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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - [AG-GOuFP] Schöne ML-Beiträge für Blog (Vorschläge)

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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[AG-GOuFP] Schöne ML-Beiträge für Blog (Vorschläge)


Chronologisch Thread 
  • From: thomas <pazeterno AT web.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: [AG-GOuFP] Schöne ML-Beiträge für Blog (Vorschläge)
  • Date: Wed, 30 Apr 2014 22:44:34 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>


moneymind -> Patrick

Die Neoklassik ist intern logisch konsistenter als die Tradition der
monetary economics ("Keynesianismus" - das Programm einer „monetary
theory of production“ stammt von Keynes). Nur geht die Neoklassik von
fiktiven Grundannahmen aus, die mit der Wirklichkeit von Kredit- und
Geldschöpfung nix zu tun haben, sondern nur ein bestimmtes
(fehlgeleitetes) Wissenschaftsideal bedienen (Newton'sche Mechanik als
Vorbild).

Deswegen ist die Neoklassik als Erklärungsmodell für das, wie Wirtschaft
tatsächlich praktisch funktioniert, komplett für die Tonne. Wozu sie
dagegen bestens taugt und auch genutzt wird, ist als
scheinwissenschaftliche Legitimationsideologie für eine bestimmte Art
von Wirtschaftspolitik - die Politik, die seit den 70er Jahren wieder
dominiert. Und genau dafür wird sie auch verwendet und von den
entsprechenden Interessengruppen gefördert und gepushed.

Unter "monetary" economists wird selbst innerhalb des Konsenses („money
matters“, „Geld ist nicht neutral wie die Neoklassik behauptet“) noch
über grundlegendste Fragen ohne breiten Konsens diskutiert, z.B.
currency vs. credit, private vs. staatliche Geldschöpfung, die Rolle der
rechtlichen Fundamente (Zivilrecht – Eigentums- und Vertragsrecht), etc.
Es gibt verschiedene Modelle, aber keinen Konsens. Wäre dem nicht so,
würde es ja zu diesen Fragen hier in der AG auch keine Diskussionen
geben, oder? Außerdem gibt es unter denen, die Geldsystemveränderungen
propagieren, auch Leute gibt, die hahnebüchenen Unsinn verzapfen, wie
z.B. den Hörmann (dessen Quark vom "fehlenden Zins" die AG ja
glücklicherweise schon gründlich widerlegt hat). ).

Der saldenmechanische Ansatz (macroeconomic accounting – simple
makroökonomische Buchführung) – ist z.B. in Bezug aufs Sparparadoxon
logisch nicht widerlegbar (wenn alle mehr Geld sparen, vertieft sich die
Deflation immer weiter), was die Frau Merkel deswegen längerfristig auch
merken wird. Aber er ist bisher immer noch eine marginale Strömung
innerhalb der „monetary economics“, hat aber durch die Finanzkrise 2007
wieder Aufwind erhalten und wird jetzt wieder breiter diskutiert (z.B.
stock-flow-consistent models, die auf makroökonomischem accounting
beruhen). Und welche Erklärung hält er für die Stagflation der 70er
Jahre bereit?

Wer macht nun die Paradigmen, und warum dominiert mal das eine, mal das
andere? Um darauf Antworten zu finden, fand ich es hilfreich, sich die
Geschichte der dominierenden Theorieströmungen im Kontext der realen
Wirtschaftsgeschichte anzuschauen – und zu schauen, wer da die großen
„Akteure“ sind.

Vorab: ich denke, es ist sinnvoll, zwischen den „Entwicklern“ eines
Paradigmas und seinen „Promotern“ unterscheiden. Erstere entwickeln die
Theorie, letztere sorgen dafür, daß sie „Mainstream“ wird, also als
„wahr“ gilt und als solches in die Köpfe der Leute gepushed wird.
Letzteres funktioniert nur in einer historischen Situation, in der die
mangelhaften Erklärungsleistungen der bisherigen Mainstreamtheorie
offenbar werden und sie keine der Situation angemessene politische
Anleitung mehr liefern kann. Dann schlägt die Stunde der theoretischen
Konterrevolution.

