ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
Listenarchiv
- From: Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>
- To: Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>
- Cc: AG AG-Geld <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!
- Date: Sun, 5 Jan 2014 21:23:48 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Version 2.0:
Populärer Irrtum: Die Zentralbank und die Geldpolitik
Die wenigsten Menschen fragen sich wahrscheinlich, warum es überhaupt eine
Zentralbank gibt. Die häufigsten Antworten werden wohl sein:
1. Sie gibt das Geld heraus
2. Sie steuert die Geldmenge
3. Sie legt das Zinsniveau fest
Warum sie das überhaupt tun sollte, werden vermutlich die meisten Menschen so
begründen:
1. Irgendwer muss ja das Geld herausgeben
2. Sie muss Inflation verhindern
3. Über die Zinspolitik wird die Konjunktur gesteuert
Tatsächlich beruht diese Vorstellung auf einer grundlegend falschen Annahme
über die Funktionsweise unseres Geldsystems. Die Wahrheit ist:
1. Die Geldmenge wird maßgeblich von den Geschäftsbanken geschöpft
2. Es gibt keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Geldmenge
und Inflation
3. Das Zinsniveau hat nur begrenzten Einfluss auf die
Investitionsentscheidungen und damit auf die Konjunktur
All dieses ist in den vergangenen Jahren empirisch umfangreich untersucht
worden, und selbst die Zentralbanken mussten einsehen, dass sie weder
maßgeblichen Einfluss auf die Geldmenge haben, noch dass die Geldmenge
wiederum entscheidend für das Preisniveau und damit die Inflationsrate ist.
Siehe z.B. hier:
http://economics.soc.uoc.gr/macro/docs/Year/2013/papers/paper_1_143.pdf
"Our paper studies the relationship between money growth and consumer price
inflation in the euro using wavelet analysis. Wavelet analysis allows to
account for variations in the money growth - inflation relationship both
across the frequency spectrum and across time. Our results indicate that over
the sample period 1970-2012 there was no stable significant relationship
between fluctuations in money growth and consumer price inflation at low
frequencies. In contrast, most of the literature, by failing to account for
the effects of time variation, estimated stable long-run relationships
between money growth and inflation well into the 2000s. We also analyze the
relationship between loan growth and inflation in the euro area, since bank
loans represent the most important counterpart to monetary developments but
find no evidence for a stable relationships between loan growth and inflation
at any frequency."
Im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit haben die Zentralbanken dieses
bereits erkannt und haben es faktisch aufgegeben, die Geldmenge steuern zu
wollen (abgesehen davon, dass "die" Geldmenge ein höchst schwammiger Begriff
ist, der sehr unterschiedlich interpretiert werden kann und wird). Die FED
hat aus diesem Grunde auch aufgehört die Geldmenge zu erfassen und zu
veröffentlichen.
Siehe hier: http://www.federalreserve.gov/releases/h6/discm3.htm
"On March 23, 2006, the Board of Governors of the Federal Reserve System will
cease publication of the M3 monetary aggregate. The Board will also cease
publishing the following components: large-denomination time deposits,
repurchase agreements (RPs), and Eurodollars. The Board will continue to
publish institutional money market mutual funds as a memorandum item in this
release.
...
M3 does not appear to convey any additional information about economic
activity that is not already embodied in M2 and has not played a role in the
monetary policy process for many years. Consequently, the Board judged that
the costs of collecting the underlying data and publishing M3 outweigh the
benefits."
Während die EZB immer noch vorgibt, die Inflation über die Geldmenge M3 zu
kontrollieren, erklärt die FED sie für schlicht irrelevant - womit sie mehr
Einsichtsfähigkeit als die europäischen Institute zeigt - dies gilt im
Besonderen Maße für die Bundesbank, die immer noch autistisch dem Mythos der
Quanitätstheorie nachhängt:
http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichtsaufsaetze/2005/2005_01_geldmenge.pdf?__blob=publicationFile
"Der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen bildet die Grundlage für
einen der beiden Pfeiler der geldpolitischen Strategie des Eurosystems.
Monetäre Aggregate dienen als wichtige Indikatoren für die Einschätzung der
mittel- bis langfristigen Preisentwicklung und damit der Risiken für die
Preisstabilität. Ihre besondere Rolle in der geldpolitischen Strategie des
Eurosystems verdanken sie dem relativ engen empirischen Zusammenhang zwischen
Geldmenge und Preisen."
Diesen "empirischen Zusammenhang" gibt es schlicht nicht - insbesondere nicht
für die Eurozone: http://www.voxeu.org/sites/default/files/file/DP8049.pdf
"This paper investigates whether the quantity theory of money is still alive.
We argue that it is, but that the slippage is not negligible. For countries
with low inflation, the relationship between average inflation and the growth
rate of money is tenuous at best. A correction for variation in output growth
and the opportunity cost of money, using theory implied elasticities, helps
explain the slippage. For the period since 1990, inflation targeting at low
rates of inflation makes it harder to establish the long run relationship
between monetary growth and inflation."
Diese Studie bestätigt die Ergebnisse der vorherigen. In Zeiten "normaler"
Inflationsraten gibt es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen
Geldmengenwachstum und Preisentwicklung. Sie kommt zu dem Schluss, dass es
allenfalls langfristig einen Zusammenhang geben könnte, allerdings mit sehr
großen Unsicherheiten:
"Quantity theory is still alive, but there are some brown spots, which merit
serious attention. The slippage between explained long run inflation rates
and actual inflation rates can reasonably be as high as six percent, which
should be considered dangerously high to base long-term monetary policy upon
without taking into account more information.
In particular, for the period since 1990, we argue that success at targeting
low inflation, together with greater dispersion in deregulation and
technology adoption, make it harder to establish the long run relationship
between inflation and monetary growth."
Auf gut deutsch: Kaffeesatzleserei.
Aufgrund dieser Tatsache, haben sich die Zentralbanken weitestgehend auf die
Beeinflussung des Zinsniveaus verlegt. Auch hier herrscht die mittlerweile
weltfremde Theorie vor, dass sich die Geschäftsbanken hauptsächlich bei den
Zentralbanken refinanzieren würden, und diese also durch ihre
Zinsniveau-Vorgaben maßgeblichen Einfluss auf die Marktzinsen und damit die
Kreditvergabe hätten. Auch diese Vorstellung ist von der Realität längst
überholt, aber nichts hält sich so hartnäckig wie früh erlernte Glaubenssätze.
Die Banken finanzieren sich mittlerweile weitestgehend gegenseitig über den
sog. Interbankenmarkt und legen ihren Referenzzinssatz - z.B.. den Libor oder
Euribor - selbst fest. Die Folgen sind bekannt:
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/zinsmanipulation-die-libor-bande-12057074.html
"Die großen Banken der Welt haben in einem beispiellosen Kartell über Jahre
hinweg den Zins manipuliert, die wichtigste Stellgröße der Wirtschaft. Sie
haben ihn mit üblen Tricks nach unten und oben getrieben - genauso, wie es
ihnen gerade passte. Und keiner konnte sich ihrer Machenschaften entziehen.
Während man bei Zertifikaten oder komplizierten Finanzprodukten immer noch
selbst entscheiden kann, ob man sie kauft, entkommt der Macht des Zinses
keiner.
…
Ein wichtiger Grund dafür, dass es zu den Manipulationen überhaupt kommen
konnte, war offenbar, dass man die Libor-Meldungen in den Banken nicht
besonders ernst nahm. Obwohl der Zins für die Weltwirtschaft so wichtig ist,
war das Risikobewusstsein gering. Entsprechend schlecht waren die Kontrollen,
entsprechend wenig Überwachung gab es."
