ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Ag-umwelt mailing list
Listenarchiv
- From: "Dr. Volker Jaenisch" <volker.jaenisch AT inqbus.de>
- To: ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf
- Date: Sat, 05 Jun 2010 04:42:58 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
- List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>
Ahoi!
Guido Körber schrieb:
Und noch mal: Wir sind hier nicht bei einer Celebrity-Show, ich werde keine lange, nichtssagende Liste von Wissenschaftlern aufstellen.yep.
Viel mehr werde ich (und Volker macht da mit Sicherheit mit wesentlich mehr Fachwissen mit) Deine inhaltlichen Argumente auseinander nehmen, darum geht es ja letztlich.Es gehört gar nicht soviel Fachwissen dazu. Da W/U Klassifizierungsschema in meiner letzten Email
hilft schon sehr gut die Spreu vom Weizen zu trennen.
Allerdings macht es immer Sinn acuh mal in Detail zu gehen.
Falsche Zahlen, oder falsch dargestellte oder interpretierte Zahlen sind eines der liebsten Spielzeuge von "Skeptikern". Ganz besonders gut macht es sich, wenn eine Zahl ohne wirklichen Zusammenhang in eine Relation gesetzt wird, die sie sehr klein erscheinen lässt.Vor allem ist noch dabei zu beachten, dass Skeptiker i.d.R. keine eigenen Daten beisteuern. Sie verwenden
damit eine ziemlich paradoxen Argumentation:
Auf der einen Seite zweifeln sie die Daten der Wissenschaftler an, auf der anderen Seiten verwenden Sie deren Daten um mit ihnen zu argumentieren. Das erinnert Fatal an: "Alle Kreter sind Lügner, sagt der Kreter".
Uninteressant ist die absolute Zahl, wichtiger ist die relative Änderung. Blut macht ja auch nur ein paar wenige Prozent Deines Körpers aus, hast Du was dagegen mal 2-3 Liter davon abzugeben? Oder wie sieht es mit dem Jod in Deinem Körper aus? Das ist ganz wenig, nur einige Dutzend Milligramm, möchtest Du darauf verzichten? Hat doch auch keinen EInfluss, oder?Schön hat Konrad Lorenz das mal formuliert: Wenn einen Menschen das AKW um die Ecke auch nur so pisacken würde wie ein Floh in seinem Pelz, hätten wir morgen keine AKWs mehr.
Damit haben wir also erst mal ein Bisschen Verhältnismäßigkeit drin: Der Zuwachs an CO2 in der Atmosphäre ist nicht vernachlässigbar, sondern signifikat, in den letzten 100 Jahren etwa 1/3 Zuwachs.Jetzt kann natürlich jemand herkommen und fragen: "Warum ist die Temperatur dann nicht im gleichen Verhältnis gestiegen? Also wenn wir 1900 so 15 Grad im Weltdurchschnitt hatten, dann sollten es doch jetzt ein Drittel (5 Grad) mehr sein, also 20 Grad. Wir haben aber nur gerade ein Grad dazugewonnen?"
Überlegen werden wir ihn darauf hinweisen, dass er in Celsius, also einer willkürlichen Skaleneinteilung der Temperatur gerechnet hat, und dass das Nonsens ist. Echte Wissenschaftler rechnen in absoluter Temperatur, also in Kelvin. Nehmen wir also die Kelvinskala auf der 15 Grad Celsius = 273 + 15 Kelvin = 288 Kelvin sind.
Eine Erhöhung um ein Drittel würde also eine Erhöhung um 288/3=96 Kelvin auf 384 Kelvin = 111 Grad Celsius bedeuten. Ups!
Wir sehen hier also, dass es gar nicht so einfach ist von der CO2 Erhöhung zu einer Temperatur-Erhöhung zu kommen. Die Temperatur der Erde entsteht ja, durch deren Gesamtheit, also deren Atmosphäre, Meere usw.
Betrachten wir mal nur die Lufthülle. Dann trägt das CO2 also zu einem gewissen Anteil schon in natürlicher Konzentration ein gewisses Maß zur Gesamttemperatur bei.
Es gibt also eine Gesamttemperatur Tges = T_Luft ohne das wenige CO2 + T_durch das wenige CO2 = 15 Grad.
Kürzen wir ab und schreiben Tges = T0 + TCO2
Die Frage die Ahrrenius und andere beschäfftigte war : Wie groß sind also T0 und TCO2.
Leider lässt sich diese Frage nicht im Labor allein klären. Gerade das macht die Meteorologie zu einer grossen Herausforderung: Wetter ist ein sich ständig änderndes Ding, das man nicht im Labor einsperren kann.
