen, was v.a. Hernando DeSoto ("Mystery of
Capital") rausgearbeitet hat.

Doch bei Heinsohns Sicht der darauf beruhenden Kredit- und
Geldwirtschaft hapert es gewaltig, und zwar bei absoluten Fundamentals.

Nicht nur, daß er überhaupt nicht versteht, wie kreditäre booms und
busts entstehen. Er kapiert vor allem nicht, daß haftende Sicherheiten
die Höhe der Kreditvergabe zwar EINZELWIRTSCHAFTLICH, niemals
aber GESAMTWIRTSCHAFTLICH beschränken. "Eigentum" ist niemals
eine quantitative Beschränkung für die Geldschöpfung, weil es bei
Kreditexpansion aufgewertet wird und damit auch das
Kreditvergabepotential steigt (und mit Kreditkontraktion natürlich
abgewertet wird, was dann zu "faulen Forderungen" führen kann).

Das steht zwar in ein. zwei Sätzen auch in "Eigentum, Zins und Geld",
spielt aber systematisch für die Theorie keine Rolle. Es waren
vermutlich Einwände von Steiger gegenüber Heinsohn, den dieser
überhaupt nicht begriffen hat (Steiger war ein fähiger Ökonom,
Heinsohn ist ein lausiger). Sonst wäre nicht zu erklären, daß diese
Sätze neben dem Stuß von der Begrenzung der Geldschöpfung "durch
Eigentum" stehen (natürlich geht es immer um den VERMÖGENSWERT des
Eigentums, der nominell variabel und abhängig von tagesaktueller
Bewertung im Hinblick auf Ertragserwartungen des Schuldners ist).

Für Heinsohn existiert auch überhaupt keine Geldpolitik, er versteht
weder die Rolle einer Zentralbank für die Gesamtwirtschaft auch nur
ansatzweise (er sieht in ihr nur eine normale Bank der Banken bzw. ein
Clearinghouse, was natürlich eine der Funktionen der ZB ist, aber
weder die einzige noch die zentrale). Er versteht weder die
Funktionsweise der ZB als LOLR noch die Rolle und Funktionsweise von
Staatsverschuldung in einer deflationären Depression (und also auch
nicht, wie die FED und die US-Regierung die Finanzkrise 2007ff. in den
Griff bekommen haben). Die sorgen nämlich dafür, daß die
Kreditkontraktion und damit die Abwertung der haftenden Sicherheiten
gestoppt und wieder umgedreht werden, sodaß aus einstmals "faulen
Forderungen" auch wieder "gute Forderungen" werden können.

Bei den Staatsschulden endlich wird abenteuerlich, was H verzapft - in
"Eigentum, Zins und Geld" (1996) soll die FED einen
"Zentralbankdefekt" haben, weil sie Anleihen des US-Treasury direkt
ankauft, was dann in "Eigentumsökonomik" (2006) zurückgenommen wird;
dort werden Staatsschulden plötzlich zu "den besten Schulden". Da
aber auch dort jegliche saldenmechanische Betrachtung der
Staatsschulden im Kontext der Verschuldungssalden der GESAMTEN
Ökonomie fehlt, tappt Heinsohn auch hier in die Falle der falschen
Verallgemeinerung einzelwirtschaftlich-betriebswirtschaftlichen
Denkens aufs Gesamtsystem.

Er landet dann bei Leugnung von Geldpolitik - und wird vollkompatibel
mit dem herrschenden marktfundamentalistischen und staatsfeindlichen
neoliberalen Diskurs und austeritätspolitischer TINA-Ideologie.
Lohnpolitik und Gewerkschaften gibt es in seinem Modell sowieso schon
mal gleich gar nicht. Da liegen auch die Gründe, warum er von
Österreichern (Anhängern der österreichischen Schule -
Marktfundamentalisten) gern rezipiert und zitiert wird.

Das ganze läßt sich auf die typischen substanzwirtschaftlichen
Mißverständnisse zurückführen, auf denen auch die Quantitätstheorie
beruht und die sich seit seinen frühen Arbeiten ("Privateigentum,
Patriarchat, Geldwirtschaft") durch sein ganzes "ökonomisches"
(pseudoöonomisches) Werk ziehen.

Abhilfe: realitätsgetreu ausformulierte monetäre Werttheorie, korrekte
Klärung der Funktion von Zentralbanken und Staatsschulden im Kontext
gesamtwirtschaftlicher Verschuldungssalden statt der irrigen
Fehlvorstellung "Begrenzung der Kreditschöpfung durch Eigentum".

Zu seinen sozialpolitischen Vorschlägen:
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/arbeitsmarkt-und-hartz-iv/gastbeitrag-von-gunnar-heinsohn-sozialhilfe-auf-fuenf-jahre-begrenzen-1950620.html

Statt sinnvolle Beschäftigungs- und Bildungspolitik anzuzielen, wird er
praktisch Sozialdarwinist. Das hat m.E. direkt mit seinen makroökonomisch
und geldpolitisch ahnungslosen "TINA-economics" zu tun, für die ich ihm
hier mal keinen bösen Willen unterstellen will (auch wenn seine
ideologischen Präferenzen recht klar und biographisch auch
verständlich sein dürften).