Na so ein Zufall, hat wahrscheinlich keiner gemerkt oder gewusst...
Dass den Zentralbanken aufgrund des wachsenden Interbankenmarktes die
Kontrolle weitgehend entglitten ist, hat unlängst sogar Draghi bestätigt:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ezb-chef-draghi-sieht-ermutigende-zeichen-bei-euro-rettung-a-941064.html
"Draghi wies den Vorwurf zurück, die EZB-Politik niedriger Leitzinsen gehe zu
Lasten der Sparer. Dass die Rendite entsprechender Anlagen teilweise nicht
einmal die Inflation ausgleiche, sei "nicht die Schuld der EZB", sagte er.
"Insbesondere in den vergangenen Jahren konnten wir die langfristigen Zinsen
gar nicht kontrollieren, weil die Investoren wegen der Euro-Krise hochgradig
verunsichert waren." Stattdessen würden die langfristigen Kapitalrenditen auf
den globalen Finanzmärkten bestimmt."
Nachdem also in der Vergangenheit die Zentralbanken schon eingeräumt haben,
dass sie keinen Einfluss auf die Geldmenge haben und sich stattdessen auf die
Beeinflussung der Zinsen verlegten, räumt nun Draghi ein, dass die
Zentralbank auch keine Kontrolle über das für Investitionen maßgebliche
Zinsniveau hat.
Frage: Wenn eine Zentralbank - insbesondere in Zeiten von Krisen - weder
Einfluss auf Geldmenge noch Zinsen hat, aber genau das ihr Instrumentarium
sein soll, um das Preisniveau und die Konjunktur zu stabilisieren, wozu
brauchen wir sie dann noch?
Antwort: In erster Linie dient die Zentralbank als Potemkinsches Dorf.
Solange man diese Institution aufrecht erhält, kann man den Bürgern weiter
vorspielen, dass sie
das Geld schöpft,
die Geldmenge steuert und
das Zinsniveau festlegt.
Es wird also eine exogene Geldmengensteuerung wie zu Zeiten konvertibler
Währungen vorgegaukelt, um so davon abzulenken, dass es faktisch die
Geschäftsbanken sind, die heute all diese Macht in sich vereinigen.
Es ist leider eine Menge Fachwissen nötig, um dieses richtig zu stellen und
daher ist diese Funktion von außerordentlicher Bedeutung. So lange die breite
Öffentlichkeit an die Fassade glaubt, dass es am Ende die gute Zentralbank
gibt, die alles richten kann und wird, können die Geschäftsbanken dahinter
fast nach Belieben schalten und walten - und tun es auch.
Die einzige sinnvollen Funktionen sind die des "Lender of last resort" (für
die Banken) bzw. des Hauptfinanziers des Staates (in souveränen Staaten). Und
selbst diese Funktion wird ihr im Falle der EZB sogar institutionell
vorenthalten.
FAZIT: Die Zentralbank ist heute nichts weiter als ein Relikt aus dem
Zeitalter konvertibler Währungen - eine Illusion. Faktisch kontrollieren
heute "die Märkte" allein sowohl das Geld-/Kreditangebot als auch das
Zinsniveau.
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Axel Grimm, 03.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Rolf Müller, 03.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 03.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Axel Grimm, 03.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 03.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Axel Grimm, 03.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Stephan Schwarz, 03.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Stephan Schwarz, 03.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Stephan Schwarz, 03.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Wischer, 03.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 05.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 05.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Rudi, 05.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 05.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Thomas Weiß, 06.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Rudi, 05.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 05.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 05.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Benedikt Weihmayr, 05.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 06.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 06.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 07.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, O.Herzig(Exile), 08.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Axel Grimm, 08.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 08.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Axel Grimm, 08.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, O.Herzig(Exile), 08.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 07.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 06.01.2014
- Re: [AG-GOuFP] Die Katze ist aus dem Sack!, Patrik Pekrul, 06.01.2014
Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.