Wie lief nun die historische Entwicklung?

Grob so, daß „monetary economics“ in der Weltwirtschaftskrise entstand ,
weil die Neoklassik diese nicht erklären und wirtschaftspolitisch
bekämpfen konnte. Sie wurde dann (in Gestalt des „Keynesianismus“) für
ca. 30 Jahre (1945-1975), während der langen Nachkriegs-Aufschwungphase,
zum „Mainstream“, mit dem „Wirtschaftswunder, „Wohlstand für Alle“ etc.
gerechtfertigt wurde. Als sie aber ihrerseits nicht schaffte, das
gleichzeitige Auftreten von steigender Arbeitslosigkeit und steigender
Inflation („Stagflation“) in den 70er Jahren zu erklären und
wirtschaftspolitisch in den Griff zu bekommen, wurde sie in den
Hintergrund gedrängt und die Neoklassik wieder zum Mainstream-Paradigma,
mit dessen Hilfe wiederum die neue Wirtschaftspolitik
(Geldwertstabilität wichtiger als Vollbeschäftigung und Wachstum, etc.)
gerechtfertigt werden konnte.

An dieser Stelle mal die Frage an die hiesigen Geldtheoretiker in der
AG: wie genau erklärt Ihr eigentlich mit Eurem Modell Stagflation?
Natürlich ist das nicht Euer Problem, da wir uns heute, 40 Jahre nach
der Stagflation der 70er, in der entgegengesetzten Situation befinden
(Deflation). Aber als kleiner Test für die „Logik“ Eures Modells. Oder
habt Ihr Euch schon mal gefragt, wessen Interessen Euer Modell bedient,
und wessen Interessen eher nicht?

Wer sind nun die „Paradigm Pusher“, diejenigen, die ein Paradigma zum
„Mainstream“ machen? M.e. die großen gesellschaftlichen
Interessengruppenkoalitionen, die in einer konjukturellen Phase die
Oberhand gewinnen.

Marxismus (traditionell Gewerkschafts- und SPD-Ideologie) und
katholische Soziallehre (CDU-Ideologie) unterscheiden da nur zwischen 2
großen Interessengruppen, Kapital und Arbeit. Ich finde es
realistischer, wie Schulmeister zwischen 3 Interessengruppen zu
unterscheiden: Finanzkapital (Banken, Finanzindustrie), Realkapital
(produktive Unternehmer) und Arbeit (Lohnabhängige).

Für Schulmeister ist die moderne kapitalistische Wirtschaftsgeschichte
also nicht ein dualer Machtkampf zwischen zwei Interessengruppen
(Lohnarbeit und Kapital), sondern ein Machtkampf zwischen drei
Interessengruppen, deren jeweilige Interessen sich teilweise
überschneiden, teilweise aber auch widersprechen.

Diese Perspektive liegt nun quer zu den Blickwinkeln sowohl von
Marxismus und katholischer Soziallehre als auch zu dem populärer
Verschwörungstheorien. Einige Links dazu habe ich in meiner Antwort an
den ExPiraten gepostet:

https://news.piratenpartei.de/showthread.php?tid=416945&pid=2041985&mode=threaded

Schulmeisters These ist: in der langen Aufschwungphase (z.B. 1945-1975)
paktiert das Realkapital mit der Arbeit gegen das Finanzkapital, das
durch Regulierung - feste Wechselkurse, Trennbankensystem etc. –
ruhiggestellt wurde. Die dominierende Theorie ist monetary economics
(keynesianische "monetary theory of production"). In der langen
Abschwungphase (wie 1975-heute) dagegen paktiert das Realkapital mit dem
Finanzkapital gegen die Arbeit (deren Rechte dann sukzessive wieder
abgebaut werden). Die Finanzmärkte wurden dereguliert (ein genuines
Interesse des Finanzkapitals), die gesetzliche Altersvorsorge wurde
privatisiert (eine Quelle für Gewinne fürs Finanzkapital, etc.). Hierfür
taugt die Neoklassik besser als Legitimationsideologie, weswegen sie nun
von diesen Interessengruppen verstärkt gepushed und propagiert wird.

Monetary economics dagegen wurden und werden z.B. eher von den
Gewerkschaften gepushed und unterstützt, weil sie deren Interessen
besser bedienen als die des Finanzkapitals. Zum Beispiel ist der von
Rudi in diesem Thread zitierte Artikel (Kredit, das unbekannte Wesen),
der auf flassbeck-economics.com erschienen ist, von Patrick Lindner
verfaßt worden, der für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung
schreibt (bzw. wohl von denen ein Promotionsstipendium hat). Auch die
(keynesianisch argumentierende) Memorandum-Gruppe ist eher
gewerkschaftsnah. Flassbeck selber war für die SPD in der Regierung
Schröder tätig, bevor Lafontaine das Handtuch warf und Flassbeck von
Eichel entlassen wurde (was die neoliberale Wende der SPD komplettierte
und sie endgültig theoretisch heimat- und orientierungslos machte).

Entwickelt dagegen wurden monetary economics eher von Praktikern im
Finanzwesen – von Bankern (wie L. Albert Hahn – „Volkswirtschaftliche
Theorie des Bankkredits“; auch Wolfgang Stützel hat einige Zeit in einer
Bank gearbeitet, Johann Philipp von Bethmann ist Privatbankier) oder
Spekulanten (Keynes war Spekulant und Adliger, jedenfalls nicht der
Arbeiterklasse zugehörig). Es ist schon eine Ironie der Geschichte. daß
die von Bankern und Spekulanten entwickelten Theorien eher von den
Gewerkschaften gegen das Finanzkapital verwendbar sind, während das
Finanzkapital zur Legitimation seiner Interessen Theorien braucht, die
realitätsferne akademische Wurzeln haben. So wird ja auch gegenwärtig
die Weiterentwicklung von monetary economics maßgeblich von einem
Großspekulanten finanziert, nämlich von George Soros, der großzügig INET
unterstützt.

Klar kann man nun immer noch Verschwörungstheorien entwickeln, die
nochmals „meta“ zu diesem Erklärungsmodell angesiedelt sind. Darauf will
ich aber hier erstmal nicht eingehen, weil es den Rahmen sprengen würde.
Auch, weil ich persönlich eine „große allgemeine Weltverschwörung“
persönlich auch nicht für wahrscheinlich halte und mich daher mit
solchen Theorien auch nicht näher beschäftigt habe.

Auch setzt Schulmeisters Modell - wie fast alle anderen
makroökonomischen Theorien auch - die Existenz einer Lohnarbeiterklasse,
die Existenz von Staaten und einer privaten Eigentumsordnung
(Zivilrecht, bürgerliches Recht - also Vertragsrecht) als gegeben
voraus, obwohl beide natürlich nicht immer existiert haben, sondern
irgendwann irgendwie von irgendwem aus irgendwelchen Gründen geschaffen
wurden. Auch darüber kann man diskutieren (die Marx'sche Theorie z.B.
geht historisch so weit, auch das zu thematisieren), aber das scheint
nicht Fokus der AG zu sein, weshalb ich es auch erstmal ausklammern will.

Die Piraten sind ja eine Partei, die sich innerhalb des bestehenden
Systems positionieren will, um es zu gestalten, ohne es grundlegend
umzuwälzen, wie das der radikale Strang des Marxismus wollte (und getan
hat, mit ganz anderen Ergebnissen als denen, die aus der Perspektive der
Marx'schen Theorie erwartet wurden).

Mein Hauptpunkt wäre der, daß ich es für sinnvoll halte, die rein
theoretisch-systematische Analyse durch eine historische Perspektive der
"langen Zyklen" zu ergänzen.




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