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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG
- Date: Mon, 17 Feb 2014 21:44:31 +0000
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- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hallo Rolf,
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Schulmeister Realkapital und Finanzkapital als disjunkte Mengen betrachtet. Ich halte das für unzutreffend. Nun ist es durch Aktiengesellschaften, Unternehmensverflechtungen, und über Fondsgesellschaften vermittelte Beteiligungen sehr kompliziert und praktisch nur bis zu einem gewissen Grade möglich es zu verifizieren (Power Structure Research).
Ja - ich würde Dich bitten, Dir dazu mal die 9 Seiten 146-155 aus folgendem Text anzuschauen, dort präzisiert Schulmeister die Unterscheidung der drei Hauptinteressen und beantwortet dabei auch (soweit ich sehe) Deine Frage.
http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Real-_Finanzkapitalismus_11_13.pdf
Wir können uns hinterher gern nochmal drüber austauschen. Vielleicht von meiner Seite soviel, daß die drei Begriffe (Finanzkapital, Realkapital, Arbeit) nicht identisch sind mit Personengruppen, sondern typische, an die jeweilige Einkommensform gebundene Interessenbündel bezeichnen sollen. Lohnabhängige, die z.B. zwecks privater Altersvorsorge Aktien halten, haben auch Finanzkapitalinteressen, die den Interessen, die sich aus ihrer Lohnarbeiterposition ergeben, teilweise widersprechen können (dazu hatte ich hier kurz was geschrieben: https://news.piratenpartei.de/showthread.php?tid=416945&pid=2042991&mode=threaded ). Weitere typische Überschneidungen listet Schulmeister selbst auf (Link oben).
Da Du ja Marx kennst: analog zu Schulmeisters 3-er Unterscheidung wäre in etwa der Marx'sche Begriff der "ökonomischen Charaktermasken".
Ich will auch nochmal kurz darauf hinweisen, daß die 3-er Unterscheidung bei Schulmeister dem Zweck dient, zwei unterschiedliche, historisch aufeinanderfolgende "Spielanordnungen" innerhalb des Kapitalismus zu unterscheiden: "Realkapitalismus" (Aufschwungphase nach einer Depression, z.B. 1945-1975)) und "Finanzkapitalismus" (Abschwungphase nach einem längeren Aufschwung mit übermächtig gewordenen Gewerkschaften, z.B. 1975 bis heute - wir sind heute aus dieser Sicht in einer extrem finanzkapitalistischen Phase, für Schulmeister die "Talsohle" des langen Zyklus).
Aber ab einer gewissen Vermögensakkumulation
(Multimilliardäre) ist es doch unplausibel anzunehmen dass sich die
Eigentumsrechte nur auf den einen oder den anderen Bereich erstrecken.
Ja, sieht Schulmeister ähnlich - siehe den oben verlinkten Ausschnitt.
Ist es nicht fruchtbarer über die Interessengegensätze von dem
klassischen Antagonismus von Kapital und Arbeit hinaus auf die
Interessengegensätze der Ultrareichen und des unternehmerischen
Mittelbaus herauszuarbeiten?
Halte ich auch für wichtig, allerdings nicht anstatt, sondern zusätzlich zu Schulmeisters Unterscheidung der 3 ökonomischen Hauptinteressen. Er trifft diese Unterscheidung auch, vgl. z.B. S. 152 im oben verlinkten Text, vorletzter Abschnitt.
Zum Beispiel ist es doch für den unternehmerischen Mittelbau rational auf Verbandsebene für deficit spending/functional finance, Mindestlohn und Kapitalverkehrskontrolle einzutreten und aufgrund der kongruenten Interessen Bündnisse mit der Arbeitnehmerschaft einzugehen, da ihre Profite mit einer zunehmenden Auslastung der Wirtschaft (Vollbeschäftigung) steigen.
Ja, siehe dazu die "realkapitalistische Spielanordnung" des langen Aufschwungs 1945-1975, Link oben, S. 156-159 und 159-161.
Überschreitet das Privatvermögen eine erste Schwelle erlangt es eine andere Qualität. Millionäre können ihr laufendes Einkommen nicht mehr
sinnvoll direkt für die Bedürfnisbefriedigung ausgeben - es wird über
das Zurschaustellen von Symbolen oder Mäzenatentum zur Erhöhung des
eigenen sozialen Status eingesetzt. Überschreitet das Vermögen eine höhere Schwelle (Multimilliardäre) erlangt es überwiegend Bedeutung als Mittel der Machtausübung. Die Klasse dieses Big Business ist vornehmlich
an der Erhaltung und dem Ausbau Ihrer Macht Interessiert und nimmt zur
Erreichung dieser Ziele auch Profitminderungen in Kauf. Vollbeschäftigung z. B. würde ihre Macht zurückdrängen. Ob diese Ultrareichen sich nun darauf fokussieren in dem Nullsummenspiel der Spekulation Vermögen des Mittelbaus mit dem Werkzeug der Finanzwirtschaft anzueignen (Nutzung von Informationsgefälle) oder ob sie sich ihre Profite zu einem wachsenden Anteil in der Realwirtschaft realisieren ist vor allem im Spiegel der zu Grunde liegenden Machtverschiebungen zu sehen. An eine Weltverschwörung glaube auch ich nicht, aber zweifellos gibt es temporäre Allianzen und eine gemeinsame Nutzung von Think Tanks um längerfristige Strategien zu erarbeiten.
Ja, das wäre zusätzlich ein wichtiger Punkt, der zu diskutieren wäre. Speziell in der finanzkapitalistischen Abschwungphase (Allianz Realkapital/Finanzkapital gegen die Arbeit) liefern solche Vermögenden einen enormen Hebel der Beeinflussung von öffentlicher Meinung und Politik (wie man aktuell immer wieder sehen kann).
Nochmals zur Relevanz des Schulmeister-Ansatzes aus meiner Sicht: die Weltwirtschaftskrise folgte auf eine "finanzkapitalistische Spielanordnung", die - beginnend mit Roosevelts New Deal, der bereits umfassende Finanzmarktregulierungen (Glass-Stegall Act) beinhaltete - dann wieder politisch (gesetzgeberisch und wirtschaftspolitisch) zu einer "realkapitalistischen" Spielanordnung umgebaut wurde, die die Nachkriegsprosperität ermöglichte.
Wir sind jetzt in einer ähnlichen Situation wie kurz vor der Weltwirtschaftskrise, allerdings wird diese heute (auch wegen der Lernerfahrungen der 30er Jahre) anders gemanaged und könnte sich daher länger hinziehen. Damals folgten auf Börsencrash Bank Runs und der Einbruch der Realwirtschaft, weil die Staaten zunächst prozyklislch handelten. 2007 wurde dies verhindert, aber dies verhinderte auch einen grundlegenden Umbau der Spielanordnung, sodaß essentiell dasselbe "Spiel" weiterläuft, das vor der Finanzkrise lief. Das "Andenken" und zaghafte Umsetzen neuer Spielregeln (Finanzmarktregulierung - auch die Piraten sagen ja "Banken in die Schranken") läuft.
Schulmeisters Perspektive bietet m.E. über den Blick in die Geschichte die Möglichkeit, sich hier systematisch und gezielt Anregungen zu holen. Diese Perspektive ersetzt kein abstraktes Verständnis des "Geldsystems", sondern setzt dieses voraus, ergänzt es aber um die wichtige Perspektive historischer Erfahrung.
Sein eigener detailliertes "Reformpaket"-Vorschlag findet sich übrigens in dem Buch "Mitten in der großen Krise - ein New Deal für Europa"
http://www.amazon.de/Mitten-gro%C3%9Fen-Krise-Deal%C2%AB-Europa/dp/3854525869/ref=sr_1_1/277-2900781-4510040?ie=UTF8&qid=1392673184&sr=8-1&keywords=schulmeister+deal
Beste Grüße!
- Re: [AG-GOuFP] Wer macht und pushed ökonomische "Mainstream"-Paradigmen?, (fortgesetzt)
- Re: [AG-GOuFP] Wer macht und pushed ökonomische "Mainstream"-Paradigmen?, Benedikt Weihmayr, 17.02.2014
- Re: [AG-GOuFP] Wer macht und pushed ökonomische "Mainstream"-Paradigmen?, Rudi, 17.02.2014
- Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG, moneymind, 17.02.2014
- Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG, Axel Grimm, 17.02.2014
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- Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG, Axel Grimm, 17.02.2014
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- Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG, moneymind, 18.02.2014
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