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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Zu viele OPs?

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Zu viele OPs?


Chronologisch Thread 
  • From: "Reinhard Schaffert" <reinhard.schaffert AT piratenpartei-hessen.de>
  • To: "'AG Gesundheit'" <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Zu viele OPs?
  • Date: Thu, 3 Apr 2014 19:09:51 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Schönen guten Tag allerseits,

es tut mir leid, Syna, aber dein Beitrag besteht für mich aus reinen
Schubladen:
Der böse ökonomisch denkende Geschäftsführer und der gute, dem Patienten
verpflichtete Arzt.
Ich war in beiden Welten tätig und so schwarz-weiß ist es nicht!

Einerseits geht es in der Gesundheitspolitik darum, begrenzte Ressourcen zu
verteilen. Deshalb ist es weder auf der makroökonomischen Ebene noch auf der
mikroökonomischen Ebene beispielsweise der Krankenhäuser verwerflich,
wirtschaftlich zu denken. Denn bei begrenzten Ressourcen, die es nun mal
unabhängig von der Höhe der Beiträge oder der Finanzierung zwingend gibt,
dient das ökonomische Denken dem Erhalt des Systems! Und es gibt auch nicht
nur die bösen privaten Klinikketten. Das Problem der privaten
Krankenhausträger ist nicht das wirtschaftliche Denken, sondern dass sie für
das Gesundheitssystem über Zwangsabgaben der Versicherten aufgebrachte
Finanzmittel dem System als Rendite entziehen. Diese Renditen kommen nicht
mehr den Patienten zu Gute. Demgegenüber führt mangelndes wirtschaftliches
Denken in manchen öffentlichen Krankenhäusern dazu, dass zusätzliche
Finanzmittel außerhalb des Gesundheitssystems für diese einzelnen
Krankenhäuser aufgebracht werden müssen (siehe z.B. Offenbach). Diese
zusätzlichen Mittel müssen wir auch alle über Steuern bezahlen, sie kommen
jedoch nicht allen Patienten zu Gute. Beides ist nicht gut!

Und die Ärzte sind selbst oft genug die treibende Kraft hinter den
wirtschaftlichen Überlegungen und zwar nicht nur, wenn sie unter Druck
gesetzt werden. Ärzte lassen sich leider nicht selten sehr leicht mindestens
funktionalisieren, oft genug auch korrumpieren. Dafür gibt es ausreichend
Beispiele und zwar nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern in der
gesamten Geschichte auch in sehr viel tragischeren Zusammenhängen.

Die Frage der Anreize eines Vergütungsstems ist hoch komplex und lässt sich
leider nicht einfach durch schwarze und weiße Schafe erklären, denn auch die
weißen Schafe laufen zum Trog, wenn es Futter gibt.

Ich wünsche noch einen schönen Tag,
Reinhard Schaffert




-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von:
ag-gesundheitswesen-bounces+reinhard.schaffert=piratenpartei-hessen.de AT lists.piratenpartei.de

[mailto:ag-gesundheitswesen-bounces+reinhard.schaffert=piratenpartei-hessen.de AT lists.piratenpartei.de]
Im Auftrag von syna
Gesendet: Donnerstag, 3. April 2014 08:41
An: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Re: [AG-Gesundheit] Zu viele OPs?

Hallo WDT!

Ein paar Gedanken zu Deiner Antwort:

wdt schrieb:
> Vom Grundsatz her sind bisher zwei Vergütungsmodelle im Einsatz
> (gewesen):
>
> 1.) Tagespauschalen; führen zu teilweise überlangen Liegedauern
> 2.) Fallpauschalen; führen zu einer Steigerung der Fallzahlen

Ja, die Abteilungs- und Basispflegesätze entsprechen "Tagespauschalen"; die
DRG-Fallpauschalen wurden 2002 verpflichtend eingeführt.

wdt schrieb:
> Gründe für diese unerwünschten Effekte sind wesentlich die übergroße
> Zahl von Krankenhäusern, deren Überzahl von Betten, der gnadenlose
> Erhalt kleiner-unwirtschaftlicher Einheiten sowie die im jeweiligen
> Abrechnungssystem enthaltenen Möglichkeiten (des Missbrauchs).

Naja, aber auch wenn wir nicht eine übergroße Zahl von Krankenhäusern hätten,
so würde der kaufmännischen Direktor doch trotzdem Druck ausüben. Damit seine
Zahlen stimmen, und damit der Gewinn für das Unternehmen (Rhön, Asklepios,
Fresenius, ...) steigt.

Es sind also weniger die Bettenkapazitäten, sondern es ist einfach die
Dominanz der betriebswirtschaftlichen Kriterien in den medizinischen Bereich
hinein.

wdt schrieb:
> Ein Zweitmeinungsverfahren, also eine Kontrolle der Indikation durch
> einen weiteren Arzt, scheint erst einmal korrigierend möglich. Dessen
> Unabhängigkeit müsste gewährleistet sein. Und es entstehen natürlich
> Kosten. Die beiden für so eine Änderung zuständigen Parteien haben
> beide ein deutlich bemessenes Interesse daran.

Das Zweitmeinungsverfahren ... mmh - teuer, und in der Praxis kaum
durchführbar. Der Mensch, der zur Rücken-OP praktisch überrumpelt wurde,
hatte ja zuvor schon etliche Zweit-, Dritt- und Viertmeinungen, die alle
unterschiedlich lauteten.

Ich denke, die Wurzel des Übels ist: Der medizinische Bereich wird durch
betriebswirtschaftliche Vorgaben zu sehr unter Druck gesetzt. Der einzelne
Arzt hat sich
- einstmals bei Beginn seines Studiums - dem Eid des Hippokrates - direkt
oder doch unbewusst indirekt - verpflichtet gefühlt. Und hat daraufhin sein
Studium begonnen. Um den Menschen zu helfen.

Nach Beendigung des Studiums, in der täglichen Praxis, musste er dann aber
erfahren, dass betriebswirtschaftliche Kriterien noch über den medizinischen
Kriterien rangieren.
Als niedergelassener Arzt war er plötzlich mit einer Kreditlinie für seine
Praxis konfrontiert, die über Sein oder Nichtsein entschied. Als
Krankenhausarzt musste er - ganz subtil natürlich - erfahren, dass er "auf
Teufel komm raus" bestimmte Mindestfallzahlen bringen musste. Denn falls er
diese nicht erbringt, werden die nächsten Personalentscheidungen der
kaufmännischen Führung nicht in seinem Sinne getroffen werden. Das hat dann
schon existenzbedrohende Ausmaße. Und es lässt den einst so hoch gehaltenen
hippokratischen Eid regelmäßig in den Hintergrund rücken.

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Die Lösung wäre:

Man müsste den betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen Bereich der
Krankenhausführung ganz klar vom medizinischen, nur den Patienten
verpflichteten Bereich, trennen.

Und die daraus resultierende Frage wäre dann: Wie könnte so eine Trennung in
der Praxis aussehen? Die Ärzte sollen also nach rein medizinischen Kriterien
- auch wenn nicht jede Therapie bezahlt werden kann - entscheiden. Denn
überflüssige OPs würden dann kaum mehr durchgeführt.

Der Kaufmännische Direktor soll hingegen für effektive Abläufe und ein gutes
Betriebsergebnis sorgen. Ohne Druck auf die Ärzte, ohne Beeinflussung von
Fallzahlen oder Sonderentgelten. Es geht ihm um effektiven Einkauf, um
Abläufe in Pflege, Versorgung, Hygiene, Logistik usw.

Aber beide - Kaufmann und Arzt - sollen aufeinander keinen Druck oder
Beeinflussung ausüben dürfen. Wie macht man das?
--
AG-Gesundheitswesen mailing list
AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen





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