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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG


Chronologisch Thread 
  • From: Ex-SystemPirat <systempirat AT live.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Mögliche Außenwirkung der AG
  • Date: Tue, 18 Feb 2014 08:02:09 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Mich würde an dieser Stelle einmal der genaue Unterschied von "Realkapital" und "Finanzkapital". Bezeichnen diese zwei Begriffe zwei gänzlich unterschiedliche Bereiche oder beziehen sie sich aufeinander. Ist die Beziehung horizontal oder vertikal.

Wenn man die "Arbeit" dazunimmt, steht die dann völlig verschieden neben den zwei Kapitalarten oder ist sie auch eine Form von "Kapital"? Steht sie neben den anderen Arten oder lässt auf ihr basierend zusammen mit den anderen Begriffen vielleicht eine (über den Zeitverlauf evolvierende) Hierarchie konstruieren?

Sollen die "Interessenbündel" grundlegend für "die drei Begriffe" sein oder sind sie erst im Nachhinein beobachtbare Artefakte?

Am 17.02.2014 22:44, schrieb moneymind:
Hallo Rolf,

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Schulmeister Realkapital und
Finanzkapital als disjunkte Mengen betrachtet. Ich halte das für
unzutreffend. Nun ist es durch Aktiengesellschaften,
Unternehmensverflechtungen, und über Fondsgesellschaften vermittelte
Beteiligungen sehr kompliziert und praktisch nur bis zu einem gewissen
Grade möglich es zu verifizieren (Power Structure Research).

Ja - ich würde Dich bitten, Dir dazu mal die 9 Seiten 146-155 aus
folgendem Text anzuschauen, dort präzisiert Schulmeister die
Unterscheidung der drei Hauptinteressen und beantwortet dabei auch
(soweit ich sehe) Deine Frage.

http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Real-_Finanzkapitalismus_11_13.pdf


Wir können uns hinterher gern nochmal drüber austauschen. Vielleicht von
meiner Seite soviel, daß die drei Begriffe (Finanzkapital, Realkapital,
Arbeit) nicht identisch sind mit Personengruppen, sondern typische, an
die jeweilige Einkommensform gebundene Interessenbündel bezeichnen
sollen. Lohnabhängige, die z.B. zwecks privater Altersvorsorge Aktien
halten, haben auch Finanzkapitalinteressen, die den Interessen, die sich
aus ihrer Lohnarbeiterposition ergeben, teilweise widersprechen können
(dazu hatte ich hier kurz was geschrieben:
https://news.piratenpartei.de/showthread.php?tid=416945&pid=2042991&mode=threaded
). Weitere typische Überschneidungen listet Schulmeister selbst auf
(Link oben).

Da Du ja Marx kennst: analog zu Schulmeisters 3-er Unterscheidung wäre
in etwa der Marx'sche Begriff der "ökonomischen Charaktermasken".

Ich will auch nochmal kurz darauf hinweisen, daß die 3-er Unterscheidung
bei Schulmeister dem Zweck dient, zwei unterschiedliche, historisch
aufeinanderfolgende "Spielanordnungen" innerhalb des Kapitalismus zu
unterscheiden: "Realkapitalismus" (Aufschwungphase nach einer
Depression, z.B. 1945-1975)) und "Finanzkapitalismus" (Abschwungphase
nach einem längeren Aufschwung mit übermächtig gewordenen
Gewerkschaften, z.B. 1975 bis heute - wir sind heute aus dieser Sicht in
einer extrem finanzkapitalistischen Phase, für Schulmeister die
"Talsohle" des langen Zyklus).

Aber ab einer gewissen Vermögensakkumulation
(Multimilliardäre) ist es doch unplausibel anzunehmen dass sich die
Eigentumsrechte nur auf den einen oder den anderen Bereich erstrecken.

Ja, sieht Schulmeister ähnlich - siehe den oben verlinkten Ausschnitt.

Ist es nicht fruchtbarer über die Interessengegensätze von dem
klassischen Antagonismus von Kapital und Arbeit hinaus auf die
Interessengegensätze der Ultrareichen und des unternehmerischen
Mittelbaus herauszuarbeiten?

Halte ich auch für wichtig, allerdings nicht anstatt, sondern zusätzlich
zu Schulmeisters Unterscheidung der 3 ökonomischen Hauptinteressen. Er
trifft diese Unterscheidung auch, vgl. z.B. S. 152 im oben verlinkten
Text, vorletzter Abschnitt.

Zum Beispiel ist es doch für den unternehmerischen Mittelbau rational
auf Verbandsebene für deficit spending/functional finance, Mindestlohn
und Kapitalverkehrskontrolle einzutreten und aufgrund der kongruenten
Interessen Bündnisse mit der Arbeitnehmerschaft einzugehen, da ihre
Profite mit einer zunehmenden Auslastung der Wirtschaft
(Vollbeschäftigung) steigen.


Ja, siehe dazu die "realkapitalistische Spielanordnung" des langen
Aufschwungs 1945-1975, Link oben, S. 156-159 und 159-161.

Überschreitet das Privatvermögen eine erste Schwelle erlangt es eine
andere Qualität. Millionäre können ihr laufendes Einkommen nicht mehr
sinnvoll direkt für die Bedürfnisbefriedigung ausgeben - es wird über
das Zurschaustellen von Symbolen oder Mäzenatentum zur Erhöhung des
eigenen sozialen Status eingesetzt. Überschreitet das Vermögen eine
höhere Schwelle (Multimilliardäre) erlangt es überwiegend Bedeutung
als Mittel der Machtausübung. Die Klasse dieses Big Business ist
vornehmlich
an der Erhaltung und dem Ausbau Ihrer Macht Interessiert und nimmt zur
Erreichung dieser Ziele auch Profitminderungen in Kauf.
Vollbeschäftigung z. B. würde ihre Macht zurückdrängen. Ob diese
Ultrareichen sich nun darauf fokussieren in dem Nullsummenspiel der
Spekulation Vermögen des Mittelbaus mit dem Werkzeug der
Finanzwirtschaft anzueignen (Nutzung von Informationsgefälle) oder ob
sie sich ihre Profite zu einem wachsenden Anteil in der Realwirtschaft
realisieren ist vor allem im Spiegel der zu Grunde liegenden
Machtverschiebungen zu sehen. An eine Weltverschwörung glaube auch ich
nicht, aber zweifellos gibt es temporäre Allianzen und eine gemeinsame
Nutzung von Think Tanks um längerfristige Strategien zu erarbeiten.


Ja, das wäre zusätzlich ein wichtiger Punkt, der zu diskutieren wäre.
Speziell in der finanzkapitalistischen Abschwungphase (Allianz
Realkapital/Finanzkapital gegen die Arbeit) liefern solche Vermögenden
einen enormen Hebel der Beeinflussung von öffentlicher Meinung und
Politik (wie man aktuell immer wieder sehen kann).

Nochmals zur Relevanz des Schulmeister-Ansatzes aus meiner Sicht: die
Weltwirtschaftskrise folgte auf eine "finanzkapitalistische
Spielanordnung", die - beginnend mit Roosevelts New Deal, der bereits
umfassende Finanzmarktregulierungen (Glass-Stegall Act) beinhaltete -
dann wieder politisch (gesetzgeberisch und wirtschaftspolitisch) zu
einer "realkapitalistischen" Spielanordnung umgebaut wurde, die die
Nachkriegsprosperität ermöglichte.

Wir sind jetzt in einer ähnlichen Situation wie kurz vor der
Weltwirtschaftskrise, allerdings wird diese heute (auch wegen der
Lernerfahrungen der 30er Jahre) anders gemanaged und könnte sich daher
länger hinziehen. Damals folgten auf Börsencrash Bank Runs und der
Einbruch der Realwirtschaft, weil die Staaten zunächst prozyklislch
handelten. 2007 wurde dies verhindert, aber dies verhinderte auch einen
grundlegenden Umbau der Spielanordnung, sodaß essentiell dasselbe
"Spiel" weiterläuft, das vor der Finanzkrise lief. Das "Andenken" und
zaghafte Umsetzen neuer Spielregeln (Finanzmarktregulierung - auch die
Piraten sagen ja "Banken in die Schranken") läuft.

Schulmeisters Perspektive bietet m.E. über den Blick in die Geschichte
die Möglichkeit, sich hier systematisch und gezielt Anregungen zu holen.
Diese Perspektive ersetzt kein abstraktes Verständnis des "Geldsystems",
sondern setzt dieses voraus, ergänzt es aber um die wichtige Perspektive
historischer Erfahrung.

Sein eigener detailliertes "Reformpaket"-Vorschlag findet sich übrigens
in dem Buch "Mitten in der großen Krise - ein New Deal für Europa"

http://www.amazon.de/Mitten-gro%C3%9Fen-Krise-Deal%C2%AB-Europa/dp/3854525869/ref=sr_1_1/277-2900781-4510040?ie=UTF8&qid=1392673184&sr=8-1&keywords=schulmeister+deal


Beste Grüße!





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