Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Reform - unnoettige OPs

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

Listenarchiv

Re: [AG-Gesundheit] Reform - unnoettige OPs


Chronologisch Thread 
  • From: Jens Christoph Steltner <christoph.steltner AT googlemail.com>
  • To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Reform - unnoettige OPs
  • Date: Sun, 4 Jul 2010 14:15:44 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Ahoi,

ich antworte einfach mal auf beide E-Mails in einer... sonst wird das
so auseinander gerissen, ich hoffe das verärgert niemanden! ;-)

Am 3. Juli 2010 15:53 schrieb Swen Schmidt
<SwenSchmidt AT piratenpartei-hessen.de>:
> Heiko Endrigkeit schrieb:
>> Wenn man also nur die wirklich notwendigen OPs bezahlen würde, hätte das
>> Gesundheitssystem heute wahrscheinlich gar kein Problem. Ich kann dazu
>> auch einiges sagen, da ich in meinem Privaten Umfeld mit Ärzten,
>> OP-Schwestern, Pharmazeuten etc. zu tun habe. Und die lassen kein gutes
>> Haar an der OP- und Therapie-Praxis vieler Ärzte und haben auch
>> handfeste Belege dafür (die natürlich vertraulich sind). Da kann einem
>> manchmal richtig schlecht werden. Man ist sich einig, dass das
>> Gesundheitssystem heute gesund wäre wenn es annähernd vernünftig
>> gemanaged würde.
>
> Das stimmmt soweit. Es gibt viele OPs die viel versprechen, aber oft
> Folgeschaeden bringen. Gerade am Knie wird zu gerne operiert, obwohl das
> ein sehr empfindlicher Bereich fuer Folgeschaeden ist. Gibt aber auch noch
> genug anderes.

Also erstmal finde ich es befremdlich wenn mit privaten Kontakten
argumentiert, die über handfeste Belege für irgendwas verfügen, die
dann aber so vertraulich sind, das man sie eigentlich nicht vorlegen
kann. Denn im Endeffekt gibt es nur wenige wirklich verlässliche
Möglichkeiten für solche Belege, z.B. Metaanalysen einer größeren
Anzahl von RCTs. Wenn es solche Arbeiten gäbe, dann würden die sicher
nicht unter Hand gehandelt werden (können).

Außerdem ist es kurzsichtig der operativen Medizin den schwarzen Peter
zuzuschieben, denn überall in der Medizin lauern Therapien, oder
Medikamente die mehr versprechen als sie halten können. Allerdings ist
es leider grade im Bereich der operativen Medizin schwierig
wissenschaftliche Erkenntnisse über die Behandlungen zu gewinnen, denn
ein RCT zur Appendektomie wäre einfach unethisch und nicht
durchführbar. Was aber zutrifft ist, das es ein massives Problem im
Management des Gesundheitswesens gibt. Wobei ich den Fokus auf das
Management der Verteilung der "knappen" Ressourcen legen würde.

> Diabetiker sind sich oft ihrer Krankheit nicht richtig bewusst und
> vernachllaessigen ihre eigenen Kontrollen, Arzt kontrollen und
> Verhaltensregeln.
> In diesem Falle fehle Bewusstsein, Aufklaerung und ebend der richtge Umgang.

Ja, es fehlen _unabhängige_ und leicht zugängliche Informationen, wir
sind schließlich die Informationsgesellschaft und man kann den
Patienten durchaus zumuten sich selbstständig über ihre Krankheiten zu
informieren.

> Zum anderen muss ich sagen ist unser Gesundheitssystem teilweise auch sehr
> beschraenkt. Noetige OPs werden oft nicht bezahlt, obwohl sie Folgeschaeden
> vermeiden. Als beispiel hier Hueft und Zahnops. Das eien kriegt man nur im
> richtigen Alter und wird ansonsten zum Pflegefall, beim anderen gibts weder
> Absicherung noch unabhaengige Beratung, geschweige denn eine angemessene
> Versorgung die weiteres verhindert.

Die demographische Entwicklung macht leider die "rundum sorglos"
Versorgung unmöglich, da sie mit den knappen Ressourcen nicht zu
betreiben bzw. finanzieren wäre. Wenn es einen verantwortungsvolleren
Umgang mit den Mitteln gegeben hätte, bzw. geben würde - was die
zunehmende Privatisierung der Medizin verhindert - dann wären solche
kurzsichtigen Deckelungen von Behandlungen nicht notwendig. Immerhin
können wir uns gegenüber von Großbritannien noch glücklich schätzen...

