ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Ag-umwelt mailing list
Listenarchiv
- From: Gunnar Kaestle <gunnar.kaestle AT gmx.net>
- To: Moritz Richter <mmarichter AT aol.com>
- Cc: Mailingliste der AG Energiepolitk <energie_und_infrastruktur AT lists.piratenpartei.de>, AG Umwelt <ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe)
- Date: Thu, 19 Jul 2012 01:21:45 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
- List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>
Moritz Richter schrieb:
Wie gesagt, dass volkswirtschaftliche Modelle die Realität nicht
annähernd perfekt abbilden, weiß ich auch und trotzdem kann man nicht
Steuern einfach aus einem Gefühl heraus erheben.
Ich glaube wie Pixorat, dass volkswirtschaftliche Modellrechnungen
bei der Behandlung realer Probleme nicht sehr weiterhelfen, insbesondere
wenn sie auf den Gleichgewichtsmodellen beruhen, die man der Physik
(Mechanik) von Newton und Co. abgeschaut hat. Steuern sollte man in der
Tat nicht aus Gefühl heraus erheben, aber allein der deutsche Name
"Steuern" und "Regeln" sagt doch schon, dass man damit eine
Lenkungswirkung erziehlen kann. Eine meine Lieblingsvokabeln der letzten
Monate ist der ökonomische Regelkreis, wie er z.B. im EEG schon zur Degressionsregelung der Photovoltaik eingebaut wurde.
http://de.wikipedia.org/wiki/Regelung_%28Natur_und_Technik%29
Mit der Steuer- und Regeltechnik für das Finanzrecht kann man mit dem
Hebel des Geldbeutels sehr viel bewirken, wenn man durch einen
geschickten Soll- & Istwertvergleich den Zielsuchkopf richtig justiert.
PeakOil bedeutet, dass die Ölgewinnung nicht mehr steigt, das heißt
aber nicht, dass sie sprungartig auf 0 zurückgeht. Öl wird dann
einfach weltweit teurer und derjenige, der es bezahlen kann,
verbraucht es. Und das bedeutet einfach, dass der ein oder andere vom
Auto aufs Fahrrad umsteigt und der ein oder andere dann doch den
Kleinwagen statt des SUVs wählt und der ein oder andere das Öl nicht
mehr sinnlos vergeudet usw.
Jein. Peak Oil bedeutet, dass die Fördermenge nicht mehr zunimmt und
daher der Preis nicht mehr durch das nächstteure Bohrloch bestimmt wird.
Preisbestimmend wird nun der (unelastische) Verbraucher, der sich ggf.
in Verzicht übt. Konsumverzicht ist gesamtwirtschaftlich immer Scheisse,
das bedeutet Kontraktion und Große Depression. Daher müssen alternative
Substitute her, die aber nicht auf Bäumen wachsen und nur geerntet
werden müssen, sondern eine Entwicklungs- und Anlaufzeit benötigen (time lag / Totzeit). Märkte sind zukunftsblind, die denken maximal bis zum nächsten Quartalsbericht bzw. bis zur Vertragsverlängerung des Vorstandsvorsitzenden in 3-4 Jahren. Hier ist es die Aufgabe der Polis, d.h. der Gemeinschaft der Bürger, solche Entwicklungen vorauszusehen und die entsprechenden Leitplanken im Konsens aufzustellen.
Übrigens sind beim Ölverbrauch in anderen Ländern der Erde viel
größere Effizienzgewinne möglich, als in Deutschland. In einigen
Ländern wird Öl in Kraftwerken verbrannt! Es ist einfach vermessen,
anzunehmen, dass wir 80 Millionen Deutsche das Problem PeakOil mit
einer Steuer zu lösen, wie gesagt, es wird ja dann weltweit gar
nicht weniger Öl verbraucht!
Es geht nicht darum, Peak Oil global aufzuhalten. Es geht darum, den Effekt auf die (erstmal egoistisch national gedachte) deutsche Wirtschaft zu minimieren. Peak Oil heisst Abschied nehmen vom billigen Öl, d.h. von billiger Mobilität.
In Deutschland werden nach den Zahlen der AG Energiebilanzen rund 4 EJ Öl p.a. verbraucht, davon 0,8 im stofflichen Einsatz, ca. 0,9 im Wärmesektor (Heizöl) und 2,3 EJ im Transportsektor, wo es fast unverzichtbar ist. Gut, den ÖPNV kann man ausbauen, und als Übergangslösung bis zum Ende der Gasschwemme sollte man methadonlike auch auf Gasfahrzeuge umsatteln (Sattelschlepper in den USA machen das aufgrund des günstigen Erdgaspreises). Bei der Elektromobilität ist der Knackpunkt die Batterie, die noch sehr teuer ist, auch für Plug-In Hybride mit nur einigen Dutzend km vollelektrischer Reichweite. Hier muss man IMHO hoffen, dass die Lernkurve ähnlich wie bei der PV die Preise nach unten treibt.
Ziel ist es durch die Maßnahmen der Risikovorsorge gegen undulierende Rezessionen (vgl. mit http://de.wikipedia.org/wiki/Rimini-Protokoll) das ökonomische System weniger anfällig zu machen gegen die auf hohem Niveau fluktuierende Ölpreise, die z.B. zwischen 50$ und 150$ ping-pong spielen können. Ein Ansatz ist die Erhöhung der Preiselastizität des Verbrauches, indem eine Vielzahl von Ersatzdrogen zur Verfügung gestellt werden. Wenn also 100 Einheiten Öl verbraucht werden, und der Preis bei 100 Geldeinheiten liegt, dann wäre es gut, wenn ein Preisanstieg auf 110 GE auch eine umgekehrt proportionale Verbrauchssenkung bewirken könnte (bitte nicht über den Konsumverzicht der Transportdienstleistung oder eine kalte Heizung realisiern, sondern über alternative Erfüllungsgehilfen). Damit bleibt der Abfluss an Geld mehr oder weniger konstant und die Wirtschaft muss keine Kneipp-Kur durchmachen, dass mal doppelt soviel Geld ins Ausland fließt, wenn der Importpreis sich verdoppelt.
Eine Steuer/Abgabe auf Kraftstoffe erhöht zwar für den Endkonsumenten den Preis, allerdings bleibt das Geld im Land und kann umverteilt werden, z.B. zur Anschubfinanzierung der momentan nur mager vorhanden Substitute. Das ist also ein rechte Tasche, linke Tasche Spiel, das einer Nationalökonomie nicht richtig weh tut. Die Effizienz der Allokation über Märkte bezweifle ich ganz deutlich, wenn es darum geht, langfristige Entscheidungen zu treffen. Sonst müssten wir uns im Kraftwerkssektor mit Nutzungsdauern von 40 Jahren nicht über Kapazitätsmärkte als zusätzlichen Anreizmechanismus unterhalten.
Gruß,
Gunnar
--
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- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe), Gunnar Kaestle, 19.07.2012
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- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe), Gunnar Kaestle, 20.07.2012
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- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe), Johannes Nix, 21.07.2012
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- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe), Gunnar Kaestle, 19.07.2012
- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Energiesteuer (auf Kraftstoffe), Johannes Nix, 21.07.2012
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