Re: [AG-GOuFP] Vortrag "Was ist Geld?" am 1.2.2016

[moneymind <moneymind AT gmx.de>]

> Oder, um es mal provokativ zusammenzufassen:
>
> /"Eigentum, Freiheit und Gleichheit" sind nicht nur die Grundlagen aller 
> Kredit- und Geldwirtschaft. Sie sind die Kernideen der europäischen 
> Zivilisation und in anderen Gesellschaften nicht existent. /
>
> Die Vorstellung, daß "alle Menschen frei und gleich geboren" seien, ist 
> in anderen Kulturen alles andere als selbstverständlich, wie z.B. der in 
> Myanmar entwicklungspolitisch beratend tätige Prof. Stephan Collignon 
> dort erfahren mußte:
> *
> Stefan Collignon: Monetary Paradigms and Liberty 2015.06.10 *
>
> a) "Nothing is less evident that we are born free and equal" 
> https://www.youtube.com/watch?v=aZJRjD-YXe4#t=2m40
>
> b) "We are all born free and equal" als Kern-NORM der modernen 
> Gesellschaft https://www.youtube.com/watch?v=aZJRjD-YXe4#t=7m38s%20
>
> Die Vorstellung, "alle Menschen" seien "frei und gleich geboren", ist 
> eine europäische Erfindung des 18. Jahrhunderts (Naturrecht) und 
> begründet den "Imperialismus der Menschenrechte" (Kolonialismus). 

Was mittlerweile sogar ein gewisser Francis Fukuyama erkennt:

/"We might label this the Hobbesean fallacy: the idea that human being 
were primordially individualistic and that they entered into society at a 
later stage in their development only as a result of a rational calulation 
that social cooperation was the best way for them to achieve their 
individual ends.This premise of primordial individualism underpins the 
understanding of rights contained in the American Declaration of 
Independence and thus of the democratic political community that springs 
from it. This premise also underlies contemporary neoclassical economics, 
which builds its models on the assumption that human beings are rational 
beings who want to maximize their individual utility or incomes. But it is 
in fact individualism and not sociability that developed over the course 
of human history. That individualism seems today like a solid core of our 
economic and political behavior is only because we have developed 
institutions that override our more naturally communal instincts. ( ... )

“ ...while an individualistic understanding of human motivation may help 
to explain the activities of commodity traders and libertarian activists 
in present-day Amercia, it is not the most helpful way to understand the 
early evolution of human politics.

Everything that modern biology and anthropology tell us about the state of 
nature suggests the opposite: there was never a period in human evolution 
when human beings existed as isolated individuals; the primate precursors 
of the human species already developed extensive social ... skills; and 
the human brain is hardwired with faculties that facilitate many forms of 
social cooperation.” (Origins of Political Order, New York 2011, S. 29f, 
https://books.google.de/books?id=CvN0ihQi--wC&lpg=PP1&hl=de&pg=PT48#v=onepage&q&f=false 
) /

Eine der heutigen ideologischen Fiktionen, mit denen uns diese "Hobbesian 
Fallacy" erneut gegen alle historische und ethnologische Evidenz 
eingetrichtert wird, ist natürilch der Mythos vom "Homo Oeconomicus". 
Tatsächlich hat ökonomisch rational in Vermögenskategorien 
kalkulierendes Verhalten mit der menschlichen Natur nichts zu tun. 
Rational betriebswirtscahftlich (monetär) kalkulierende Individuen 
entwickeln sich vielmehr nur da, wo "contract law" (Vertragsrecht) 
herrscht und es damit automatisch zu Kreditbeziehungen kommt. Warum? Weil 
es unter den Prämissen arbeitsteiliger Produktion bei "contract law" für 
private freie und gleiche Bürger (Vertragssubjekte) sinnvoll ist, 
betriebswirtschaftlich zu handeln, und nicht, weil es der "menschlichen 
Natur" enspricht. Wie auch Marshall Sahlins am Gegenbeispiel der 
"ursprünglichen Überflußgesellschaft" gezeigt hat - oder Heinrich Böll 
mit seiner "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral".

Die zum (auf der Idee des Eigentums und der Vertragsfreiheit beruhenden) 
individualistisch-egoistischen Menschenbild passende Ideologie ist dann 
der Sozialdarwinismus. Die Geschichte der Gegenbeweise aus Ethnologie und 
Biologie ist lang, um nur zwei zu nennen:

Peter Kropotkin (1902): Gegenseitige Hilfe in der Tier-und Menschenwelt
https://de.wikipedia.org/wiki/Gegenseitige_Hilfe_in_der_Tier-_und_Menschenwelt

Die Arbeit von Michael Tomasello und Kollegen am Max-Planck-Institut für 
Evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

http://www.eva.mpg.de/psycho/staff/tomas/index.html
https://mitpress.mit.edu/books/why-we-cooperate

Hier ein paar schöne Videos von Experimenten zu Altruismus und 
Kooperation mit Kindern und Schimpansen:
http://www.eva.mpg.de/psycho/study-videos.php

Origins of human cooperation (gratis online-Text von Tomasellos Tanner 
Lectures)
http://tannerlectures.utah.edu/_documents/a-to-z/t/Tomasello_08.pdf

Braucht es für Kooperation also "Eigentum, Vertrag, Kredit und Geld"? 
Wohl eher nicht.

Auf der Basis dieser Einsicht glaubte Marx, mit direkter Kooperation 
(Planwirtschaft) ließe sich die Produktivkraftentwicklung so richtig 
entfesseln und der Kapitalismus auf dem Weg zum kommunistischen Endstadium 
der Geschichte "einholen und überholen", was ja ab 1917 praktisch 
ausprobiert wurde.

Auch das ging bekanntermaßen nach hinten los.

Auch hier also - nicht nur am Kölner Hauptbahnhof - Grund genug, sich 
über den Kern unsere Zivilisation nochmal ehrlich und konsequent Gedanken 
zu machen.

Gutes neues Jahr. Können wir brauchen.