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- Subject: Re: [AG-GOuFP] Heutiges Geld ist Schuldgeld
- Date: Sun, 14 May 2017 14:59:08 +0000
Hallo Marco,
als Anmerkung bzw. Klarstellung: durch das Aufrechnen von Forderungen ist kein Gegenbeweis erbracht, dass der Erfüllungsgegenstand zwischen Banken auf etwas anderes als Zentralbankgeld lautet.
Ja, Juristen würden sagen, die Vertragspartner rechnen ihre Forderungen gegeneinander "erfüllungshalber" oder "an Erfüllungs statt" auf, was jederzeit möglich ist, wenn sie sich darauf einigen (§ 387 BGB). Dann sind die wechselseitigen Forderungen ebenso erfüllt, wie wenn ein Schuldner A für Verbindlichkeit gegenüber B diesem erfüllungshalber oder an Erfüllungs statt eine Forderung gegen einen Dritten C - ob nun Nichtbank, Geschäftsbank oder Zentralbank, ist egal - abtritt (§398 BGB).
Zeitlich können die Banken das (so sie möchten) auf die lange Bank schieben und Forderung mit Forderung gegenrechnen.
Das bedeutet, sie haben die Möglichkeit, die nach Verrechnung gegenseitiger Forderungen entstehenden Restsalden jeweils als Sichtguthaben stehen zu lassen. Auch diese sind jedoch Forderungen auf Zentralbankguthaben oder Bargeld, die im Fall eines Bank Runs sofort und jederzeit fällig gestellt werden können, wie Sichtguthaben von Nichtbanken bei Geschäftsbanken ja ebenfalls. Daher tragen sie dazu bei, das Bankensystem als Ganzes fragiler zu machen, weil so im Bankensystem dauerhafte Verflechtungen über wechselseitige Sichtguthaben entstehen. Die Anforderung, diese regelmäßig in ZBG bedienen zu müssen, würde diese Fragilität reduzieren und die geldpolitischen Maßnahmen der ZB wirksamer machen.
Hier sind dann unterschiedliche Möglichkeiten der Regulierung und Entflechtung des Interbanken-Zahlungsverkehrs möglich, z.B. Grenzbeträge gegenseitiger Sichtgutschriften, Vorschriften über Interbanken-Zahlungsfristen, etc.
Wird so gehandhabt und funktioniert, so lange ausreichend Vertrauen zwischen den Vertragspartnern herrscht.
Ja, und vor allem dann, wenn dauerhafte Geschäftsbeziehungen bestehen, d.h. beide Partner erwarten können, daß auch in Zukunft Zahlungen in beide Richtungen zu erwarten sind. Hier bilden sich dann Erwartungswerte über die Restsalden.
Zentralbankgeld wird deswegen nicht unnötig, die Hierarchie im System wird nicht ausgehebelt o.ä.
So ist es. Dieser Schein entsteht regelmäßig im Boom, im Bust stellt sich dann aber eben heraus, daß das nicht so ist. Wird allerdings im Bust jedesmal das komplette Bankensystem gerettet, weil es dermaßen verflochten ist oder zu sein scheint, daß Angst vor einer deflationären Depression herrscht, dann wird der Boomzustand auf Dauer gestellt und die Banken erhalten einen Free Lunch (Gewinne privatisieren, Risiken sozialisieren). Daher ist natürlich das Spielen mit dieser Angst gegenüber ZB und Politik sehr im Interesse der Banken, da eine irrational große Angst vor dem "großen Kladderadatsch" ihnen systematisches Trittbrettfahrerverhalten ermöglicht.
Genau das sollte ja vermieden werden, als man Lehman pleite gehen lies und dann feststellte, daß das Finanzsystem weitaus verflochtener war als man vermutet hatte - mit den bekannten Folgen.
Deswegen ist es unbedingt nötig, daß die konkrete Funktionsweise des Bankensystems Teil makroökonomischer Modelle wird und Schluß ist mit dem absurden Zustand, daß "the models central banks use have no banks ... just let THAT sink in." (copyright Dirk Bezemer)
Wir suchen ja eine Systembeschreibung, die in der "Krise" nicht plötzlich versagt, von daher ist deine Ergänzung zwar auch ein Mittel und Weg, aber setzt die unterliegenden Mechanismen nicht außer Kraft.
Genau, danke Marco - wir brauchen eine _allgemeingültige_ Beschreibung.
Hinzu kommt noch, daß ja die Vollgeldler den eigentlichen Grund für kreditäre Booms und Busts in JEDEM Kreditsystem - nämlich die menschliche und unaufhebbare Instabilität von ZUKUNFTSERWARTUNGEN - regelmäßig ausblenden und in krude quantitätstheoretische Werttheorien jenseits aller praktischen Realität praktischer Bewertungsentscheidungen flüchten, weil sie diese für ihre Vorstellungen von der Omnipotenz der Vollgeld-Zentralbank eben brauchen.