Aber man kann die einzelnen Teile des Wetters im Labor untersuchen. Das Ergebnis waren die Erkenntnisse der großen Forschern zur kinetischen Gastheorie, der Thermodynamik, der Strahlungstheorie, der Fluiddynamik welche alle rund 100 bis 60 Jahre alt sind und bis heute ihren Stellenwert als "Naturgesetz" behauptet haben.
Mit dieser physikalischen Grundlagen bauen wir Autos, Schiffe, Kraftwerke nahezu unverändert bis heute.
Schon bald erkannte man, dass Moleküle ein anderes und breiteres Absorbtionsspektrum für Licht hatten als Atome. Gerade Wasserdampf, Ozon und CO2 zeichneten sich vor allen anderen typischen Gasen der Atmosphäre aus indem sie besonders viel Infrarotes Licht streuten. Das kann man natürlich auch quantifizieren und im Labor so exakt messen wie nur möglich.
Was nach und nach entdeckt wurde war, wie das alles zusammenwirkt. Die Sonne strahlt auf die Erde, diese reflektiert einen Teil der Strahlung wieder zurück. Ein kleiner Teil der Strahlung wird von der Atmosphäre aufgenommen, ein Großteil (rund die hälfte) trifft auf den Erdboden. Der ist aber überall anders beschaffen.
Der Erdboden erwärmt sich, kurzwellige Strahlung wird also in langwelligere umgesetz. Der Boden strahlt im Infraroten. Und der Wasserdampf, das CO2 und das Ozon nehmen diese Infrarot-Strahlung auf, oder streuen sie, was dazu führt, dass sie letztendlich nicht wieder sofort abgestrahlt wird und die Atmosphäre richtung Weltraum verlässt.
Toll man hatte ein Modell. Aber man konnte es nicht quantifizieren. Erst mit der Erfindung des Computers wurde es möglich diese Modelle, welche nur auf dem Papier existierten auzurechnen. Schnell stellte sich aber Ernüchterung ein. Die Modelle und deren Gleichungen waren nach einigen Mühen binnen Monaten in die Computer programiert. Woran es mangelte waren die Eingabewerte. Wie ist die mittlere Albedo der Erde?
Wie ist die spektrale Charakteristik der einzelnen Böden und der Meere? Wie verhalten sich Wolken, Aerosole, Moleküle in dem Ganzen.
Diese Fragen sind heute immer noch aktuell. Zwar gibt es jedes Jahr exponentiell wachsend mehr Daten als im Vorjahr, aber noch haben wir nur eine gewisse Abdeckung unseres Planeten Erde. Die Eingabedaten reichen noch lange nicht um vorauszuberechnen, was passieren wird. Geschweige denn, was genau, oder an einem Ort passieren wird.
Aber Wissenschaftler haben über Jahrtausende gelernt mit unvollständigen Daten umzugehen - denn sie hatten nie andere. Die Mathematik hilft an vielen Stellen aus mit Statistik, Näherung, Extrapolation, Glättung, Lösung von nicht geschlossen lösbaren Gleichungen, usw. Auch hilft sie Fehler zu finden.
Ein verbreiteter Irrglaube ist übrigens dass eine Simulation nur dann etwas taugt, wenn sie das Simulierte exakt repräsentiert. Im Kopismus steckt keine Erkenntnis. Erkenntnis kommt, wenn man es schafft mit seiner Simulation die Essenz des zu Simulierenden einfängt. Ein Modell das dazu da ist zu erklären wie Eiszeiten und Warmzeiten abwechseln darf eben nicht wissen, wann die oder jene Warmzeit war. Es weiss etwas über Meeres- und Luftströmungen, die Karte der Kontinente, einen Haufen Naturgesetze, die Bahnparameter der Erde, des Mondes, der Planeten und der Sonne aber es weiß nichts darüber wann dies oder das passiert ist.
So ein Modell kann nie vorhersagen was passieren wird. Es kann aber benutzt werden um zu lernen. Also es kann versucht werden die Zustände der Erde also die Vergangenheit mit diesem Modell in Einklang zu bringen.
Die ersten Versuche scheiterten kläglich. Aber nach und nach durch verbesserte Eingabedaten, verfeinerte Methoden wurden die Modelle besser. Nicht weil sich die Naturgesetze auf denen sie basierten auf einmal änderten. Einfach nur, weil mehr Rechenleistung zur Verfügung stand alles höher aufzulösen. Weil mehr Kapazität da war (Satelliten)-Daten nicht einmal pro Tag per Mensch sondern online per Computer auszuwerten.
Die meisten Modelle die weltweit für Simulationen eingesetzt werden sind in FORTRAN77 programmiert.
77 weil dies das Jahr der Sprachzertifizierung war. Auch meine Simulationen habe ich in FORTRAN programmiert.
Dies erscheint archaisch. Aber die Bibliotheken, welche ich für meine Simulationen verwendet habe sind seit Jahrzehnten einer permananten Überprüfung durch tausende von Nutzern ausgesetzt und daher nahezu Fehlerfrei.
Viele dieser Modelle sind auch jahrzehnte alt. Sie sind also keine Erfindung des Zeitgeists wie Websites.
Sie sind ein Urgestein, in Code geronnener Mathematik, Physik und Chemie welches sich vom Vorgänger auf Papier der 100 Jahre alt ist nur insofern unterscheidet, dass nun ein Computer und nicht ein Mathematiker rechnet. Einzig die Eingabedaten werden stetig mehr und differenzierter - die Naturgesetze bleiben.
Genau deshalb greifen viele Klimaskeptiker ja auch nicht die Simulationen, sondern die Eingabedaten an, da diese
natürlich wesentlich für den Prozess sind. Wohingegen die Simulationen von ihrem Theoriegehalt nahezu unverändert.
Die Abhängigkeit einer Simulation von den Eingabedaten ist seit der ersten Simulation bekannt. Daher wird in der Regel nicht nur ein Satz von Eingabedaten für die Berechnung verwendet sondern so viele Variationen als möglich
reingesteckt. Die Eingangsdaten werden also bewusst variiert um zu sehen, wie groß der Einfluss der Variation auf das Ergebnis ist. Man spricht dann von Szenarien. Dieses Vorgehen ermöglicht dann eine Fehlerschranken für die Ergebnisse anzugeben.
Beispiel:
Wenn ich Mächtigkeit des Ölteppichs um 100% variiere dann verändert sich die Eintrittsmenge
in den Golfstrom um nur 0.1%. Daraus kann ich schlussfolgern: Es ist egal wie dick der Ölteppich ist, er wird unter allen Umständen im Golfstrom ankommen.
Aber zurück zu unserer Formel:
Tges = T0 + TCO2
Man weis schon seit bald hundert Jahren dass es so einfach nicht ist.
Tges = T0 + TCO2 + TH2O(TCO2) + TWolken(H2O) + TAerosol + T(Meer) + ..
Aber wir haben es im Griff. Die unterschiedlichen Modelle liefern immer ähnlichere Aussagen.
Wir wissen es nun so genau, dass wir sogar
Tges = T0 + TCO2 + TCO2_antropogen + TH2O(TCO2) + TWolken(H2O) + TAerosol + T(Meer) + ..
berechnen können. Wenn wir für TCO2_antropogen = 0 einsetzen funktioniert unsere Simulation nicht. Sie kann nicht den Temperaturverlauf der letzten Jahrtausende richtig reproduzieren (zumindest nicht ab 1900).
Setzen wir aber für TCO2_antropogen die Temperaturerhöhung ein, welche wir Menschen verursachen, so geht die Simulation auf.
Natürlich ist das kein direkter Beweis. Es ist ein indirekter Beweis der aber die beste momentan verfügbare Erklärung dessen ist, was auf unserer Erde passiert. Mit solchen indirekten Beweisen hat sich
Sherlock Holmes einen Weltruhm erobert. Nicht weil er sie erfunden hätte - nein er hat der Aufklärung folgend die wissenschaftliche Methodik adaptiert.
Nun habe ich so lange doziert, dass ich den Faden verloren habe und die Uhr zeigt auch schon 4:42.
Beste Grüße
Volker
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Dr. Volker Jaenisch http://www.inqbus.de
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- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, (fortgesetzt)
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Sebastian Pochert, 02.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, René Heinig, 03.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Sebastian Pochert, 03.06.2010
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- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Guido Körber, 03.06.2010
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- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Kai Orak, 04.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Dr. Volker Jaenisch, 05.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Kai Orak, 04.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Guido Körber, 04.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Dr. Volker Jaenisch, 05.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Dr. Volker Jaenisch, 05.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Kai Orak, 06.06.2010
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- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Dr. Volker Jaenisch, 07.06.2010
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- [Ag-umwelt] BP: Das Geschachere um die Schadenssumme beginnt, Dr. Volker Jaenisch, 15.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] BP: Das Geschachere um die Schadenssumme beginnt, René Heinig, 16.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] BP: Das Geschachere um die Schadenssumme beginnt, Dr. Volker Jaenisch, 16.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Kai Orak, 06.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Guido Körber, 04.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Dr. Volker Jaenisch, 03.06.2010
- Re: [Ag-umwelt] Energiebilanz der Erde geht nicht auf, Sebastian Pochert, 02.06.2010
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