Dabei hat er gerade zu diesem Thema (Bevölkerungsentwicklung) sehr
interessante und diskussionswürdige Arbeiten veröffentlicht
("Menschenproduktion", "Söhne und Weltmacht").

Indiskutabel werden für mich seine sozialpolitischen Strateigen dann
aber, weil sie auf falscher Ökonomie beruhen. Beispielsweise hängt er
implizit auch der Fehlvorstellung vom "Wettbewerb zwischen Staaten" an
(s. dazu Niko Kowall: neoklassischer Wettbewerbsstaat und
keynesianischer Kooperationsstaat,
http://blog.kowall.eu/wp-content/uploads/standortwettbewerb.pdf ).

Zusammenfassung: die Eigentums- und vertragsrechtliche Fundierung von
Kapitalismus (und Demokratie) sind enorm wichtig und werden im
bisherigen Keynesianismus nicht explizit behandelt. Das wäre aber
absolut essentiell für die Entwicklungstheorie und die osteuropäischen
Staaten (sieht Hernando DeSoto auch so - "Mystery of Capital"). Als
makroökonomische Theorie (und vor allem als Werttheorie - aber das
gilt für den Rest der Ökonomie auch) ist die Eigentumsökonomik aber
(aus meiner Sicht) völlig inkompetenter Stuß für den Mülleimer.

Das sind nur die wichtigsten Punkte - auch "Eigentumsprämie" und die
Zinstheorie bei H/S kannste vergessen.

Heinsohn hat gute Ideen, aber macht oft laienhafte, aber dermaßen
folgenreiche Fehler, daß man ihm sehr genau auf die Finger schauen
muß. Besonders seine "großen Verallemeinerungen" (zu solchen neigt
er, was auch legitim ist) muß man sehr genau anhand der wirklichen
Empirie prüfen. Ohne Steiger (fähiger postkeynesianischer Ökonom) wäre
die Eigentumsökonomik eine noch größere Katastrophe, und ich bin froh,
daß Steiger Heinsohn wenigstens ETWAS informieren konnte - Heinsohn
hat wohl (als "68er") nur Marx ernsthaft gelesen (und nicht Keynes),
weswegen er auch eine gute Marx-Kritik liefert, aber ansonsten hat er
von Ökonomie wenig Ahnung).

Ich hatte meine Sicht dazu auch in einigen Postings im gelben Forum
dargestellt, das kann ich bei Interesse hier verlinken. Kann man dort
aber auch per forensuche finden.

So, ich mache hier Schluß - würde diese Debatte wie gesagt lieber gern
öffentlich (im Forum) führen (dort aber dann gern im Detail und direkt
am Text von H/S). Diese Debatte steht ja für die AG auch noch aus,
wie ich dem wiki entnehme?

[Mist, jetzt ist es doch lang geworden]

Gruß
moneymind

P.S. es gibt auch Kritiken zu Heinsohn/Steiger von anderer Seite:
http://www.scribd.com/doc/178921506/Uwe-Stolzenburg-Eine-Kritik-der-Eigentumsokonomik
http://www.scribd.com/doc/130725443/Hajo-Riese-Eigentum-Zins-und-Geld-die-Apokryphen-des-Gunnar-Heinsohn-und-Otto-Steiger
http://www.uni-konstanz.de/FuF/wiwi/laufer/kritik.pdf
http://www.uni-konstanz.de/FuF/wiwi/laufer/Heinsohn-FAZ.pdf

Außerdem in:
http://www.metropolis-verlag.de/Privateigentum-und-Geld/258/book.do;jsessionid=AE3E8AB8AA108059AD5E3902089C293E

und
http://www.metropolis-verlag.de/Verpflichtungsoekonomik/345/book.do;jsessionid=AE3E8AB8AA108059AD5E3902089C293E
Interessant dort v.a. die Beiträge von Bernd Niquet.

Und in:
http://www.metropolis-verlag.de/Eigentum-und-Recht-und-Freiheit/775/book.do;jsessionid=7D9481108BDC9E6B8D5BAB150CCABDEE

Dort v.a. der Briefwechsel zwischen Otto Steiger und Peter Spahn
(Monetärkeynesianer, Hohenheim).

----- Original Message -----
From: "eurokrise" <eurokrise[at]apelojg.de>
To: "moneymind" <moneymind[at]gmx.de>;
<ag-geldordnung-und-finanzpolitik[at]lists.piratenpartei.de>
Sent: Tuesday, February 25, 2014 8:53 PM
Subject: AW: Re: [AG-GOuFP] Euroabwicklung?

Hi moneymind,

In einem deiner beitrage war ein link auf ein paper von wolfgang
theil oder thiel in dem die eigentums vermogens und besitz
differenzierung sehr gut und verstandlich dargestellt wurde, gar als
basis der kapitalistischen wirtschaft. Darin kam heinsohnsehr gut
weg. Jetzt sagst du heinsohns eigentumsökonomik und sozial
politische visionen wären haarsteubend. Wäre nett dazu paar links zu
heinsohns diesbezügliche äusserungen erst recht als meines wissens
nach er in der geschichte der geldtheorie nicht unwichtig ist
LG
Schulym




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