> Das Problem ist, hier treffen so schon 2 Angehensweisen aufeinander:
> Die Erste legt nach Papier fest welches Alter, Kh. und sonstiges man haben
> muss, um eine Behandlung zu bekommen. Ist eine generelle Vorgabe, bei der
> beides vorkommt, zuviel und zu wenig Behandlung und alle muessen erstmal
> formell mit kaempfen.
> Das andere ist die Entscheidung vom Arzt der beurteilt ob eine Behandlung
> noetig ist oder nicht. Da aber der Patient der Kunde des Arztes ist, liegt
> auf der Hand wie bei manchen die Entscheidung gefaellt wird.

Solange sich die Kostenträger bei der Übernahme von Behandlungen an
der Evidenz orientieren ist dagegen nichts einzuwenden, denn wenn eine
Behandlung aus wissenschaftlicher Sicht keinen Sinn macht sollte sie
auch nicht (aus dem großen Topf) bezahlt werden. Denn immer nur den
Arzt den Einzelfall beurteilen zu lassen führt auch nicht weiter - im
Zweifel entscheidet der sich nämlich immer dafür etwas zu tun, als
etwas zu lassen.

> Vorsorge und Beratung kommen in jedem Falle zu kurz! Der Arzt bekommt eine
> Pauschale die fuer durchschnittlich 10 min. Begutachtung, Beratung und
> Behandlung reicht. UUnabhaengige Stellen werden in der Regel nicht bezahlt,
> obwohl solche Arbeit durch einen Heilpraktiker, Ernaerungsberater,
> Diaetassistenen etc. sehr gut unterstuetzt werden koennte.
> Leider laesst sich gerad bei sowas der Erfolg nicht messen wie bei einer OP
> - Genau diese Erfoolgsmesslatte die ueber Studien belegt wird ist die
> Grundlage fuer die KVs - Zwar "wissenschaftlich" aber ebend nicht
> ganzheitlich und nicht der Realitaet angemessen.
> Weswegen die Krankenkassen sich das ganze lieber sparen (oder ebend nur den
> teuren Arzt fuer zb eine Akupunktur bezahlen als den guenstigeren HP fuer
> dieselbe Leistung).

Du wirfst da eine ganze Reihe von Dingen in einen Topf, die so nichts
miteinander zu tun haben. Denn sicherlich kann man die DRGs, den
MobiRSA und das Punkteunwesen kritisieren, aber mit der Erfolgsmessung
von Therapien hat das genau gar nichts zu tun. Geschweige denn das
irgendjemand im weiteren Umfeld des Gesundheitswesens unabhängig ist,
oder sein könnte. Jeder handelt nach seiner Lehre und hält sich und
seine "Kunst" für notwendig und ist von der Wirksamkeit seiner
Behandlungen überzeugt. Natürlich liegt es auch am Lobbyismus der
Ärzte, das Heilpraktiker, Ernährungsberater etc. weniger staatliche
Unterstützung erfahren, aber in diesem Bereich findet sich aber häufig
auch eine große Lücke was die Nachweise von Wirksamkeit angeht.

Und im übrigen gibt es nur eine Art und Weise, wie Wirksamkeit
nachgewiesen und beurteilt werden kann: Die Wissenschaftliche, in Form
von RCTs und Metaanalysen eben solcher. Das ist sicher nicht perfekt,
aber die beste Methode über die wir im Moment verfügen. All die
anderen Formen im Sinne von "Aber hier und da hat xyz doch gewirkt!",
oder "Bei Tieren tuts doch auch", oder "Die alten Chinesen habens
schon gemacht", oder auch alles was sich unter dem Buzzword
"Ganzheitlich" verbrigt, sind einfach nicht überzeugend. Oder hast du
Kenntnisse, die sich mir noch nicht erschlossen haben?

> Fazit:
> Wir brauchen eine bessere (neue) Entscheidungsgrundlage auf derer OPs,
> Behandlungen und Beratungen bezahlt werden!

Dafür, solange du dich für mehr Wissenschaftlichkeit und Orientierung
an wissenschaftlicher Evidenz aussprichst.

-- Christoph




Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang