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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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[AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen


Chronologisch Thread 
  • From: Thomas Weiß <Weiss-Tom AT gmx.de>
  • To: ag Geldordnung <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [AG-GOuFP] Die ganz tiefen Ursachen
  • Date: Fri, 28 Feb 2014 11:20:31 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Ich habe mir in letzter Zeit Gedanken gemacht über die ganz tiefen Ursachen der aktuellen wirtschaftlichen Probleme (säkulare Stagnation, etc.).

Moneymind/Schulmeister und viele andere, auch in der AG, sehen die übertriebene Finanzwirtschaft als eine der zentralen Ursachen an. Da möchte ich auch zustimmen, jedoch stellt sich doch die Frage, ob ohne den durch die Finanzwirtschaft induzierten Verschuldungswahn in den letzen 30 Jahren die Weltwirtschaft nicht vollständig in die Knie gegangen wäre. Nettokreditaufnahme wirkt ja stark positiv auf Nachfrage und Beschäftigung. Es fehlen also noch einige Puzzlestücke.

Einer der bedeutsamsten Punkte scheint mir eine eintretende Sättigung, genauer ein wachsender Überfluss an Realkapital, und die daraus resultierenden Effekte zu sein. Gesell hat das positiv gesehn, nach ihm "ersäuft der Zins in einem Meer in Kapital". Dies sollte zur Folge haben, dass Kapitaleinkünfte sinken und Lohnarbeiter demnach gut bezahlt werden. Das passiert jedoch faktisch nicht. Keynes vermutete, dass mit steigendem Wohlstand die Sparquote nach oben geht, was langfristig zur Unternachfrage führt. Dies lässt sich ebenso nicht beobachten, in den USA ist die Sparquote seit 1950 sogar deutlich gefallen.

Lord Turner hat diese Probleme adressiert und zwei Erklärungsversuche gebracht (siehe unten Originalzitat aus http://ineteconomics.org/sites/inet.civicactions.net/files/Frankfurt%20Escaping%20the%20debt%20addiction%2010%20FEB_0.pdf)
  1. Unternehmertum braucht heutzutage weit geringeres Ausmaß an Kapital, zum einen weil viel von teuerer Infrastruktur und Industrie bereits vorhanden ist und nur mehr modernisiert ist, zum anderen, weil Kosten im Informationszeitalter stark einbrechen. Facebook etwa hatte quasi 0 Investitionskosten im Vergleich zu ähnlich großen Firmen die im 20. Jahrhundert entstanden sind.
  2. Lokale Beschränkungen: Nach der Theorie werden ja bei steigenden Assetpreisen auch mehr von diesen Assets produziert, was deren Preisanstieg eindämmt. Dieser Mechanismus funktioniert aber nicht bei begrenzten, nicht produzierbaren Assets, wie Land. Je geringer also die Renditen auf reproduzierbares, produzierendes Kapital (Fabriken, Maschinen) sind, desto mehr investieren Leute in Immobilien. Diese Entwicklung führt oft zu Blasen und erzeugt Verschuldung ohne echtes Investment.


Einen etwas andere Erklärungsversuch gibt Clayton Christensen hier https://www.youtube.com/watch?v=rpkoCZ4vBSI (Danke an Wischer!). Er meint, es gibt drei Arten von Innovationen: zerstörerische, erhaltende und einsparende. Zerstörerische Innovationen sind neue Produkte die alte überflüssig machen. Sie benötigen Kapital (für die neuen Produktionskapazitäten) und erzeugen Arbeitsplätze. Erhaltende Innovationen verbessern bestehende Produkte, dies benötigt in der Regel wenig oder nichts an neuem Kapital und Arbeitskraft. Die dritte Art sind Innovationen, mit denen bestehende Produkte günstiger hergestellt werden. Hier wird sogar Kapital und Arbeitskraft freigesetzt.
Er argumentiert nun, dass etablierte, hochentwickelte Firmen nur mehr erhaltende und einsparende Innovationen hervorbringen, während aufstrebende Unternehmen meistens auf zerstörerischen Innovationen basieren. Das impliziert, dass hochentwickelte Volkswirtschaften zu einem Überfluss an Kapital und signifikanter Arbeitslosigkeit tendieren.

Was meint ihr dazu?

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Hier das Originalzitat von Lord Turner:

We are heading into an advanced economy world in which the role of investment in the sense that we have traditionally thought about it, while remaining vital for many human welfare improvements, plays a reduced role in explaining the accumulation of wealth.

By investment we usually envisage the need to devote large quantities of economic resources (ultimately labour) not to the production of current goods and services but to the production of “capital goods”. Before we can produce cars and consumer durables we have to build factories. But in a modern economy we observe two phenomena:
The creation of huge market equity wealth on the basis of surprisingly little investment. By which I do mean not just little physical investment (software is of course as much a capital asset as factory machines) but also and more importantly a very small need to devote labour resources to the production of non-current goods and services. Facebook floated for $100 billion: it employs only 5000 people: and the total number of man years devoted to building up the intellectual capital from which the equity wealth flows, was trivial compared with the man years required to produce earlier generations of capital goods such as new factories or railway networks. This phenomenon derives from the collapsing cost of information technology hardware as per Moore’s law: and from the zero marginal cost of software replication. A large and increasing share of total wealth accounted for by locationally specific real estate (and the land on which it sits). This share seems to grow as higher income people devote a higher percentage of their income not to buying newly produced goods and services, but to competing for the ownership of that limited supply and irreproducible asset. The value of this wealth increases over time and oscillates through the cycle, but neither the long-term increase nor the oscillations are primarily driven by new capital investment.



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