Die Verteufelung der Geschäftsbanken auf dieser verkürzten Basis und eine Analyse, die nicht weiter als bis zu nationalen Zentralbanken geht und diese zu omnipotenten Vollgeldbanken machen möchte, verkürzt nicht nur die Analyse der Probleme des globalen Finanzsystems hinten und vorn, sondern führt auch zu verkürzten Lösungsvorschlägen.
Die Menschen selber und ihre emotionalen Erwartungen sind hier das Kernproblem - in Kombination mit einer abstrakten Geldeinheit, in der dann ALLES gleichermaßen bewertet wird. Daher sagt man ja auch, "irrationaler Überschwang" zum Boom, wenn alle sich reich rechnen und superhappyfaces aufsetzen, und "deflationäre Depression", wenn im Bust der große Katzenjammer einsetzt und plötzlich die Schuldenlast schwer auf den Schultern rumlungert, aber Zahlungsmittel weit und breit keine mehr in Sicht sind und keiner mehr einen Pfifferling auf Deine Gutschrift gibt ... :-D Und einer völlig unregulierten Kreditwirtschaft eine manische Depression zu attestieren, paßt dann schon auch ganz gut.
Das alles auf Vollgeld und Quantitätstheorie reduzieren zu wollen, führt meiner Erfahrung nach letztendlich dann leider oft zu einer ungeheuer bornierten, selbstgerechten Sozialschraubermentalität, die, wie so oft, in der Praxis dann eher gefährlich wird als daß sie die versprochenenen Universallösungen bringen würde.
Weil sich leider jeder rechtlich-institutionellen Fundamente baren akademische ökonomische Theorien mit ihren schocktherapeutischen Empfehlungen für die postsozialistische Welt ganz ähnlich als heilsorientierte, aber realitätsfremde Sozialschraubereien mit fatalen praktischen Resultaten entpuppt haben, muß hier eben ganz grundlegend neu angesetzt werden.
Und dabei mit den präzisen Begriffen des Rechts und Buchhaltung zu beginnen, die eben genauer sind als die Alltagsbegriffe und die tatsächliche kaufmännische Realität tagtäglich bestimmen, ist etwas, das kein vernünftiger Mensch ablehnen kann - man kann es nur ignorieren. Die akademischen Mühlen mahlen da ungeheuer träge und laufen der Wirklichkeit hinterher, weil sie besser zur Traditionspflege (alte Denkgewohnheiten/-Traditionen) geeignet sind als zum Einreißen alter Gebäude, um die Teile dann zu putzen und als Bausteine für ein nicht mehr windschiefes und löchriges Gebäude auf neuen, soliden Fundamenten zu verwenden.
Das wird m.E. noch Jahrzehnte dauern, wenn es überhaupt klappt. Alternative seh ich dazu aber keine brauchbare - und im "Vollgeld" schon mal gleich gar nicht. Insofern macht man m.E. nix falsch, wenn man sich dafür einsetzt, darf aber wohl kaum auf schnelle Erfolge hoffen.
Das Problem ist nicht, daß es allzu kompliziert wäre, sondern eher, daß alte Denkgewohnheiten und -Traditionen geändert werden müssen. Das geht auch außerhalb akademischer Institutionen nicht von selber und ganz einfach. Das ist Arbeit. Und das kriegt eine junge Generation, die noch nicht in lange eingeübten (aber mittlerweile durch eine veränderte Umwelt dysfunktional gewordenen) Denkgewohnheiten gefangen ist, besser hin als die Opa-Generation, und da die qua demographischer Muster ja in der Minderheit ist, wird auch klar, daß eine _alternde_ Gesellschaft schon von daher an Innovations-, Lern- und Veränderungsfähigkeit verliert.
Aber hoffentlich immerhin an Erfahrung, Weisheit und Gelassenheit hinzugewinnt.
http://www.laenderdaten.de/bevoelkerung/_media/medianalter.jpg
Hier sieht man, wo die "Jungen" sitzen, die lernfähig und -begierig sind - und auch, daß man denen v.a. mal beibringen muß, daß man eine Geldwirtschaft nur dann steuern kann, wenn man sie zuerst mal etabliert und geschaffen hat. Und wie das geht. Nämlich nicht ohne state building - was auch rechtskundige Vollgeldfreaks noch immer geflissentlich übersehen, weil sie Staat und Recht irgendwie als überall irgendwie immer schon vorhanden imaginieren.
Grüße
Wolfgang
- [AG-GOuFP] Fw: Heutiges Geld ist Schuldgeld, Winrich Prenk, 10.05.2017
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