Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Probleme der 2 Klassen-Krankenkassen und folgenden 2Klassen-Medizin

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

Re: [AG-Gesundheit] Probleme der 2 Klassen-Krankenkassen und folgenden 2Klassen-Medizin


Chronologisch Thread 
  • From: syna <syna AT news.piratenpartei.de>
  • To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Probleme der 2 Klassen-Krankenkassen und folgenden 2Klassen-Medizin
  • Date: Fri, 30 Sep 2011 01:23:35 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Newsserver der Piratenpartei Deutschland - Infos siehe: http://wiki.piratenpartei.de/Syncom/Newsserver


@Albert Karschti: Eine Menge Themen, die Du hier anschneidest ...


Albert Karschti schrieb:
> ... Deshalb ist es sehr wichtig die Fragen Gesamtpolitisch anzugehen.
> Damit meine ich, dass eine ständige Rückkopplung zu den Grundfragen
> vorhanden sein muss. Z.B. die Einnahmenseite, also Finanzierung des
> Gesundheitswesens.


Ganz genau!

Dazu gehört, dass man sich klar macht, wer was bezahlen soll. Was
Solidarität ist usw.


Denn bei jeder Leistung des Gemeinwesens, also des Staates für den
Einzelnen, stellt sich die Frage, wie diese bezahlt werden soll. Wie also
Lasten verteilt werden: Je nachdem, ob man einem hochherrschaftlichen
Feudalsystem zugewandt ist oder ob man ein egalitär demokratisches
System bevorzugt, wird die Antwort unterschiedlich ausfallen.



Albert Karschti schrieb:
> Zumindest sollte man zuerst strikt die GKV von PKV trennen oder
> ineinander auflösen! (das Verfassungsrechtliche Gejammer ist mir
> bekannt). Es sollten wie es eigentlich rechtlich vorgesehen ist Private
> Leistungen Private Ärzte anbieten dürfen und GKV-Leistungen nur GKV-
> Ärzte keine Vermischung.


Das würde gründlich schief laufen.

Wenn jeder Arzt oder jede Klinik entweder nur gesetzlich Versicherte oder
nur privat Versicherte behandeln dürfte, wäre das private System in
kürzester Zeit am Ende. In einem solchen System wäre jede
Quersubvention ausgeschlossen, und schnell würde klar, in wie vielen
Bereichen das private System parasitär vom gesetzlichen lebt.


In den Krankenhäusern werden fast alle Geräte, die gesamte
Infrastruktur der Klinik und der größte Teil des betreuenden Personals
von den Kassenpatienten beziehungsweise durch Steuergelder bezahlt. Die
Privatpatienten werden in diesem System mitbehandelt. Ihr Honorar fließt
dabei zum größten Teil den Ärzten zu, die oft auch noch von
dringenderer Arbeit abgehalten werden.


Wenn man - wie Du vorschlägst - die Systeme trennen würde, ständen
alle Chefärzte den Privatpatienten zu. Aber alle Spezialisten, alle
medizinischen Großgeräte sind ja durch den Steuerzahler und durch die
GKVen bezahlt - da ständen die PKV-Patienten dann vor der Tür.



'syna' schrieb:
>
> 'juergenj' schrieb:
>> NUR WENN DIE PKV erst einmal aus der Grundversorgung
>> ausgeschaltet ist, kann das System genesen.
>  +1. Vollkommen korrekt!
>
> Das hatten wir zwar schon zur Genüge dargelegt ... aber offenbar muss
> man das immer immer wieder in allen Facetten beschreiben.


Hier die Zusammenfassung:

Wir sehen uns ja als moderne, aufgeklärte demokratische Menschen des
21. Jahrhunderts, da passt solch eine feudalistische Lastenerhebung nicht


hinein. Es gibt dafür 4 Argumente:


----------------------------------------------------------------------------------

1. Ungerechte Feudalstruktur durch die PKV

----------------------------------------------------------------------------------

Es ist aus es aus reinen Gerechtigkeitsgründen längst überfällig, die
PKV

abzuschaffen. Denn die PKV spielt im Gesundheitssystem ein parasitäre,
feudale Rolle: Denn alleine die Solidargemeinschaft der gesetzlich
Versicherten muss die Behandlung derer bezahlen, die selbst kein
ausreichendes Einkommen haben. Dazu zählen mitversicherte Ehefrauen,
Kinder, Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger. Privat Versicherte
beteiligen

sich nicht an diesem Sozialtransfer, sie bezahlen lediglich ihr in der
Regel

niedriges Krankheitsrisiko. Der minimale Steuertransfer, den es gibt,
ändert

an dieser Tatsache nichts.

*Das sieht konkret dann so aus:* Ein Arbeitnehmer mit 3800 €
Einkommen

zahlt 550 € Beitrag (einschließlich Arbeitgeberanteil). Von diesen 550


werden etwa 250 € verwendet, um damit die medizinische Versorgung von
Einkommensschwachen zu finanzieren. Dagegen bringt ein privat
Versicherter mit genau dem gleichen Einkommen nicht einen einzigen Euro
für die Solidargemeinschaft auf! Er kann sein Geld ganz dafür ausgeben,


sich selbst eine bessere medizinische Behandlung zu kaufen! Er kauft sich


damit geringere Wartezeiten und wichtiger noch: Den im Ernstfall
entscheidenden Zugang zu den Spezialisten!

==========================================================

Nicht genug damit. Durch die Nichtbeteiligung der PKV-Versicherten an der


Solidarität kann die PKV pro Versichertem mehr bezahlen - und genau das
weckt Begehrlichkeiten und führt zu einer drastischen Verzerrung im
Gesundheitswesen:


----------------------------------------------------------------------------------

2. Erhebliche Fehlallokationen in fast jedem Fachbereich.

----------------------------------------------------------------------------------

Fehlallokation: Gut ausgebildete Spezialisten werden nicht in ihrem
Spezialbereich, für den sie bestens ausgebildet wurden, eingesetzt,
sondern für Trivialeinsätze von PKV-Patienten verschwendet. Das
passiert

genau deshalb, weil für diese Trivial-OPs besser bezahlt wird. Die
Situation

hat sich noch verschlechtert, seit die privaten Krankenversicherungen
verlangen, dass der liquidierende Spezialist die Leistung auch selbst
erbracht haben muss, um abzurechnen, während in der Vergangenheit oft
die Arbeit von weniger qualifizierten Ärzten durchgeführt werden
konnte,

und der Spezialist sie nur abgerechnet hat.


----------------------------------------------------------------------------------

3. Forschungsleistungen sind viel schlechter.

----------------------------------------------------------------------------------

Hohe Gehälter hängen in deutschen medizinischen Fakultäten zu wenig
von

der Forschungsleistung und der Qualität der Behandlung aller Patienten
und

zu stark von den Nebeneinnahmen durch die Privatpatienten ab. Ethisch ist


dieses System fragwürdig, weil es die Versorgungsqualität indirekt vom
Einkommen des Patienten abhängig macht (Siehe Rothmund, M, Die
Stellung der klinischen Forschung in Deutschland im internationalen
Vergleich, 1997, Dtsch. Med. Wschr. 122, 1358-1362.)


----------------------------------------------------------------------------------

4. Uneffiziente duale Strukturen (doppelte Facharztschiene,
Drehtürmedizin) - nur zum Wohle der Privatversicherten.


----------------------------------------------------------------------------------

Die ambulante Behandlung steht in Deutschland ausschließlich dem privat
Versicherten zur Verfügung, weil sie die Ärzte frei auswählen können
und

die Fachleute sie gerne behandeln. Im Fall von Komplikationen können sie


daher auch nach dem Eingriff von dem Arzt ambulant weiterbetreut
werden, der sie operiert hat.Der gesetzlich Versicherte Patient wird
dagegen nach Auftreten einer Komplikation „durch das System
gereicht“.

Dabei gerät er an Ärzte, die mit Fällen wie seinem keine oder wenig
Erfahrung haben.

==========================================================

Aus (1), (2), (3) und (4) folgt zwangsläufig - wenn wir auch nur
ansatzweise "soziale" Wesen sind: Wir müssen die PKV (für medizinische
Leistungen!) abschaffen zugunsten einer reinen, egalitären
Bürgerversicherung. Dabei müssen bereits erworbene Ansprüche und
geschlossene Verträge berücksichtigt werden.

Dabei sollten wir bedenken: Eine *gerechte Gesellschaft* setzt
Chancengleichheit voraus, für die der einkommensunabhängige Zugang zu
einer optimalen Gesundheitsversorgung und zum kompletten
Bildungsangebot kennzeichnend sind. Gesundheit und Bildung dürfen daher
nicht nur als Kostenfaktor für unsere Gesellschaft gesehen werden,
sondern als Voraussetzungen für Produktivität und Wachstum.

In einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft wie Deutschland
können Wachstum und Produktivitätsgewinne nur erreicht werden, wenn
wir *in die Ressourcen aller Bürger investieren* , damit diese länger
gesund

und lernfähig bleiben. Somit ist die Abschaffung der PKV zugunsten einer


Bürgerversicherung nicht nur die gerechtere Lösung, sondern auch die
ökonomisch bessere.

==========================================================
Nochmal die Punkte:

1. Ungerechte Feudalstruktur durch die PKV
2. Erhebliche Fehlallokationen in fast jedem Fachbereich.
3. Forschungsleistungen sind viel schlechter.
4. Uneffiziente duale Strukturen (doppelte Facharztschiene,
Drehtürmedizin) - nur zum Wohle der Privatversicherten.


==========================================================

*Hauptargument ist, * dass die PKV in ihrem Geschäftsmodell den Anteil
Solidarität vollkommen ausblendet und alleine der GKV anlastet. Und
stattdessen für ihre Mitglieder erhebliche Privilegien bezahlt. Im
Gesundheitsbereich haben wir daher noch eine echte, fast mittelalterliche


Feudalstruktur.

Das Gebaren der PKV führt darüberhinaus zu erheblichen Fehlallokationen
in

fast jedem Fachbereich, welche insgesamt erhebliche Kosten bzw.
Ineffizienzien verursacht. Und welche die Forschungsleistungen stark
dezimieren. Das Gebaren führt zudem zu ineffizienten dualen Strukturen
(doppelte Facharztschiene, Drehtürmedizin) - nur zum Wohle der wenigen
Privatversicherten.






Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang